Gesellschaft | Depression

Waren auch Sie depressiv, Herr Pycha?

Am Sonntag wird der europäische Tag der Depression begangen. Rund ein Drittel der Erkrankten sucht immer noch keine Hilfe, sagt Primar Roger Pycha.
Roger Pycha
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Herr Pycha, am Sonntag wird europaweit der Tag der Depression begangen. Warum braucht es einen solchen Aktionstag, müssen wir immer noch mehr über diese Krankheit reden?
Roger Pycha:
Die Antwort  auf Ihre Frage wurde in diesem Jahr bereits von einem anderen Aktionstag gegeben, dem World Health Day am 17. April. Der wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO heuer unter den Titel gestellt: Depression, let’s talk. Also, es wird tatsächlich immer noch zu wenig gesprochen. Depression bleibt zu oft eine Krankheit, derer man sich schämt und die deshalb häufig im Verborgenen erlitten wird. Und das obwohl wir wirklich von einer Volkkrankheit sprechen. Konkret macht jeder fünfte Mensch im Laufe seines Lebens eine Depression mit, das sind 20 Prozent der Weltbevölkerung.

Aus Statistiken geht hervor, dass die Krankheit Depression zwischen 1990 und 2013 um 50 Prozent zugenommen hat. Das ist ein beeindruckender Zuwachs.
Den wir aber auch richtig deuten müssen. Denn tatsächlich haben wir konsistente Studien, die zwar zeigen, dass Depressionen im Alter ab 65 Jahren etwas häufiger auftreten als früher. Darüber hinaus haben die Erkrankungen nicht zugenommen. Der Zuwachs kommt vielmehr daher, dass immer mehr depressive Menschen Hilfe suchen.

Also doch....
Ja, es hat sich im Vergleich zu früher schon viel mehr herumgesprochen, dass man etwas gegen Depression tun kann. Deshalb kommen wir auch mit immer mehr depressiven Menschen in Kontakt, denen in den meisten Fällen auch geholfen werden kann. Bei rund 10 bis 15 Prozent der Betroffenen schlägt die Therapie nicht oder zu wenig an, der Rest kann geheilt werden. Doch man schätzt, dass immer noch gut ein Drittel der Erkrankten überhaupt keine Hilfe sucht.

Warum nicht?
Das kann unterschiedliche Ursachen haben. Oft wissen die Menschen selbst nicht, was mit ihnen los ist. Sie merken nur, dass es ihnen schlecht geht. Meist konzentriert man sich dann eher auf den Körper als auf die Seele, hat eigenartige körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwächezustände, Herzklopfen, Zittern oder Magenbeschwerden und weiß nicht, wie man sie einordnen soll. Und so leidet man vor sich hin, konsultiert Ärzte, macht vielleicht ergänzungsmedizinische Kuren, aber nichts hilft.

Doch es gibt auch Menschen, die über ihre Krankheit Bescheid wissen?
Das ist die zweite Möglichkeit: Menschen, die ahnen oder wissen, dass sie eine Depression haben, sich aber zu sehr schämen, um Hilfe zu suchen. Ich bin doch nicht verrückt, lautet ein oft gehörtes Argument, das ein für allemal abgeschafft werden sollte. Eine Depression zu haben, hat nichts mit Verrücktsein zu tun, das ist eine Gemütskrankheit , die behandelt gehört – auch weil die Erfolgschancen mit 85% so groß sind. Das heißt, man sollte nicht in der Ecke stehen und verzweifeln, sondern sich Hilfe suchen.

Oft ist es aber auch das Umfeld, dass signalisiert: Reiß dich zusammen, lass’ dich nicht so gehen...
Ja genau! Da gibt es dann häufig diese Reaktionen: Zu faul, zu willensschwach, oft wird den Menschen auch Charakterschwäche vorgeworfen. Das alles ist für depressive Menschen ganz schlecht. Die neigen ohnehin schon zu Selbstvorwürfen, und wenn sie dann auch noch von außen solche Geschichten zu hören bekommen, geht der Selbstwert weiter in den Keller, fühlen sie sich als Versager und Schmarotzer. Das kann bis hin zum Gedanken führen: Es ist besser, es gibt mich nicht.

Das heißt, es braucht auch mehr Akzeptanz von Seiten der Gesellschaft.
Es braucht die Einsicht, dass Depression eine Krankheit ist, es braucht Verständnis. Sonst kommen die Betroffenen in eine Spirale, die wir nicht wollen. Wer depressiv ist, muss entlastet werden, sollte von der Arbeit krankgeschrieben werden, braucht entsprechende Therapien. Sonst dauert dieses Elend einfach zu lange.

Wie lange?
Unbehandelt dauert eine Depression im Durchschnitt 6 bis 8 Monate lang und das ist eine verdammt lange Zeit.

Und danach geht sie von selber wieder weg?
Viele gehen von selber weg, also die wiederkehrenden.

