Kultur | Visionen

Die Quadratur der Vielfalt

Gemeinsam ist man weniger allein. Aber auch weniger frei? Eine Debatte über Notwendigkeit und Sinn einer Kulturallianz in Südtirol.
Kulturallianz Meran
Foto: Arno Ebner

Manche Geschichten können auch mit dem Ende beginnen. “Ich wünsche euch, dass ihr das machen könnt, was ihr machen wollt.” Der Schlusssatz der Veranstaltung hätte ebenso gut an den Anfang gepasst. Die Frage, ja, was wollen wir eigentlich, hängt an diesem Spätsommerabend mit den Gewitterwolken über Meran.

“Wir”, “ihr” – jene, zu denen der Gast aus Tirol spricht, sind so unterschiedlich. Und so gleich. 

Kulturschaffende, Kulturliebende, Kulturinteressierte. Man kennt sich, weiß voneinander. Und ist sich fern. Die einen kommen aus Meran, die anderen aus dem Vinschgau, wieder andere aus Bozen, Brixen, den östlicheren und südlicheren Landesteilen. Aber nicht die geografische Entfernung ist es, die Distanz schafft. Sondern vielmehr die Vielfalt, die gesunde Eigenwilligkeit ihrer Macher, die Kultur belebt, bereichert – und braucht. Wenn sie frei sein will.

“Freie Kultur”. Was ist das? Und kann sie “frei” bleiben wenn die, die sie schaffen, gemeinsame Sache machen? Braucht es überhaupt so etwas wie eine Kulturallianz?

Mit diesen Fragen haben drei Kulturinitiativen am Mittwoch Abend zur öffentlichen Debatte nach Meran geladen: der dort beheimatete Ost West Club, BASIS Vinschgau und Astra 2.0 in Brixen. Als Special Guest ist Philipp Wastian von den Tiroler Kulturinitiativen, kurz TKI, gekommen.

 

Die Erwartungen sind denkbar verschieden. Verschieden groß, verschieden zuversichtlich, verschieden begründet. 

Als Philipp Wastian von den Erfahrungen in Tirol berichtet, wird die Ungeduld vieler bemerkbar: Wenn es bei den Nachbarn geklappt hat, warum sollte sich Südtirol dann schwer tun, es ihnen gleich zu tun?

Die TKI gibt es seit dem fernen Jahr 1989. Als Interessenvertretung für inzwischen über 100 Kulturinitiativen, die sich als “frei” definieren. “Die ‘freie Szene’ ist schwer abgrenzbar”, gesteht Wastian. Völlige Unabhängigkeit, Einhaltung der Menschenrechtscharta in Denken und Tun, im Mittelpunkt die Veränderung – das sind die Maßstäbe bei der TKI.

Rasch habe die TKI die politische Aufmerksamkeit erregt, berichtet Wastian. Heute unterstützen das Land Tirol und die Stadt Innsbruck die Anlaufstelle – “weil man erkannt hat, dass keine Landesinstitution imstande wäre, die Arbeit, die wir machen, in derselben Qualität zu leisten”, stellt Wastian fest. Er erklärt: Die TKI sieht sich als Servicestelle, “die kein Teppich für Kulturschaffende ist, ihnen aber die größten Steine aus dem Weg räumt”. Durch Beratung, vor allem in rechtlichen Angelegenheiten – etwa wenn es um den Erhalt von Lizenzen für Kultuveranstaltungen geht –, Vernetzung, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit auf politischer Ebene, bei Land und Gemeinden.

Der Auftrag: “Kultur möglich machen. Überall.”

 

Allerdings bremst Wastian. Der Blick über den Brenner kann für die Nachbarn im Süden zwar hilfreich sein, keinesfalls aber dürfe man sich von ihm eine Patentlösung erwarten. “Die Kulturtreibenden und -schaffenden wissen selbst am besten, was für ihren Ort, ihre Stadt, ihr Land am besten ist.” 

 

Vernetzung ist das Stichwort, um die die Diskussion unter den Südtiroler Kulturschaffenden am Mittwoch Abend kreist. “Wir müssen uns zusammenschließen, es braucht eine Allianz, um sich Gehör zu verschaffen, ein gemeinsames Auftreten, um gemeinsame Anliegen voranzubringen”, meinen die einen. Dazu gehört auch Philipp Achammer. “Die Kultur braucht – so vielfältig sie auch ist – dringend eine freie, unabhängige und nicht politisch gewollte Vertretung.” Dann würde es auch ihm leichter fallen, etwa bei Haushaltsdebatten stimmgewichtiger aufzutreten, meint der Landesrat für die deutsche Kultur.

Aber wie soll das gehen? Haben etablierte und freie Kultur, “Große” und “Kleine” – die, wie sich Achammer wünscht, “wenn es darauf ankommt, mit einer Stimme sprechen” sollten – doch zumeist völlig unterschiedliche Ansprüche, Bedürfnisse und Visionen. Darauf weisen die anderen am Mittwoch Abend hin. 

Und dann ist da noch eine besondere Südtiroler Spezialität, die es unmöglich macht, das Tiroler Modell einfach zu kopieren: “die Mauern” zwischen den Sprachgruppen, die viele Kulturschaffende immer noch erleben – und einreißen wollen. Etwa durch die Schaffung eines einzigen Kulturressorts mit einem einzigen Fördertopf. “Zusammenarbeit kann stattfinden, ohne dass dabei die Identität verloren geht”, lautet eine Ansage.

 

Einen frischen Geist in der Kulturarbeit wünschen sich alle an diesem Abend. Welche Kräfte ihn voranbringen werden und in welche Richtung er führen wird, ist auch nach der Debatte nicht erkennbar. Aber: “Der Pioniercharakter ist da”, bescheinigt Philipp Wastian. Hauptsache ist, nicht stehen bleiben, nicht verstummen. Nicht aufhören, zu hinterfragen, zu diskutieren, alte Denkmuster immer wieder aufzusprengen: “Reibung ist extrem wichtig, dadurch entsteht Wärme.” Auch Gewitter entstehen durch Reibung. Um deren reinigende Natur weiß nicht nur der Gast aus Tirol.
Als hätte es eines Beweises für Wastians Worte bedurft, setzt am Meraner Nachthimmel ein Donnergrollen ein.