Politik | Gastbeitrag

Tiki-Taka Doppelpass

Wie stellt man fest, wer Anspruch auf einen österreichischen Pass hat?
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Foto: upi
Die Frage der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler*innen findet angeblich Eingang ins Koalitions- und Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ. Nüchtern betrachtet stellt sich die Frage: Wer ist eigentlich antragsberechtigt?
Antragsberechtigt sind, würde man vorerst einmal meinen, alle Südtiroler*innen. Aber wer bestimmt, wer Südtiroler*in ist? Es gibt dazu zwei Kriterien, das objektive historische oder das subjektive, das auf der Sprachgruppenzugehörigkeit basiert. Das historische Kriterium wird man eher schwer umsetzen können: Können den Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft nur jene stellen, deren Vorfahren Staatsbürger*innen der Habsburger-Monarchie waren? In direkter Linie? Das ließe sich natürlich feststellen, aber das würde auch zu einer Reihe von Problemen führen.
Dürften den Antrag auch jene stellen, die nur einen Vorfahren aus der Monarchie belegen können, z.B. nur mütterlicherseits? Oder dürften auch die italienischsprachigen Trentiner mit k.u.k Vorfahren einen Antrag stellen? Müsste man wieder einen Ahnenpass vorlegen zum Beweis der habsburgischen Abstammung?Fragen über ungelöste Fragen. 
 
 
Müsste man wieder einen Ahnenpass vorlegen zum Beweis der habsburgischen Abstammung?
Österreich hat bereits 1979 das historische Kriterium verworfen und an dessen Stelle die Sprachzugehörigkeit eingeführt. Im Bundesgesetz vom 25. Jänner 1979 über die „Gleichstellung von Südtirolern mit österreichischen Staatsbürgern auf bestimmten Verwaltungsgebieten“ (BGBl. Nr. 57/1979) ist in § 1 vermerkt: „Dieses Bundesgesetz gilt für Personen deutscher oder ladinischer Sprachzugehörigkeit, die im Gebiet der Provinz Bozen geboren wurden, sich bei der jeweils letzten in der Provinz Bozen durchgeführten Volkszählung zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe bekannt haben und nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.“
Dieses Kriterium verwirft das historische Argument, weil die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung ein subjektiver Willensakt ist, der mit österreichischer Vergangenheit absolut nichts zu tun hat. Jede*r Ansässige in Südtirol, die/der laut Gesetz von 1979 (das mit dem EU-Beitritt Österreichs aber obsolet geworden ist) dort geboren ist, kann sich zur deutschen Sprachgruppe erklären, auch wenn er/sie kein einziges deutsches Wort spricht oder eine andere als die weiße Hautfarbe hat. Laut Schätzungen haben sich bei der letzten Volkszählung 2011 rund drei Prozent Italiener*innen in Südtirol zur deutschen Sprachgruppe bekannt. Das sind Nachfahren aus dem Trentino, aus dem Veneto, aus der Lombardei oder Calabrien, wahrscheinlich ohne irgend einen Bezug zu Österreich. 
Außerdem kann jede*r die Sprachgruppenzugehörigkeit nach einer bestimmten Frist auch ändern. Wer informiert Österreich über diese Änderungen, um den österreichischen Pass wieder einzuziehen? Darf die Behörde in Südtirol überhaupt Österreich darüber informieren, weil diese Daten als sensibel gelten und deshalb den Normen der Privacy unterliegen? Oder müssen in Zukunft alle Südtiroler*innen mit einem österreichischen Pass bei jeder österreichischen Behörde auch die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vorweisen? Das wäre wiederum eine Diskriminierung innerhalb der österreichischen Staatsbürger*innen, weil das nicht für alle gilt.    
Ein weiterer Aspekt: Ob der Hinweis, in Südtirol geboren zu sein, nicht eine Diskriminierung gegenüber all jenen Südtiroler*innen sein könnte, die zufällig außerhalb des Landes geboren sind, obgleich sie alle Kriterien eines/einer Südtirolers/in aufweisen? Immerhin gelten heute EU-Kriterien, die es 1979 noch nicht gab. Deshalb ist es zweifelhaft, ob das Kriterium des Geburtslandes einer höchstrichterlichen Prüfung standhalten kann. Auch weil nicht das Land, sondern die Sprache ausschlaggebend ist. 
 
