Chronik | Tenti-Prozess

Die Columbo-Methode

Katia Tenti hat sich sieben Stunden lang im Zeugenstand als Mutter Teresa präsentiert. Ihr Pech: Staatsanwalt Giancarlo Bramante und die abgespielten Abhörungen.
gericht
Foto: Othmar Seehauser
 
Die Frau weiß, wie man andere beeindruckt. Und Katiuscia Tenti beeindruckt an diesem Montag am Bozner Landesgericht (fast) alle.
Sieben Stunden lang steht die langjährige Ressortdirektorin von Cristian Tommasini im Zeugenstand. Tenti legt dabei einen mustergültigen Auftritt hin.
Die hohe Landesbeamtin im Wartestand wurde von ihren Anwälten, allen voran Fabrizio Francia, perfekt auf diese Aussage vorbereitet. Der Prozess gegen Tenti und ihren ehemaligen Lebensgefährten, den Bozner Unternehmer Antonio Dalle Nogare, geht in die letzte Phase. Katia Tenti wird der Weitergabe von Amtsgeheimnissen und der rechtswidrigen Beeinflussung eines öffentlichen Wettbewerbs beschuldigt. 
Antonio Dalle Nogare hat eine Aussage vor Gericht verweigert, wie es das Strafrecht einem Angeklagte zugesteht.
Katiuscia Tenti hingegen wollte in den Ring steigen. Jeder Strafverteidiger weiß, dass die Anhörung eines Angeklagten immer eine Gratwanderung ist. Dem Kreuzverhör der Staatsanwaltschaft standzuhalten, sich nicht selbst zu belasten oder die Anschuldigungen durch das eigene Auftreten noch zu bestärken, ist alles andere als leicht. 
 
Tenti macht an diesem Tag keinen Fehler. Die Frau redet über sieben Stunden lang. Ohne sich zu verhaspeln oder sich in allzu große Widersprüche zu verstricken. Tenti gibt sich dabei freundlich, sympathisch und auskunftsbereit. Obwohl man der ehemaligen Ressortdirektorin die Angespanntheit ansieht, liefert sie vor Gericht eine einwandfreie Vorstellung ab. 
Trotz harter Nachfragen hat sie immer eine Antwort parat. Ohne lange nachzudenken, antwortet sie meistens sofort. Die Frau hat sich gut vorbereitet auf diesen Auftritt. Sie wirkt nie arrogant oder aggressiv. Im Gegenteil: Wenn es eng wird, trägt sie auch schon mal gefühlsmäßig auf. 
Wer Katiuscia Tenti an diesem Tag im Zeugenstand sieht und hört, der glaubt,eine Art Mutter Teresa der Südtiroler Verwaltung vor sich zu haben.
 

Die Verteidigungslinie

 
Die Verteidigungslinie der Angeklagten ist dabei geradlinig und generalstabsmäßig aufgebaut. Katiuscia Tenti schiebt die Verantwortung auf andere ab. Vor allem auf ihren politischen Vorgesetzten Cristian Tommasini.
Die Erklärung ist einfach: Ihr Engagement für das 25-Millionen-Projekt für Mittelstandswohnungen in Bozen gründe keineswegs auf ihrer intimen Beziehung mit dem Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare, einem direkten Nutznießer dieser und ähnlicher Ausschreibungen, sondern auf den politischen Vorgaben von Tommasini. Der damalige Wohnbaulandesrat sei 2013 kurz vor den Landtagswahlen von der Presse unter Druck gesetzt worden, weil er in diesem Bereich zu wenig getan habe. Deshalb habe sie sich engagiert und beim Wohnbauinstitut mehrmals interveniert.
Auch dass Tenti beim Landesjuristen Fabrizio Cavallar ein Rechtsgutachten bestellt, selbst abgeholt und zur entscheidenden Aussprache in die Gemeinde Bozen gebracht habe, sei nicht ihre Initiative gewesen. Sondern sie habe einer Bitte der damaligen Bozner Stadträtin Chiara Pasquali entsprochen, die in der eigenen Partei Schwierigkeiten mit dem Dalle-Nogare-Projekt bekam.
Wer Katiuscia Tenti an diesem Tag im Zeugenstand sieht und hört, der glaubt,eine Art Mutter Teresa der Südtiroler Verwaltung vor sich zu haben.
Der Reihe nach sind entweder das Wohnbauinstitut, der ihr unterstehende Amtsdirektor Wilhelm Palfrader oder die SVP-Parlamentarier Karl Zeller und Manfred Schullian oder der böse Bozner Grillino-Gemeinderat Alberto Filippi Auslöser und Grund für Handlungen, die sie gesetzt hat.
Dort wo keiner herhalten hat, schiebt sie Tenti die Verantwortung auf ihren Mitangeklagten Antonio Dalle Nogare. Die Beziehung ist inzwischen in die Brüche gegangen.
Wer die Akten nicht kennt, für den wirkt die Angeklagte im Zeugenstand wirklich glaubwürdig.
 
