Chronik | Affäre

Zio Alfonso

Seit Wochen tobt ein öffentlicher Streit zwischen Cuno Tarfusser und seinen Nachfolgern an der Bozner Staatsanwaltschaft. Die wahren Hintergründe der Auseinandersetzung.
Der 29. Dezember 2017 ist der Tag, an dem alles begonnen hat.
Ich werde einfach nicht mehr in meine Lieblingspizzeria gehen“, ärgert sich Cuno Tarfusser, als er fast genau drei Monate später im Gespräch mit salto.bz auf diesen Tag angesprochen wird. Auch Renzo Caramaschi reagiert ähnlich. „Ich gehe nur mehr mit meiner Frau und meinen Enkeln Pizza essen“, nimmt es der Bozner Bürgermeister mit Humor.
Es geht um ein Mittagessen in der Pizzeria „Zio Alfonso“ in der Bozner Drususstraße, seit Jahrzehnten eine der besten Adressen für Pizza in Bozen. Dieses Essen, drei Tage vor dem Jahreswechsel ist der Beginn einer Eskalation, die in den vergangenen Wochen dann zu einer noch nie dagewesenen öffentlichen Schlammschlacht um die Bozner Staatsanwaltschaft geführt hat. Salto.bz hat mit den wichtigsten Beteiligten gesprochen und ist in der Lage, die Hintergründe dieses Streites nachzuzeichnen. Hintergründe, die bisher nicht bekannt waren und die genügend Zündstoff für eine veritable Justizaffäre haben.
 

Tarfussers Angriff

 
Am 11. März 2018 endet offiziell Cuno Tarfussers Amtszeit am internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. Nach acht Jahren bei einer der höchsten Gerichtsinstanzen der Welt lässt der langjährige Bozner Oberstaatsanwalt in einem Interview nicht nur seine Erfahrungen Revue passieren, sondern er redet auch über seine berufliche Zukunft. Dabei greift Tarfusser offen und frontal seine Nachfolger an der Bozner Staatsanwaltschaft an. Vor allem Guido Rispoli, der inzwischen als Oberstaatsanwalt in Campobasso tätig ist.
Wenn ich an die Staatsanwaltschaft denke, so verspüre ich Bitterkeit. Deshalb halte ich mich, wenn ich in Bozen bin, davon so fern wie möglich“, sagt Cuno Tarfusser in einem langem Interview mit den Dolomiten. Der ICC-Richter weiter: „Ich habe mehr als nur den Eindruck, dass das Amt, das ich hinterlassen habe und das als Vorzeigemodell galt, Stein um Stein abgebaut wurde. Schade. Schade für die Mitarbeiter, schade für die Bürger“.
 
Es ist eine harte Aussage. Eine Woche später wiederholt Cuno Tarfusser gegenüber der Tageszeitung seine Kritik und legt dabei noch eins drauf: „Am allerwichtigsten ist aber die Frage nach dem Arbeitsklima an der Staatsanwaltschaft. Wie viele Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft sind gegangen oder gegangen worden und warum‘? Es ist wahr, ich lebe weit weg von Bozen, aber ich lebe nicht außerhalb der Welt und, was mir am wichtigsten ist, ich habe noch so einige Freunde.“
Cuno Tarfusser will im Nachhinein diese Worte nicht als Angriff sehen. „Wenn ich gefragt werde“, rechtfertigt er sich gegenüber salto.bz, “dann werde ich wohl noch meine Meinung sagen dürfen“.
Die Tragweite der Äußerungen wird verständlich, wenn man die ganze Geschichte kennt. Denn diese Attacken sind nur der letzte Akt eines langen und immer schärfer werdenden Konfiktes.
 

