Gesellschaft | Teil 1

Willkommen im Apfelparadies Südtirol

Christoph Gufler hat mehrere Bücher über Äpfel geschrieben. Für Salto.bz zeichnet er in einer dreiteiligen Serie die Geschichte des Südtiroler Apfelanbaues nach.
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Foto: Suedtirolfoto.com/Othmar Seehauser
Angefangen hat die Geschichte mit dem Apfel bekanntlich schon im Paradies. „Die schönen Äpfel müssen herrlich schmecken...“ sagte die Schlange zu Adam und Eva und sie hatte, wie wir wissen, Erfolg mit dieser ersten Apfel-PR-Aktion. Doch nicht nur im Alten Testament nimmt der Apfel eine Schlüsselrolle ein. Auch in der griechischen Mythologie sorgt er immer wieder für Aufregung, als Attribut der Liebesgöttin Aphrodite ebenso wie als Zankapfel beim Urteil des Paris, das nicht nur wegen der Apfelrundungen so häufig gemalt wurde. Das mehr praktisch veranlagte Volk der Römer beschäftigte sich vor allem agronomisch mit dem Apfel, wie man bei Cato, Virgil und Plinius nachlesen kann. Letzterer zählt bereits um 50 v.Chr. 21 Apfelsorten auf. Einige davon mögen wohl auch auf den in letzter Zeit ausgegrabenen Landgütern wohlhabender Römer an Etsch und Eisack gewachsen sein. Im Mittelalter stieg unsere Frucht als Reichsapfel sogar zum höchsten Herrschaftssymbol der römisch-deutschen Kaiser auf. Damals wurden die Äpfel vor allem in Klostergärten gezüchtet. Später schafften sie den Sprung über die Klostermauern hinaus. 
 
 

Maschanzger und Rosmarin

 
So „schmückte“ der Heilige Corbinian um 720 den kleinen Ort Kuens bei Meran mit Weingärten und Apfelbäumen, wie es in seiner Lebensbeschreibung heißt. Damit war der Siegeszug des Apfels im südlichen Tirol nicht mehr aufzuhalten. Wie zahlreiche Urkunden belegen, gehörte ab dem 13. Jahrhundert fast zu jedem Hof im Etsch – und Eisacktal ein Baumgarten mit einem Dutzend sorgsam gehüteten Apfelbäumen. Die Hofnamen Baumgartner, Pangart, Bamlechen usw. erinnern noch heute daran. Um 1600 schreibt Marx Sittich von Wokenstein in seiner Tiroler Landesbeschreibung: „Im Lande wächst ein trefflich gut Obst, davon sich viel Leut ernähren und großes Geld lösen“. Wenn letzteres auch stark übertrieben ist, („groß Geld“ gab es schon in den guten alten Zeiten nur für die oberen Zehntausend zu denen selbstredend auch der adelige Chronist zählte), Tatsache ist, dass sich der Obstanbau mittlerweile weiter verbreitet hatte. Im Etsch- und Eisacktal finden wir im 17.Jahrhundert zahlreiche „Wiesen mit Obstbäum“ erwähnt, auf denen die heute fast vergessenen Sorten Maschanzger und rote bzw. weiße Rosmarin wuchsen.
 

Der Apfel überholt den Wein

 
Gelebt haben die Menschen bei uns bis weit ins 19. Jahrhundert hinein aber nicht vom Obst sondern vom Weinbau. Erst als letzterem ab 1850 neuauftretende Krankheiten gewaltig zusetzten, baute man sich den Apfel (und Birnen) Anbau als zweites Standbein auf. Die Etschregulierung zwischen 1870 und 1880 und die Verlängerung der Eisenbahn nach Meran ( 1881) und in den Vinschgau ( 1903) förderten diese Entwicklung maßgeblich. Dadurch konnte die bisher weitgehend versumpfte Talsohle der Etsch als Anbauflächen genutzt und die erzeugten Früchte in aller Herren Länder exportiert werden.
Insgesamt waren im deutschen Sprachraum rund 1400 Apfelsorten bekannt. Etwa 200 davon konnte man im 19. Jahrhundert auch in den Obstanlagen des Etsch- und Eisacktales begegnen.
Pioniere dieser Anfangsphase des Erwerbsobstbaues waren die Obsthändler, welche den Grundbesitzern schon zur Blütezeit die zu erwartende Ernte abkauften. Natürlich wollten sie dann auch den wirtschaftlichen Rahm abschöpfen. Deshalb dauerte es nicht lange, bis sich die Obstproduzenten genossenschaftlich zusammenschlossen. Die erste Obstgenossenschaft wurde 1893 im Burggrafenamt ins Leben gerufen. 
 