 
Die Frage der Südtiroler Doppelstaatsbürgerschaft bleibt nichts als ein schöner Diskurs, für einige (wenige) ein Placebo für eine Sehnsucht.
Und da öffnet sich gleich die nächste Falltür für Österreich. Die Sprachgruppenzugehörigkeit können alle abgeben, die italienische Staatsbürger sind und in Südtirol einen Wohnsitz nachweisen können, also alle, auch Italiener*innen, auch Marokkaner*innen oder Ukrainer*innen, die die beiden ersten Voraussetzungen mitbringen. 
Aber die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung kann auch von Bürger*innen eines anderen Mitgliedslandes der Europäischen Union und ihren Familienangehörigen abgegeben werden, die NICHT Staatsbürger*innen eines Mitgliedsstaates sind, sofern die Aufenthaltskarte oder das Recht auf Daueraufenthalt besitzen, auch wenn sie NICHT in der Provinz Bozen ansässig sind. Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung kann schließlich auch von Drittstaatsangehörigen abgegeben werden, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in der Europäischen Union besitzen, oder mit Flüchtlingsstatus bzw. mit zuerkanntem subsidiären Schutz, auch wenn sie NICHT in der Provinz Bozen ansässig sind.
Dieser Passus im Normengestrüpp der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung ist nicht ein humanitärer Akt der Südtiroler Landesregierung gewesen, sondern beruht auf europäischer Gesetzgebung. Und da würde sich Österreich doppelt schwer tun, das ius soli einzuverlangen, wo der historische Boden längst kein Kriterium mehr ist. Dadurch würden die Barrieren, mit denen Österreich die Zuwanderung stoppen will, ganz legal durch die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung umgangen, die ja von Österreich anerkannt wird und die den Anspruch auf einen österreichischen Pass eröffnet. Auf der einen Seite schließt Österreich die Tore zum Eintritt von Flüchtlingen, auf der anderen Seite öffnet Österreich die Tore für Flüchtlinge, dank Südtiroler Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung. 
Das wird Österreich zu verhindern wissen: indem es beispielsweise ein drittes Kriterium entwickelt, mit dem definiert wird, wer Südtiroler*in ist, oder aber die Frage der Südtiroler Doppelstaatsbürgerschaft bleibt nichts als ein schöner Diskurs, für einige (wenige) ein Placebo für eine Sehnsucht.
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Robert Tam... Sa., 09.12.2017 - 17:24

Antwort auf von Sylvia Rier

Silvia, offensichtlich hast Du in meinem Kommentar einen wichtigen Teil überlesen: "Warum kommentierst Du drauflos, ohne Dich vorher zum Thema zu informieren?"
Wenn Du meine Kommentare sorgfältig durchgelesen hättest, hättest Du allerhand Konstruktives gefunden, liebe Silvia.
Lies doch beispielsweise meinen Kommentar von 16:51 (weiter unten) und mach Dir mal Gedanken dazu.

Sa., 09.12.2017 - 17:24 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 09.12.2017 - 16:23

das würde ich auch bestimmt nicht tun. wozu auch. aber stell dir vor, nebenan auf facebook habe ich das neulich so oder ganz ähnlich auch gesagt oder durchklingen lassen, und da kam auch schon der erste angehüpft, der diese aussage zum anlass nahm, um mich - mit hämischsten unterton - als die "deutschsprachige italienerin" zu beschimpfen. und dabei ist sein zweiter pass noch nichts als eine ferne idee. und jetzt stell dir mal vor, was hier im Lande los wäre, wenn die Möglichkeit der zweiten Staatsbürgerschaft konkret würde. Vielleicht sind die, die ihn wollen, noch gar nicht reif dafür, die Ressentiments immer noch zu groß/zu viele (aus denen entspringt ja übrigens meist der Wunsch nach dem österreichischen Pass, nicht wahr. an welcher stelle sich die katze in den schwanz beißt)

