Gesellschaft | Einwanderung

Appell an die Politik

Die Beerdigung des kurdischen Jungen Adan nehmen 12 Organisationen zum Anlass, um in einem offenen Brief ein Umdenken des Landes in der Asylpolitik zu fordern.
Imigration
Foto: upi
Der Brief geht an Landeshauptmann Arno Kompatscher, Soziallandesrätin Martha Stocker, den Direktor der Abteilung Soziales der Südtiroler Landesverwaltung Luca Critelli und den Leiter der Dienststelle für Soziale Integration (DSI) Alexej Pauli.
Es ist ein engagierter und beherzter Appell unterzeichnet von einem Dutzend Südtiroler Vereinen und Organsiationen, die eine nachhaltige Änderung der Asylpolitik in Südtirol einfordern.
Unterzeichnet wurde das Schreiben von Antenne Migranti, Associazione per i popoli minacciati / Gesellschaft für bedrohte Völker, Binario 1, Biblioteca culture del mondo / Bibliothek Kulturen der Welt , Centro di Ricerca e Formazione sull’Intercultura, Emergency Bolzano, Fondazione Alexander Langer Stiftung, oew – Organisation für Eine solidarische Welt, Operation Daywork, Progetto Melting Pot Europa , Rete dei Diritti dei Senzavoce / Netz der Rechte der Stimmlosen und SOS Bozen
Der traurige Anlass der Aktion: Die Beerdigung des kurdischen Jungen Adan am Mitwochnachmittag in Bozen. Im offenen Brief wird unter dem Betreff: „Fall „Adan“, Aufnahmepolitik des Landes Südtirol“ vor allem die Rücknahme der umstrittenen „Circolare Critelli“ verlangt.
 

Der Appell

 
Sehr geehrte Damen und Herren,
am heutigen Tag wird der minderjährige Asylbewerber „Adan“ im Beisein seiner zutiefst erschütterten Familie und einer bestürzten Öffentlichkeit an seinem Unglücksort Bozen beigesetzt.
Auch zwei Monate nach seinem Tod sind die Verantwortlichkeiten bezüglich der unterlassen Aufnahme der Familie entweder noch nicht geklärt oder die Öffentlichkeit ist hierüber nur unzureichend informiert. Deshalb nehmen die unterzeichnenden Einrichtungen den heutigen Tag zum Anlass, die Institutionen, die in Südtirol die Aufnahme von Asylbewerber*innen bestimmen, mit einigen Fragen zu konfrontieren:
Die Asylpolitik in Südtirol unterscheidet sich von der gültigen Praxis im restlichen Italien.
Auf Grundlage der im Oktober 2016 durch die Abteilung Soziales der Landesverwaltung versandte „Circolare Critelli“, wird Personen, die auf eigene Faust nach Südtirol reisen und hier Asyl ansuchen, systematisch die reguläre Aufnahme in einer Asylunterkunft verweigert.
Wie in den letzten Monaten verschiedene Institutionen (UNHCR, ASGI, CIR etc.) eindeutig belegt haben, ist diese Politik aus verschiedenen Gründen rechtswidrig:
 
  • Das Rundschreiben steht im schärfsten Gegensatz zur Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Dublin III Verordnung.
  • Es verstößt auf nationaler Ebene gegen Art. 1 D. Lgs. 142/2015, der festlegt, dass allen Personen, die Asyl beantragen (oder auch nur den Wunsch dazu äußern) am Ort ihrer Antragsstellung Rechtsanspruch auf Unterbringung haben.

 

Auch der in Bozen tätige Senator und Rechtsexperte für Autonomie Francesco Palermo wies auf die Unzulässigkeit des Schreibens hin. Die entsprechenden Staatsministerien wurden über diese Sonder- regelungen – die im Widerspruch zu nationalem Recht stehen – informiert. 

 
 
Wir sind uns bewusst, dass nicht alle Menschen in Südtirol diese Auffassung teilen. Doch stellt sich die Frage, ob eine unentschiedene Politik nicht Angstmachern und Negierern anhaltender gesellschaftlicher Veränderungsprozesse den Weg ebnet.
Allerdings lässt sich der Fall „Adan“ nur schwer auf diese, wenn auch rechtswidrige, Aufnahme-Praxis zurückführen. Denn er steht im Widerspruch zu ihren eigenen Prinzipien. So wird im Rundschreiben besonders verletzlichen Personen (bspw. Kranken) und speziell Familien mit Kindern unter 18 Jahren eine Ausnahme vom Aufnahme-Ausschluss gewährt. Dabei wird der männliche Elternteil einer Familie, sollte er nicht der einzige Erwachsene im anwesenden Familienverbund sein, allerdings von der Aufnahme ausgeschlossen.
 