Poesie der Landwirtschaft

 
Der Obstbau ist die Poesie der Landwirtschaft. Dieses Wort stammt aus einer Zeit, als die Obstanlagen noch Obst-Gärten waren. Damals wuchsen die Äpfel auf richtigen Bäumen und zur Blüte- und Reifezeit entfaltete sich eine Symphonie von Farben und Formen, Gerüchen und Geschmäckern. Der bayerische „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner hat über tausend dieser alten Äpfel- und Birnensorten in zarten Aquarellfarben dargestellt. Insgesamt waren im deutschen Sprachraum rund 1400 Apfelsorten bekannt. Etwa 200 davon konnte man im 19. Jahrhundert auch in den Obstanlagen des Etsch- und Eisacktales begegnen. Sie wurden nach dem 1. Weltkrieg immer mehr von neuen, Großteils aus Amerika eingeführten Sorten abgelöst. Schon 1935 heißt es, dass „die alten Tiroler Sorten mit Ausnahme vom Kalterer Böhmer von den Hauptsorten ausgeschieden sind“. Trotzdem bestand die Südtiroler Obsternte noch 1960 fast zur Hälfte aus „diversen Sorten“, zehn Jahre später waren es nur mehr 5 Prozent. Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging die Umstellung von hochstämmigen, bis zu zwanzig Meter hohen Apfelbäumen mit weitausladenden Kronen auf immer kleiner und zarter werdenden Bäumchen. Lag der Abstand der alten Baumriesen, von denen bis zu 2000 kg Äpfel geerntet wurden, bei zwanzig und mehr Metern, so werden die heutigen Bäumchen im Abstand von 1,5 Metern gepflanzt. 
 

Alte Obstsorten

 
Weißer Rosmarin
Der länglich geformte Apfel hat eine hellweiße bis gelbliche Schale und ein zartes, saftiges Fruchtfleisch mit angenehmer Säure. Der Baum bevorzugt warme, trockene Lagen und gedeiht auf Zwergunterlagen gut, auf Wildling nur mäßig. Er ist sehr anfällig für Mehltau und Blutlaus und beansprucht aufmerksame Pflege. Die Ernte erfolgt von Ende September bis Anfang Oktober. Der Weiße Rosmarin ist ab November genußreif und lange haltbar.
 
Edelroter
Der Apfel ist klein, walzenförmig und von wunderschöner, lackierter Farbe. Das würzige, fein aromatische Fruchtfleisch hält sich bis in den Winter frisch. Der Baum ist fruchtbar und verlangt keine besondere Pfelgemaßnahmen.
 
Köstlicher
Die Frucht ist regelmäßig rund und von hellgelber Farbe, die auf der Sonnenseite rot angehaucht ist.  Das aromatische Fruchtfleisch ist besonders saftig und zart. Der Baum bevorzugt fruchtbare, nicht zu trockene Böden, er ist nicht anfällig für Pilzkrankheiten.
 
Gravensteiner
Flachkugelige bis konische, wohlschmeckende und intensiv duftende Frucht mit rot-oranger gestreifter oder geflammter Schale. Das Fruchtfleisch der Frühsorte ( Ernte Ende Juli/August) ist saftig, fein würzig und hellgelb. Bei richtiger Lagerung bis November genießbar. Der Baum ist fruchtbar und pflegeleicht.
 
Edelböhmer
Der Apfel ist von mittlerer Größe und flachrunder Form. Die Fruchtfarbe reicht von weißgelb bis lebhaft karminrot an der Sonnenseite. Das Fruchtfleisch hat ein rosenartiges Aroma. Die Sorte verlangt gute, warme Lagen und lockeren Boden. Der Baum ist empfindlich für Pilzkrankheiten und Winterkälte.
 
Maschanzger
Diese wahrscheinlich aus Böhmen stammende Sorte wurde sowohl als Tafel- wie auch als Wirtschaftsfrucht verwendet. Die mittelgroße,rundliche Frucht färbt sich im Herbst lebhaft rot. Das ausgeprägte Zimtaroma entwickelt sich besser, wenn der Baum in guter Reb- und Hügellage gepflanzt wird. Der Maschnazger ist robust und pflegeleicht.
 