 

Der Staatsanwalt

 
Katiuscia Tentis Problem sitzt ihr auch an diesem Tag im Gerichtssaal direkt gegenüber: Giancarlo Bramante. Der leitende Staatsanwalt, der diesen Fall seit vier Jahren von der ersten Eingabe an betreut, ist als akribischer Ermittler bekannt, der seine Fälle bis ins letzte Detail ausleuchtet.
Bramantes Verhör folgt einem klaren Drehbuch. Der Staatsanwaltschaft, der sein Schlussplädoyer längst im Kopf hat, entlockt der Angeklagten in den fast sechs Stunden der Befragung Aussagen, die er später anhand von Dokumenten, Fakten und Dutzenden Zeugenaussagen in der Luft zerreißen kann.s
Katiuscia Tenti fällt darauf herein. Sie tischt an diesem Tag abenteuerliche Geschichten auf, die sie selbst zu glauben scheint. Etwa bei der Frage, warum sie immer wieder interne, vertrauliche Dokument von ihrer offiziellen Amtsadresse des Landes zuerst an ihre private E-Mail-Adresse schickt und dann eine Minute später an den Unternehmer Antonio Dalle Nogare weiterleitet. „Ich wollte sie mir selbst schicken“, begründet Tenti im Zeugenstand diese unorthodoxe Dreiecks-Post. So, als würde nicht jeder Landesbeamte vom eigenen PC oder Smartphone Zugriff auf sein amtliches Postfach haben. Oder es im Mail-Programm keine CC-Funktion geben.
Giancarlo Bramante schlägt Tenti mit ihren eigenen Waffen. Der Staatsanwalt hakt trotz der hanebüchenen Erklärungen kaum nach. Er lässt der Geschichtenerzählerin breiten Raum. Bramante wirkt nie aggressiv (mit Ausnahme einer kurzen, aber umso strengeren Zurechtweisung von Tentis Anwalt Fabrizio Francia, der den Staatsanwalt während seine Verhörs unterbricht), sondern er gibt sich sanft, freundlich und verständig.
Bramantes Auftritt erinnert irgendwie an Peter Falks Paraderolle als Inspektor Columbo, der seine Verhöre fast tollpatschig führt, die wichtigsten Fragen so ganz nebenbei stellt und am Ende jeden Delinquenten überführt.
Der Staatsanwalt greift Tenti nicht an, er versucht nicht, sie in Verlegenheit zu bringen und sie im Zeugenstand zu zerlegen. Sondern er lässt die Angeklagte sich selbst um Kopf und Kragen reden. Denn Giancarlo Bramante hat eine Beweislage in der Hand, die genau das Gegenteil davon nahelegt, was Tenti vor Gericht wortgewaltig wiedergibt.
 

