Wirtschaft | Salto-Gespräch

„Jede Ungleichheit ist annehmbar“

Der deutsche Unternehmer Christoph Gröner über Ethik in der Wirtschaft, Leistungsträger in der Politik und die wachsende Ungleichheit.
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Foto: WDR
Salto.bz: Herr Gröner, Sie haben am vergangenen Mittwoch gemeinsam mit der Sozialgenossenschaft EOS und bedeutenden Unternehmern eine Partnerschaft ins Leben gerufen, um soziale Projekte gezielt und wirkungsvoll zu unterstützen. Wem soll damit konkret geholfen werden?
 
Christoph Gröner: Vor allem die Kinder liegen uns am Herzen: wenn wir hier anpacken haben wir die Chance, die Probleme unserer Gesellschaft am ehesten zu lösen. Allem was später kommt, sei es Kriminalität, Drogen, Altersarmut oder Arbeitslosigkeit, lässt sich so am besten entgegenwirken. Frau Pizzinini hat mit EOS schon viel für Kinder in Südtirol gemacht, die aus dem Raster gefallen sind: Beschäftigung, Freizeitgestaltung, Bildung. In Deutschland unterstützen wir sehr ähnliche, weit größere Projekte. Besonders in Berlin und Leipzig sind wir engagiert. Wir haben viele Bindungen zu EOS, auch durch verschiedene Gesellschaften, mit denen wir hier in Bozen zusammenarbeiten. Ich habe mich dann mit lokalen Unternehmern zusammengetan und wir haben erkannt, dass wir etwas bewegen können.
 
Die Partnerschaft heißt „Wirtschaft unterstützt Soziales – Soziales stärkt Unternehmen“. Inwieweit ist sozial verantwortungsbewusstes Handeln für Unternehmen sinnvoll? Ich dachte immer in der Wirtschaft geht es nach der pragmatischen Maxime „fressen oder gefressen werden“.
 
Grundsätzlich ist an dem Spruch etwas dran. Aber wir bewegen uns ja alle in einer Welt, in einem Wirtschaftsraum, der nicht frei von Menschen ist, sondern gerade von Menschen getragen wird. Als Unternehmer sind wir mitverantwortlich für die Umwelt und die Räume, in denen wir leben. Die Umwelt darf nicht auf Bäume, Sträucher und Tiere begrenzt werden, der wichtigste Bestandteil der Umwelt sind die Menschen. Wenn wir als Unternehmer und Leistungsträger nicht willens sind mitzugestalten und alles der Politik überlassen, dann gehen wir mit ganz schlechtem Beispiel voran.
 
Also sind auch Unternehmen in der Bringschuld und sollten etwas für die Gesellschaft leisten?
 
Wenn man die Gesellschaft betrachtet, dann merkt man, welche ungeheure Kraft aus dem persönliche Engagement von Einzelnen, Vereinen oder Unternehmern hervorgeht. In Zeiten, in dem der Populismus immer stärker wird, müssen wir als Leistungsträger nach außen treten und zeigen, dass es keinen Klassenkampf oder die Androhung von Reichensteuern braucht, damit wir uns sozial engagieren, sondern dass wir es schon immer getan haben, auch wenn wir es vielleicht bewusster, gezielter und öffentlicher tun sollten.
In Zeiten, in dem der Populismus immer stärker wird, müssen wir als Leistungsträger nach außen treten und zeigen, dass es keinen Klassenkampf oder die Androhung von Reichensteuern braucht, damit wir uns sozial engagieren.
Der Unternehmer, der durch Leistung aber auch durch Glück nach vorne gekommen ist, sollte sich sehr darauf konzentrieren, dass auch diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, die gleichen Chancen haben wie alle.
 
Wäre dafür nicht der Staat zuständig?
 
Der Bürger und die Wirtschaft sind schließlich der Staat. Wir Menschen machen den Staat aus, wir sind seine Stütze. Es gibt Institutionen, die das Konstrukt Staat vertreten, aber wir bleiben immer der Staat. Nur wenn wir uns selbst engagieren und die Kraft aufbringen, jeder wie er kann, dann ist unser Sozialwesen überhaupt möglich. Der Staat schafft Infrastruktur, Sicherheit und Ähnliches aber er kann lange nicht das ausmachen, was wir „Good Old Europe“ nennen.
 
