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Lobbys statt Umweltschutz

Ein Forscherteam geht mit der Agrarpolitik der Europäischen Union hart ins Gericht: “Die EU-Landwirtschaft ist nicht zukunftsfähig.”
Landwirtschaft
Foto: Sebastian Lakner

Sie gehört zu den ältesten und finanziell bedeutendsten Politikfeldern der EU. 365 Milliarden Euro sollen für die Jahre 2021 bis 2027 für die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) zur Verfügung stehen und dafür sorgen, “dass die GAP eine zukunftsorientierte Politik bleibt”, heißt es von der EU-Kommission. Nun haben Forscher die Reformpläne der Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik analysiert – und kommen zu einem vernichtenden Ergebnis.
“Die aktuellen Reformvorschläge lassen keine Verbesserungen beim Umweltschutz erwarten”, heißt es in dem Artikel, den das Forscherteam in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht hat.

 

Nur leere Worte?

 

174 Millionen Hektar, 40 Prozent der gesamten Fläche, werden in der EU landwirtschaftlich genutzt. Die Intensivierung der Landnutzung ist laut Weltbiodiversitätsrat IPBES die Ursache Nr. 1 für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Von dieser Vielfalt hängt maßgeblich das Wohlergehen der Menschen ab.
Die Mitgliedsstaaten der Europäische Union haben sich in verschiedenen internationalen Abkommen zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zum Schutz der Biodiversität und des Klimas verpflichtet. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union ist dabei eines der wichtigsten Politikfelder, um diese internationalen Verpflichtungen umzusetzen. “Doch gerade hier ist wenig von dieser Absicht zu erkennen”, kritisiert Christian Schleyer vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck, der Teil des Forschungsteam ist.

Die Forscher haben den aktuellen Reformvorschlag der EU-Kommission zur GAP nach 2020 analysiert Dabei standen drei Fragen im Vordergrund: Ist der Reformvorschlag mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs – Sustainable Development Goals) vereinbar, reflektiert er die gesellschaftliche Diskussion über die Landwirtschaft und bringt er eine Verbesserung der GAP? Grundlage war eine umfassende Literaturstudie von ca. 450 Publikationen, die die aktuelle GAP nach Kriterien wie Effektivität, Effizienz und Relevanz bewerten. Ihr Ergebnis: Die neuen Vorschläge stellen einen klaren Rückschritt gegenüber den bisherigen Regelungen dar.

“Lobby-Interessen wiegen nicht nur schwerer als Fakten, sondern auch schwerer als der öffentliche Wille.”

“Sollte die EU es mit ihrer Verpflichtung auf die SDGs ernst meinen, müssten diese sich auch in der Landwirtschaftspolitik wiederfinden und entsprechende Indikatoren zur Erfolgsmessung definiert werden”, sagt der Ökologe Dr. Guy Pe’er vom Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Das aber sei nicht der Fall. Dabei hätte die GAP laut de Forschern das Potenzial, zur Erreichung von mindestens neun der siebzehn SDGs beizutragen. Derzeit trage sie nur zur Erreichung von zwei SDGs bei.
Die Forscher kritisieren darüber hinaus, dass die EU Instrumente erhalten wolle, die sich nachweislich als ineffizient, klima- und umweltschädlich sowie sozial ungerecht herausgestellt hätten.
Ein Beispiel sind die Direktzahlungen im Rahmen der sogenannten Säule 1 der GAP. Rund 40 Milliarden Euro (ca. 70 Prozent des GAP-Budgets) bekommen Landwirte allein auf Grundlage der bewirtschafteten Fläche. Dies führt zu einer ungleichen Förderung: 1,8 Prozent der Empfänger bekommen 32 Prozent des Geldes.
 
“Für diese 1992 provisorisch eingeführten Ausgleichszahlungen fehlt inzwischen jede wissenschaftliche Begründung”, sagt der Agrarökonom Dr. Sebastian Lakner von der Universität Göttingen. Die Direktzahlungen tragen nach Analyse der Forscher auch wenig zum Erreichen gesellschaftlicher Ziele bei. Diese Kritik ist nicht neu und wurde von der EU 2010 mit dem sogenannten “Greening” der Direktzahlungen aufgegriffen. Die entsprechenden Auflagen seien jedoch politisch aufgeweicht worden und hätten sich als weitgehend wirkungslos erwiesen, so die Forscher.