Was passiert eigentlich mit uns, wenn wir eine Depression bekommen?
Ganz genau wissen wir das noch immer nicht. Aber wir wissen, dass in bestimmten Zentren des Gehirns, vor allem im Hirnstamm, die Aktivität von Seratonin stark abnimmt. Das hat zur Folge, dass man alles extrem negativ wahrnimmt und das Positive von Erlebnissen und Ereignissen nicht mehr herausfiltern kann. Man gerät also in eine grau-schwarze Welt. Dann gibt es noch einen zweiten Botenstoff, der wenig aktiv ist: das Nor-Adrenalin, das für Ausdauer und Zähigkeit zuständig ist.

Das heißt, wenn ich depressiv bin, erlebe ich die Welt in grau-schwarz Tönen und verliere auch die Ausdauer oder Zähigkeit, die nötig ist, um da wieder rauszukommen?
Das macht im Grund den Kern der Störung aus. Ein schweres seelisches  Leiden an einer Welt und Existenz, die an sich nicht tragisch wäre, aber so erlebt und wahrgenommen wird.. Und die größte Gefahr ist, dass jemand in solche einer Situation sagt: So hat mein Leben keinen Sinn mehr, ich halte das nicht mehr aus.

Sind Selbstmorde immer direkt mit einer Depression verbunden?
Sie sind häufig damit verknüpft. Aus unserer Zehnjahresstudie, die von 2000 bis 2009 gemacht wurde, geht hervor, dass  gut 50 Prozent aller Suizidopfer in Südtirol an Depressionen gelitten haben, rund 25 Prozent dagegen an Alkoholismus. Das heißt also, nicht jeder Menschen, der sich das Leben nimmt, hat an einer Depression gelitten.

Werden Depressionen durch externe Einflüsse hervorgerufen oder sind sie vornehmlich vererbt?
Es gibt drei Faktoren, die beim Ausbruch einer Depression Einfluss haben: die genetische Veranlagung, frühe Kindheitserfahrungen, also Erfahrungen vor dem dritten Lebensjahr, von denen wir keine Erinnerung haben. Und dazu kommen dann noch aktuelle Belastungsmomente, also alles im Jetzt an Verlusterlebnissen und Konflikten dazukommt.

Sie sagen, in 85 Prozent der Fälle ist Depression heilbar. Vor allem mit Medikamenten?
Auch hier gibt es unterschiedliche Formen. Die eleganteste ist sicherlich die Psychotherapie.  Ich bin aber zum Beispiel auch ein Verfechter der Familientherapie, einer systemischen Psychotherapie, die Gruppenprozesse verwendet, um Menschen zu stabilisieren und den Selbstwert zu stärken. Aber wir machen alles, bin hin zur Elektrokonvulsionstherapie, die wir in seltenen Fällen auch anwenden, um Menschen aus einer schweren Depression herauszubekommen. Ich denke, im Krieg, in der Liebe und in der Psychiatrie ist alles erlaubt, vor allem wenn es darum geht, Menschen aus unerträglichen Situationen herauszuholen. Wer keine Depression mitgemacht hat, kann überhaupt nicht nachempfinden, wie unerträglich sie ist. Das sagen mir die Betroffenen haufenweise: Ihr Ärzte wisst ja nicht, wovon ihr redet!

Hatten Sie selbst noch nie eine Depression, Herr Pycha?
Doch, ich habe schon etwas erlebt in diese Richtung. Ich habe auch selbst einmal eine  Psychotherapie beansprucht, und das war für mich sehr hilfreich. Also, ich kann da schon auch aus Betroffenensicht mitreden, glaube ich.

Sie können sich also in Ihre Patienten einfühlen?
Ich habe die Empathie, aber auch die bittere Lebenserfahrung, um mich einfühlen zu können. Und vor allem, wenn ich bei Menschen spüre, dass sie extrem am Leben leiden, weckt das meinen Helfertrieb, rasch für Heilung zu sorgen. Das geht dann eben am besten über Medikamente oder Elektrokonvulsion. Psychotherapie ist dagegen extrem nachhaltig und großartig. Wie ich von mir selbst weiß, kann sie wirklich helfen, Lebenseinstellungen zu verändern und grundsätzlich neu und anders zu leben. Dafür braucht es halt nur Monate...

... und oft auch Jahre!
Ja, ich selbst habe drei Jahre Psychotherapie gemacht und hab mich nicht gelangweilt dabei.

Und wie sieht es mit der Rückfallquote nach einer Heilung aus?
Die liegt bei rund 50 Prozent. Das heißt, wer eine Depression hatte, hat eine 50-prozentige Chance, dass dies das einzige Erlebnis im eigenen Leben bleibt. In der Hälfte der Fälle kehrt sie aber wieder  zurück. 

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Manuel Gatterer Mo., 02.10.2017 - 08:02

Sehr geehrte Damen und Herren,
als erster psychiatrischer Genesungsbegleiter (EX-IN)
in Südtirol möchte ich zu dem obigen Interview Stellung beziehen.