Die Wirtschaftsethik, also das Anwenden von ethischen Prinzipien im wirtschaftlichen Handeln, ist ja relativ jung. Werden sich Unternehmen immer mehr dieser Verantwortung bewusst?
 
Siemens oder ähnliche Unternehmen, vor allem aus der Nachkriegszeit, handeln schon sehr lange nach solchen Prinzipien. Die Wirtschaftsethik ist eigentlich die Grundlage eines jeden erfolgreichen Unternehmens. Manchmal ist sie nur etwas in Vergessenheit und aus dem Blickfeld von Unternehmern geraten. Vor allem in den Wirtschaftskrisen, wenn die Firmen ums nackte Überleben kämpfen müssen, stehen solche Themen tatsächlich nicht im Fokus, wenngleich sie immer im Fokus stehen sollten.
 
Die Koch Brothers machen es in den Vereinigten Staaten gerade vor, wie man als milliardenschwere Unternehmer sogar den Präsidenten unter Druck setzen kann. Sollten Menschen mit wirtschaftlicher Macht in die Politik gehen?
 
Wir haben die Prinzipien, die mit der Französischen Revolution zu uns gekommen sind, übernommen und damit schon alles richtiggemacht. Die Bevölkerung wählt Menschen, die sie vertreten sollen, unabhängig ihres Standes und ihres Einflusses. An dieser Gleichheit würde ich nicht rütteln wollen. Aber ja, auch Leistungsträger sollten in die Politik gehen, genauso wie Arme, Behinderte und Arbeitslose eine Vertretung in der Politik brauchen. Genau das geht zurzeit aus meiner Sicht schief: wir haben keine echte Interessensvertretung der Benachteiligten, wir haben keine echte Vertretung der Unternehmer. Alle wälzen sich in der Mitte und versuchen mit Populismus auf Stimmfang zu gehen, aber sie machen es sich nicht zur Aufgabe, die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen anzunehmen und sie so zu diskutieren, damit zum Schluss für alle Beteiligten etwas Vertretbares herauskommt. Das führt dazu, dass irgendwelcher Blödsinn gewählt wird. Parteien, die viel Krach machen aber inhaltlich unsere Länder nicht weiterbringen.
Das führt dazu, dass irgendwelcher Blödsinn gewählt wird. Parteien, die viel Krach machen aber inhaltlich unsere Länder nicht weiterbringen.
Der australische Ethiker Peter Singer vertritt die provokante These, dass Reiche moralisch dazu verpflichtet sind, alles abzugeben, was nicht unbedingt notwendig ist.
 
Wem sollen sie das Geld denn geben? Haben die staatlichen Institutionen das Vermögen wirklich so gut eingesetzt? Daran scheitert es nämlich. Natürlich ist das, was er sagt, im Prinzip richtig: natürlich sollten die Leistungsträger, die ja auch nachher immer noch Leistungsträger bleiben würden, alles abgeben und stark besteuert werden. Solche Ideen haben einen gewissen Charme. Aber ein Unrecht durch ein anderes bekämpfen zu wollen, funktioniert nicht. In Deutschland wurden die Steuereinnahmen in den letzten 30 Jahren verdreifacht, die Inflation ist aber nur zweifach gesunken. Wohin ist das anderer Drittel gegangen, frage ich mich? Geht es den Armen jetzt besser, weil es viel mehr Steuereinnahmen gibt und Leistungsträger viel stärker zur Kasse gebeten wurden? Die Antwort muss nein lauten. Es wird mehr Kinder geben, die sich kein Schulessen leisten können. Es wird mehr Sozialhilfeempfänger geben, die unverschuldet in die Armut abdriften.
 
 
Wo sollten die Gelder also hinfließen, um so etwas zu bekämpfen?
 
Wir wissen, dass Vermögen im Mittelstand am besten aufgehoben ist, weil es gezielt eingesetzt wird, weil Wirtschaftswachstum generiert wird, weil Arbeitsplätze geschaffen werden. Hier müssen Verwerfungen und Ungleichheiten abgeschafft werden, damit die Einkommen prosperieren. Hier müssen wir den Staat effektiv machen. Und wenn dann nicht genügend Mittel übrigbleiben, dann müssen wir uns überlegen, wen wir wie zur Kasse bitten.
 