Sa., 09.12.2017 - 16:23 Permalink
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Robert Tam... Sa., 09.12.2017 - 16:51

Antwort auf von Sylvia Rier

...und wenn man nicht mehr weiter weiß, dann schnell anderen "Unreife" vorwerfen: "Vielleicht sind die, die ihn wollen, noch gar nicht reif dafür"

Reden wir mal Tacheles, Silvia: ob ein Südtiroler neben der italienischen noch ein, zwei oder fünf Staatsbürgerschaften hat, erfährst Du gar nicht, außer derjenige sagt es Dir. Zusätzliche Staatsbürgerschaften sind Privatsache.
Dein Parteichef Tobe Planer hat jüngst in der ff mit Stolz auf seine österreichisch-italienische Staatsbürgerschaft verwiesen. Ansonsten wüssten es heute die meisten noch nicht.

Nenne mir bitte ein konkretes Problem mit der italienisch-österr. Doppelstaatsbürgerschaft Deines Parteibosses Planer, liebe Silvia.

Sa., 09.12.2017 - 16:51 Permalink
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pérvasion Sa., 09.12.2017 - 19:36

Antwort auf von Sylvia Rier

Mit Verlaub Silvia… ich finde die hämische Betitelung nicht gut, aber es hat dich ja niemand gezwungen, deine Vorliebe bzw. Abneigung für den österreichischen Pass zum Ausdruck zu bringen. Genauso steht es uns allen frei, bekanntzugeben oder auch nicht, wen wir gewählt haben. Wenn wir es tun, kann dann natürlich sein, dass von der anderen (politischen) Seite flegelhafte Bemerkungen kommen, doch damit müssen wir dann halt leben. Finde ich.

Sa., 09.12.2017 - 19:36 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 09.12.2017 - 20:01

Antwort auf von pérvasion

nein, das ist ein bisschen mehr dran und ich habe das histörchen wohl nicht weit genug gefasst, hier. du hast bestimmt auch gelesen, oder?, jenen Beitrag des ehemaligen St. Ulricher Bürgermeisters hier auf salto, der befürchtete (ahnte): "Die Folgen können wir uns gut vorstellen; hier die guten Tiroler die natürlich die Österreichische Staatsbürgerschaft mit Freude annehmen, dort die italienischen Vaterlands Verräter die weiterhin nur, die Italienische Staatsbürgerschaft behalten würden." Genau in diesen Kontext musst du jenen hämischen Kommentar fassen (und dann deine vorstellungskraft ankurbeln)

Sa., 09.12.2017 - 20:01 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 09.12.2017 - 20:09

Antwort auf von Sylvia Rier

@Silvia Rier. Was der Pass bringt? Nicht viel. Man muss weiterhin sein Mod. 730 machen, die Bediensteten der Sad werden weiter streiken. Kein Problem wird dadurch gelöst. Wenn man sich Österreich annähern will, oder seine Verbundenheit mit dem Vaterland der Vorfahren zum Ausdruck bringen möchte, braucht man alles andere als einen Pass, das geht ohne amtliches Stück Papier leichter.
Man kann den Pass beantragen und wenn man ihn kriegt kann man ihn in einen Schrein legen und sich daran ergötzen. Sonst taugt der nicht viel. Außer man würde in Folge die italienische Staatsbürgerschaft ablegen. Dann wäre man Ausländer in der eigenen Heimat.

Sa., 09.12.2017 - 20:09 Permalink
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Robert Tam... So., 10.12.2017 - 13:15

Antwort auf von Sylvia Rier

@Silvia: Es war der ehemalige Vizebürgermeister von St. Ulrich. Aber so wie Herr Moroder liegst auch Du hier falsch: ob ein Südtiroler neben der italienischen noch andere Staatsbürgerschaften hat, ist Privatsache und nicht publik. Außer der Betroffene selbst macht es publik, wie zum Beispiel Dein Parteichef Tobe Planer. Nenn mir bitte ein konkretes Problem, das Planer durch das Publikmachen seiner österreichisch-italienischen Doppelstaatsbürgerschaft erfahren hat.