Das Duo

 
Cuno Tarfusser und Guido Rispoli waren viele Jahre lang ein Herz und eine Seele. Beide kommen als junge Juristen in den achtziger Jahren in die Bozner Staatsanwaltschaft, die damals von Oberstaatsanwalt Mario Martin geleitet wird. Martin nimmt vor allem Tarfusser unter seine Fittiche und baut ihn bewusst als seinen Nachfolger und zum ersten deutschsprachigen Oberstaatsanwalt in Südtirol auf. In den Prozessen rund um „Ein Tirol“ und gegen eine Kalabresen-Bande rückt Cuno Tarfusser zum ersten Mal in das Licht der Öffentlichkeit. Zu seiner Hochform läuft der Meraner Staatsanwalt dann 1993/94 in der sogenannten „Tangentopoli“-Zeit auf.
All diese Jahre arbeiten Cuno Tarfusser und Guido Rispoli in allen großen Fällen eng zusammen. Die Rollen sind klar verteilt. „Der Rispoli war der stille Buggler, der Tarfusser der Star in der Öffentlichkeit“, beschreibt es einer, der lange mit beiden gearbeitet hat.


 
Cuno Tarfusser ist extrovertiert und impulsiv. Vor allem in jungen Jahren saß er mit den Füßen auf dem Tisch im Büro, düste mit seinen Leibwächtern durch Südtirol und liebte es, auf der Medienklaviatur des Landes nach Belieben zu spielen. Guido Rispoli ist vom Charakter und vom Gemüt her völlig anders: Ruhig, zurückhaltend, mit einem Sinn fürs Institutionelle und ergebnisorientiert.
Die Rollen waren klar verteilt und dieses Zusammenspiel war für beide von Vorteil. Auch dann, als Cuno Tarfusser zum leitenden Staatsanwalt und damit zum Chef Rispolis wurde.
 

Das Zerwürfnis

 
Zum ernsthaften Konflikt kam es erst, als Cuno Tarfusser nach neun Jahren an der Spitze der Bozner Staatsanwaltschaft, von Italien vorgeschlagen, als Richter an den internationalen Strafgerichtshof ICC nach Den Haag berufen wurde. Wer Tarfusser kennt, weiß warum.
Cuno Tarfusser ist keiner, der gerne loslässt. Er fühlt sich verantwortlich und hält viel von Freundschaften. Wenn er über die Gerichtspolizei spricht, sagt er auch heute noch „meine Buam“. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft im Gerichtspalast. Vor allem mit dem höheren Beamten der Gerichtspolizei, Mario Andreolli, besteht seit Jahren eine enge Freundschaft. „Jack“, wie ihn Tarfusser nennt, war jahrelang Tarfussers Chefermittler und rechte Hand. Als Tarfusser Oberstaatsanwalt wird, setzt er den allseits geschätzten damaligen Leiter der Carabinieri-Abteilung am Gericht ab. Neuer Amtsleiter wird damit Mario Andreolli. Der Carabiniere wird dieses Amt auch später unter Guido Rispoli und dem amtierenden Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante bekleiden. Jedenfalls bis wenige Wochen nach dem Mittagessen beim „Zio Alfonso“.
 
Tarfusser war 25 Jahre lang im Gerichtspalast daheim und auch, als er nach Den Haag wechselt, tut er immer noch so, als sei er der Chef in der Staatsanwaltschaft. Er geht nicht nur ein und aus, sondern er mischt sich auch in Ermittlungen ein. Vor allem dann, wenn es sich um Bekannte handelt. „Das ist eine Verleumdung, denn seit ich weg bin, habe ich in der Staatsanwaltschaft keinen Akt mehr berührt“, ärgert sich Tarfusser über diese Sichtweise. Er habe nur zwischendurch Freunde im Gerichtspalast besucht.
Dem damaligen Oberstaatsanwalt Guido Rispoli wird es schnell zu bunt. Er ersucht Tarfusser, seine Besuche und Kontakte am Gerichtspalast einzuschränken. Man spricht von Hausverbot. Cuno Tarfusser: „So ein Blödsinn; davon war nie die Rede“. Tatsache ist, dass danach zwischen den ehemaligen Freunden Tarfusser und Rispoli lange Funkstille herrscht.
 