Sie haben vorher den Klassenkampf erwähnt. Die OEZD warnt, dass in keinem anderen Industrieland die Schere zwischen arm und reich schneller auseinandergeht als in der Bundesrepublik Deutschland. Diese wachsende Ungleichheit ist ja eine unmittelbare Folge unseres Industriekapitalismus. Halten Sie ihn trotzdem für eine vertretbare Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung?
 
Wir müssen festhalten: den Armen geht es immer besser. Nicht nur statistisch. 1955 sind in Mitteleuropa in kalten Wintern noch 10.000 Menschen gestorben, einfach, weil sie kein Essen und kein Dach über dem Kopf hatten. Durch Grippewillen sind hunderttausende Menschen umgekommen, weil sie keine Bleibe und keine Decke hatten. Ich bin noch in Zeiten aufgewachsen, in denen Frauen mit Witwenrenten überleben mussten. Sie hatten zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Diese Arten von bitterer Armut kennen wir heute nicht mehr. Nahezu jeder, der heute in Mitteleuropa imstande ist ein Formular auszufüllen, kann irgendwo unterkommen und wird versorgt. Klar hat auch dieses Netz Löcher, aber allgemein ist die Armut „besser“ geworden. Auch das ist eine Folge des Kapitalismus.
 
Welche Folgen hat dieses System für den Mittelstand? Und könnte man dem mit einer Umverteilung entgegenwirken?
 
In der Mitte wird eine Lücke aufgerissen und das ist bedenklich. Die großen Leistungsträger verdienen immer schneller mehr Geld, die Mittelschicht bleibt zurück. Die Frage ist meiner Meinung nach nicht, wie man es durch Umverteilung gerechter machen kann, sondern wie man die Prozesse und Lenkungsmöglichkeiten eines Staates so ändert, dass der Mittelstand mehr verdient, ohne den Reichen dabei Sondersteuern aufzubrummen. Denn das führt garantiert zum Niedergang, weil das Kapital flüchtet. Ich sehe zum Beispiel ein Problem, wenn unterschiedliche Einkommensarten unterschiedlich besteuert werden. Warum soll harte Arbeit stärker besteuert werden als Einkommen aus einer Miete? 
Der einzige Ort, bei dem wir Gleichheit schaffen müssen, ist bei den Kindern und bei der Bildung. Wir müssen allen die gleichen Chancen ermöglichen, aufzusteigen und den Blick nach oben zu richten.  
Man sollte mit allen Mitteln dafür sorgen, dass durch eine steuergerechte Vorgehensweise und weniger Belastung kleine und mittlere Einkommen gestärkt werden. Höhere Einkommen sollten gerechter besteuert werden. Das heißt nicht höher, sondern einfacher und durchsichtiger. Wenn man die Steuern für Leistungsträger konsequent auf 35 oder 45 Prozent belässt, werden die Steuereinnahmen garantiert höher ausfallen als durch irgendwelche Sondereffekte und Zusatzsteuern.
 
Der amerikanische Philosoph John Rawls hat sich Zeit seines Lebens mit der Frage nach der Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt. Dazu hat er ein Gedankenexperiment vorgeschlagen: eine gewisse Anzahl an Menschen befindet sich auf einer Insel mit allen Ressourcen zum Überleben. Zunächst einigen sie sich auf die gleichen Grundrechte, also etwa der gleiche Zugang zu Trinkwasser, ein gleich großes Stück Land zum Ackerbau. Doch dann wird es spannend: aufgrund ihrer unterschiedlichen Begabungen, Stärken und Interessen werden alle unterschiedlich erfolgreich beim Ackerbau sein. Manche werden früher oder später riesige Flächen bebauen, andere fast gar nichts. Wie viel Ungleichheit hält so eine Gesellschaft aus?
 
Im Prinzip ist jede Ungleichheit in einer Gesellschaft annehmbar. Denn genau das muss die Gesellschaft leisten: trotz „totaler“ Ungleichheit eine Gemeinschaft zu formen. Wenn man das mit Gewalt oder einer übertriebenen Besteuerung zu erreichen sucht, kommt man in sozialistische Systeme, die keinem Spaß machen. Die Negativmerkmale sind da denen einer ungleichen Gesellschaft weit überlegen. Schauen Sie sich doch mal das DDR-Regime in Deutschland an. Geht es da den Menschen auf dem gleichen Gebiet heute nicht trotz eines „Raubtierkapitalismus“ viel besser als früher? Haben nicht alle eine viel gleichmäßigere Versorgung, Zugang zu Essen und Wohnraum? Hier zeigt sich: gut gemeint ist in den seltensten Fällen gut gemacht. Wir müssen pragmatisch sein und uns anschauen, was unter dem Strich für die Menschen herauskommt. Der einzige Ort, bei dem wir Gleichheit schaffen müssen, ist bei den Kindern und bei der Bildung. Wir müssen allen die gleichen Chancen ermöglichen, aufzusteigen und den Blick nach oben zu richten.
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alfred frei Mo., 13.08.2018 - 11:32

