Politik | Interview

Mehr Europa, aber anders.

Alfred Ebner, ehemaliger Generalsekretär der AGB/CGIL, über Europa, die EU und warum wir mehr davon brauchen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
European elections
Foto: CC0

salto.bz: Herr Ebner, welches sind die größten Risiken dieser kommenden Europawahlen?

Wir haben leider ein Europa, das von den Märkten und der Sparpolitik bestimmt wird. Überall ist die Rede von Einsparungen im Sozialen, Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, die Eindämmung der Gewerkschaften, alles um konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn man aber immer nur auf die wirtschaftlichen Interesse achtet und die sozialen Anliegen  der Menschen vernachlässigt, entsteht Angst und Unmut und dann haben Populisten leichtes Spiel.

Was ich ganz klar sagen möchte: Die Rückkehr zu Nationalismus und Abschottung ist sicherlich der falsche Weg, um die Probleme der heutigen Gesellschaft anzugehen. Wir brauchen mehr Europa, aber nicht das bürgerferne Europa der Austerity und der Finanzlobbys. Es braucht ein weltoffenes Europa, das den jungen Menschen Arbeitsperspektiven bietet, das Stabilität garantiert und das die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in seinen Mitgliedsstaaten ausgleicht.

 

Aus einem Europa des gemeinsamen Marktes muss also ein gemeinsames soziales Europa werden?

Es braucht mehr soziales Europa wo vermehrt in Wachstum, Arbeit, Bildung und Soziales investiert wird. Das Geld wäre vorhanden. Man bräuchte nur die Steueroasen auszutrocknen und zu verhindern, dass große internationale Konzerne die Steuern auf die quer durch Europa erwirtschaften Gewinne dort zahlen wo sie am niedrigsten sind. Google in Irland und Amazon in Luxemburg sind typische Beispiele dafür, wie Unternehmen am Fiskus vorbei arbeiten können. Durch eine gemeinsamere Steuerpolitik könnte man hier sicherlich einige Gelder zurückholen, die man dann in wichtige soziale und wirtschaftlich strategische Bereiche investieren kann. Der Fokus muss auf den Menschen und nicht auf den Finanzmärkten liegen. Im Gegenteil: spekulative Finanztransaktionen könnte man besteuern.

 

Was muss sich in Europa ändern?

Die europäische Gemeinschaft der Nachkriegszeit war sicherlich eine große Intuition und eine große Herausforderung. Damals entstand die Idee von einem sozialen Europa als demokratischer Gegenpol von Faschismus und Kommunismus. Europa muss den Menschen dienen und nicht der freien Marktwirtschaft. Auch kann man sich in einer globalisierten Welt ohnehin nicht ganz abschotten, auch wenn man die die Häfen schließt. Solange es irgendwo auf der Welt Krieg, Hunger und Verzweiflung gibt, werden die Menschen immer versuchen dorthin zu gehen, wo man besser lebt. Europa braucht eine gemeinsame Außenpolitik gegenüber Krisengebieten und eine gemeinsame Migrationspolitik. Europa muss Verantwortung für den Frieden in der Welt übernehmen und sollte deshalb auch seine Waffenexporte überdenken.

Innerhalb der EU ist außerdem eine Demokratisierung fällig. Wenn es schon ein demokratisch gewähltes Europäisches Parlament gibt, sollte es mehr Entscheidungsgewalt bekommen. Denn heute bestimmt die EU-Kommission das Geschehen und weniger das Parlament, und die Kommission vertritt eher die Prinzipien und die Anliegen der Konzerne und der Banken, als die sozialen Belange der Bürger.

 

 

Könnten die einzelnen Länder ohne die EU in der globalen Politik und Wirtschaft mitreden?

Europa ist ein großer Wirtschaftsraum. Je schwächer und zerrütteter wir sind, desto mehr profitieren die anderen Großen der Weltwirtschaft davon.

