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Foto: zucco.inc/Othmar Seehauser
Gesellschaft | Pollo der Woche

Freak Out!

46 Jahre lang gehörte der weihnachtliche Markt der Kunsthandwerker zur Bozner Tradition. Weil nur mehr der Mammon zählt, wurde die bunte Truppe jetzt ausquartiert.
Solange ich denken kann, war er da.
Der Markt der Kunsthandwerker, jahrzehntelang am Bozner Musterplatz und zuletzt am Ratshausplatz, gehört zu meinen ersten Jugenderinnerungen. Der Duft von Sandelholz, Patschuli und anderen Substanzen, die anfänglich notdürftig zusammengezimmerten Verkaufsstände und das bunte Warensortiment, das vom Angebot unter den Bozner Lauben so weit entfernt ist wie der Mond von der Erde.
Vor allem aber war es diese Truppe von pittoresken und schrägen Typen, die dem Auge und dem Stadtbild so gut tat. Anfänglich waren da diese jungen Leute, die im Sommer in den Höhlen von Matala hausten und im Bozner Advent das verkauften, was man am Strand zusammenbastelt hatte. Oder das Pärchen, das aus Indien Tücher, Seide und Schmuck mitbrachte.
Im Laufe der Jahre hat sich das Ganze dann entwickelt und bekam den offiziellen Namen „Kunsthandwerkermarkt“. Die Typen hinter den Ständchen sind älter geworden und wurden teilweise von ihren Kindern abgelöst. Doch die Art und die soziale Funktion blieben immer dieselben. Man traf sich zu Weihnachten in der Heimat. Südtiroler und Südtirolerinnen, die irgendwo in der Welt lebten, kamen für vier Wochen zurück und verkauften selbstgemachte Produkte.
Das Geschäft lief gut. Man war und ist eine Familie, die unersetzbar zum Bozner Stadtbild während der Weihnachtszeit gehörte. Doch damit ist es jetzt vorbei.
Das Schönste dabei ist aber: Der Bozner Hippiemarkt war lange vor dem Weihnachtsmarkt da. Die erste Ausgabe fand im Jahr 1970 statt.
Heuer wird es zum ersten Mal seit 46 Jahren den Weihnachtsmarkt der Kunsthandwerker in Bozen nicht mehr geben. Die fünf Dutzend Stände und die Truppe wurden ausquartiert. Sie haben im Millionengeschäft Bozner Weihnacht keinen Platz mehr.
Was natürlich verständlich ist. Man muss sich vorstellen, wie die Registrierkassen der Bozner Laubenkönige in diesen Wochen rattern, wie die Patschen Made in China unterm Walther von der Vogelweide stockweise über den Ladentisch geschaufelt und Millionen Stück „Strüdel & Wurster“ in den Gassen der Bozner Altstadt verzehrt werden.
Manche Restaurants, Bars und Geschäfte verdienen während des sechswöchigen Weihnachtsmarktes so viel wie sonst im ganzen Jahr. So wird in der besinnlichen Zeit jeder Quadratmeter verdreckten Pflasters auf den Plätzen in der Altstadt zur Goldgrube, die es auszubeuten gilt, solange der Glühwein noch warm ist.
In diesem kollektiven Kauf- und Geldzählrausch ausgerechnet die besten Fanggründe ein paar Althippies zu überlassen, das geht nun wirklich nicht. Hier geht es nicht um Romantik, sondern ausschließlich um den Mammon.
Wer das nicht einsieht, der hat weder etwas von der Südtiroler Wirtschaft verstanden noch vom „Destinationsmanagement“ der Südtirol-Werbung.
 
 
Das Schönste dabei ist aber: Der Bozner Hippiemarkt war lange vor dem Weihnachtsmarkt da. Die erste Ausgabe fand im Jahr 1970 statt.
Weihnachtsmarkt-Erfinder Roland Atz stand – zum Segen der Menschheit - damals noch im Hockeytor und in ganz Italien wusste man – außer von den Erzählungen der deutschen Gastarbeiter – nicht einmal, was ein Weihnachtsmarkt ist, als der Kunsthandwerkermarkt zum ersten Mal in Bozen seine Stände aufstellte.
Ideator und Schirmherr war Pater Giovanni Barbieri, der über seinen Verein „Centro Relazioni Umane“ zu Weihnachten 1970 die erste „rassegna artistica“ organisierte. Es war damals ein keiner Haufen von Kunsthandwerkern, die rund um den Bozner Dom ihre Stände aufstellten.
 
