Wirtschaft | Landtagswahl 2018

Wo die Politik anpacken soll

Die drei Südtiroler Gewerkschaftsbünde legen einen sozialpolitischen Forderungskatalog für die kommende Legislaturperiode vor. Im Zentrum: ein “Pakt für Südtirol”.
Pakt für Südtirol
Foto: Salto.bz

“Etwas weniger über den Doppelpass und etwas mehr über die wahren Probleme der Menschen.” Darüber wollen die Gewerkschaftsbünde in der Vorwahlzeit sprechen – und sprechen machen. Die Probleme, von denen SGBCisl-Generalsekretär Michele Buonerba redet, kennen die Gewerkschaftsvertreter zur Genüge: stagnierende Löhne, sinkende Kaufkraft, steigende Lebenshaltungskosten, Präkarisierung der Arbeitsverhältnisse – die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich auch in Südtirol nicht. “41,3 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung erklären weniger als 25.000 Euro brutto an Jahreseinkommen, rund 16 Prozent der Familien leben in relativer Armut – und die steigenden Ausgaben für öffentliche Unterstützungsleistungen zur Bekämpfung der Armut bestätigen die Verschärfung der Ungleichheiten”, so die Warnung von Buonerba, der gemeinsam mit Dieter Mayr, ebenfalls vom SGBCisl, den AGB-CGIL-Sekretären Alfred Ebner und Agostino Accarino und den Generalsekretären von SGK/UIL, Toni Serafini und Christian Troger vor die Medienvertreter tritt.

Im Gepäck: ein Katalog mit sozialpolitischen Vorschlägen und Forderungen für die kommende Legislaturperiode 2018-2023. Diesen werden die Gewerkschaftsbünde allen Parteien und Listen, die am 21. Oktober zu den Landtagswahlen antreten und “die demokratischen Grundwerte vertreten”, wie man präzisiert – aus diesem Grund wurde CasaPound nicht zu den Treffen eingeladen –, vorlegen. Die Gewerkschaften wollen den Finger in die Wunde legen: “Die Unverhältnismäßigkeit zwischen zu niedrigen Einkommen und zu hohen Lebenskosten muss beseitigt werden”, so der Tenor.

Und dazu braucht es eben nicht nur Arbeitnehmer- und -geberverbände, sondern auch die Politik, die einen “Schubs” geben muss, wie Dieter Mayr betont. Oberstes Ziel ist ein “Pakt für Südtirol”, ein lokales Kollektivvertragsmodell, das auf zusätzliche Lohnsteigerungen, auf das Recht auf Weiterbildungen und ergänzende Wohlfahrtsleistungen abzielt. “Die Politik muss diesen Pakt unterstützen, etwa durch steuerliche Maßnahmen oder Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung”, so Mayr. Und wenn das Einkommensproblem gelöst werde, “steigen die Steuereinnahmen und die Sozialabgaben – und auch andere Probleme wären einfacher zu lösen”.

2013 habe Südtirol die notwendigen Kompetenzen übertragen bekommen, um eine aktive Arbeitsmarktpolitik gestalten zu können, etwa indem man die staatlichen sozialen Abfederungsmaßnahmen aufstockt – diese Möglichkeit sollte man nutzen, appellieren die Gewerkschafter. “Dank dieser Zuständigkeiten können auch Weiter- und Fortbildungen sowie Umschulungen für Arbeitslose im Land vorgesehen werden”, zählt Dieter Mayr auf.

Ein weiterer zentraler Punkt auf der Liste der Gewerkschaften ist die Wohnungsfrage. Die Problematik, die Toni Serafini anspricht, ist eine altbekannte – und ungelöste: “Die Mieten schnellen in die Höhe und gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen sind die Wohnungspreise unerschwinglich geworden.” Förderung des Mietmarktes, Stärkung des sozialen Wohnbaus und zusätzliche Förderungen für den Kauf der Erstwohnung sind einige der Maßnahmen, die die Gewerkschafter fordern.

Außerdem stehen Themen wie Raumordnung – “der Weg des sozialen Dialogs soll bei den 26 Durchführungsbestimmungen zum neuen Landesgesetz weiterbeschritten werden”, sagt Christian Troger –, Arbeitssicherheit – “über 15.000 Arbeitsunfälle und mehr als 170.000 verlorene Arbeitstage im Jahr sind durch die hohe Beschäftigung nicht zu rechtfertigen”, warnt Alfred Ebner – und die Sanität. Dort gelte es, “den Vormarsch der Privatsanität einzudämmen” und ein “qualitativ hochwertiges öffentliches Gesundheitswesen” weiterzuentwickeln, heißt es in dem Forderungspapier.

