Gesellschaft | Gewalt gegen Frauen

Getreten, vom eigenen Mann

Alle Medien hatten sie: Die Meldung von einer vergewaltigten Frau, Mitte Juli, am helllichten Tag in Bozen. Doch die Daten sind unmissverständlich: Gewalt gegen Frauen ist vielfältig und findet in erster Linie hinter verschlossenen Türen statt.
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Foto: landtag

Die MitarbeiterInnen der Kontaktstelle gegen Gewalt (Gea), die es in Bozen seit mittlerweile 13 Jahren gibt, wollen namentlich nicht genannt werden, „wir müssen uns selber schützen“, sagt Fiorina*. 80 Frauen haben im ersten Semester, von Anfang Januar bis Ende Juni 2013, geredet. Über Schläge, über maximale Kontrolle bei den Ausgaben, über Handyüberwachung, Besuchsverbote und Mordrohungen. Die Täter sind bekannt, es sind die Männer der Frauen, ihre Partner, ihre Ehegatten. „Ja, es werden immer mehr Frauen, die die Gewalt melden, darüber sprechen möchten. Da hat sich viel im Bewusstsein getan“, sagt Fiorina. „In tutti questi anni non mi sono capitate tante donne, violentate in strada“, fügt Rosa* hinzu. Beide wissen, die Dunkelziffern sind hier wie da enorm.

Dunkle Daten
Iris Messner leitet die Geschützten Wohnungen in Bozen. Frauen, die aufgenommen werden, haben oft eine lange Gewaltgeschichte hinter sich: „Nach außen ist alles in Ordnung, alles schaut gut aus. In der Familie ist es ein einziges Inferno. Für die Frau, für die Kinder.“ Messner ist sich klar: „Die, die zu uns kommen, sind der Gipfel des Eisberges.“
Diesen Gipfel bilden auch die 80 Frauen, die in Bozen ihr Gesicht nicht länger verbergen wollten, und dieses Jahr den Kontakt zur Gea gesucht haben. Fiorina weiß: „Laut den Istat-Daten von 2010 werden 95 Prozent der Gewalttaten nicht zur Anzeige gebracht, und die Frauen, die eine Anzeige erstatten, müssen oft miterleben wie der Täter dann ungeschoren davon kommt.“ Sie schweigen aus Scham, aus Angst, aber auch „weil sie die Gewalt als Normalität betrachten. Als etwas was dazu gehört. Sie wissen ja nicht, dass es auch anders sein kann“, erzählt die Beraterin. Ein Trotzdem gibt es hier, und es macht Hoffnung. Das Trotzdem, der Trotz, der Mut der Frauen, die aufstehen und nicht länger stillhalten ist lauter geworden. „Ja,“ bestätigt Fiorina, „es werden immer mehr Frauen, die sich an uns wenden, nicht weil die Gewalt zugenommen hat, sondern weil die Frauen selbstbewusster geworden sind, informierter.“

Schutz bei Trennung
Erschütternd und eindringlich sind die Daten, die es gibt und die zeigen, der Mut der Frauen hat Grenzen. Aufklärung, Sensibilisierungskampagnen und ein geändertes Frauenbild reichen noch lange nicht, um den teuflischen Mix der Gewaltspirale zu durchbrechen. Denn da, wo niemand hinschaut, schlägt es sich am leichtesten zu. Die Zahlen der Ansa aus dem Jahr 2006 botschaften hart: Alle drei Tage stirbt eine Frau in Italien. Getötet von ihrem Nächsten, dem eigenen Mann. „Morde an Frauen haben eine Vorgeschichte“, berichtet Fiorina, „meist geht die Ankündigung einer Trennung voraus. Uns ist es deshalb extrem wichtig, Frauen, die sich trennen möchten gut aufzuklären und zu schützen.“ Ein konkreter Sicherheitsplan wird sorgfältig mit den Klientinnen ausgearbeitet, „da ist es wesentlich, die Frauen gut zu begleiten, sie aufzuklären über ihre Rechte, über ihre Situation. Eine Trennung ist immer das Gefährlichste für eine Frau – und eventuell auch für die Kinder.“
Beratungen laufen in der Gea oft nur kurz übers Telefon, andere Frauen brauchen Monate und Jahre, um einen Wege aus der Gewalt zu finden. Vielen gelingt es nie, „wir sind einfach da, begleiten, bieten unsere Hilfe an. Schlussendlich entscheidet die Frau über ihr Leben“, darin sind sich Rosa und Fiorina einig. „Die Frauen wissen am besten, was gut für sie ist, auch wenn es für uns oft unerklärlich bleibt.“

*Namen von der Redaktion geändert

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Michael Bockhorni Mi., 31.07.2013 - 21:39

ein äußerst wichtiges Tabuthema, dass leider auch nocheinmal ein weiteres Tabu in sich trägt. Nämlich häusliche Gewalt gegen Männer. Erst seit einigen Jahren und nur in wenigen Ländern (z.B. in der Schweiz) wird auch dieser Aspekt statistisch bzw. durch Befragungen erfasst. Nach diesen Quellen sind zwischen 15-45% Männer auch Opfer, zumeist von psychischer und leichter körperlicher Gewalt. Das Verhalten bzw. die Erfahrungen sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden, sind ähnlich (z.T. schlechter) als die der Frauen. Scham, darüber mit Freunden oder Verwandten zu sprechen, weil Mann sich lustig macht. Bei Polizei oder Krankenhaus wird einem nicht geglaubt und Anzeigen nicht aufgenommen. Spezifische Beratungsstellen fehlen überhaupt. Natürlich ist auch bei Männern die Trennungsphase die riskanteste Zeit. Daher sind gute Angebote und Strukturen für Frauen UND Männer (wie z.B. das Zwüchehalt" in der Schweiz oder die Männerwohnhilfe in Deutschland) wichtig und helfen beiden Gewalt zu vermeiden. Opfer von Gewalt brauchen passende Hilfe unabhängig welchen Geschlechts sie sind. Dazu müssen alle (Beratungseinrichtungen, Sanitätswesen, Polizei, Justiz, Wohnbauinstitut, Sozialsprengeln, Medien) bei diesem Thema zusammenarbeiten um sachgerecht aufzuklären und allen Opfern zu helfen.

Mi., 31.07.2013 - 21:39 Permalink