Die Abhörungen

 
Bramante spielt seinen größten Trumpf im Gerichtssaal dabei genüsslich aus. Die Ermittler der Carabinierisondereinheit ROS hatten in Tentis Handy und in Dalle Nogares Laptop sogenannte „Trojaner“ eingebaut. Damit diente das Handy als Wanze, mit dem die Ermittler auch im ausgeschalteten Modus die Gespräche zwischen Tenti und Dalle Nogare, aber auch andere Treffen mithören konnten.
Der Staatsanwaltschaft spielt im Gerichtssaal rund ein Dutzend Ausschnitte aus diesen Abhörungen vor. Und diese Gespräche zeigen eine völlig andere Katiuscia Tenti als jene, die im Zeugenstand sitzt. Es kommt die kaltblütige, kalkulierende Macherin zu Tage, die mit einer kaum zu überbietenden Arroganz die Ermittler zu narren versucht und die in der Angelegenheit eine treibende Kraft ist. Man hört hier nicht mehr das Mauerblümlein, das sie im Zeugenstand spielt.
 
Exemplarisch ist dabei die Szene in Dalle Nogares Porsche Cayenne. Dalle Nogare und Tenti ziehen sie sich in das Auto zurück, um die Unterlagen zur Ausschreibung noch einmal durchzusehen, die Tenti vorab Dalle Nogare übermittelt hat und die auf dem Firmenlaptop gespeichert sind. Weil die Angeklagten wissen, dass sie abgehört werden, tun sie so, als würden sie Urlaubsfotos anschauen.
Was sie aber nicht wissen: Die ROS-Beamten hatten auch in den Computer einen Trojaner eingebaut, der alle 2 Sekunden einen Screenshot an die Ermittlern sendet. Damit können die ROS-Beamten sehen, was sich beiden Angeklagten auf dem Computer anschauten. Nämlich die Unterlagen zur Ausschreibung der 100 Mittelstandswohnungen in Bozen.
Ach, wie sind die Esel schön“, hört man Katjuscha Tenti durch den Gerichtssaal kreischen und lachen, während der Staatsanwalt den Screenshot der Ausschreibungsunterlagen auf die Leinwand projiziert. „Da sind viele Sachen drauf, hast du das Problem verstanden? Weißt du, was ich meine?“, hört man irgendwann Tenti äußerst scharf zu Dalle Nogare sagen. Man vereinbart, dass man am Abend zum „Fotograf“ gehen wird. „Damit war Anwalt Carlo Bertacchi gemeint“, muss Tenti wenig später auf Nachfrage des Staatsanwalts zugeben.
Spätestens damit wird den Richtern vor Augen geführt, mit welchem Wassern die Beamtin gewaschen ist.


Die Mails

 
Der Staatsanwalt projiziert an diesem Vormittag im Gerichtssaal Dutzende Emails und SMS von Katjuscha Tenti auf die Leinwand. Die Angeklagte versucht, alles zu erklären, sie hat immer eine Antwort. Oft hätte sie wohl besser geschwiegen.
Denn Giancarlo Bramante zeigt anhand Dutzender Mails auf, wie die Ressortdirektorin vom Amt aus verschiedene Immobilienoperationen des Unternehmers und damaligen Partners unterstützt, angeschoben und begleitet hat. 
Vor allem aber weist er anhand einer ganze Reihe von E-Mails nach, wie Tenti geheime und vertrauliche Unterlagen aus dem Amt immer wieder vorab an Dalle Nogare weitergeleitet hat. Etwa interne Daten des WOBI oder Rechtsgutachten des Landes. „Das sind alles Dinge, die auch in den Zeitungen gestanden haben und keineswegs dem Amtsgeheimnis unterliegen“, erklärt Tenti im Zeugenstand.
 