1971 übersiedelte man dann auf den Musterplatz und führte gleichzeitig auch den Handwerkermarkt in der Osterwoche ein. Der Markt wuchs im Laufe der Jahre. Das Angebot wurde vielfältiger, professioneller und farbiger. Am Ende hatte der Markt bis zu siebzig Aussteller.
2009 wurde der Musterplatz für die Kunsthandwerker zu kostbar. Gleich neben den Walterplatz wollten andere das große Geschäft machen. Vereine, Gastwirte und offizielle Stellen. Deshalb verlegte man den Hippiemarkt auf den Rathausplatz. Deutlich enger, aber immer noch zentral.
Natürlich müssen auch die Kunsthandwerker leben, und sie wollen auch ein Geschäft machen. Dennoch hat der Solidaritätsgedanke von der Gründung an bei den Betreibern und Ausstellern weitergelebt. 2012 ist Padre Giovanni in das Benediktinerkloster nach Bologna zurückgekehrt. Doch über den Verein „Rassegna Mercato Artistico“ haben die Aussteller weiterhin – aus ihren Erlösen – alljährlich bedürftige Familien und Menschen unterstützt.
So hat man etwa im vergangenen Jahr unter den Ausstellern eine Art Glückstopf organisiert, für den jeder eigene Werke gespendet hat. Am Ende waren es rund 400 Objekte. Die Einnahmen spendete man dann für die italienischen Erdbebenopfer.
In der besinnlichen Zeit wird jeder Quadratmeter verdreckten Pflasters auf den Plätzen in der Altstadt zur Goldgrube, die es auszubeuten gilt, solange der Glühwein noch warm ist.
Diese Aussteller und diesen Markt wird man heuer in Bozen aber nicht mehr finden.
Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. In der Gemeinde Bozen sagt man, dass man alles versucht hätte, um die Künstler zu halten. Das Problem dabei: Man wollte den Markt in den Bahnhofspark verlegen. Das wollte der Verein aber nicht.
Die Gemeinde sagt: Die waren einfach zu stur. Die Künstler sagen: Man wollte uns nicht mehr haben. Das zeige die Tatsache, dass man den Trägerverein erst im September von der neuen Situation unterrichtet habe.
Ganz Schlaue wollen sogar von finanziellen Unregelmäßigkeiten wissen, die es gegeben haben soll und die Grund für die Delogierung waren.
Tatsache ist, dass die Gemeindeverwaltung ganz bewusst gegen diesem Markt vorgegangen ist. Vizebürgermeister Christoph Baur, der für Wirtschaft, Konzessionen, Tourismus und Stadtmarketing zuständig ist, führt seit langem einen (erfolgreichen) Kreuzzug gegen den Flohmarkt auf den Talferwiesen.
Es verwundert deshalb nicht, dass man jetzt die Freaks vor dem Rathaus unbedingt weg haben wollten. Und warum? Weil man diese Fläche weit gewinnbringender einsetzen wollte. Heuer stehen dort die Kitschbuden eines kommerziellen Eventveranstalters, wo die Bussi-Bussi-Gesellschaft auf Fellen zu DJ Ötzi Schampus saufen und sich „Südtiroler Köstlichkeiten“ von tschechischen Köchen kredenzen lassen kann.
 
Die schrägen Typen, die seit 46 Jahren in der Landeshauptstadt ihren Weihnachtsmarkt aufstellten, sind im Jahr 2017 plötzlich dem großen Reibach im Weg . Deshalb hat man sie aus Bozen vertrieben. Die Kunsthandwerker sind mit ihren Ständen heuer nach Klausen weitergezogen. Sie werden dort im Kapuzinergarten vom 1. bis zum 23. Dezember täglich zwischen 10 und 19 Uhr ihre „Stadt der Künstler“ aufbauen.
Bozen sollte sich schämen. Doch dafür bleibt beim Geldzählen keine Zeit.
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Evi Keifl Sa., 25.11.2017 - 20:11

genauso ist es: zuerst hat man die flohmarktler kriminalisiert, schikaniert und hinausgeekelt (die säuberungen gehen weiter, bis nichts mehr übrigbleibt), wenige monate darauf dasselbe spiel mit denselben akteuren in politik und verwaltung zur vertreibung der kunsthandwerker. diese politik verstößt nicht nur gegen jeden ansatz von subsidiarität, sie treibt der stadt ihre seele aus. ich habe mich als bürgerin dieser stadt noch nie so überflüssig gefühlt, wie in der ära caramaschi/baur.

Sa., 25.11.2017 - 20:11 Permalink
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ganesh G. Neumair Sa., 25.11.2017 - 21:07

Ich war mit dem "Padre", übrigens ein freigeistiger Domenikaner, bei einigen "Bittgängen" dabei, als er mit Hilfe zweier Zivildiener versuchte, den mercatino für "seine ragazzi" zu starten. Es gab von Anfang an wüste Beschimpfungen von allen Seiten.

Sa., 25.11.2017 - 21:07 Permalink
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gorgias So., 26.11.2017 - 00:02

Dass der Weihnachtsmarkt keine Seele besitzt, wurde mir bewußt, als ich zu Ferragosto dafür Werbungtafeln sehen musste. Mir hat es damals den Magen umgedreht. Es gibt viele Südtiroler, die Unmut gegen diese Kommerzveranstaltung verspühren. Sei es dass es die religiösen Traditionen ja fast schon vehöhnt (Stille Zeit), als dass man keine Rücksicht auf Einheimische nimmt, die mit dem Rummel ab jetzt sogar für sechs Wochen leben müssen, aber nur wenige sich die Taschen füllen.

Man sollte doch dagegen Protestieren, denn das Recht als Bürger haben wir ja. Es sollte weniger sein. Mit lokal hergestellten Produkten und nicht bis zur Befana. Man sollte die italienischen Besucher über diese "authenitische Tiroler Tradition" aufklären und ihnen ein bischen die Stimmung verderben. Denn manche werden nur reagieren,wenn Sie einen Tritt in den Geldbeutel bekommen. Vieleicht hat dann das kleine Stück des Weihnachtsmarktes, der wirklich authenitsch war und eine Seele hatte, wieder den Platz erhalten denn es ihm gebührt.

So., 26.11.2017 - 00:02 Permalink