Politik | Cashcow Autobahn

So was kommt von sowas.

Weshalb kann man mit einer Autobahn eigentlich so unfassbar viel Geld verdienen, ohne gleichzeitig seiner Sorgfaltspflicht zwingend nachkommen zu müssen?
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Foto: Sowas

Als vor drei Jahren die islamistischen Terroranschläge in Europa vor ihrem Höhepunkt standen, kursierte in Insiderkreisen des Bauingenieurwesens ein böser und niederträchtiger „Gag“:

Die IS-Attentäter müssten sich doch eigentlich gar nicht so viel Mühe machen, da in naher Zukunft einstürzende Brücken bzw. andere marode Infrastrukturen viel mehr Tod und Leid über die Bevölkerung bringen würden und den IS-Kämpfern damit viel Arbeit abnehmen würden, weshalb diese sich dann eigentlich auf das Verschicken von Bekennerschreiben beschränken könnten.

Es ist seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt, dass sich der Pfusch am Bau der Sechziger- und Siebzigerjahre nun nach einem knappen halben Jahrhundert gnadenlos rächen wird. Was sich gestern in Genua ereignet hat, war eine Katastrophe mit Ansage, vorhersehbar und damit durchaus vermeidbar. Die vielen eingeweihten Statiker dürften gestern Nachmittag beim Beruhigungsversuch in der deutschen ARD-Tagesschau wahrscheinlich wiederum schallend gelacht haben, als die interviewten Expertendarsteller die ahnungslosen Zuschauer mit Beschwichtigungs-Blablabla in Sicherheit wiegen sollten.

Was sich gestern in Genua ereignet hat, war eine Katastrophe mit Ansage, vorhersehbar und damit durchaus vermeidbar.

Deshalb gibt es mehr Grund zu Beunruhigung als zur Beruhigung, denn auch in Deutschland ist ca. jede achte Brücke in einem derart desolaten Zustand, dass sie umgehend entweder abgerissen und ersetzt oder zumindest grundsaniert werden müsste. Was aber wiederum Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe bedeuten würde und somit mit dem Regierungsziel „Schwarze Null“ der Großen Koalition unvereinbar wäre. Dass ein Zusammenbruch eines Brückenteilstückes wie in Genua in Deutschland nicht befürchtet wird, liegt natürlich auch daran, dass solch spektakuläre Bauten - wie die Morandi-Konstruktion – nördlich des Brenners eher unüblich sind.

Der filigrane Entwurf des römischen Ingenieurs und Architekten Riccardo Morandi muss sicherlich im historischen Kontext des Kalten Krieges bewertet werden, als sich die Machtblöcke technisch zu übertrumpfen versuchten. Die italienischen Brücken- und Straßenbauprojekte waren sozusagen das Weltraumfahrtprogramm des Kleinen Mannes. Der an und für sich völlig langweilige Baustoff Stahlbeton wurde seinerzeit durch immer waghalsigere Experimente geometrisch und technologisch bis an seine Grenzen ausgequetscht.

Wird Stahlbeton konservativ eingesetzt und richtig verarbeitet, ist er prinzipiell ein Baustoff für die Ewigkeit. Wird Stahlbeton bzw. Spannbeton hingegen so eingesetzt wie in Genua, dann ist der Kollaps zwar nicht zwingend vorprogrammiert, die Brückenkonstruktion unterliegt aber einem immensen Wartungsaufwand, der das Bilanzergebnis eines marktwirtschaftlich agierenden Unternehmens, wie es die italienische Autobahngesellschaft nun einmal ist, nicht unerheblich schmälern kann.

Insofern sollten sich alle Staaten grundsätzlich einmal die Frage stellen, ob Bau, Betrieb und Unterhaltung von (öffentlichen) Autobahnbrücken wirklich gut dazu geeignet sind, die Taschen von Benetton & Co. noch voller zu stopfen, als sie sowieso schon sind?

Deutschland hat im Jahr 2017 - entgegen allen Warnungen - sogar das Grundgesetz (!) geändert, um die Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes in Zukunft zu ermöglichen. Da Deutsche Bank, Allianz und Co. das klassische Geschäftsmodell nämlich nach und nach wegbricht, möchte man hier jetzt schon vorsorgen, wenn deren Kasse irgendwann einmal nicht mehr so stark klingelt und da drängen sich einem Autobahnen als Goldesel ja fast sogar schon auf.

In der Bilanz von ‚Autostrade per l’Italia‘, dem Privatunternehmen, das 3.000 Kilometer Autobahn, einschließlich der gestern eingestürzten Brücke, ihr eigen nennt, steht eine eindeutige Zahl: ein Gewinn von 2,4 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 3,9 Milliarden Euro, was einer Umsatzrendite von 50% entspricht. Geld ist also wirklich im Überfluss vorhanden und der kontrollierte Abriss und Neubau der Unglücksbrücke über den Polcevera wäre zumindest finanziell absolut kein Problem gewesen. Logistisch selbstverständlich schon, aber das ist es jetzt natürlich erst recht.

Da auch niemand mehr mit risikofreudigen Konstruktionen beeindruckt werden muss, um die nationale Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wäre es diesmal auch absolut ausreichend, ein langweiliges, konventionelles Bauwerk zu errichten, das sich zur Abwechslung einmal wieder mit einer selten gewordenen Eigenschaft auszeichnet, nämlich schlichte Funktionalität bei nahezu unbegrenzter Haltbarkeit.

Dass das geht, haben unsere römischen Vorfahren bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Deren Brücken sind auch nach fast zweitausend Jahren oft noch gut nutzbar, aber damals gab’s eben auch noch keine börsennotierten Straßenbaugesellschaften. Übrigens ist auch noch kein Bekennerschreiben des IS bekannt geworden; wenigstens etwas.

