Politik | SVP-Lega

Schimpfwort Europa

Die Koalitionsverhandlungen sind stärker festgefahren als öffentlich bekannt. Die Haltung zur EU und Calderolis Schatten belasten das Verhältnis SVP-Lega schwer.
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Foto: salto
Ich bezweifle, ob wir das wirklich bis nächste Woche hinbekommen“, sagt eine Person, die mit am Verhandlungstisch sitzt. Dabei ist der Fahrplan zur Bildung der Landesregierung eigentlich bereits festgeschrieben. Am Donnerstag, dem 3. Januar, wollen sich die Verhandlungsdelegationen von SVP und Lega treffen, um das Koalitionsprogramm fertig auszuverhandlen. 
Zwei Tage später soll dann Roberto Calderoli nach Südtirol kommen und das Problem rund um die Verfassungsreform und die geplante Streichung eines Südtiroler Senators beheben. Danach soll das Koalitionsprogramm unterzeichnet werden.
Offiziell versucht man derzeit das Ganze so darzustellen, als ob man sich in den schwierigsten Punkten des Programms bereits geeinigt habe und es nur mehr um Details gehe.
Die Wirklichkeit aber sieht anders aus: In einigen zentralen Punkten sind die Gegensätze zwischen SVP und Lega erst jetzt in den Verhandlungen so richtig zu Tage getreten. Vor allem aber wird ein Mann, der zwar nicht am Verhandlungstisch sitzt, aber jede Zeile im Koalitionsprogramm absegnen muss, zu einer Art Mühlstein am Hals dieser Koalition: Roberto Calderoli.
 

Der Totengräber

 
Es ist ein altes Spiel in Rom: divide ed impera. Roberto Calderoli macht es genau so. Der Lega-Senator und starke Mann immer dann, wenn es um Südtirol geht, sucht sich seine Gesprächspartner strategisch-bewusst aus. „Mein Ansprechpartner ist Philipp Achammer“, sagt er in einem Interview mit dem „Corriere dell'Alto Adige“ gleich mehrmals. Es ist ein bewusster Stich gegen den klaren Verhandlungsführer in Sachen Koalition: Arno Kompatscher.
Calderoli nimmt seit zehn Tagen keinen Anruf des Südtiroler Landeshauptmannes mehr entgegen. Es ist die Retourkutsche für Kompatschers Alarmruf nach Wien. Die beiden Ansprechpartner des mächtigen Lega-Senators sind der Pusterer SVP-Senator Meinhard Durnwalder und vor allem SVP-Obmann Philipp Achammer. Achammer versuchte in den vergangenen Tagen in mehreren Telefongesprächen mit Calderoli, die Kohlen aus dem Koalitionsfeuer zu holen.
 
Demnach wird der Lega-Senator am 5. Jänner in Bozen einen Abänderungsantrag in Sachen Senatoren vorlegen, der die SVP beruhigen sollte. Doch unterm Edelweiß gibt es berechtigte Zweifel, ob das jetzt überhaupt noch möglich sein wird.
Denn Calderoli hat bereits die nächste Baustelle eröffnet. Im Corriere-Interview sagte das Lega-Schwergewicht wörtlich: „Parlerò con l'Austria perché è una questione di buon senso, ma non é certo un dovere.“ Für die SVP ist diese Aussage eine klare Infragestellung, wenn nicht gar Leugnung der internationalen Verankerung der Südtirol-Autonomie und eine Schmälerung der Schutzfunktion Österreichs.
Deshalb wurde diese Aussage auch am Donnerstag am Verhandlungstisch angesprochen. Landeshauptmann Arno Kompatscher forderte auch hier von der Lega eine Klarstellung.
Sicher ist: Das Klima hat sich dadurch noch einmal verschlechtert.
 

Der Statthalter

 
Die lokalen Lega-Vertreter sind pragmatisch und sehr praktisch eingestellt“, heißt es aus der SVP-Verhandlungsdelegation. Mit Massimo Bessone & Co würde man eine Einigung finden.
Das Problem heißt Filippo Maturi. Der 34jährige Bozner Gemeinderat, im März durch einen Zufallstreffer im Latium zum Kammerabgeordneten aufgestiegen, ist der Statthalter Calderolis am Verhandlungstisch. Er ist die verlängerte Hand der nationalen Lega-Führung.
Es ist inzwischen eine vertraute Szene, wenn Maturi in den Verhandlungspausen oder immer dann, wenn es um Grundsatzfragen geht, zum Telefon greift. So war es auch am Donnerstag kurz vor 17 Uhr. Maturi zieht sich in eine Ecke des Landtagsfoyers zurück, um am Telefon mit Roberto Calderoli zu reden. Der Stechschritt, mit dem der Bozner Lega-Vertreter danach in den Verhandlungssaal zurückkehrt, lässt durchaus Rückschlüsse auf die römischen Weisungen zu.
 
Dazu kommt, dass der Koalitionstext laufend von Calderoli und dessen Mitarbeitern kommentiert und korrigiert wird. „Die roten Korrekturen kommen von Calderoli“, plaudert ein SVP-Verhandler aus der Schule, „und sind dann eine Art Bibel“.
 
 

Feindbild EU

 
Wie weit Lega und SVP aber auch in zentralen Punkten entfernt sind, kommt etwa beim Thema Europa zum Vorschein. Gerade in diesem Punkt hat es bei den Verhandlungen lange und kontroverse Diskussionen gegeben. Es sind Differenzen, die noch lange nicht ausgeräumt sind.
Wie absurd die Diskussion dabei geführt wird, zeigt sich an einem konkreten Beispiel. Im Europa-Kapitel heißt es unter anderem: „Europa hat Südtirol viel gebracht, und die Grenzen haben dank Europa an Bedeutung verloren“. Die Lega-Delegation fordert die Streichung dieses Satzes.
Dabei geht es weniger um die Hochhaltung der Brennergrenze als um das Bild der Lega von Europa, das sich wie ein roter Faden durch diese Koalitionsverhandlungen zieht. Die Lega vertritt das Europa der Nationalstaaten. Die EU wird als Feind Italiens wahrgenommen, die durch ihre Finanzpolitik Italien in die Enge treibt. Die Auffassung: Die EU bringt Italien mehr Probleme, als sie löst.
 
Vor diesem Hintergrund versucht die Lega, jedes allzu pro-europäische Bekenntnis aus dem Koalitionstext zu streichen oder abzuschwächen. „Die EU ist fast schon ein Schimpfwort“, fasst ein Verhandler die Stimmung zusammen.
Gerade diese Gefechte lassen aber bei manchem unterm Edelweiß inzwischen ernsthafte Zweifel aufkommen, ob dieser politische Weg wirklich der Richtige ist. „Manchmal kommt man sich vor, als rede man mit Marsmenschen“, entfährt es einem der Verhandler.
Ob man diese Reise auf den Mars antreten will, darüber wird der SVP-Parteiausschuss im neuen Jahr entscheiden müssen.