Gesellschaft | Sanität

„Ich bin der Arzt“

Der Bozner Primar Thomas Müller, der angebliche Fall von Denunziation und Verfolgung von Ärzten, die kein Italienisch sprechen und die Hintergründe eines Versagens.
Medico
Foto: upi
Der Mann steht seit Tagen im Zentrum der Berichterstattung. Anonym. Die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtet von einem „österreichischen Primar“, dem die Zwangsaustragung aus der Südtiroler Ärztekammer droht. Der angebliche Grund: Der Primar kann kein Italienisch.
Der Landtagsabgeordnete der Südtiroler Freiheit, Sven Knoll, spricht in der Zeitung und am Dienstagnachmittag im Landtag von einer „polizeilichen Hetzjagd auf deutschsprachige Ärzte“, die Dolomiten schreiben von einem Angriff auf die Südtirol-Autonomie und selbst der zuständige Sanitätslandesrat Thomas Widmann schaltet sich mit einem Gutachten des Rechtsamtes des Landes in die Kontroverse ein.
Nur mit der Hauptperson redet anscheinend niemand. „Offiziell habe ich noch keine Nachricht von der Ärztekammer erhalten“, sagt Thomas Müller freundlich am Telefon. Müller sitzt an seinem Arbeitsplatz, dem Zentrallabor für Klinische Pathologie am Krankenhaus Bozen. 
Der 55jährige Mediziner ist im deutschen Coburg und im oberösterreichischen Steyr in die Schule gegangen, hat an der Uni Wien Medizin studiert und sich später an der Uni Innsbruck  im Fach „Medizinische und Chemische Labordiagnostik“ habilitiert. Müller, der auch die Fachausbildungen in Labordiagnostik und Transfusionsmedizin absolviert hat, war bis zum vergangenen Jahr auch als Gastprofessor an der Medizinischen Universität Wien und als Lektor im Studiengang Biomedizinische Analytik an der oberösterreichischen Fachhochschule für Gesundheitsberufe in Linz tätig.  
Seit dem 1. März 2018 arbeitet Thomas Müller für den Südtiroler Sanitätsbetrieb als Primar am Krankenhaus Bozen. Der Leiter des Zentrallabors ist jetzt urplötzlich ohne sein Zutun zur Hauptperson einer absurden Geschichte geworden.
Eingebrockt wurde diese Geschichte Müller dabei ausgerechnet von seinem oberster Dienstherrn: Florian Zerzer.
 

Unbedachte Äußerungen

 
Der Ausgangspunkt dieser Posse ist ein Fauxpas des Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes mit nachhaltigen Folgen.
Salto.bz hat exklusiv darüber berichtet. Am 27. März 2019 kam es bei einer Aussprache im römischen Gesundheitsministerium zum Eklat. Generaldirektor Florian Zerzer und Personalchef Christian Kofler brachen die von ihnen erbetene Aussprache mit den Lega-Staatssekretär Luca Coletto vorzeitig ab und verließen das römische Ministerium im Streit. Der Grund: Als Berater des Gesundheitsministeriums saß auch ein Mann am Tisch, der für das Südtiroler Sanitätswesen mehr als nur eine persona non grata ist: Costantino Gallo.
In der rund 30 Minuten dauernden Aussprache versuchte Florian Zerzer unter anderem vom Gesundheitsministerium grünes Licht für die Einstellung von Pflegepersonal aus dem Ausland zu erhalten, das nicht Italienisch spricht. Als die Ministeriumsbeamten sich dagegen aussprachen, argumentierte Zerzer, dass es in Südtirol ja auch Ärzte gebe, die nur Deutsch und kein Italienisch können.
 

Die Ministeriumsdelegation wurde nach diesem Satz hellhörig. Auf Nachfrage versuchte der Südtiroler Generaldirektor seine Aussage zwar noch zu relativieren, doch das Gesundheitsministerium hatte den Braten gerochen. Wenige Tage später startete eine offizielle Anfrage an die Südtiroler Ärztekammer. Weil Kammerpräsidentin Monika Oberrauch auf die Anfrage nur ausweichend antwortet, ermittelt die Carabinierisondereinheit NAS. Auf Anordnung des Gesundheitsministeriums soll sie prüfen, ob die in Südtiroler Ärztekammer Ärzte oder Zahnärzte eingeschrieben sind, die kein Italienisch sprechen.
Und genau hier wurde man fündig. Unter anderem bei Thomas Müller. „Ich spreche kaum Italienisch“; bestätigt der Bozner Primar , „habe das aber weder vor der Ärztekammer noch vor meinem Arbeitgeber verheimlicht“.
 