Weißer Wintercalvill
 Er wird auf Kordon mit schwachwüchsiger Unterlage gezogen. Die Frucht ist groß, hellgelb und hat eine abgeflachte, gerippte Form. Mit seinem feinen, aromatischen Fruchtfleisch gilt der Calvill als einer der besten Tafeläpfel. Die Ernte erfolgt im Oktober, im November ist der Apfel genußreif und bleibt sehr lange frisch. Er bevorzugt sonnige, trockene Hanglagen.
 
Kalterer Böhmer
Der flachrunde Apfel färbt an der Sonnenseite leuchtend rot und hat den charakteristischen Geschmack der sogenannten Rosenäpfel. Die im November genußreife Frucht lagert ohne Probleme bis in das Frühjahr. Die Sorte ist reichtragend und deshalb anfällig für Alternanz. Der Baum wächst kräftig und gedeiht in allen Lagen.
 
Champagner-Reinette
Der Apfel ist klein, platt und von weißgelber Farbe. Er schmeckt ungewöhnlich frisch und leicht säuerlich. Dies macht ihn zu einem gesunden Diätapfel, der von Diabetikern gesucht wird. Der Baum ist sehr fruchtbar und nicht empfindlich.
 
Tiroler Lederer
der Apfel ist klein, flachrund und hat eine derbe, grüngelbe, meist braun berostete Schale. Er schmeckt säuerlich, ist lange haltbar und behält dabei das frische Aroma. Der Baum ist sehr fruchtbar und eher unempfindlich.
 
Grummetbirne (Sommermuskateller)
Der Baum wächst zu einer wunderschönen Krone aus. Die Frucht bleibt eher klein, langstielig und färbt sich grüngelb. Zur Reifezeit, ab Juli, kommt das feinkörnige Fruchtfleisch voll zur Geltung. Die Grummet- oder Muskatellerbirne war als feine Kompott- und Tafelbirne sehr beliebt. 
 
Winterzitrone
Kegelförmige, zitrongelbe Birne mit festem, süßsäuerlichem Fruchtfleisch, das manchmal nach Bittermandeln schmeckt. Vor Dezember nicht genießbar, dann aber sehr lange frisch. Der schorfempfindliche Baum bevorzugt trockene Hang- und Hügellagen.
 
Sommerzitrone
Frühreife, längliche Tafelbirne mit hellgelber, manchmal rötlich angehauchter Schale und fein schmelzenden Fruchtfleisch. Die starkwüchsige Sorte ist sehr schorfanfällig.
 
 

Neue Sorten

 
Zu den traditionellen Sorten Kalterer Böhmer, Gravensteiner, Goldparmäne und Champagner gesellten sich ab den fünfziger Jahren neue amerikanische Sorten, wie Jonathan, Morgenduft, Golden und Stark Delicious. Der Golden Delicious führt auch heute noch die die Rangliste der Südtiroler Apfelsorten an, gefolgt von Gala, Red Delicious, Braeburn, Granny Smith und Fujii. Stark im Kommen sind in letzter Zeit die Clubsorten Pink Lady, Kanzi, Rubens und Modi. Wichtige Impulse erhielt der Obstbau durch die Gründung des Beratungsringes für Obst- und Weinbau im Jahre 1957, der Fachschulen Laimburg (1962) und Auer (1980) und des Versuchszentrums Laimburg (1975). Diese Einrichtungen haben wesentlichen Anteil daran, dass sich der Südtiroler Obstanbau vom exzessiven Chemie- und Düngeeinsatz früherer Jahrzehnte hin zu natürlicheren Anbauformen entwickelt hat. Das Zauberwort heißt integrierter Anbau, der auf die Mithilfe von Nützlingen und die Auswahl von Pflanzenschutzmitteln nach umweltschonenden Gesichtspunkten setzt. Im Steigen begriffen ist die Anzahl der Obstbauern, die ausschließlich auf biologische Anbauformen setzen. 
 

1 Milliarde Kilogramm

 
Heute nimmt die Apfelanbaufläche im Etschtal, Vinschgau und Eisacktal rund 18.000 Hektar ein, auf denen 7.500 Obstbaubetriebe durchschnittlich eine Million Tonnen Äpfel im Jahr produzieren. Dies entspricht etwa der Hälfte der italienischen und 10-12 Prozent der gesamten EU-Produktion (ohne Polen). Die geernteten Äpfel werden in luftdichten Kühlzellen mit kontrollierter Atmosphäre gelagert und können so auch noch nach Monaten ins In- und Ausland verkauft werden. Dies geschieht größtenteils unter der Ägide des Verbandes der Südtiroler Obstgenossenschaften VOG und des Verbandes der Vinschgauer Produzenten VIP. Dank des großen persönlichen Einsatzes der Obstbauern und ihrer Familien, der genossenschaftlichen Struktur und der Professionalität der Forschungs- und Beratungseinrichtungen wird im Südtiroler Obstbau Qualitätsobst erzeugt, das sich bei den Abnehmern in aller Welt anhaltender Beliebtheit erfreut. Trotzdem oder gerade deswegen gilt es sich bei Zeiten auf neue Herausforderungen einzustellen. 
 