Auch in Sachen Einwanderung sehen die Gewerkschaften die Politik noch gefordert. “Ohne die tausenden ausländischen Arbeitskräfte, etwa in der Pflege, in der Baubranche, der Hotellerie oder im Reinigungssektor – von den Saisonarbeitern gar nicht zu sprechen – stünden ganze Wirtschaftszweige still”, ruft Toni Serafini in Erinnerung. Sprachkurse, berufliche Aus- und Weiterbildungen und Bürgerkunde für ausländische Bürger sollten verstärkt gefördert werden, “denn von einer gelungenen Integration hängen zum Teil auch der Wohlstand des Landes und die Tragfähigkeit des Sozialstaates ab”.

Themen, Probleme und Fragen gibt es zuhauf, die die drei Gewerkschaftsbünde in den kommenden Tagen mit den 13 Parteien und Listen ausloten wollen. Darunter auch die Forderung nach einer “angemessenen Unterstützung für das Arbeitsförderungsinstitut AFI” – der Landeshauptmann und infolge die Mehrheit im Landtag haben sich Anfang Juli dagegen ausgesprochen.
Die Vertreter der ersten Liste werden bereits kurz nach der Pressekonferenz am Dienstag Mittag erwartet.

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Sepp.Bacher Di., 18.09.2018 - 21:39

Es ist gut, dass auch die Gewerkschaften in der Vorwahlzeit Forderungen an die Politik stellen. Die Gewerkschaftsmitglieder sind zu einem guten Teil Rentner. Diese Personen, die schon aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, aber noch zur Gemeinschaft der Werktätigen zählen und dieselben Probleme des Kaufkraftverlustes erleiden, werden bei dieser Initiative überhaupt nicht erwähnt!
Ich habe heute auch die Sondersendung auf Rai-Südtirol (Radio) gehört, auch dort werden wir Rentner und unsere finanziellen Probleme nicht erwähnt. Nur der ASGB-Vertreter hat einmal darauf verwiesen, dass auch die Rentner von dieser Problematik betroffen sind.
Christian Troger vom SGK hat einmal erwähnt, dass es im Oktober einen zweiten Forderungskatalog der Gewerkschaften zu Sanität und Sozialem geben wird. Man könnten vermuten – gesagt hat er es nicht – dass das Renten-Problem zum Sozialen gezählt wird. Nach meinem Verständnis sollten und dürfen die normalen Pensionisten und Rentner aber nicht als Sozialempfänger betrachten werden, die dem Steuerzahler auf der Tasche liegen. Sondern wir erhalten unsere Renten ja auch, weil wir Jahrzehnte lang dafür eingezahlt haben – der eine mehr, der andere weniger - und deshalb auch unterschiedliche Renten erhalten. Es geht ja nicht darum, dass wir höhere Renten fordern, sondern nur die Anpassung an die Inflation oder Steuererleichterungen bzw. Ausgleichszahlung, die den Verlust halbwegs wieder gut machen. Auch wir konsumieren mehr, wenn wir mehr Geld haben – bzw. brauchen es für die steigenden Gesundheitsspesen!
Anders gelagert ist die Situation bei den Mindest- oder Hungerrenten, bei den Invaliden – und anderen Sozialrenten bzw. bei den Beziehern des Lebensminimums. Ein Augenmerk muss auch auf die unteren Segmente der Mittelschicht gelegt werden, die ebenfalls den Kaufkraftverlust erleiden, aber bei allen anderen Förderungen herausfallen und auch zu den eigentlichen Verlierern zählen!

Di., 18.09.2018 - 21:39 Permalink
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Karl Trojer Mi., 19.09.2018 - 09:57

Ich bin davon überzeugt, dass der bereits vorhandene soziale Wohlstand in Südtirol und noch mehr dessen Absicherung und Weiterentwicklung wesentlich davon abhängen, wie Europa als Wertegemeinschaft sich weiterentwickelt. Deshalb würde ich mir wünschen, dass neben den berechtigten übrigen Forderungen, auch die Forderung nach einem starken, solidarischen, subsidiären Europa im Maßnahmenkatalog der Gewerkschaften Platz fände.

Mi., 19.09.2018 - 09:57 Permalink