So., 10.12.2017 - 13:15 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 09.12.2017 - 17:26

Man wendet sich an deutschnationale Burschenschafter in Österreich mit einer Idee eines italienischen Faschisten, die man gerne auch für Südtiroler umgesetzt hätte. Wer die Sache nicht so toll findet, braucht ja nicht anzusuchen, heißt es dann.

Sa., 09.12.2017 - 17:26 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 09.12.2017 - 17:46

Antwort auf von Robert Tam...

In den 26 Staaten ist die doppelte Staatsbürgerschaft die Ausnahme. Von Ausnahmen sollte man keine Analogien herleiten. Für Südtiroler wäre sie weder an die Ansässigkeit noch an die Abstammung eines Elternteiles gebunden. Sie würde vergeben, weil Vorfahren vor 2-3 Generationen mal Österreicher waren. Das sind zwei verschiedene Sachen.

Sa., 09.12.2017 - 17:46 Permalink
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Robert Tam... So., 10.12.2017 - 13:20

Antwort auf von Ludwig Thoma

Ludwig, ich kann gut verstehen, dass Du frustriert bist.
26 von 28 Staaten sind für Dich eine Ausnahme und Dein Herumreiten auf angeblichen Burschenschaftern und Faschisten, die hinter einer möglichen Gesetzgebung zur Doppelstaatsbürgerschaft stecken, wurde durch Hartmut Staffler bestens widerlegt.
Auch mit Deinem Markuslöwen-Ausschweifer bist Du argumentativ voll gegen die Wand gefahren. ;-)

So., 10.12.2017 - 13:20 Permalink
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Ludwig Thoma Mo., 11.12.2017 - 21:52

Antwort auf von Robert Tam...

Ach dann glauben Sie also auch, dass es, wenn jemand im Ausnahmefall, sagen wir, weil er eine bestimmte Zeit in einem Land gelebt hat, oder seine Eltern zwei verschiedene Staatsbürgerschaften haben, eine zweite Staatsbürgerschaft kriegt, es nicht dasselbe ist, wie wenn eine ganze Gruppe von Menschen die nie in dem betreffenden Land gelebt hat, tout court die Staatsbürgerschaft verliehen bekommen soll, weil irgendwelche Vorfahren in irgendeinem Vorgängerstaat gelebt haben? Ich muss Sie die ganze Zeit falsch verstanden haben.

Mo., 11.12.2017 - 21:52 Permalink
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Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Sa., 09.12.2017 - 23:04

Antwort auf von Ludwig Thoma

Den Unsinn, dass man sich angeblich an die deutschnationalen Burschenschaften gewendet hat, sollte man hier doch endlich beenden. Die politischen Kräfte aus Südtirol, die in Österreich vorgesprochen haben, haben sich immer an alle dortigen, im Parlament vertretenen Parteien gewandt. Ich habe selbst etwa zwei Stunden mit Herrn Van der Bellen gesprochen (der selbst zwei Staatsbürgerschaften hat). Er hat sich als Wahltiroler sehr aufgeschlossen für das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft gezeigt. So viel ich weiß gehört er keiner Burschenschaft an.

Sa., 09.12.2017 - 23:04 Permalink
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Profil für Benutzer Sylvia Rier
Sylvia Rier Sa., 09.12.2017 - 20:11

der meinung wär ich übrigens auch - eine ganz andere debatte wäre mal gefragt: " "In un mondo dove i rapporti di confine tra le terre sono cambiati mille volte e le culture si sono altrettanto intrecciate, dire “la mia patria” riferendosi a una terra significa creare di sé un falso logico, oltreché geologico."