Müllers Stellungnahme

 
Thomas Müller hat salto.bz schriftlich seine persönliche Situation offen und klar dargelegt. Müllers Stellungnahme:
 
„Das Gesundheitsministerium in Rom hat 2017 meine in Österreich erworbenen Berufstitel anerkannt. In dem diesbezüglichen Schreiben wird unter anderem folgendes ausgeführt: „Il Sig. Thomas Müller e autorizzato ad esercitare in Italia la professione di medico chirurgo previa iscrizione all’Ordine professionale dei medici chirurghi e degli odontoiatri territorialmente competente che, ai sensi di quando previsto dall’art. 7 del d.lgs. 206/2007 e s.m., provvede ad accertare il possesso, da parte dell’ interessata, delle conoscenze linguistiche necessarie per lo svolgimento della professione ed informa questo Dicastero della avvenuta iscrizione.” 
 
 
Auf Basis des genannten Anerkennungsdekretes wurde ich dann auch Ende 2017 in die Ärztekammer der Provinz Bozen aufgenommen. Ich hatte hierbei alle notwendigen Unterlagen für nicht italienische Staatsbürger zur Einschreibung in die Ärztekammer einzureichen und die entsprechenden Gebühren einzuzahlen.
So wie oben bereits ausgeführt, ist im Gesetzestext dall’art. 7 del d.lgs. 206/2007 e s.m. ohne direkte Bezugnahme auf eine bestimmte Sprache festgesetzt, dass man über die für die Ausübung des Berufes erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen muss. (Lediglich in art. 1-bis. wird im Hinblick auf die italienische Sprache sinngemäß spezifiziert, dass wenn sich der Beruf auf die Patientensicherheit auswirkt, die zuständigen Behörden die Kenntnis der italienischen Sprache überprüfen müssen.)
 
Zu einer Überprüfung meiner Italienisch-Kenntnisse wurde ich vor meinem Dienstantritt im Krankenhaus Bozen nicht von der Ärztekammer eingeladen.
Ich darf nun feststellen, dass ich im Jahr 2017 gegenüber der Ärztekammer nie behauptet habe, Italienisch zu sprechen. Ganz im Gegenteil, ich habe gegenüber der Ärztekammer bei allen Gelegenheiten vor meinem Dienstantritt im Krankenhaus Bozen am 01.03.2018 immer wieder explizit betont, dass ich kein Italienisch spreche, sondern ich mir erst Basiskenntnisse der italienischen Sprache in angemessener Zeit aneignen muss. Zu einer Überprüfung meiner Italienisch-Kenntnisse wurde ich vor meinem Dienstantritt im Krankenhaus Bozen nicht von der Ärztekammer eingeladen.
Ich übe jedenfalls meinen Beruf als ärztlicher Direktor des Zentrallabors im Krankenhaus Bozen seit 01.03.2018 aus. Obwohl ich, derzeit nur schlecht Italienisch spreche, komme ich allen beruflichen Verpflichtungen nach. Meine Aufgabe ist die Führung des Zentrallabors und ich kann darauf verweisen, dass ich im letzten Jahr alle vorgegebenen Ziele erreicht habe und mich auch mit meinen Mitarbeitern im Labor gut verständigen kann. Auch der Kontakt zu allen anderen Organisationseinheiten des Südtiroler Sanitätsbetriebes und zum niedergelassenen Bereich funktioniert seit dem 01.03.2018 friktionsfrei.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, dass die Realität in Südtirol (im Sanitätsbetrieb und auch außerhalb) eine zweisprachige ist – dies ist natürlich in anderen Teilen Italiens nicht so. Daher erlauben Sie mir die Feststellung, dass die Kombination aus meinen Deutsch-, Englisch- und Italienisch-Kenntnissen jedenfalls dazu führt, dass ich im Arbeitsalltag – wie im Gesetzestext dall’art. 7 del d.lgs. 206/2007 e s.m. ausgeführt – über die für die Ausübung des Berufes als Direktor des Zentrallabors im Krankenhaus Bozen erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge. Da ich in meiner Funktion als Direktor des Zentrallabors de facto keinen Patientenkontakt habe – weil ich als Labormediziner auch nicht direkt in den Behandlungsprozess eingebunden bin – ergibt sich folglich in meinem speziellen Fall, dass eine Überprüfung der Kenntnisse der italienischen Sprache durch die Ärztekammer meines Erachtens gar nicht zwingend notwendig erscheint.
Erlauben Sie mir die Feststellung, dass die Kombination aus meinen Deutsch-, Englisch- und Italienisch-Kenntnissen jedenfalls dazu führt, dass ich im Arbeitsalltag über die für die Ausübung des Berufes als Direktor des Zentrallabors im Krankenhaus Bozen erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge.
Ich weiß natürlich, dass mein Italienisch verbessert werden sollte, aber ich arbeite daran. Mein Hauptziel war zunächst, das (passive) Verständnis der italienischen Sprache im Kontext der Labormedizin voranzutreiben. Nachfolgend möchte ich graduell mein Italienisch so weit vertiefen, um nach angemessener Zeit auch aktiv Italienisch sprechen zu können. Dies ist das Programm, welches ich in Zukunft absolvieren möchte. “
 