  • Das Südtiroler Rundschreiben steht in diesem Punkt in Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die der Familie einen besonderen „Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat“ zugesteht und in der Dublin III Verordnung mit Art. 16 aufgenommen wird. Hier wird in Hinblick auf die Aufnahme von Flüchtlingen in den europäischen Mitgliedstaaten, „die uneingeschränkte Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und das Wohl des Kindes zu gewährleisten“ eingefordert.
Fern von übernationaler und nationaler Asylpolitik und lokaler Aufnahmepraxis liegt es nahe, den Fall „Adan“ auf einen unausgesprochenen Grundsatz der Zurückweisung zurückzuführen. Einem „behandeln wir die ankommenden Menschen möglichst schlecht, dann verschwinden sie von alleine wieder“, stehen allerdings die Entwicklungen der letzten Monate entgegen. Denn die Zahlen derjenigen, die dazu gezwungen waren, zumeist auf den Straßen der Südtiroler Landeshauptstadt zu leben, nahmen selbst in der kalten Jahreszeit nicht ab.
 
Auch für die gelegentlich geäußerte Überlegung, reichere Gegenden haben mit einem unkontrollierbaren Zustrom von Menschen zu rechnen und müssten sich deshalb abschirmen, gibt es, auch in Hinblick auf andere wohlhabende Teile Italiens, keinerlei Belege. Im Gegensatz dazu befolgen, mit Ausnahme von Südtirol, sämtliche Regionen des Landes – ärmere wie reichere – die durch das übernationale und nationale Gesetz vorgegebene Aufnahmepolitik.
 
Grundsätze der Zurückweisung, die den genannten Überlegungen Rechnung tragen, würden in schärfstem Gegensatz zu einer angemessenen moralischen Haltung und einem fairen Umgang mit den schwächsten Mitgliedern der Menschheit stehen. 
Wie die Erfahrungen aus anderen Teilen Europas deutlich machen, ist es auch zum Nutzen der ansässigen Bevölkerung, wenn Integration nicht verschlafen, sondern eine vielfältige Gesellschaft als Chance begriffen und von Beginn an mitgestaltet wird.
 
Den Unterzeichnern und der Südtiroler Bevölkerung sind bis zum heutigen Tag die Gründe für die Nicht-Aufnahme der Familie des jungen „Adan“ unbekannt. Sie fordern deshalb die zuständigen Institutionen zu einer klaren Stellungnahme auf.
Darüber hinaus weisen die Unterzeichner auch auf die Situation in den vom Land Südtirol organisierten und zum größten Teil vom italienischen Staat finanzierten Aufnahmezentren hin und fordern ihre systematische Kontrolle durch eine unabhängige, externe Kommission. 
 
Umfunktionierte Einkaufsmärkte und andere großräumige Zweckbauten an den Rändern von Ortschaften sind bereits für die temporäre Aufnahme von oftmals traumatisierten Personen ungeeignet und für ihre Integration nicht förderlich.
Entsprechend erschreckend ist es, dass selbst nach dem Todesfall der Familie von „Adan“ in Südtirol keine angemessene Unterbringung zur Verfügung gestellt werden konnte und diese nach Trient ausweichen musste.
 
Südtirol ist seit langem ein Einwanderungsland und seine Gesellschaft verfügt über einen stetigen Ausländeranteil von nahezu zehn Prozent. Fast jeder zweite Asylantrag wird in Italien positiv bewertet und so werden auch Asyl-Immigrant*innen dauerhaft Teil der Autonomen Provinz werden. Wie die Erfahrungen aus anderen Teilen Europas deutlich machen, ist es auch zum Nutzen der ansässigen Bevölkerung, wenn Integration nicht verschlafen, sondern eine vielfältige Gesellschaft als Chance begriffen und von Beginn an mitgestaltet wird.
 
Wir sind uns bewusst, dass nicht alle Menschen in Südtirol diese Auffassung teilen. Doch stellt sich die Frage, ob eine unentschiedene Politik nicht Angstmachern und Negierern anhaltender gesellschaftlicher Veränderungsprozesse den Weg ebnet.
Es ist bezeichnend und beschämend, dass der Fall „Adan“ in nationalen und internationalen Medien hohe Wellen geschlagen hat und als Beispiel für fehlerhaftes politisches Handeln besprochen wird.
Entsprechend rufen die unterzeichnenden Institutionen die verantwortlichen Südtiroler Politiker und Verwaltungsmitglieder entschieden zu einem Einlenken in der betriebenen Aufnahmepraxis auf. 
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Karl Trojer Do., 14.12.2017 - 12:05

Das in jeder Hinsicht reiche Südtirol darf Menschen in Not humanitäre Hilfe nicht verweigern. Wer Angst vor Fremdem schürt hat wenig von seiner eigenen Identität verstanden, zumal Angst wesentlich aus eigener Unsicherheit entsteht. Fast alle Südtiroler (die Ladiner wohl am wenigsten) haben Migranten als Ahnen. Wer als Südtiroler die Not von Flüchtlingen nicht bereit ist zu lindern, wer Angst schürt um Ablehnung der Fremden zu bewirken, verrät die Werte seiner eigenen Heimat.

Do., 14.12.2017 - 12:05 Permalink