Cominciamo a parlare di matria: http://espresso.repubblica.it/visioni/cultura/2017/11/15/news/michela-m…

Sa., 09.12.2017 - 20:11 Permalink
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Profil für Benutzer Karl Gudauner
Karl Gudauner So., 10.12.2017 - 01:29

Die Argumente pro und contra doppelte Staatsbürgerschaft sind inzwischen recht ausführlich vorgebracht worden. Dass dazu eine dialektische Auseinandersetzung zu konträren Standpunkten stattgefunden hat, zeigt eine insgesamt positive Entwicklung der Diskussionskultur. Das Anliegen selbst ist eine heikle Angelegenheit, die im Normalfall auf der zwischenstaatlichen diplomatischen Ebene ohne groß davon ein Aufheben zu machen, besprochen und, wenn befürwortet, geregelt werden sollte. Ohne Einvernehmen zwischen Italien und Österreich läuft diesbezüglich gar nichts. Wobei Österreich noch die Schwierigkeit hat, einer Regelung für die an der Doppelstaatsbürgerschaft interessierte Südtiroler/-innen auch in Bezug auf die in ihrem Staatsgebiet lebende Sprachminderheiten einen rechtlich korrekten Rahmen zu geben.

Das Thema jetzt vor der Regierungsbildung in Österreich einseitig nur an das österreichische Parlament bzw. die dortigen Regierungsparteien heranzutragen, ist somit eine sehr undiplomatische Hauruckaktion. Die Argumentation, dass die österreichische Staatsbürgerschaft eine Zwischenetappe auf dem Weg zur europäischen Staatsbürgerschaft darstelle, klingt nach einer der Verlegenheit geschuldeten Hilfskonstruktion. Wenn schon wären direkte Aktionen für die europäische Staatsbürgerschaft angebracht. Doch wozu denn? Dass auf dem Reisepass schon "Unione Europea" oben steht, beinhaltet ja bereits eine klare europäische Zuordnung, eben mit Anführung der jeweiligen Staatsangehörigkeit.

Wenn sich politische Vertreter/-innen bemüßigt fühlen, die Doppelstaatsbürgerschaft jetzt ein Jahr vor den Landtagswahlen in Südtirol als vorrangiges Anliegen des Landes zu lancieren, so setzen sie die ganze Angelegenheit den Unwägbarkeiten und dem emotionalen Hickhack eines Wahlkampfs aus, in dem Argumente in den Hintergrund treten. Betrachten wir die Thematik von den Effekten her, die die Suche nach der "korrekten" Definition der anspruchsberechtigten Bürgerinnen und Bürger in Südtirol auslöst. Es wird eine Auseinandersetzung angezettelt, die darauf hinausläuft, zwischen "besseren" und "schlechteren" Südtiroler/-innen eine Trennlinie zu ziehen, womöglich, wie es bereits angedeutet wurde, nach dem Kriterium, wer de facto Austrogene in sich trägt.

Ich halte es für ebenso absurd, die Doppelstaatsbürgerschaft an jene Bürgerinnen und Bürger zu vergeben, die in Südtirol geboren sind. Und das nicht so sehr, weil ich selbst nicht diese Gnade der territoriumskonformen Geburt aufweise. Ich frage mich einfach, wie das praktisch funktionieren soll. Soll etwa nach gutem altem bürokratischem Brauch ein bestimmtes Jahr festgelegt werden, nach dem die Geburt in Südtirol von der Doppelstaatsbürgerschaft ausschließt? Oder schwebt den Befürwortern vor, eine statistische Erbsenzählerei zu veranstalten, bei der für die Bürgerinnen und Bürger überprüft wird, ob sie italienischstämmig oder deutschstämmig bzw. originaltirolischer Herkunft sind? Von den Familiennamen ist das sicher nicht abzulesen.

Oder geht es außerdem darum, eine Grenzziehung gegenüber ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorzunehmen? Auch das wäre ein automatischer Effekt der Durchsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft, egal mit welcher Regelung. Wir haben über 40.000 Menschen im Land, die nicht die italienische Staatsbürgerschaft haben, hier arbeiten und wohnen und vielfach neue Nachbarn, aber ohne politische Mitspracherechte sind. Die Integration dieser Menschen, sei es der ersten wie der zweiten Generation, ist eine der großen Herausforderungen der nächsten 20 Jahre. Sollten wir uns also nicht dieser Herausforderung zuwenden anstatt Identitätsprofilen nachzulaufen, die entweder obsolet sind oder deren Zuordnung mit einer gewissen egalitären Großzügigkeit vorzunehmen ist. Die Wendungen der privaten Schicksale und der historischen Entwicklungen haben eine vielfältige Mischung der Ethnien bewirkt, die auch durchaus als fruchtbringend angesehen werden kann.

