Gesellschaft | Sanitätsbetrieb

Zerzers Entschuldigung

In einem Fragebogen der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde auch die „Rasse“ abgefragt. Generaldirektor Florian Zerzer spricht von einem Übersetzungsfehler.
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Foto: Alto Adige
Es ist war ein Scoop des „Alto Adige“. Die italienische Tageszeitung hat am Montag eine beeindruckende Geschichte gebracht. Derzeit wird an den Südtiroler Schulen im Auftrag des Südtiroler Sanitätsbetriebes ein Fragebogen der Kinder- und Jugendpsychiatrie verteilt. In dem sechsseitigen Dokument findet sich auch eine Frage, die verständlicherweise den Großteil der Empfänger schockiert hat. Dort wird nach der „Ethnischen Gruppe oder der Rasse des Schülers“ gefragt.
Nachdem die Geschichte für Schlagzeilen gesorgt hat, reagierte der Sanitätsbetrieb an Montagnachmittag umgehen. „Geschuldet ist dieser Begriff einem Übersetzungsfehler des weltweit standardisierten Original-Fragebogens in Englisch. Das Formular wird nun umgehend überarbeitet“, heißt es in einer Aussendung.
Der genannte Fragebogen entspricht der international anerkannten „Child Behavior Checklist“ (CBCL) und ist eines der Bewertungsinstrumente im diagnostischen Prozess bei jungen Patientinnen und Patienten mit neuropsychiatrischen Beschwerden. Der Fragebogen ist ein anerkanntes und von vielen wissenschaftlichen Institutionen empfohlenes Instrument – einschließlich der italienischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie (Società Italiana di Neuropsichiatria dell’Infanzia e dell’Adolescenza - SINPIA).
 
Die „Child Behavior Checklist“ ist Teil des am ASEBA- Institut (Achenbach System of Empirically Based Assessment) in Burlington, USA entwickelten Systems von Fragebögen. „Da diese Fragebögen in mehr als 60 Sprachen übersetzt werden, können interkulturelle Vergleiche vorgenommen werden. Fragen zur Herkunft und kultureller Herkunft der jungen Patientinnen und Patienten sind also nicht nur wesentlich für eine individuelle Behandlung, sondern auch für eine weltweite wissenschaftliche Vergleichbarkeit“, schreibt der Südtiroler Sanitätsbetrieb.
Allerdings, so der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer, hätte der englische Begriff „race“ niemals mit „Rasse“ übersetzt werden dürfen: „In Europa wird dieser Begriff anders verstanden und wahrgenommen als etwa in den USA. Im Namen des Südtiroler Sanitätsbetriebes entschuldige ich mich für die Verwendung in diesem Zusammenhang“, so Zerzer, „aber wie wir alle wissen, fallen, wo gehobelt wird, auch Späne und Fehler passieren leider.“. Der Übersetzungsfehler soll umgehend behoben werden.

 

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Helmuth Tschenett Mo., 28.01.2019 - 21:50

Mich würde auch interessieren was genau mit "Derzeit wird an den Südtiroler Schulen im Auftrag des Südtiroler Sanitätsbetriebes ein Fragebogen der Kinder- und Jugendpsychiatrie verteilt" gemeint ist.
Wer füllt denn diesen Fragebogen für unsere Kinder aus und warum. Habe wir Eltern hier ein Mitspracherecht, ob wir so einen Fragebogen ausfüllen wollen oder nicht ?

Mo., 28.01.2019 - 21:50 Permalink
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Christoph Moar Di., 29.01.2019 - 07:38

Das die genetische Zusammensetzung des individuellen Erbguts eine Rolle bei der Wirksamkeit von Medikamenten oder bei den funktionellen Möglichkeiten des individuellen Körpers hat stellt glaube ich wirklich niemand in Abrede. Dass aus medizinischer Sicht die Erfassung des genetischen Typs eines Patienten oder Probanden sinnvoll ist steht ebenfalls nicht zur Diskussion - darum enthalten diese standardisierten Fragebögen auch diese Frage. Falsch ist aber, dass der Begriff "Rasse" die richtige Formulierung ist. Die wesentlichen genetischen Unterschiede, um die es aus medizinischer Sicht geht, decken sich nur unzureichend mit der laienhaften Definition von Rasse. Erwünscht wäre eigentlich die Frage nach einem genetischen Profil des Probanden, was aber naturgemäß noch nicht individuell verbreitet verfügbar ist. Darum nähert man sich den wesentlichen Merkmalen mit Fragestellungen nach Phänotyp oder zum Beispiel kontinentalen Typen, die eine regionale Segmentierung des Erbguts annähern. Weniger Aussehen, mehr Region, ist das Kriterium, das korrekterere Segmentierung bei zum Beispiel Arzneimittelverträglichkeit ermöglicht. So haben eigentlich alle Recht, die, die den Begriff Rasse als in diesem Zusammenhang falsch darstellen, und die, die aus medizinischer Sicht eine Klassifizierung der Menschen nach Gentyp erwünschen.

Zur Hysterie stimme ich dir aber zu. Fehler passieren, und wenn jemand ohne Fachkenntnis mit der Übersetzung beauftragt wird passiert sowas. Mir scheint, Zerzer hat hier völlig richtig erklärt, dass sowas passieren kann.