Versagen der Ärztekammer

 
Anhand Müllers Stellungnahme wird klar: Die Hauptschuld an der jetzt eskalierten Situation trägt die Südtiroler Ärztekammer.
Denn die gesetzliche Regelung ist eindeutig: Ein ausländischer Mediziner, der sich in eine italienische Ärztekammer einträgt, muss der Landessprache mächtig sein. Laut Gesetzgeber ist die Ärztekammer dafür zuständig, diese sprachlichen Fähigkeiten vor der Einschreibung zu prüfen. Dieselben Regelungen gelten zum Beispiel auch in Österreich und Deutschland.
Während aber viele regionale italienische Ärztekammern seit Jahren eine eigene Prüfungskommission und eine klare Prüfungsordnung für diese Sprachprüfungen eingerichtet haben, hat man in Südtirol bisher anscheinend nichts getan. Wie auch der Fall Thomas Müller deutlich macht.
 
 
Weil in der Südtiroler Sanität zum größten Teil Deutsch gesprochen wird (mit Ausnahme des Krankenhauses Bozen) und es zudem an den Südtiroler Krankenhäusern zahlreiche italienische Ärzte gibt, die kein Wort Deutsch können, begegnete die Ärztekammer der Problematik bisher im laissez-faire-Stil.
Das Problem dabei: Jeder Arzt, der in die Südtiroler Ärztekammer eingetragen ist, ist damit auch berechtigt überall in Italien seinen Beruf auszuüben. Dass die mangelnde Italienischkenntnisse in Mailand, Rom oder Palermo eines Krankenhausarztes aber zu ernsthaften Problemen führen könnten, kann selbst Sven Knoll nicht abstreiten.
Nachdem der oberste Beamte der Südtiroler Sanität das Gesundheitsministerium unfreiwillig auf diesen Missstand aufmerksam gemacht hat, muss Rom tätig werden. Daran wird auch das Rechtsgutachten wenig ändern, das Landesrat Thomas Widmann der Ärztekammer übermittelt hat.
Das Gutachten, das salto.bz in Auszügen vorliegt, versucht mit Verweis auf die Südtiroler Autonomiebestimmungen eine Situation rechtlich zu sanieren, die für jeden Staat unhaltbar ist. 
Nimmt man das Rechtsgutachten des Landes ernst, könnte man in Zukunft genauso Richter einstellen, die kein Italienisch sprechen.
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Mensch Ärgerdi… Mi., 05.06.2019 - 11:54

"Nimmt man das Rechtsgutachten des Landes ernst, könnte man in Zukunft genauso Richter einstellen, die kein Italienisch sprechen."
So ein Schmarren!
Man kann doch nicht ernsthaft die Tätigkeit eines leitenden Arztes im Labor mit der eines Richters vergleichen. Nach Jahre langer Berichterstattung aus den Gerichten Südtirols, müsste das für Franceschini doch offensichtlich sein.

