Gesellschaft | Landesbedienstete

Atombombe aus Rom

Das Verfassungsgericht hat die Personalordnung der Führungskräfte in einem zentralen Bereich als verfassungswidrig annulliert. Es ist ein SuperGAU für das Land.
Eros Magnago schnauft tief durch. „Wir befinden uns damit in einer sehr, sehr schwierigen Lage“, sagt der Generalsekretär der Landesregierung zu salto.bz. Der Grund: Die Folgen sind für das Land Südtirol und für die Landesverwaltung weit nachhaltiger und tiefgreifender als es den Anschein hat. „Dieses Urteil ist eine Art Zwangsjacke für uns“, sagt Magnago.
Am späten Donnerstagnachmittag wurde dem Land Südtirol ein Gerichtsurteil des Verfassungsgerichtes übermittelt, das die Wirkung einer mittleren Atombombe auf die Landesverwaltung hat.
Denn das oberste Gericht hat mit dem am Donnerstag hinterlegten Urteil 138/2019, nicht nur ein halbes Dutzend Personalgesetze des Landes für verfassungswidrig erklärt, sondern es hat auch einen Pfeiler einer seit Jahrzehnten praktizierten Praxis im Landesdienst abgetragen und für unrechtmäßig erklärt. Die Folgen des Spruchs der obersten Verfassungsrichter sind klar: Das Land Südtirol wird seine Führungsstruktur vertragsrechtlich völlig umbauen müssen.


Die umstritte Zulagen

 
Dabei ist das Problem seit langem bekannt. Es geht um die Führungszulagen der Abteilungs- und Amtdirektoren im Land.
Seit Jahrzehnten gibt es in Südtirol eine besondere Regelung. Führungskräfte erhalten für ihre Funktion Zulagen, die im Laufe der Zeit als fixes Gehaltselement in die Entlohnung der Bediensteten übergeht. Bei Amtsdirektoren sind es 5 Prozent im Jahr, bei Abteilungsdirektoren 6 Prozent. Das heißt: Spätestens nach 20 Jahren Landesdienst ist die gesamte Führungszulage in das Fixgehalt einer Führungskraft übergegangen.
Das heißt aber auch: Der oder die Bedienstete erhalten das Geld auch dann, wenn sie den Führungsauftrag nicht mehr innehaben. Zudem wirkt sich die absorbierte Führungs- und Koordinierungszulage auch auf die Rente der ehemaligen Führungskraft direkt aus.
Die Kontrollsektion des Südtiroler Rechnungshofes hat bereits 2011 in ihrem Bericht diese Praxis als nicht zulässig gebrandmarkt. Seitdem steht diese Rüge im alljährlichen Kontrollbericht des Rechungshofes über die Landesverwaltung. Trotzdem hat das Land nicht gehandelt.
Deshalb hat die Staatsanwaltschaft des regionalen Rechnungshofes 2016 Ermittlungen eingeleitet, die im Dezember 2017 zu Verurteilung von 18 ehemaligen und noch im Dienst stehenden Politikern und Spitzenbeamten des Landes zu einer Schadenersatzzahlung von insgesamt 565.576,19 Euro führten.
 
 
Allein der ehemalige Personalchef des Landes Engelbert Schaller muss demnach 182.000 Euro zurückzahlen. Der frühere Landesrat Otto Saurer soll 43.000 Euro zahlen. Verurteilt wurde auch Ex-Ressortdirektor Günther Andergassen, die ehemaligen Präsidenten des Gemeindenverbandes Franz Alber, und Arnold Schuler, sowie dessen Direktor Benedikt Galler. Ebenso die früheren Präsidenten des Wohnbauinstitutes Rosa Franzelin-Werth und Albert Pürgstaller und der Ex-Präsident des Verkehrsamtes Bozen Dado Duzzi, sowie Siegfried Gatscher inzwischen pensionierter Spitzenbeamter im Südtiroler Sanitätsbetrieb.
Laut Urteil waren zwischen 2011 und 2016 an 605 Beamte des Landes Führungs- und Koordinierungszulagen ausbezahlt worden, obwohl diese ihnen gar nicht mehr zugestanden hätten, weil sie keine Führungs- oder Koordinierungsaufträge mehr innehatten.
 

Versuchte Änderung

 
Weil die rechtliche Problematik an der Spitze der Landesverwaltung bekannt war, arbeiteten Generalsekretär Eros Magnago, Thomas Mathà und Renate von Guggenberg 2017 eine neue Personalordnung aus, die das gesamte System auf neue Füße stellt und gleichzeitig den Vorhaltungen des Rechungshofes Rechnung tragen sollte.
Doch der Vorstoß war ein klarer Eingriff in die Kompetenzen des damaligen Generaldirektors der Landesverwaltung, Hanspeter Staffler, der sich – nicht zu Unrecht - desavouiert sah. Salto.bz deckte damals den Kampf an der Beamtenspitze des Landes auf. „Unser Vorschlag hätte die gesamte Materie geregelt und das Ganze entschärft“, sagt Eros Magnago. Das Gesetz wurde in der Landesregierung auch gutheißen. „Aber nach dem Pressewirbel wurde alles gestoppt“, ärgert sich Generalsekretär Magnago noch heute vor allem über salto.bz.
 
 
Gleichzeitig machte die zuständige Landesrätin Waltraud Deeg mehrere kleine Gesetze mit denen der Stichtag für diese Zulagen-Praxis immer wieder verlängert wurde. Bis dann im Jänner 2018 per Gesetz und einer Art „authentischer Interpretation“ die gängige Praxis saniert und die verurteilten Landesbeamten gerettet werden sollten.
 