Schon zwischen der deutschen und der italienischen Sprachgruppe gibt es noch so großen Aufholbedarf in der gegenseitigen Verständigung, im Wecken einer positiven Neugier auf die möglichen kulturellen Anregungen, in der Anbahnung von Wegen für die Bewältigung der Vergangenheit und die Schaffung neuer gemeinsamer Ansätze, die es ermöglichen, dem Frieden Dauerhaftigkeit zu geben. Wir wissen alle, wie schnell hierzulande Meinungsverschiedenheiten zu ethnopolitischem Zündstoff hochgekocht werden können. Wir können die Vergangenheit nicht mehr einholen! Deshalb müssen die Lösungen der politischen Fragen zukunftsfähig sein. Beginnen wir also damit, uns auch mit zukunftsträchtigen Problemen auseinanderzusetzen. Eine neuerliche Spaltung der Bevölkerung, zumal durch keine Must-Frage, sondern eine Nice-to-have-Option, können wir nicht brauchen.

So., 10.12.2017 - 01:29 Permalink
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Profil für Benutzer Robert Tam...
Robert Tam... So., 10.12.2017 - 13:08

Antwort auf von Karl Gudauner

Hallo Karl,
gehen wir mal Deinen Text durch, in dem sich leider mehrere Denkfehler eingeschlichen haben.

"Das Anliegen selbst ist eine heikle Angelegenheit, die im Normalfall auf der zwischenstaatlichen diplomatischen Ebene ohne groß davon ein Aufheben zu machen, besprochen und, wenn befürwortet, geregelt werden sollte."
Falsch. Das Staatsbürgerschaftsrecht gehört zu den Kernzuständigkeiten eines Staates, die der Staat selbst vollkommen autonom regelt.

"Ohne Einvernehmen zwischen Italien und Österreich läuft diesbezüglich gar nichts."
Falsch. Siehe oben.

"Wobei Österreich noch die Schwierigkeit hat, einer Regelung für die an der Doppelstaatsbürgerschaft interessierte Südtiroler/-innen auch in Bezug auf die in ihrem Staatsgebiet lebende Sprachminderheiten einen rechtlich korrekten Rahmen zu geben."
Wiederum falsch. Österreich kann hier vollkommen autonom entscheiden. Siehe wiederum oben.

"Das Thema jetzt vor der Regierungsbildung in Österreich einseitig nur an das österreichische Parlament bzw. die dortigen Regierungsparteien heranzutragen, ist somit eine sehr undiplomatische Hauruckaktion."
Es ist der sinnvollste Weg. Denn die Regierung kann und wird darüber entscheiden. Ob das undiplomatisch ist, liegt natürlich im Auge des Betrachters.

"Es wird eine Auseinandersetzung angezettelt, die darauf hinausläuft, zwischen "besseren" und "schlechteren" Südtiroler/-innen eine Trennlinie zu ziehen, womöglich, wie es bereits angedeutet wurde, nach dem Kriterium, wer de facto Austrogene in sich trägt."
Falsch. Kein Mensch erfährt, ob ein Südtiroler neben der italienischen noch andere Staatsbürgerschaften hat. Der Grünenchef Tobe Planer hat selbst entschieden, seine österr.-ital. Doppelstaatsbürgerschaft publik zu machen. Probleme nachher? Null.

"Ich frage mich einfach, wie das praktisch funktionieren soll. Soll etwa nach gutem altem bürokratischem Brauch ein bestimmtes Jahr festgelegt werden, nach dem die Geburt in Südtirol von der Doppelstaatsbürgerschaft ausschließt? Oder schwebt den Befürwortern vor, eine statistische Erbsenzählerei zu veranstalten, bei der für die Bürgerinnen und Bürger überprüft wird, ob sie italienischstämmig oder deutschstämmig bzw. originaltirolischer Herkunft sind? Von den Familiennamen ist das sicher nicht abzulesen."
Es gibt verschiedene Lösungswege. Einer könnte zum Beispiel sein: Nachkommen von Staatsbürgern der Republik Deutsch-Österreich haben das Recht darauf. Fast alle Staatsbürgerschaften werden durch Abstammung weitergegeben (u.a. auch die italienische).