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Harry Dierstein Do., 16.08.2018 - 11:09

Oliver, inwieweit Zwistigkeiten mit der Eisenbahn Einfluss auf den Entwurf hatten, ist schwer nachprüfbar aber auch völlig unerheblich.

Der Bau einer Brücke mit Spannweiten von lediglich ~ 250 m war jedenfalls Mitte des 20. Jahrhunderts keine unlösbare ingenieurstechnische Herausforderung und hätte ohne weiteres dauerhaft bewerkstelligt werden können.

Do., 16.08.2018 - 11:09 Permalink
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pérvasion Sa., 18.08.2018 - 10:32

Antwort auf von Sepp.Bacher

Dann wundern mich gewisse Aussagen umso mehr: »Dass ein Zusammenbruch eines Brückenteilstückes wie in Genua in Deutschland nicht befürchtet wird, liegt natürlich auch daran, dass solch spektakuläre Bauten - wie die Morandi-Konstruktion – nördlich des Brenners eher unüblich sind.« – »Wird Stahlbeton konservativ eingesetzt und richtig verarbeitet, ist er prinzipiell ein Baustoff für die Ewigkeit.« – »Da auch niemand mehr mit risikofreudigen Konstruktionen beeindruckt werden muss, um die nationale Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wäre es diesmal auch absolut ausreichend, ein langweiliges, konventionelles Bauwerk zu errichten, das sich zur Abwechslung einmal wieder mit einer selten gewordenen Eigenschaft auszeichnet, nämlich schlichte Funktionalität bei nahezu unbegrenzter Haltbarkeit.«

Sa., 18.08.2018 - 10:32 Permalink
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Harry Dierstein Sa., 18.08.2018 - 10:59

Antwort auf von pérvasion

Verehrter "pérvasion",
1) Wie heißen SIE denn überhaupt?
2) Sind Sie denn auch Diplom-Ingenieur und/oder Architekt (oder wenigstens Geometer)?
3) Was genau wundert Sie denn an den drei zitierten Aussagen?
4) Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass es im Text im Kern eigentlich um etwas völlig anderes geht?
5) Finden Sie es nicht ein wenig eigenartig, sich hier als anynomer, substanzloser Heckenschütze zu gerieren?
6) Falls Ihnen die obigen fünf Fragen zu anstrengend sind, reicht es eigentlich völlig, die Frage 4 für sich mit "Jetzt irgendwie schon" zu beantworten und fortan einfach zu schweigen!

Sa., 18.08.2018 - 10:59 Permalink
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pérvasion Sa., 18.08.2018 - 11:23

Antwort auf von Harry Dierstein

Verehrter Herr Dierstein,
1) Ich bin nicht der Meinung, dass die Identität von besonderer Wichtigkeit ist. Aber ich bin der erste in dieser Liste: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?page_id=11356 Damit dürfte auch Frage 2) beantwortet sein.
3) Die Morandi-Brücke ist zwar (gemeinsam mit zwei weiteren Brücken desselben Planers) quasi einzigartig, im großen und ganzen haben sich aber sowohl Schrägseilbrücken, als auch Spannbeton durchgesetzt — auch und gerade in Deutschland, wie Sie auch dem von Ihnen verlinkten Wikipedia-Eintrag unschwer entnehmen können. Wie jeder andere Baustoff unterliegt auch Beton natürlich (u.a. aufgrund von Belastungen und atmosphärischer Einflüsse) Verfallserscheinungen, die eine ständige Überwachung und Wartungsarbeiten unbedingt erforderlich machen. Bei einem konservativen Einsatz des Materials natürlich in geringerem Maße, aber Aussagen wie »Baustoff für die Ewigkeit« halte ich für gefährlich. Und wie sie sich das mit dem »langweiligen, konservativen Bauwerk« vorstellen, ohne die örtlichen Umstände zu kennen, würde mich natürlich auch noch interessieren. Nur in den seltensten Fällen entscheidet man sich ohne Grund für sogenannte »spektakuläre« Strukturen.
4) Das mag schon sein, aber sie können doch nicht mit Verweis auf den »Kern« verlangen, dass man über Ungereimtheiten hinwegsieht.
5) Nein. Das ist übrigens Ihre Interpretation.
6) Den Mund lasse ich mir ungern verbieten.

Sa., 18.08.2018 - 11:23 Permalink
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Harry Dierstein Sa., 18.08.2018 - 12:22

Antwort auf von pérvasion

Verehrter Herr Constantini, Ihren Blog schätze ich wirklich sehr und lese ihn regelmäßig, insbesondere wegen der wohltuenden Sprache und der unaufgeregten Argumentation der Beiträge.

Dass sich Morandi mit seinem Experiment der einbetonierten Schrägseile nicht durchgesetzt hat, ist -glaub' ich- unstrittig und auch ansonsten liegen wir beide uns sicher viel näher, als es zunächst den Anschein hatte. (Wenn wir beide für uns "privat" einen Keller betonieren würden, dann wüssten wir beide, was zu tun wäre, dass dieser Keller "prinzipiell bis in alle Ewigkeit" halten würde.)

Wir sind uns beide wahrscheinlich auch einig, dass man die A10 in Genua nicht wieder in der gleichen Art und Weise konstruktiv aufständern würde, wie man dies vor fünfzig Jahren getan hat? Das ist jetzt eigentlich auch keine aufregende Erkenntnis, sondern eine schlichte Akzeptanz von technologischer Entwicklung.
Ansonsten stehe ich zu alle dem, was ich in der obigen Kolumne geschrieben und sehe mich auch nicht veranlasst, irgendetwas zurückzunehmen.

Sa., 18.08.2018 - 12:22 Permalink