Römischer Kahlschlag

 
Doch der Rechnungshof hatte zur Klärung der Streitfrage bereits das Verfassungsgericht angerufen. Das oberste Gericht sollte die Verfassungsmäßigkeit der Südtiroler Regelung prüfen.
Genau das ist jetzt mit dem Urteil Urteil 138/2019 erfolgt. Es ist ein völliger Kahlschlag für das Südtiroler System. Denn das Verfassungsgericht hat nicht nur die in den vergangenen Jahren erlassenen Gesetze und die gesamte Zulagen-Praxis für verfassungswidrig erklärt und annulliert, es stellt mit diesem Urteil auch weitere grundsätzliche autonomiepolitische Errungenschaften und Regelungen im Personalsektor in Frage. Zudem steht im Urteil eine klare Rüge, weil das Land gesetzgeberisch in ein laufendes Gerichtsverfahren eingegriffen hat.
Vor allem aber lässt dieses Urteil dem Land in der Zukunft im Personalbereich kaum mehr autonomiepolitischen Spielraum. 
Die einzige Lösung jetzt: Man koppelt die Führungskräfte des Landes von den anderen Bediensteten ab. Und handelt einen eigenen bereichsübergreifenden Kollektivertrag aus. Dabei wird man sich am öffentlichen Dienst an den anderen Regionen oder Ländern, etwa in Trient, orientieren müssen.
 „Dieser Urteilsspruch wirft uns Jahrzehnte zurück“, sagt ein Mitglied der Landesregierung.
 

Das Urteil

 

corte_costituzionale.pdf,

 

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Hans Hanser Fr., 07.06.2019 - 11:06

Ich würde vorschlagen, dass die Betroffenen eine Demonstration veranstalten, wie ihre Betriebskollegen.
Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, Rom ist der Feind aller Südtiroler.

Fr., 07.06.2019 - 11:06 Permalink
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△rtim post Fr., 07.06.2019 - 11:11

Bis jetzt lebten wir Tiroler im Süden einigermaßen noch beruhigt. Zum Glück für uns, dachte ich immer, ist Italien zumindest keine Atommacht. Und jetzt stellt sich gar ein Urteil des Verfassungsgerichts als Atombombe heraus.
Man kann es mit dem Titel "Atombombe aus Rom", aber auch mit manch anderem im Artikel auch ein wenig untertreiben.
In der Sache und in der (formalen) Logik der Argumentation des Verfassungsgerichts könnte man (als Vernunftbegabter) auch was abgewinnen.
Das Stutzen von Privilegien für Landesbeamte auf ein erträgliches Normalmaß mag zwar eine Klatsche für vorangegangene Landesregierungen sein, weil sie es selbst nicht verstanden haben, den Übelstand abzustellen, aber eine reale Gefahr für Sonderstellung ist das wohl kaum. Eine gegen den Willen der Bevölkerung annektierte und kolonialisierte Provinz bleiben wir ja.

Fr., 07.06.2019 - 11:11 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 07.06.2019 - 11:39

Antwort auf von △rtim post

Finde ich auch.
Wenn es unsere Beamten und Politiker mit Gesetzen, die dazu anscheinend noch so schlecht gemacht sind, einzig und allein für den eigenen Nutzen übertrieben, finde ich es gut, dass es eine regulierende Hand gibt, die diesen Opportunisten die Schranken aufzeigt.

Fr., 07.06.2019 - 11:39 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Fr., 07.06.2019 - 11:27

Es war schon längst überflüssig, dass sich das Verfassungsgericht klipp und klar gegen authentische Interpretationen und sonstige bauernschlaue Lösungen in der Gesetzgebung des Landes einschaltet. Geschieht den oberschlauen und (wie aus den Artikel hervorgeht) habgierigen Beamten in den Spitzenpostionen nur recht!

Fr., 07.06.2019 - 11:27 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 07.06.2019 - 13:29

Was das für die Betroffen jetzt bedeutet, kann wohl noch niemand absehen.
In der Sache selbst wird das jetzt als un-rechtens erklärt,was ich schon seit diese Regelung eingeführt wurde immer gesagt habe.
Wie gerechtfertigt ist, dass jemand eine Führungszulage erhält, wenn er keine Führungsaufgaben mehr wahrnimmt; also keinen besonderen Stress hat und keine Risiko mehr trägt? Und dass das dann auch im Ruhestand so weitergeht - und zwar mit Steuergeldern. Meines Erachtens haben Menschen in hohen Funktionen mit überdurchschnittlichen Gehältern schon genügend Vermögen angesammelt, dass eine gewöhnliche Rente genügen würde. Ich sehe das auch bei Politikern und anderen Spitzenkräften - z. B. Bank - so: Die Rente ist nicht dazu da um sich weiter zu bereichern, sondern um in Würde den Ruhestand zu genießen!

Fr., 07.06.2019 - 13:29 Permalink
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G. P. Fr., 07.06.2019 - 19:11

Wo ist das Problem? Die Personalordnung wird sicherlich in kürzester Zeit zurechtgebogen, passend gemacht. Es geht ja schließlich um die Führungskräfte und nicht um irgendwelche "normalen" Angestellten und Arbeiter ...

Fr., 07.06.2019 - 19:11 Permalink
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G. P. Di., 11.06.2019 - 21:04

Antwort auf von G. P.

Siehe da. Ex-Senator Karl Zeller: "Es muss schnell eine Gesetzesänderung her, da einer weiteren Auszahlung der Funktionszulagen die gesetzliche Grundlage entrissen worden sei. Es braucht nun eine 'intelligente Lösung'."

Di., 11.06.2019 - 21:04 Permalink