"Oder geht es außerdem darum, eine Grenzziehung gegenüber ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorzunehmen?"
Schon mal überlegt, dass neu eingebürgerte Südtiroler im Regelfall zwei Staatsbürgerschaften haben? Ana Agolli und Olfa Sassi sind Doppelstaatsbürger und haben für die Grünen kandidiert. Probleme wegen ihrer Doppelstaatsbürgerschaft? Null.

So., 10.12.2017 - 13:08 Permalink
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Karl Gudauner Mo., 11.12.2017 - 17:06

Antwort auf von Robert Tam...

Hallo Robert,
ja, rein juridisch ist ein Staat souverän in seinen Entscheidungen. Aber die Verständigung ist für eine gute Nachbarschaft hilfreich. Das wollte ich anregen. Und, um auch auf Gorgias zu antworten, die europäische Staatsbürgerschaft als Ersatz für die nationale ist eine Perspektive, die ich zu wenig in Betracht gezogen habe. Das kann durchaus die Zukunft sein. Wenn ich an die U.S.A. denke, dann ist dort die "amerikanische" Identität sehr ausgeprägt (in Anführungszeichen, weil Amerika ein weiter gefasster geografischer Begriff ist). Ich hoffe, dass auch die europäische Identität noch besser in den Köpfen und in den Wertvorstellungen verankert wird. Ein bisschen wird es uns dann dennoch wie den Menschen in den U.S.A. gehen, die sich als Amerikaner durch und durch fühlen, aber tief im Herzen stolz darauf sind, z. B. Texaner zu sein.

Mo., 11.12.2017 - 17:06 Permalink
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gorgias So., 10.12.2017 - 21:27

Antwort auf von Karl Gudauner

>Wenn schon wären direkte Aktionen für die europäische Staatsbürgerschaft angebracht. Doch wozu denn? Dass auf dem Reisepass schon "Unione Europea" oben steht, beinhaltet ja bereits eine klare europäische Zuordnung, eben mit Anführung der jeweiligen Staatsangehörigkeit.<

Dass man mit der EU-Bürgerschaft in einem anderen Mitgliedsland nicht die selben Rechte hat wie mit der Staatsbürgerschaft wäre schon gut zu wissen wenn man sich an der Diskussion beteiligen möchte.
Wenn es einmal eine EU-Bürgerschaft gibt die nationale Staatsbürgerschaften ersetzt wird man bei der Ausstellung des Passes überall aus den 24 offiziellen Amtssprachen der EU wählen können.

So., 10.12.2017 - 21:27 Permalink
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Stephan H. So., 10.12.2017 - 13:02

Ich verstehe die Antikampagne hier auf Salto nicht. Die Doppelstaatsbürgerschaft ist eine friedliche Angelegenheit innerhalb der EU und wäre für Südtirol ein autonomiepolitischer Meilenstein. Überhaupt gibt es auf italienischer Seite sowieso nur Verständnis, wenn Südtirol sich an Österreich hält, weil das historisch begründet ist.
Es hat bisher zwei Vorschläge von italienischer Seite für eine politische Zukunft Südtirols gegeben, die autonomiepolitisch Gewicht hätte. Das war einmal der bekannte Sergio Romano, der im "Corriere della Sera" ein Kondominium Österreich-Italien für Südtirol vorgeschlagen hat, und der Staatssekretär Gian Claudio Bressa, der die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler befürwortet. Also liebe Salto-Community, was bitte soll so schlimm sein, wenn jemand die Chance hat neben der italienischen noch die österreichischen Staatsbürgerschaft zu erwerben? Darf das in so einem Fall nicht jeder der dafür in Frage kommt selbst bestimmen?

So., 10.12.2017 - 13:02 Permalink