In dieser globalisierten Welt können einzelne Länder in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Gegen die USA, China, Indien, Brasilien, kommt kein einzelnes europäisches Land an und könnte wohl kaum auf Augenhöhe mitreden. Ohne die EU könnte vielleicht gerade noch Deutschland auf der Weltbühne bestehen, aber würde auch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zusammen sind wir alle stärker.
Außerdem machen die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf die Umwelt nicht an den Landesgrenzen halt. Die Digitalisierung, der Strukturwandel in der Industrie, der graduelle Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, die Forschung und die Investitionen in neue Technologien für mehr erneuerbare Energien, das sind Themen, die für die Zukunft des Kontinents essentiell sind. Das sind aber auch Anliegen die kein Land alleine bewältigen kann, für solch einen Wandel braucht es einen größeren europäischen Kontext.

 

Was hat Europa bisher für Südtirol bedeutet?

Wir Südtiroler wissen besonders gut was Grenzen bedeuten und welche Vorteile uns  Europa gebracht hat. Seit dem ersten Weltkrieg war die Grenze am Brenner immer eine historische Wunde. Mit der EU ist es gelungen diese Grenzen abzubauen. Ich kann mich noch erinnern, als die Grenzen gefallen sind, haben wir alle zusammen gefeiert. Wenn wir jetzt aufgrund von Migration Rückschritte machen, ist das eine große Niederlage. Man muss sich in diesen Zeiten des Populismus, auf die guten Seiten der EU konzentrieren, welche Freiheiten und Vorteile wir durch die EU dazubekommen haben. Es ist noch nicht allzu lang her, da haben meine Großeltern, - mitten in Europa -, noch Armut und Hungersnöte gekannt. Das kann man sich heute im reichen Südtirol nicht mehr vorstellen und das verdanken wir auch dem vereinten Europa.

 

Was ist ihr Aufruf für die bevorstehenden Wahlen?

Die Leute sollen wählen gehen! Ihre Stimme ist wichtig! Und bevor sie aus Sorge oder Ärger irgendetwas ankreuzen, sollten sie daran denken, welche Fortschritte uns Europa bisher schon gebracht hat. Natürlich hat man auch Fehler gemacht, aber es geht darum sie auszubessern und nicht gleich die ganze Idee in Frage zu stellen. Europa ist keine Selbstverständlichkeit; wie bei jedem großen Projekt muss man konstant daran arbeiten. Es geht bei diesen Wahlen um die Zukunft der kommenden Generationen, und ich bin voll und ganz überzeugt, dass es dafür mehr Europa braucht, nicht weniger!

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△rtim post Sa., 25.05.2019 - 11:40

Stimmt. Was im Sozialen gilt auch in anderen Bereichen.
Demokratie- und minderheitenpolitisch ist es hierzulande bei dieser Wahl auch nicht zum Besten bestellt. Leider.
Die Eigeninteressen politischer Parteien, Vereinigungen, aber auch die Selbstvermarktung einer Elite sind offensichtlich allemal sind wichtiger als das Land im Gebirge. Wir haben die Qual.
Wir haben eine SVP, die sogar unsere Landesflagge streicht und realpolitisch anscheinend auch noch gleich ihren eigen Anspruch im Artikel 1 des eigenen Parteistatuts.
Die Opposition aus Süd-Tiroler und Die Freiheitlichen können erst gar nicht antreten, während die Liste Paul Köllensperger, unter Aufgabe eines eigenen Listenzeichens auf dem Wahlzettel, gleichzeitig medienwirksam sehr gewieft anderes vorgibt. Da soll wohl möglichst unscheinbar eine (zurecht unzufriedene) Wählerschaft mit deutsch-ladinischem Minderheitenhintergrund einer national-italienisch ausgerichteten Partei zugeführt werden. Das Verhalten und die Position dieser Parteichefin in der Vergangenheit gegenüber unserem Land bleiben so schön ausgeblendet.
Die Makie Messers lassen grüßen!
Ja, es ist nicht zum Besten bestellt - selbst wenn wir nicht auf das nach Bevölkerung und Größe mit uns vergleichbare Luxemburg schauen, das gleich sechs EU-Abgeordnete stellt.

Sa., 25.05.2019 - 11:40 Permalink