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Foto: Südtiroler Schützebund
Gesellschaft | Fritto Misto

Spitzenhemd und Seifenblasen

Letzte Woche hat sich einiges getan. Bei den Schützen ist das Zeitalter der Frauen angebrochen. Und den Ungerechtigkeiten der Welt ist mit Seifenblasen beizukommen.
"Schreib doch mal was Nettes“, bat der Mann letztens gequält. „Du kannst doch nicht immer nur meckern!“
Und weil ich eine gute Ehefrau bin und außerdem eh vorhatte, mal zu loben und nicht nur auszuteilen,  komme ich seinem Wunsch gern nach.
Mich hat letzte Woche nämlich wirklich etwas begeistert. „Peinlich, „lächerlich“, „na bittschian“ hieß es darüber in den sozialen Medien, ich aber sage euch: Der Schützenspot, ja der, wo das Madl im spitzenbesetzten Unterkleid ins Dorf marschieren will, er ist revolutionär. Er ist bahnbrechend. Er ist ein Meilenstein in der Geschichte der Schützen. Finden Sie alles nicht?
Sie halten ihn für sexistisch (leicht bekleidete junge Frau), klischeebehaftet (der blaue Schurz, der Speck), reaktionär (der Adler um den Hals)? Dann, so leid es mir tut, haben Sie gar nichts verstanden. Es gibt nämlich noch eine Lesart, die Ihnen aufgrund der, geben wir zu, etwas simplen Handlung (man muss sein Publikum dort abholen, wo es steht), entgangen sein könnte. Der Spot deutet nämlich unmissverständlich an, dass das Zeitalter der Frauen bei den Schützen angebrochen ist.  Schauen Sie sich doch die Protagonisten an: Wir haben da eine selbstbewusste junge Frau, die nichts dabei findet, in Unterwäsche ihrem Alltag nachzugehen. Recht hat sie! Mag der Nachbar, ja das ganze Dorf sich das Maul zerreißen, mein Körper gehört mir, und ich ziehe an, was mir gefällt! Löblich.
Noch dazu benötigt sie keinen strammen Jungschütz mit geschulterter Büx an ihrer Seite, der eventuell ihre Ehre verteidigen könnte, sollte es doch zu verbalen oder gar physischen Übergriffen  kommen. Selbst ist die Frau! Ich vermute, der voluminöse Louis-Vuitton-Shopper an ihrem zarten Unterarm soll ebendiesem Zweck dienen: Dem Frechdachs schwungvoll um die Ohren gehauen, dürften unziemliche Kommentare schnell verstummen. Hier übrigens gleich noch ein Hinweis auf die neue Weltoffenheit der Schützen: Louis Vuitton! Klingt nicht sehr tirolerisch, au contraire:  Ein Franzmann! Mit einer Selbstverständlichkeit verwendet, die suggeriert: Kein Problem, wir sind drüber weg. Obwohl die Franzosen doch unseren Hofer…aber nein. Keine hard feelings mehr, nach vorne schauen!
Hier übrigens gleich noch ein Hinweis auf die neue Weltoffenheit der Schützen: Louis Vuitton! Klingt nicht sehr tirolerisch, au contraire:  Ein Franzmann!
Dann die Mutter, ganz klar der Chef im Haus, pardon, auf dem Hof. Liest (!) bei einem Glasl Roaten den „Landwirt“ anstatt schweigend am Herd die Knedl zu rollen. Trägt Streifenlook und Perlenkette statt Boarischem. Sagt dem Nachwuchs klipp und klar, wo’s langgeht. Während der einzige Mann im Clip, von dem nicht ganz klar, ob er nun der Opa, der Knecht oder der ziemlich ältere Ehemann ist (ein markiger Tomboy wäre in dem Fall moderner gewesen, Hinweis an die Macher), gar nichts zu melden hat. Stoisch, sich seiner Irrelevanz bewusst und sich ergeben ihrer fügend, schneidet er den Speck auf und verfolgt gespannt, aber passiv den Dialog zwischen Mutter und Tochter.
 
