Gesellschaft | Kinder

Der Tagesvater

Philipp Tommasini, einer von insgesamt zwei Tagesvätern in Südtirol über den Beruf, die mangelnde Bezahlung und einen Landeszusatzvertrag für die Kleinkindbetreuung.
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Foto: upi
Fröhliche, grünbraune Augen, gepflegte Hände, die gesunde Bräune eines Outdoorsportlers; das blaue Funktionsshirt sitzt gut, er ist mit seinem roten Vintage Rennrad zum Interview gekommen. Auf den ersten Blick unterscheidet sich Philipp Tommasini kaum von den sportbegeisterten jungen Boznern, die ihren Freitagabend in der Altstadt genießen. Aber in Wirklichkeit ist er eine Rarität: vor einem Jahr hat er als einziger Mann die Ausbildung zum Kindererzieher und Tagesvater an der Hannah Arendt Schule in Bozen abgeschlossen. Seit Monaten kämpft er nun für mehr Wertschätzung und gerechte Gehälter für seine Berufskategorie. 
 
Salto.bz: Herr Tommasini, Sie sind ausgebildeter Kindererzieher und Tagesvater. Wie kamen Sie dazu?
 
Philipp Tommasini: Ich hab immer schon mit Jugendlichen und im Sozialen gearbeitet, als ich 18 war als Fußballtrainer und seit 5 Jahren arbeite ich ehrenamtlich mit Jugendlichen als Seelsorger bei der Kolonie der Caritas. Auf die Idee mit der Kleinkindbetreuung bin ich gekommen, als mein Neffe vor ein paar Jahren von Giacomo, dem damals einzigen Tagesvater in Bozen, betreut wurde. Damals arbeitete ich gerade für zwei Familien, die zwei Jungs im Rollstuhl hatten. 
Es ist Zeit, dass unsere Gesellschaft die Augen auf macht und dass auch Männer den Mut zu solchen Berufen haben. 
Anderthalb Jahre habe ich berufsbegleitend die Ausbildung zum Kindererzieher und Tagesvater an der Hannah Arendt Schule gemacht. Die Ausbildung war anspruchsvoll und der Zugang war selektiv: es gab 70 Bewerber und nur 17 wurden ausgesucht. Die erste Frage beim Vorstellungsgespräch war: „Sind sie sich bewusst, dass sie ein Pionier sind?“. Ich habe geantwortet: „Ich spüre, dass das der richtige Weg für mich ist. Es ist Zeit, dass unsere Gesellschaft die Augen auf macht und dass auch Männer den Mut zu solchen Berufen haben.“ Im Kurs waren wir dann 16 Frauen und ich. 

Inzwischen sind Sie in den Beruf als Tagesvater voll eingestiegen?
 
Ja. Ich arbeite im Moment als Mutterschaftsvertretung für die Sozialgenossenschaft Montessori.coop, wir betreuen zu viert 20 Kinder zwischen 1 und 3 Jahren. Wir tragen viel Verantwortung, weil die Kinder sehr klein sind, die muss man permanent im Auge behalten. Was vielen nicht bewusst ist, ist dass in vielen Kitas/Genossenschaften die pädagogischen Fachkräfte auch selbst putzen müssen während die Kinder Mittagsschlaf machen, weil das Geld für eine Putzfrau fehlt.
 
 
Das größte Problem ist aber die Bezahlung?
 
Es ist eine tolle Arbeit, aber ich habe im vorigen Monat 1.131 Euro brutto und diesen Monat 1.200 Euro brutto verdient, da ist der Renzi-Bonus schon inbegriffen, sonst wäre es noch weniger. Ich kann es mir im Moment nur leisten, weil ich auch in der Kita zu Mittag esse und weil ich selbst noch keine Familie habe, andernfalls könnte ich bei dem Gehalt diesen Beruf nicht ausüben. Das sieht man auch bei meinen Kollegen von der Hannah Arendt: von insgesamt 17, die mit mir den Abschluss gemacht haben, arbeiten nur 4 wirklich als Kinderbetreuerinnen, die anderen haben sich inzwischen alle eine andere Arbeit gesucht, weil sie es sich nicht leisten können so wenig zu verdienen. Ich werde jede Woche von Genossenschaften mit Arbeitsangeboten kontaktiert, die Nachfrage nach pädagogischen Fachkräften ist also auf jeden Fall da, aber die Löhne sind im Keller. Ich frage mich: das Land hat doch sicherlich in diese Ausbildung und in die Hannah Arendt Schule viel investiert. Aber das sind alles verlorene Gelder, wenn nach der Ausbildung keiner den Beruf ausübt, weil man davon nicht leben kann!
Das sind alles verlorene Gelder, wenn nach der Ausbildung keiner den Beruf ausübt, weil man davon nicht leben kann!
Ihre weiblichen Kolleginnen verdienen genau so wenig wie Sie. Wie stehen die zu dem Problem?
 