Ich bin betroffen von einer schweren psychischen Erkrankung. Ich kann aber von mir behaupten, dass ich einen wertvollen Genesungsprozess durchlaufe, der es mir ermöglicht öffentlich aufzutreten. Dieser Prozess fing in der ersten Hilfe 2002 im KH Bruneck an und ist fortlaufend.

Ich bin heilfroh, dass mich die Ärzteschaft nicht für den Elektroschock indiziert sahen. Bitte man beweise mir mit wissenschaftlichen Methoden, dass ECT heilsam ist, dann könnte ich vielleicht Vertrauen in diese "Therapieform" finden.

Die psychiatrischen Dienste, wie sie in Südtirol heute sind, konzentrieren sich meines Erachtens zu sehr auf statistische Annäherungen und lassen sich wertvollstes Informationsmaterial, die Erfahrungen von Betroffenen, durch die Lappen gehen.

Ich freue mich sehr über Ihr mutiges Outing, Herr Primar. Es gibt wenige, aber dafür umso wertvollere Dienstleister*innen im Arbeitsleben die ihr eigenes betroffen Sein offen als Ressource vermitteln. Hier sind Sie mir ein Vorbild, Herr Pycha.

Wenn jedoch der Psychiatrische Dienst in Südtirol einen wissenschaftlichen Anspruch hat, dann finde ich Aussagen wie "im Krieg, in der Liebe und in der Psychiatrie ist alles erlaubt" vollkommen deplatziert und bestenfalls verwirrend. Ich war nie in einem Krieg. In einem inneren Todeskampf, ja, aber das ist nicht Krieg. Auch der psychiatrische Dienst des KH Bruneck ist seit 1945 nicht mehr im Krieg. Aber ich weiß, das dort täglich Todeskämpfe stattfinden.

Ich bin in Liebe, ich habe liebe Menschen in meinem Herzen und es schmerzt mich, wenn es einen von Ihnen nicht gut geht, und das ist immer so. Der psychiatrische Dienst Bruneck ist auch voller Liebe, aber nicht immer. Besonders wenn ein überarbeteter Arzt in der Nachtschicht seine dritte Zwangsmaßnahme setzen muss und vielleicht noch zwei Notaufnahmen anstehen, dann geht es aufgrund struktureller und systemische Engpässe vielleicht nicht mehr so liebevoll zu.

Und im psychiatrischen Dienst ist nicht alles erlaubt und das ist gut so. Bei Zwangseinweisungen muss der Bürgermeister mitentscheiden, das ist auch gut so.

Als Primar sprechen Sie primär als Profi-Psychiater und weniger für die Interessen der Betroffenen. Ich möchte mich hiermit Ihnen und Salto.BZ als Gesprächspartner aus der Betroffenen-Perspektive anbieten.

Danke, dass Sie, Herr Primar Dr. Pycha, den Mut zeigen, den öffentlichen Diskurs zu fördern. Nur so wird "der Psychiatrie" in Zukunft mehr vertraut werden.

Außerdem ist das ein unerlässlicher Schritt, damit die psychiatrischen Dienste in Zukunft auf einer solideren Basis stehen können, nämlich der einer ganzheitlichen Erfahrungswissenschaft.

Hochachtungsvoll,
Manuel Gatterer
Psychiatrischer Genesungsbegleiter nach EX-IN

Mo., 02.10.2017 - 08:02 Permalink
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Markus Summerer Sa., 08.12.2018 - 22:03

Was weiss Herr Pycha schon von einer echten Depression? Ich glaube, dass er nicht ansatzweise in der Lage ist mit seinen Patienten mitzufühlen. Ansonsten kann ich mir nicht erklären wie manche Patienten (mich eingeschlossen) von ihm behandelt wurden und vielleicht noch werden. Dieser Mann hat nur seine Karriere im Sinn, mehr will ich nicht sagen. Ich hatte Glück, Menschen anzutreffen, die das Gute in mir sahen und die mich mochten. Ich hasse Herrn Pycha nicht, was er mir angetan hat, ich habe ihm verziehen. Und vielleicht sollte Herr Pycha es auch einmal versuchen, sich an Gott zu wenden, wenn er es mit einem Menschen zu tun hat. Ich hoffe Sie lesen diese Zeilen, damit Sie wissen, dass auch ich den Mut habe öffentlich Stellung zu nehmen, was Sie anbelangt. Sie glauben wohl sicher im Ernst nicht, dass Ihnen die Menschen da draußen ihren Senf, den Sie im Radio abgeben, abnehmen. Mehr möchte ich nicht schreiben.

Sa., 08.12.2018 - 22:03 Permalink
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Markus Summerer Fr., 15.05.2020 - 14:38

"Ein Drittel sucht keine Hilfe", schreibt Roger Pycha. Wenn ich gewusst hätte, wie man mich in der Brunecker Psychiatrie behandelt, hätte ich auch irgendwo anders Hilfe gesucht. Macht einen großen Bogen darum, das ist ein guter Ratschlag von mir.

Fr., 15.05.2020 - 14:38 Permalink