Der Streit

 
Zu einem ernsthaften Konflikt wird das Zerwürfnis aber erst mit dem Fall Durnwalder. Oberstaatsanwalt Guido Rispoli erhebt in der Causa Sonderfonds Anklage gegen den Altlandeshauptmann. Im Prozess tritt dann ausgerechnet Cuno Tarfusser für Durnwalder als Entlastungszeuge auf. Dass dieser Auftritt für Guido Rispoli wie ein Dolchstoß ist, will Tarfusser auch heute nicht sehen. „Ich war nicht Durnwalders Zeuge, sondern ich wurde vom Gericht gerufen und musste hingehen“, sagt der ICC-Richter.
Der Streit spitzt sich zu, als Cuno Tarfusser mit Luis Durnwalder in der Bar am Gerichtsplatz nach dessen Freispruch feiert und dann auch noch Fotos davon auf Facebook und in den Zeitungen auftauchen. Auch hier winkt Tarfusser ab: „Ich war zufällig dort und wir haben mit einem Glas angestoßen. Mehr war da nicht“.
 
Zu diesem Zeitpunkt sind die Fronten im „Palazzo“ aber längst klar verteilt. Als Guido Rispoli nach Campobasso (weg)befördert wird, überträgt sich der Konflikt auf die Nachfolge-Regelung. Rispoli setzt sich beim obersten Richterrat für Giancarlo Bramante ein, Tarfusser für Rispolis Stellvertreter Markus Mayr. Auch hier führt man hinter den Kulissen einen harten Kampf ohne Bandagen. Am Ende geht Bramante als deutlicher Sieger hervor.
 

Die Tentation

 
Zusätzliche Würze erhält der Streit dann durch den Gerichtsfall Tenti-Dalle Nogare. Denn Katia Tenti und Cuno Tarfusser sind eng befreundet. „Wir kennen uns seit einigen Jahren“, sagt Tarfusser. Die rechte Hand von Christian Tommasini habe den Oberstaatsanwalt für eine Veranstaltung zum 60. Jubiläum der italienischen Verfassung gewinnen können. Danach schrieb Tenti einen Roman über einen Justizfall, in dem Cuno Tarfusser unter dem Namen „Jakob Dekas“ zu einer der Hauptfiguren wird.
Es kommt damit zu einer absurden Situation. Während die Staatsanwaltschaft gegen Katia Tenti ermittelt, lässt sich Cuno Tarfusser mehrmals in der Öffentlichkeit mit der hohen Landesbeamtin sehen. Die Ermittler empfinden das als bewussten Affront. Als man zudem mehrere Telefongespräche zwischen Tenti und Tarfusser mithört, spitzt sich das Ganze nochmals zu. Die Retourkutsche folgte vorvergangene Woche. Im Gerichtsaal macht der Chefermittler die abgehörten Gespräche und Treffen zwischen dem ICC-Richter und der Angeklagten öffentlich bekannt.
 
Cuno Tarfusser stellt das Ganze als private Bekanntschaft dar. Der ICC-Richter zu salto.bz: „Ich weiß nichts über den Fall Tenti, habe nie etwas gewusst und will darüber auch nichts wissen“.
Was nicht bekannt ist: Die ehemalige Ressortdirektorin spielt auch jetzt bei der Eskalation dieses Konflikts eine wesentlich Rolle.
 

Verblüffter Bürgermeister

 
Am 29. Dezember 2017 erhält Renzo Caramaschi einen Anruf von Cuno Tarfusser. Bereits sechs, sieben Monate zuvor hatten der Bozner Bürgermeister und der ICC-Richter ausgemacht, sich zu treffen. Doch es sei nie dazu gekommen.
An diesem Tag hat mich Tarfusser dann angerufen und mich gefragt, ob wir uns zu Mittag treffen können“, erinnert sich Caramaschi. Weil er über Mittag Zeit hat, sagt der Bozner Bürgermeister zu. Der Treffpunkt: Die Pizzeria „Zio Alfonso“ in der Drususstraße.
Ich wollte mit dem Autobus hinfahren“, sagt Caramaschi. Doch Cuno Tarfusser eröffnet dem Bürgermeister, dass man zusammen hinfahren werde. Tarfusser und Caramaschi treffen sich in der Altstadt und werden von Mario Andreolli mit dem Dienstwagen der Staatsanwaltschaft abgeholt und zur Pizzeria gebracht. „Mich hat das Ganze schon gewundert“, meint Caramaschi heute. 
 