Die sagen: schön, Philipp, dass Du den Mut hast das Problem öffentlich anzusprechen. Es geht aber nicht nur um Mut, sondern auch um Zeit. Wer schon selbst Kinder hat, hat vielleicht nicht die Zeit und die Energie sich dahinterzuklemmen wie ich: Ich habe in den letzten Wochen mehrere Stunden damit verbracht, Medien und Politiker anzuschreiben, bin zu Terminen bei der Gewerkschaft gegangen usw. Ich habe auch eine Facebookgruppe gegründet: „Zeit für Wandel KITA und Wertschätzung“ , wir haben schon 180 Mitglieder und jeden Tag kommen sehr viele neue dazu. Wir Kindererzieher müssen uns zusammentun, egal für welche Genossenschaft wir arbeiten, damit sich was ändert und der Beruf die nötige Wertschätzung bekommt.
 
Was waren die Reaktionen auf Ihre Vorsprachen?
 
Ich war bei den Gewerkschaften, der ASGB, die sagten sie wissen über die Situation Bescheid und seien dahinter, damit der Kollektivvertrag angepasst wird. Die Nachfrage nach Kinderbetreuung ist sehr hoch, aber die Gehälter sind extrem niedrig. Vor einem Jahr habe ein Interview mit Maria Elisabeth Rieder gesehen, wo sie sich zu diesem Problem geäußert hat. Da habe ich mir gesagt, mal sehen, ob sie auch nach den Wahlen so engagiert ist und habe sie angeschrieben. Die Landtagsaggeordnete Rieder hat mich dann gleich am Tag nach meiner Email zurückgerufen! Sie sagte es gibt anscheinend die Möglichkeit den nationalen Kollektivvertrag durch einen Landeszusatzvertrag zu erweitern und so auch die Löhne anzupassen. Sie hätte schon öfters die Landesrätin Deeg darauf angesprochen. Sie hat im Landtag eine öffentliche Anhörung beantragt, aber der Antrag wurde am Montag (20.5.) abgelehnt. Unsere Klasse von der Hannah Arendt Schule hatte im Februar, nach dem Abschluss, schon einen Termin mit Frau Deeg abgemacht, der ist uns aber dann abgesagt worden.  Ich habe daraufhin die Landesrätin Deeg erneut mit meinem Anliegen angeschrieben, ihre Mitarbeiterin hat mir einen Termin am 30. Juli gegeben. Ich hatte sehr stark das Gefühl, dass man darauf vertraut, dass ich bis dahin sowieso aufgegeben habe. 
 
Sie möchten sich irgendwann als Tagesvater selbstständig machen? 
 
Ja, das wäre später mein Ziel, aber auch hier geht die Rechnung nicht auf. Als selbstständiger Tagesvater verdient man 4 Euro brutto die Stunde pro betreutem Kind. Wenn ich also 5 Kinder betreue, komme ich auf 20 Euro brutto die Stunde und da sind die fixen Kosten wie Miete, Strom, Heizung  und für das Mittagessen der Kinder noch nicht abgerechnet. Es sind also netto deutlich unter 20 Euro pro Stunden. Dafür bekommt man nie und nimmer einen Handwerker, warum soll jemand der Kinder betreut so wenig verdienen? Das sind doch eine enorme Verantwortung und eine sehr wichtige, sozial wertvolle Aufgabe. Wir hüten ja nicht Schafe, wir betreuen und fördern Kinder!

Dazu kommen auch noch bürokratische und gesetzliche Auflagen?
 