 

Äpfel für unsere Gäste

 
An was denken sie wenn sie an Südtirol denken? Solches fragte vor einigen Jahren die Handelskammer unsere Urlauber. Die Antwort ist aufschlussreich: 33% der Ersturlauber file dabei der Speck ein, 24 % die Äpfel und 23 % der Wein. Also Silbermedaille für die Obstwirtschaft. Bei den Wiederholungstätern, also jenen die immer wieder in Südtirol urlauben (und das sind die meisten) änderten sich die Platzierungen: bei den Wiederholungsurlaubern stand der Speck mit 65 % unangefochten an der Spitze, gefolgt vom Wein (41 %) und erst auf Platz 3 vom Apfel (32%). 
Man muss ja nicht gleich die vielen Önotheken durch Apfeltheken ersetzen und jeden einzelnen Apfel in Seidenpapier einpacken, wie dies unsere Großväter getan haben, wenn sie die Calville zum Zarenhof nach St. Petersburg schickten. Aber etwas kostbarer sollten wir uns und unseren Gästen die Äpfel schon machen
Was in einem Ferienland in dem die Äpfel bei den meisten Beherbergungsbetrieben fast beim Fenster herein wachsen doch ein wenig zum Nachdenken anregen sollte. Man muss ja nicht gleich die vielen Önotheken durch Apfeltheken ersetzen und jeden einzelnen Apfel in Seidenpapier einpacken, wie dies unsere Großväter getan haben, wenn sie die Calville zum Zarenhof nach St. Petersburg schickten. Aber etwas kostbarer sollten wir uns und unseren Gästen die Äpfel schon machen. Apropos: warum kaufen sie im Supermarkt immer das Olivenöl vom Gardasee und aus der Toscana? Weil das ein typisches Produkt aus diesen Gegenden ist und sie auf Qualität und Gesundheit setzen? Sehen sie, genau aus denselben Gründen sollte unser Gast bei sich zu Hause Äpfel aus Südtirol jenen aus anderen Anbaugebieten vorziehen. Die Weinwirtschaft hat es vorgemacht. Für viel ist Südtirol zu klein. Und zu wertvoll. Für besser gerade recht.
 

Der Autor:

Christoph Gufler, geboren 1956, wohnhaft in Lana. Von 1976 bis 1996 im Schuldienst, von 1995 bis 2010 Vollzeitbürgermeister der Marktgemeinde Lana. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Landeskunde Südtirols, schreibt regelmäßig Beiträge für verschiedene Medien, Referent beim Gemeindenverband und von Weiterbildungseinrichtungen zu den Themen Bürgerbeteiligung, Regionalentwicklung, Raumordnung, Gemeindehaushalt, Kulturarbeit und Landeskunde. Ehemaliger Vorsitzender der SVP-Arbeitnehmer. Autor mehrerer Bücher zu landegeschichtlichen und politischen Themen.

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Sepp.Bacher Di., 26.12.2017 - 13:45

Schade um die vielen alten Apfel- und Birnensorten, die vor hundert und mehr Jahren noch auf den Markt waren. Heute kann man im Ladern gerade noch unter einer handvoll auswählen. Da gab es auch bei uns zu Hause im Passeier in unserem Obstanger schon mindestens so viele und großteils die selben, wie in diesen Beitrag aufgezählt werden. Blos auf einem Apfelstand am Münchner Viktualienmarkt konnte ich noch 15 oder 16 verschiedene Sorten zählen, die kamen aber nicht aus Südtirol sondern vom Bodenseegebiet. Dort fand man auch Äpfel, die sehr gut, saftig und süß-säuerlich schmecken, die man aber bei uns schon lange aussortiert hat, weil sie weniger rentabel sind als anderer Sorten.
Übrigens: In/auf unseren Märkten findet man meistens nur geringwertige Ware zu einem höherem Preis als z. B. in München gute Ware - und das finde ich ungerecht und unfair.

Di., 26.12.2017 - 13:45 Permalink