In der Pizzeria sitzen bereits fünf Mitarbeiter aus der Staatsanwaltschaft und der Gerichtspolizei. Außer Tarfusser kennt der Bürgermeister niemanden. „Ich habe gedacht, ich esse mit dem Tarfusser alleine“, drückt Renzo Caramaschi sein Erstaunen aus.
Cuno Tarfusser schildert das Zusammentreffen so: „Ich hatte mit meinen ehemaligen Mitarbeitern ein Essen in der Pizzeria ausgemacht, und weil es sich gerade ausging, habe ich mir gedacht, es würde passen, wenn der Bürgermeister dabei ist.“ Renzo Caramaschi ist bekanntlich ein geselliger Mensch. Der Bozner Bürgermeister erinnert sich an das Mittagessen heute so: „Mat hat geredet und gescherzt.“ Caramaschi sagt aber auch, er habe sich „un po' come un pesce fuor d'acqua“ gefühlt.
Am Ende allerdings folgt eine böse Überraschung.
 

Die Angeklagte

 
Plötzlich tauchte auch Katia Tenti im Zio Alfonso auf.Ich habe meinen Augen nicht getraut“, ist der Bozner Bürgermeister auch drei Monate später noch entrüstet, „eine Angeklagte, die gerade im Hauptverfahren steht, trifft sich mit dem ehemaligen Oberstaatsanwalt und der halben Gerichtspolizei“. Caramaschi, der gerade beim Gehen war, wurde von Mario Andreolli per Dienstwagen wieder ins Rathaus  zurückgebracht. „Das Ganze war für mich absolut unpassend und unangenehm“, resümiert der Bozner Bürgermeister die Begegnung mit Tenti. Immerhin ist die Gemeinde Bozen im Fall Tenti-Dalle Nogare eine der geschädigten Parteien.
Cuno Tarfusser sieht auch hier kein größeres Problem. Der ICC-Richter erklärt freimütig, dass ihn Tenti während des Essens angerufen habe, um sich zu treffen. Als er erklärte, er sei gerade im Zio Alfonso bei einem Essen, habe die hohe Landesbeamtin gemeint, sie würde nur kurz auf einen Kaffee vorbeikommen. „Wir haben uns dann zwei Minuten vor der Pizzeria unterhalten“, sagt Cuno Tarfusser. 
Dass Katia Tenti mit am Tisch gesessen sei, verneint der ICC-Richter. Als Beleg legt er salto.bz auch Fotos vom Essen und seinen Teilnehmern vor.
 

Das Nachspiel

 
Das Treffen beim Zio Alfonso hat aber ein Nachspiel. Schon bald sickern die Details bis in den Gerichtspalast und zu Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante durch. Verständlich ist, dass der Leiter der Staatsanwalt eine solche Situation kaum dulden kann. Bramante erklärt deshalb einige Wochen später Mario Andreolli, dass er sich keine weitere Zusammenarbeit mehr vorstellen könne, „weil das Feeling zwischen ihnen fehle“.
 
Es war das Ende einer Karriere an der Spitze der Gerichtspolizei, die fast 30 Jahre lang gedauert hatte. Ende Februar ließ sich Andreolli ins Carabinierikommando zurückversetzen. Gleichzeitig verlässt ein zweiter Beamter nicht ganz freiwillig den Gerichtspalast.
Keine zwei Wochen später startet Cuno Tarfusser dann den verbalen Großangriff auf die Staatsanwaltschaft.
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Albert Hofer Fr., 06.04.2018 - 11:53

Man lernt nie aus. Der Dienstwagen der Staatsanwaltschaft wird also unter anderem dazu verwendet, um einen ehemaligen Mitarbeiter und eine weitere externe Person zum Mittagessen abzuholen. Besagte Pizzeria ist übrigens keine 500 m vom Gerichtsplatz entfernt.

Fr., 06.04.2018 - 11:53 Permalink
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alfred frei Fr., 06.04.2018 - 14:30

Nur um von dem spannenden Inhalt des Artikels abzulenken und bei ihnen gelingt es mir allemal, zugleich eine Art Selbstbeglückung und gleichzeitig eine selbstlose Steigerung ihrer Wertschätzung !

Fr., 06.04.2018 - 14:30 Permalink