Ja, es gibt gewisse Vorgaben, wie groß die Räumlichkeiten für einen Tagesvater sein müssen: 10 Quadratmeter pro Kopf für die im Haus lebenden Personen und dann weitere 10 Quadratmeter für jedes betreute Kind. Bei 5 betreuten Kindern, sind das circa 80 Quadratmeter und so eine Wohnung kann ich mir im Moment nicht leisten. Und hier schließt sich der Teufelskreis mit den niedrigen Löhnen als angestellter Kindererzieher: bei meinem aktuellen Gehalt kann ich mir nichts auf die Seite legen, kann mir keine größere Wohnung leisten, kann mich also nicht selbstständig machen. Und mit so einem Gehalt kann ich auch keine eigene Familie gründen. 
Es kann nicht sein, dass das weniger wert ist als die Arbeit eines Handwerkers. 
Sie sprechen auch von mangelnder Wertschätzung?
 
Es fehlt an Wertschätzung für das Engagement, denn wir betreuen die Kinder nicht nur, wir fördern sie. Die mangelnde Wertschätzung dafür fängt schon zu Hause an, wenn die Mutter von sich selbst sagt: „ich bin ja NUR daheim“. Was heißt hier „NUR“, es geht ja darum die Kinder zu selbstständigen, kreativen, emotional gesunden Menschen entfalten zu lassen! Das braucht Zeit, Geduld und Feinfühligkeit. Man muss sie alleine machen lassen, auch wenn es dreimal so lange dauert: bei uns in der Kita bekommt jeder ein kleines Kännchen, um zu lernen sich selbst zu trinken einzuschenken, jeder hat einen kleinen Schurz, weil die Kinder sich selbst die Teller holen dürfen; wir haben kleine Besen, damit sie selbst aufkehren können, wenn was daneben geht. Das ist eine wichtige Wertschätzung für die Kinder, sie fühlen sich kompetent und ernst genommen. Wenn man die Geduld hat und es ihnen zutraut, versuchen sie es und wachsen zunehmend an ihren Aufgaben. Wenn man so mit Kindern umgeht, wachsen ganz andere Menschen heran. Das alles vollbringen wir Kindererzieher mit Geduld und bei einem enorm hohen Lärmpegel. Es kann nicht sein, dass das weniger wert ist als die Arbeit eines Handwerkers. 
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Peter Gasser Fr., 24.05.2019 - 08:06

(1) ... und dann wird da fabuliert, man könne doch einen Kreisverkehr mitten unterm Sellastock bauen und von vier Seiten Tunnels hineingraben, oder diskutiert ernsthaft für einen zweiten Lift im Dorf daneben auf die Seiseralm...
(2) ... und dann beklagen wir uns, dass wir keine Nachkommen mehr haben für die Arbeiten in Landwirtschaft, Gastronomie und Hotellerie, und deshalb 10.000de Fremdarbeiter bei uns leben müssen...
(3) ... wenn ein Koch für fremde Gäste gleich das Mehrfache verdient als ein ausgebildeter Pädagoge für unsere eigenen Kinder...
(4) ... ein Kontinent, in dem für Hunde und Katzen ein Vielfaches dessen ausgegeben wird, was für eine gesunde Betreuung unserer Kinder notwendig wäre...

... 4 „schnelle“ Gedanken & was für eine Welt ist da im Entstehen...?

Fr., 24.05.2019 - 08:06 Permalink
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Frei Erfunden Fr., 24.05.2019 - 08:34

Absolut unterbezahlt würd ich sagen.
Schlussendlich ist der Umstand auch der Austeritätspolitik (Schäubles) und den Finanzlobbys zu verdanken, deshalb gehe ich am Wochenende wählen.

Fr., 24.05.2019 - 08:34 Permalink
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Michael Bockhorni So., 26.05.2019 - 15:45

Antwort auf von Frei Erfunden

die Unterbezahlung gab es schon vor der Austeritätspolitik unter rot und schwarz etc. Hat leider viel mehr mit der Geringschätzung jener Tätigkeiten zu tun, die vom traditionellen Rollenverständnis der Männern den Frauen zu geschrieben und somit auch im Gehaltsschema von zumeist männlichen Gewerkschaftlern verhandelt wurde.

So., 26.05.2019 - 15:45 Permalink