Politik | Katalonien

Der separatistische Halb-Sieg

Die Schlappe für Rajoy kann nicht über die tiefe Spaltung der Katalanen hinwegtäuschen. Madrid muss jetzt verhandeln.
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Foto: upi
Mit 70 von 135 Sitzen im Regionalparlament haben die drei separatistischen Parteien die absolute Mehrheit errungen und bestätigt. Mit diesem Ergebnis und der Rekord-Wahlbeteiligung von 82% haben die Katalanen auch gezeigt, dass sie sich durch drastische Repressionsmaßnahmen des Zentralstaates nicht einschüchtern lassen. Zugleich haben allerdings auch die „spanientreuen“ Unionisten, besonders in den urbanen Zentren, ihre grundtiefe Ablehnung jeder Loslösung vom Gesamtstaat geschlossen behauptet. Die Kräfteverhältnisse blieben unverändert, die Gräben zwischen den beiden Lagern sind tiefer geworden. 
 

Wie soll es weitergehen?

 
Der bisherige Regionalpräsident und Sieger der Wahl Carles Puigdemont sitzt im belgischen Exil fest, der zweite Separatistenführer Oriol Junqueras im Gefängnis, ebenso weitere führende Separatisten. Die Notverordnung Rajoys wäre aufgehoben, sobald eine neue Regionalregierung im „Parlement“ gewählt und angelobt würde. Nur wie soll das jetzt erfolgen? 
 
Abseits der formalen und gesetzlichen nächsten Schritte müssen jetzt jedenfalls beide Seiten Bereitschaft zu Gesprächen und zum Dialog zeigen, um eine politische Lösung der Krise anzustreben. Andernfalls besteht die Gefahr einer weiteren Radikalisierung und niemand kann garantieren, dass die schon bisher sehr leidenschaftliche Auseinandersetzung um Bleiben oder Gehen auch weiterhin friedlich bleiben wird.
 

Die beiderseits aufgeschaukelte Radikalisierung

 
Zur Erinnerung. Mariano Rajoy, damals noch Chef der konservativen Opposition in Madrid, hat 2006 ein neues, erweitertes Autonomiestatut für Katalonien vor dem Verfassungsgerichtshof erfolgreich angefochten, obwohl es vom spanischen Parlament beschlossen, von den Katalanen per Referendum angenommen und vom König sogar schon unterzeichnet worden war. Der Grund: weil darin von den Katalanen als „Nation“ die Rede war und weil es eine größere Steuerhoheit Kataloniens vorgesehen hätte. Die Annullierung des Statuts im Jahr 2010 und die zentralistische Haltung Rajoys gegenüber Katalonien nach seiner Wahl zum Regierungschef 2011 trieben die autonomistischen Kräfte Kataloniens in die Arme der Separatisten und führten zu einer bedenklichen Radikalisierung.
 
Der martialische Polizeieinsatz beim jüngsten Referendum, die Amtsenthebung der Regionalregierung sowie die Anklage und Verhaftung der separatistischen Führung haben zum gestrigen Wahlergebnis wesentlich beigetragen. Zugleich zeigte diese repressive Vorgangsweise nicht nur, dass Rajoy bar jeder politischen Vernunft und jeden Gespürs für Krisensituationen ist, sondern dass er der Illusion anheimgefallen ist, eine Politik der eisernen Faust gegenüber Katalonien würde ihn und seine krisengeschüttelte Regierung stärken. Anstatt dessen könnte gerade die Katalonien-Krise das Ende Rajoys in Madrid beschleunigen.
 

Gefahr und Verpflichtung für die EU

 
Einen Weg aus der Sackgasse würde eine grundlegende Reform der spanischen Verfassung zur Neudefinierung des Autonomiestatus sämtlicher Regionen Spaniens sein. Bisher hat Mariano Rajoy eine solche Variante abgelehnt. Möglicherweise könnte Druck vonseiten des spanischen Königs und der EU (mit Frankreichs Emmanuel Macron an der Spitze) diesbezügliche Gespräche auf den Weg bringen. Unverantwortlich wäre es jedenfalls, wenn sich die wichtigsten europäischen Player weiterhin mit ihrer - formal verständlichen – Neutralitätshaltung begnügten. Denn eine weitere Zuspitzung der Krise in Katalonien könnte durchaus den ohnehin allseits spürbaren Anstieg des Nationalismus auch in anderen Teilen des Kontinents beflügeln. 
 