Mi., 05.06.2019 - 11:54 Permalink
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pérvasion Mi., 05.06.2019 - 13:43

Ich finde den Tenor dieses Artikels eine Frechheit. Dem Autor scheinen die besonderen Bedürfnisse Südtirols wurscht zu sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Mi., 05.06.2019 - 13:43 Permalink
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Manfred Klotz Do., 06.06.2019 - 08:21

Antwort auf von pérvasion

Mit Verlaub, ich finde da schon eher Ihre Betrachtungsweise eine "Frechheit". Sie können Franceschini vielleicht vorwerfen hie und da nicht das richtige Wort gewählt zu haben - wobei sich künstlich über den Begriff "Posse" zu echauffieren mich schmunzeln lässt - aber sachlich hat er absolut recht, ohne hier den leidigen Disput über die Frage breit treten zu wollen, ob bei einem Arzt nicht eigentlich das Fachwissen mehr gelten als seine sprachlichen Fähigkeiten (was ich im Prinzip glaube, aber meine Meinung ist gegenüber den gesetzlichen Regelungen nicht maßgeblich).

Do., 06.06.2019 - 08:21 Permalink
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u* peter Do., 06.06.2019 - 09:42

Antwort auf von Manfred Klotz

"ob bei einem Arzt nicht eigentlich das Fachwissen mehr gelten als seine sprachlichen Fähigkeiten" ... wenn man diesen gedanken fortführt kann man das auf sämtliche bereiche ausweiten, justiz, polizei, post, öffentliche ämter... ihrer aussage nach könnte man unser recht auf zweisprachigkeit gleich komplett abschaffen, zählt ja nur die kompetenz, nicht die sprachkenntnisse?

ich glaube die eigentliche kritik von pervasion rührt daher, dass rein auf deutsche einsprachigkeit kontrolliert und sanktioniert wird, bei reiner italienischen einsprachigkeit drückt man beide augen zu und leute wie herr franceschini, bzw. sie versuchen dies zu legitimieren, bzw. halten (berechtigte) kritik daran für fehl am platz?

Do., 06.06.2019 - 09:42 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 05.06.2019 - 16:04

Hier geht es anscheinend nur um die Eintragungspraxis bei der Ärztekammer.
Wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, dass dieser Chefarzt vom Sanitätsbetrieb überhaupt angestellt werden konnte ohne nachgewiesene Zweisprachigkeit? Jahrzehntelang hat man für jede Kindergartenköchin und Putzfrau - um nur bei den untersten zu bleiben - einen Zweisprachigkeitsnachweis verlangt und dadurch viel Unverständnis und Ummut erzeugt. (Auch ein Grund, warum viele Italiener rechts wählten!) und jetzt verlangt man nicht einmal mehr von einem Primar die Kenntnis beider Sprachen?! Und dies unabhängig davon, ob er im Labor mit Patienten zu tun hat. Alle, denen er vorsteht, mussten diese Kenntnisse nachweisen, um aufgenommen zu werden.
Ein anderes Thema ist, dass es im KH Ärzte und Personal gibt, welche die formellen Voraussetzungen zwar haben, aber nie ein Wort deutsch sprechen!

Mi., 05.06.2019 - 16:04 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mi., 05.06.2019 - 20:33

Antwort auf von Sepp.Bacher

Das mit der Zweisprachigkeit wird nicht mehr so genau genommen, solange der Arzt-Pfleger-usw die offizielle Staatssprache beherrscht.
Andersrum wird es schon etwas schwieriger.
Wenn die deutschsprachigen Südtiroler auf italienisch angesprochen werden, antwortet ein grosser Teil halt auf italienisch, und basta.
Andersrum wird Urzi angerufen, und der Casino nimmt seinen Lauf.

Mi., 05.06.2019 - 20:33 Permalink