 
Nur an einer Stelle (bei 0:17) zoomt ihn die Kamera etwas heran und rückt den Nebendarsteller für einen Moment in den Mittelpunkt. Der Grund dafür ist nicht ganz klar: Erleidet er an dieser Stelle einen Ictus, ausgelöst durch die Lingerie? Schaut er visionsartig die Rückkehr Südtirols zu felix Austria? Oder erfasst ihn an dieser Stelle ein Nostalgie-Flashback an die guten alten Zeiten, in denen er noch die Hosen anhatte? Letzteres ist wahrscheinlich, siehe die leichte Melancholie im trüben Blick. Und ein klares Signal der Schützen: Mander, es isch Zeit, und zwar den Frauen das Ruder zu überlassen! Wie gesagt, Kompliment für so viel Weitsicht und Aufgeschlossenheit. Dass der Spot ein glattes Plagiat ist, wie eine Twitter-Userin bald bemerkte, spielt dabei doch keine Rolle. Und die Ankündigung, dass auf diesen bald weitere Filmchen folgen werden, die zeigen sollen, dass die Schützen „mit der Zeit gehen“, lässt wohl nicht nur mich frohlocken. Ich kann nur mutmaßen: Bringt das Lingerie-Girl als nächstes einen schwarzen Boyfriend mit nach Hause? Macht Opa endlich den Mund auf und spricht fließend arabisch? Entpuppt sich das Kind auf der Ofenbank als welsches Urlauberkind?  Die Möglichkeiten sind schier unendlich. Jedenfalls ziehe ich hiermit den Trachtenhut, den ich nicht besitze.
Man muss ja nicht gleich wutverzerrrte Frauenfratzen zeigen, die mit Kettensäge und Vorschlaghammer gegen das Patriarchat hantieren, aber ein bisschen mehr Mut und Selbstbewusstsein hätte hier sicher nicht geschadet.
Anders verhält es sich ja leider mit der Kampagne des Landesbeirats für Chancengleichheit zum Equal Pay Day 2019. (Ja, ganz ohne Gemecker geht’s halt doch nicht). So rebellisch der Schützen-Spot, so erstaunlich zahm kommt diese daher.
Ich meine, Frauen verdienen auch in Südtirol immer noch im Schnitt 17,2 % weniger als Männer, sind weitaus gefährdeter in Altersarmut abzurutschen und tun sich schwer, nach der Babypause wieder in den Job einzusteigen. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, auf die der Landesbeirat ungewohnt drastisch reagiert: Mit lächelnden, Seifenblasen pustenden oder Kaugummiblasen fabrizierenden Frauen, die angeben, von einer Änderung der Zustände zu „träumen“.

 
 
Wer kennt das nicht? Man regt sich furchtbar über eine Ungerechtigkeit auf und geht dann gleich mal eine Runde aggressiv Seifenblasen blasen. Damit hat man’s denen aber richtig gezeigt! Also bitte. Wen genau soll das denn beeindrucken? Dazu der Slogan: „Damit keine Träume platzen“. Ich verstehe, „I have a dream“ und so, aber man stelle sich nur einen Moment vor, wie eine Kampagne gegen Rassismus wirken würde, zeigte sie Seifenblasen pustende people of colour, die lächelnd davon „träumen“, nicht mehr diskriminiert zu werden. Noch harmloser sind eigentlich nur Kätzchenvideos.
Man könnte die Kampagne gleich übersetzen mit „Wär schön, wenn’s klappt, aber wenn nicht, auch egal, nicht so wichtig und nur keine Umstände bitte“. Als ginge es darum, einen Kreuzfahrt zu gewinnen und nicht, fundamentale Menschenrechte einzufordern. Und das alles unter dem unglücklichen Hashtag #träumeplatzen: ein Fall von Selbstsabotage par excellence. Man muss ja nicht gleich wutverzerrrte Frauenfratzen zeigen, die mit Kettensäge und Vorschlaghammer gegen das Patriarchat hantieren, aber ein bisschen mehr Mut und Selbstbewusstsein hätte hier sicher nicht geschadet. Wetten, Lingerie-Marketenderin und Mutti hätten ordentlich auf den Tisch gehauen?  
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Mensch Ärgerdi… Mi., 08.05.2019 - 20:25

Im Plakat des Chancengleichheitbeirats sind 400% mehr Frauen als Männer zu sehen und Mitglieder anderer Minderheiten wurden komplett ignoriert. Da sind die Schützen doch glatt ernster zu nehmen!

Mi., 08.05.2019 - 20:25 Permalink