Doch Bramante legt einen Schriftverkehr – aus derselben Phase – zwischen Paul Köllensperger und Anton Aschbacher vor. Der Landtagsabgeordnete wollte die Ausschreibungsunterlagen einsehen. Die amtliche Antwort des damaligen Abteilungsdirektors: Diese seien geheim und könnten nicht ausgehändigt werden. Selbst einem Abgeordneten nicht. Damit wird Tentis Verteidigungslinie pulverisiert. 
Genüsslich zeichnet der Staatsanwaltschaft aber auch die Versuche der ehemaligen Ressortdirektorin nach, in der Ermittlungsphase,ihre Untergebenen und mehrere Zeugen vor der Anhörung durch die Ermittler zu beeinflussen. Tenti gibt die Kontakte zu. Erklärt sie aber mit Neugierde. „Ich wusste nicht, dass man das nicht darf“, sagt sie wörtlich. 
 
Ebenso bestätigt sie, dass sie im Urlaub mit Antonio Dalle Nogare in Kroatien die Ausschreibungsunterlagen vom Amtsserver heruntergeladen habe. „Ich habe mich gelangweilt und wollte kurz arbeiten“, erklärt Tenti im Zeugenstand, „und er hat mir seinen Computer geliehen“. Die Unterlagen seien dann automatisch auf den Computer heruntergeladen worden. Tenti: „Ich wusste das nicht“. Die Gebrüder Grimm lassen grüßen. Denn Tenti hat das Dokument selbst auf dem Desktop des Computers bearbeitet. Zudem wurden Ausdrucke in Dalle Nogares Büro sowie auf einem USB-Stick im Auto gefunden. 
 

Neue Ermittlung

 
Einer der brisantesten Punkte in diesem Prozess ist die Frage, warum Tenti wusste, dass sie abgehört werde. 
Wir vermuteten es, waren aber nicht sicher“, rechtfertigt sich Tenti. Als Grund für die Vermutung gibt sie das Verhalten eines ROS-Beamten an. Dieser habe ein neues Telefon, das ihr Ex-Mann ein Informatikexperte gekauft und ihr vor ihrem Anwalt ausgehändigt hat, umgehend beschlagnahmt. 
Wenig später hört man aber in einer Abhörung, wie Tentis Ex-Mann ihren Computer untersucht. Tenti redet dabei von Trojanern. Doch der Informatiker beruhigt sie. „Das glaube ich nicht“.
Trotzdem informierte sich Katiusca Tenti bei ihrem ersten Ehemann, einem amtierenden Carabinieri über mögliche Abhörungen. Und nicht nur das.
 
An Montag kam vor Gericht mehrmals auch ein Telefongespräch zwischen Katiuscia Tenti und dem ICC-Richter Cuno Tarfusser zur Sprache. Die beiden sind befreundet. Die Abhörung wurden in die Prozessakten aufgenommen. 
In dem Telefongespräch reden Tarfusser und Tenti auch über die Ermittlungen und die daran beteiligten Beamten. Tenti beschließt das Gespräch mit einem Satz, der viel Raum für Vermutungen lässt: „Also, lass mich wissen, wenn du alle deine Männer gehört hast und schönen Abend.
Staatsanwalt Giancarlo Bramante fragte gestern Tenti, wie sie das gemeint habe. Die ehemalige Ressortdirektorin und Autorin von Krimis lieferte eine abenteuerliche Erklärung. Es sei um eine Buchvorstellung gegangen und sie haben den ehemaligen römischen Untersuchungsrichter und Schriftsteller Giancarlo De Cataldo mit „deine Männer“ gemeint.
Der Verdacht der Staatsanwaltschaft ist ein anderer. Weil Cuno Tarfusser am Gericht eine Gruppe von Beamten als „meine Buben“ bezeichnet, vermutet man, dass es hier einen Informationsfluss gegeben haben könnte.
Katiuscia Tenti wird dazu nochmals angehört werden. Denn Giancarlo Bramante hat nach Informationen von salto.bz ein neues Ermittlungsfazikel eröffnet. Man ermittelt wegen der Verletzung des Untersuchungsgeheimnisses. Derzeit noch gegen Unbekannt.
Der Prozess gegen Katiusca Tenti und Antonio Dalle Nogare geht am 1. Februar weiter. Dann wird der ehemalige Landeshauptmannstellvertreter Cristian Tommasini angehört.