 

 

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Harald Knoflach Fr., 22.12.2017 - 10:25

Treffende Analyse. Nur zwei Dinge:
"Zugleich haben allerdings auch die „spanientreuen“ Unionisten, besonders in den urbanen Zentren, ihre grundtiefe Ablehnung jeder Loslösung vom Gesamtstaat geschlossen behauptet."
In Barcelona beträgt das Verhältnis zwischen Unabhängigkeitsbefürwortern und -gegner 43,97 % zu 45,96 %. Das ist recht knapp. Von "grundtief" würde ich da nicht sprechen. Der leichte Überhang der Unionisten ist wahrscheinlich den vielen zugewanderten Arbeitern aus anderen Teilen Spaniens geschuldet.
"Denn eine weitere Zuspitzung der Krise in Katalonien könnte durchaus den ohnehin allseits spürbaren Anstieg des Nationalismus auch in anderen Teilen des Kontinents beflügeln. "
Das was die Katalanen machen, hat mit klassischem Nationalismus wenig zu tun. Sie vertreten ein inklusives Gesellschaftsmodell - also das Gegenteil. Oder wie es Robert Menasse und Ulrike Guérot ausdrücken: "Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid. Schon die Schotten wurden bei ihrem Unabhängigkeitsreferendum betrogen. Weil ihnen gedroht wurde, dass sie aus der EU fliegen, wenn sie für Unabhängigkeit stimmen, haben sie für „Remain“ gestimmt – dieses „Remain“ galt Europa und nicht Großbritannien. Auch auf der Insel gilt: Die Schotten sind Europäer, die Nationalisten sitzen in London – und die haben mit dem Brexit-Referendum die irrationale und gefährliche Spielart des Nationalismus gezeigt."

Fr., 22.12.2017 - 10:25 Permalink
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Christian Mair Mo., 25.12.2017 - 09:42

Antwort auf von Harald Knoflach

Menasse und Guerot werden bei Selbstbestimmungsbefürwortern aus dem liberalen und linken Mileu hierzulande allzuoft genannt. Aber anstatt sich mit den Inhalten von den Utopien und Forderungen der beiden auseinanderzusetzen werden Details gegeneinander aufgewogen, 43,96 vs. 45,96%. Nein, nein das kann keine Spaltung der Gesellschaft sein, denn es ist ja demokratisch und selbstbestimmt.

Menasse und Guerot fordern eine europäische Sozialsicherung, demokratisches Parlament und gemeinsame Fiskalpolitik, um die Differenzen, die der Euro innerhalb Europas verursacht zumindest zu begrenzen. Die Ereignisse werden aus wirtschaftlicher Sicht interpretiert. Unabhängigkeit und Separatismus wird hier im Grunde genommen mit demokratischen Föderalismus verwechselt. Nicht Madrid oder Bozen(?), sondern Brüssel sollte das Zentrum einer europäischen Republik sein.

Mo., 25.12.2017 - 09:42 Permalink
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Martin Daniel Fr., 22.12.2017 - 11:01

Rajoy hat wahrscheinlich seiner zentralistischen Haltung, die vor seiner Machtergreifung in der Sammlung vo 4 Mio. Unterschriften gegen das neue katalanische Autonomiestatut kulminierte, wahrscheinlich seine politische Karriere zu verdanken. Man kann hoffen, dass es auch deren Ende einleiten möge. Harald hat nämlich recht, der größere Nationalist sitzt in Madrid. Und regiert in Minderheit dank Unterstützung von außen (nach einer kuriosen doppelten Kehrtwende der Sozialisten) und trotz massivster Anschuldigungen der Korruption. Für Europa auch heute nur Interna.

Fr., 22.12.2017 - 11:01 Permalink
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alfred frei Fr., 22.12.2017 - 11:08

Der europäische Einigungsprozess ist gefordert, in der Außenpolitik und in der inneren Entscheidungsstruktur; Macron hat sich mit wichtigen Vorschlägen eingebracht, leider fehlen dabei Überlegungen zum Verhältnis Nationalstaaten – Autonomiebestrebungen. Der Souveränitätsbegriff bedarf sicher einer neuen Definition “die ein ausgewogenes Verhältnis von Autonomie und Gemeinsamkeit zu gewährleisten vermag” (siehe Nationalstaaten und die EU - Unabhängig – und dann ? Frankfurter Allgemeine 22.03.12)

Fr., 22.12.2017 - 11:08 Permalink
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Karl Trojer Sa., 23.12.2017 - 11:19

Diese drei Analysen finde ich sehr treffend. Es bleibt zu hoffen, dass die EU endlich aktiv Konfliktbewältigung anbietet, zumal weder der spanische noch der katalonische Präsident miteinander gesprächsfähig sind. Es gilt eine Lösung zu finden, in der Spanien als staatliche "Infrastruktur" mit individuell, bedarfsgerecht angepassten, autonomen Regionen kooperieren können.

Sa., 23.12.2017 - 11:19 Permalink
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Robert Tam... Sa., 23.12.2017 - 13:20

Antwort auf von Karl Trojer

Es gilt auf EU-Ebene endlich ergebnisoffen über Selbstbestimmungstendenzen zu diskutieren. Wenn die Katalanen eine autonome Region innerhalb des spanischen Staates bleiben wollen, gut so. Wenn sie ein eigener Staat werden wollen, auch gut.

Die EU sollte sich langsam von der arroganten Vormachtstellung der bestehenden Staaten loslösen. Am Beispiel Schottland zeigt sich, dass die EU stark darunter leidet, wenn man Selbstbestimmungsbefürwortern pauschal mit einem Rauswurf aus der EU droht.

Sa., 23.12.2017 - 13:20 Permalink