Di., 29.01.2019 - 07:38 Permalink
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Christoph Moar Di., 29.01.2019 - 14:15

Die Tatsache, dass jemand das Gen hat, dass eine schwarze Hautfarbe verursacht (eine reine Adaption an die Lebensumwelt), ist nicht der Grund, dass bestimmte Medikamente nicht greifen. Sondern es ist so, dass in der Population, die das "schwarze Hautfarbe Gen" hat, auch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass das für das Medikament eigentlich relevante Gen vorliegt. Die dunkle Hautfarbe ist also nicht das Kriterium, sondern ein Indikator für das Kriterium.

Für Patienten mit afrikanischer Abstammung wurde zum Beispiel das von dir angesprochene Herzmittel BiDil auf den Markt gebracht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie wesentlich häufiger eine bestimmte Genvariante für das Gewebshormon Angiotensin besitzen, das eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Blutdrucks spielt. Hier siehst du aber auch den Unterschied: es ist nicht die Hautfarbe, oder das diffuse Konzept von "Rasse", das ausschlaggebend ist, sondern das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von einer bestimmten Genvariante. Im Idealfall wäre also die Erfassung des Gentyps toll (was, wie ich schrieb, naturgemäß derzeit nicht breit gefächtert vorliegt).

Studien weisen aber ziemlich deutlich darauf hin, dass der Indikator "Hautfarbe" zwar für den Mediziner, meinetwegen den Notfallmediziner, auf den ersten Blick taugen mag - aber einfach nicht präzise ist. Präziser sei wohl eine regionale Klassifikation, denn diese bilde anthropologisch relevante Genpoolwahrscheinlichkeiten besser ab als die Hautfarbe.

Ich habe gelesen, dass unter Genpoolgesichtspunkt manche afrikanische Etnien beispielsweise eher als nicht afrikanisch klassifiziert würden, was eine reine Betrachtung der Hautfarbe hingegen nicht hergeben würde.

Medizinisch mag es manchmal nützlich sein, sich an der Hautfarbe der Menschen zu orientieren, aber als Pharmaforscher muss man die Haut ignorieren und die eigentlichen Gene betrachten, die sich nicht identisch wie das eine Hautfarbengen verteilen, sondern eher von einer regionalen Betrachtung aus ausbreiten.

Rassen und auch jede andere Taxonomie bleiben aber eigentlich eine menschliche Erfindung, die am Ende ein soziales Konstrukte darstellt. Angesichts des Unheils, den der Rassebegriff schon auf der ganzen Welt angezettelt hat ist es nicht verkehrt, hier Zurückhaltung anzuwenden und mit Begrifflichkeiten vorsichtig umzugehen. Wenn ich Zerzers Rückmeldung lese, sollte dies kein Problem sein.

Di., 29.01.2019 - 14:15 Permalink
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Peter Gasser Di., 29.01.2019 - 15:34

Im Post steht geschrieben:
"Es gibt phänotypisch und genotypische Unterschiede zwischen Schwarzen, Weißen, amerikanischen Ureinwohnern und Asiaten":
Es gibt genauso "phänotypische und genotypische Unterschiede" zwischen mir, meiner Frau und meiner Tochter. Möglicherweise ist die Gesamtvarianz zwischen mir und meiner Frau (auch aus Südtirol) sogar größer als die Gesamtvarianz zwischen mir und einem Marokkaner. Das sind anerkannte Fakten.

Di., 29.01.2019 - 15:34 Permalink
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Peter Gasser Di., 29.01.2019 - 15:40

Oben steht: "Das Spektrum zwischen der falschen Aussage "alle Menschen sind gleich, es gibt keine Unterschiede" und Rassismus ist sehr breit":
Die Aussage "alle Menschen sind gleich" bezieht sich auf deren Würde als Menschen, und hierbei ist diese Aussage NICHT FALSCH, sondern richtig.
Rasse/Rassismus bezieht sich auf biologisch/genetische Unterschiede mit meist wertendem Bezug: hier ist richtig, dass JEDER Mensch ein biologisch/genetisches Unikat ist.

Di., 29.01.2019 - 15:40 Permalink
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Stereo Typ Di., 29.01.2019 - 17:13

"Im Namen des Südtiroler Sanitätsbetriebes entschuldige ich mich für die Verwendung in diesem Zusammenhang" - na, das sind schon mal ganz neue Töne. Einen Fehler eingestehen - bravo, Herr Zerzer.

Di., 29.01.2019 - 17:13 Permalink
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Peter Gasser Di., 29.01.2019 - 20:38

... zur Diskussion standen nicht "Gruppenunterschiede", sondern die Verwendung des Begriffes "Rasse" für Menschen.
Zum Rest: genau das findet sich in meinem post von 19:50 Uhr in 2 Sätzen.

Di., 29.01.2019 - 20:38 Permalink
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Peter Gasser Mi., 30.01.2019 - 10:14

Menschen in "Rassen" einzuteilen ist heutzutage wohl nicht nur obsolet, sondern - da meist abwertend benutzt - zu recht öffentlich nicht anzuwenden. es gibt keine Rassen beim homo sapiens. Erstaunlich, dass dies bei manchen immer noch "schwierig" anzunehmen scheint.

Mi., 30.01.2019 - 10:14 Permalink