Gleicht verdammt einem Manifest der Heilsarmee mit laizistischer Prägung. Diesbezüglich ein besonderer Hinweis auf eine Kernaussage: “Leistungsträger sollten in die Politik gehen, genauso wie Arme, Behinderte und Arbeitslose eine Vertretung in der Politik brauchen, aber bitte keinen Klassenkampf oder die Androhung von Reichensteuern, denn den Armen geht es immer besser”. Eine konkrete Ankündigung bringt Hoffnung: “ich habe mich dann mit lokalen Unternehmern zusammengetan und wir haben erkannt, dass wir etwas bewegen können.” (Vielleicht schon in der Bebauung des Bahnhofareals mit Hager und Podini), 
Kinder freut euch !

Mo., 13.08.2018 - 11:32 Permalink
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Klaus Hartmann Mo., 20.08.2018 - 15:11

Die Aussagen des Herrn Gröner strotzen nur so von Allgemeinplätzen und sind Beweis dafür dass sich die sogenannten “Leistungsträger” der Gesellschaft gekonnt einer Rhetorik bedienen die darauf abzielt eigenes zu rechtfertigen, abzulenken, zu manipulieren und ihre Macht zu festigen und auszubauen.

Vorerst gibt man sich explizit sozial und bedient Klischees:
„vor allem die Kinder liegen uns am Herzen“,
„als Unternehmer sind wir mitverantwortlich für die Umwelt und die Räume, in denen wir leben“,
„der wichtigste Bestandteil der Umwelt sind die Menschen“,
„der einzige Ort bei denen wir Gleichheit schaffen müssen, ist bei den Kindern und in der Bildung“
„wir müssen allen die gleichen Chancen ermöglichen“.

Ein schöner Rahmen, dem wir sicherlich alle zustimmen müssen. All diese Aussagen könnten ebenso die Wahlplakate der von Herrn Gröner verschmähten Populisten schmücken.
Das Bild, die eigentliche politische Vision und Prägung, der Hunger und der Anspruch nach „feudaler politischer Macht“ kommt in anderen Aussagen des Herrn „Leistungsträgers“ zum Ausdruck:
„wenn wir als Unternehmen und Leistungsträger alles der Politik überlassen dann gehen wir mit schlechtem Beispiel voran“,
„wir müssen als Leistungsträger nach außen treten und zeigen, dass es keinen Klassenkampf oder die Androhung von Reichensteuern braucht“,
„hier müssen wir den Staat effektiver machen“,
„das führt dazu dass irgendwelcher Blödsinn gewählt wird. Parteien die viel Krach machen aber inhaltlich unsere Länder nicht weiterbringen“,
„wem sollen sie (die Reichen) das Geld geben? Haben die staatlichen Institutionen das Vermögen wirklich so gut eingesetzt? Daran scheitert es nämlich“

Also dann: Lassen wir die Leistungsträger mal machen. Sie machen es besser, schneller und gerechter als der Staat - die Leute wählen ja sowieso nur Blödsinn und die Parteien machen nur Krach. Der Sozialismus ist gescheitert, es lebe das Kapital. Den „Raubtierkapitalismus“ setzen wir unter Anführungszeichen und das mit der Ungleichheit wird schon auch ein bisschen übertrieben. Geht es uns allen nicht (ganz objektiv gesehen) schon gut genug? Hier in Mitteleuropa? Wir sterben im Winter keinen Kältetod und verhungern tut bei uns hier auch niemand mehr – Dank sei Gröner. Der Rest kann uns den Buckel runterrutschen. „Aufzusteigen“ und den „Blick nach oben zu richten“ ist unser „Vater Unser“.

Zur weiteren Lektüre ein kleines Porträt des Herrn Gröner:

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/19/christoph-groener-bauunternehm…

Mo., 20.08.2018 - 15:11 Permalink