Politik | Einkommensverteilung

WIFO redet Armut klein

Der Wohlstand sei in Südtirol breit und gleichmäßig verteilt, titelte das WIFO vorgestern und behauptet, dass nur 5,9% der Bevölkerung von Armut betroffen seien.
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Südtirol präsentiert sich damit, so das WIFO, „mit einer besonders ausgeglichenen Wohlstandsverteilung.“ Offensichtlich hat das WIFO nicht das regionale Medianeinkommen Südtirols zur Berechnung herangezogen, sondern den nationalen Wert. Die von WIFO zitierte EU-SILC-Erhebung hat für 2016 den Wert von 9,6 ermittelt (nicht 5,9%, wie das WIFO angibt) mit einem Dreijahresdurchschnittswert 2014-2016 von 11% der Bevölkerung. Laut ASTAT-Daten liegt die Armutsgefährdungsquote in Südtirol seit Jahren mit 16-17% im EU-Durchschnitt.

Damit widerspricht das WIFO nicht nur den Erkenntnissen des ASTAT und von APOLLIS, sondern vermischt auch zwei getrennte Sachverhalte: eines ist die Deprivation und Armutsgefährdung, etwas anderes die Einkommens- und Vermögensverteilung. Eine geringere materielle Deprivation heißt noch lange nicht, dass der „Wohlstand gleichmäßig verteilt ist“.

Zurückzuführen ist dieses Ergebnis eindeutig auf geringe Löhne und Renten. Die Entlohnungen in der Privatwirtschaft sind in Südtirol von 2010 bis 2015 real um 2% geschrumpft (vgl. ASTAT-Info Nr.53/2017). Auch die Renten liegen für ein Land mit 41.000 Euro BIP pro Kopf (WIFO) auf einem ernüchternd niedrigen Niveau. Die Südtiroler Rentner beziehen im Schnitt 19.573 Euro jährlich an Rente, die Rentnerinnen 12.176 Euro (2015), also knapp 1000 Euro monatlich. Die 10% reichsten Südtiroler halten dagegen 25,1% des Gesamteinkommens (ASTAT, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Haushalte in Südtirol, Schriftenreihe 213). Das soll eine „gleichmäßige Verteilung“ sein?

Das gängige Maß für die die Einkommensverteilung ist der Gini-Index, der Vergleiche zwischen Regionen und Ländern erlaubt. Laut einer repräsentativen Stichprobenerhebung des Instituts APOLLIS (in Zusammenarbeit mit der Gaismair-Gesellschaft 2016) liegt der Gini-Index in Südtirol bei 0,313, somit beträchtlich höher als in allen umliegenden Regionen, als in Deutschland und Österreich (0,26), aber geringer als in Gesamtitalien (0,36). Der Gini-Index nur für die deutsche Sprachgruppe in Südtirol liegt mit 0,35% noch höher, zeigt also eine höhere Ungleichverteilung an. Das ASTAT kommt auf einen ähnlichen Befund. Die EU-SILC-Daten geben für 2016 für Italien den Wert 0,33 an. Die Behauptung des WIFO ist schlicht aus der Luft gegriffen. Wie wäre es denn, wenn das WIFO diese Zusammenhänge mit lokalen Erhebungen genauer untersuchte, bevor es eine „gleichmäßige Wohlstandverteilung“ herbeiredet?

Eine Kuriosität zum Abschluss: das ASTAT (ASTAT, Schriftenreihe 213, S. 63) hat berechnet, wie viel es kosten würde, wenn man das Einkommen aller armutsgefährdeten Haushalte auf das Niveau der Armutssgefährdungsschwelle (11.880 Euro) heben wollte, m.a.W. eine Art Mindesteinkommen für alle Armutsgefährdeten einführen wollte. Der errechnete Betrag beläuft sich auf 137 Mio. Euro, nicht mehr als 0,7% des BIP Südtirols des Bezugsjahrs. Damit würde diese sozialpolitische Maßnahme deutlich weniger Mittel in Anspruch nehmen als der Gesamtbetrag an Subventionen an die privaten Unternehmen im Jahr 2014 (368 Mio Euro), die gesamten Kapitalzuweisungen der öffentlichen Körperschaften an die gewerblische Wirtschaft in 2014 von rund 520 Mio Euro, aber auch weniger als das Land Südtirol jährlich über IRAP, GIS und IRPEF-Zuschlag an Steuerentlastungen gewährt (rund 160 Mio. Euro in 2018). Natürlich lässt sich der Armut nicht allein mit öffentlichen Sozialleistungen gegensteuern, den finanziellen Spielraum dafür hätte das Land sehr wohl.

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Stereo Typ Mi., 21.02.2018 - 11:05

Vielen Dank für Ihre Klarstellungen, Herr Benedikter. Schon seit Längerem beobachte ich, wie wichtig die Studien des AFI geworden sind, als Kontrapunkt zu den Schönwetter-Diagnosen des WIFO. Es braucht eine Institution, die frei von Lobby-Einflüssen ist. Fakt ist auch, dass die Löhne und Gehälter in Südtirol darben. Die Arbeitgeber-Seite ist natürlich von dem Bild, das Sie zur Armutsgefährdung zeichen, nicht erfreut.

Mi., 21.02.2018 - 11:05 Permalink