 

Viele Löcher – und Lobbys


 
Doch die EU-Kommission will an den Direktzahlungen festhalten und bietet als Reaktion auf die breite Kritik eine “Grüne Architektur” an. Diese umfasst eine Ausweitung der Kriterien der “Guten landwirtschaftlichen Praxis” sowie neue freiwillige Umweltschutzmaßnahmen in Säule 1. Außerdem wurde ein Teil des GAP-Budgets als klimafreundlich definiert. Laut den Forschern fehlen aber geeignete Maßnahmen für einen effektiven Klimaschutz.
Mit Säule 2 will die EU Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie die Entwicklung ländlicher Räume fördern. Diese Säule soll künftig jedoch erheblich gekürzt werden, obwohl ihr Volumen schon heute nur rund ein Zehntel von Säule 1 betrage.
Den Grund für die Umweltdefizite sehen die Forscher in einem unausgewogenen Reformprozess, der mächtigen Lobbyverbänden weitgehende Einflussmöglichkeiten eröffne und wichtige Akteure aus Wissenschaft und Gesellschaft ausschließe.
 
“Der EU fehlt offensichtlich der Wille, der öffentlichen Forderung nach einer nachhaltigen Landwirtschaft nachzukommen und ihre mitbeschlossenen globalen Umwelt- und Entwicklungsziele umzusetzen”, so Pe’er. “Lobby-Interessen wiegen nicht nur schwerer als Fakten, sondern auch schwerer als der öffentliche Wille.” Laut einer EU-Umfrage bescheinigen 92 Prozent der befragten Bürger und 64 Prozent der Landwirte der EU-Kommission zu wenig Engagement im Umwelt- und Klimaschutz in der GAP.

 

Eine effektive Maßnahme zur Korrektur der GAP sehen die Forscher in der Einstellung der Direktzahlungen. Stattdessen solle Säule 2 gestärkt und Maßnahmen unterstützt werden, die sich als förderlich für das Erreichen der SDGs erwiesen hätten. “So könnten beispielsweise die Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in Säule 2 viel stärker auf die Landschaftsebene ausgerichtet und gezielt betriebsübergreifende Maßnahmen gefördert werden”, ergänzt Ressourcenökonom Christian Schleyer von der Universität Innsbruck.
Eine große Chance, den Reformprozess im Sinne der Bevölkerung und der internationalen Verpflichtungen zu gestalten, sehen Pe’er und Lakner im neu gewählten EU-Parlament: “Es gibt ausreichend wissenschaftliche Evidenz darüber, was im Umweltbereich getan werden muss. Es sollte im Interesse der EU-Kommission liegen, dass Steuermittel in der Landwirtschaft effizient und zielgerichtet eingesetzt werden”, sagt Lakner. Unumgänglich hierfür sei ein echter Reformprozess, der alle betroffenen Interessengruppen gleichermaßen einbeziehe und wissenschaftliche Befunde berücksichtige.

Die finale Runde der GAP-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Europäischem Rat und EU-Parlament beginnt voraussichtlich im Herbst.

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Martin Daniel Fr., 02.08.2019 - 16:15

64 Prozent der Landwirte der EU-Kommission sehen zu wenig Engagement im Umwelt- und Klimaschutz in der GAP - wenn DAS kein Anlass zum Umsteuern ist, liebe Dorfmann und liebe EVP-ler in ganz Europa!

Fr., 02.08.2019 - 16:15 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 02.08.2019 - 17:36

"Die Mitgliedsstaaten der Europäische Union haben sich (...) zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zum Schutz der Biodiversität und des Klimas verpflichtet. (....) “Doch gerade hier ist wenig von dieser Absicht zu erkennen”, kritisiert Christian Schleyer vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck, (...)"
Eine Notiz am Rande: Ich habe noch nie von einem Forscher oder Professor der UNI-Bozen vernommen, dass sie ihr Wissen zur politischen Diskussion stellen. Wäre wohl auch an der Zeit!? Oder arbeiten sie nur für die Lobbys? bzw. dürfen sie nicht, weil der Herr der Privat-UNI, das Land, es nicht will?

Fr., 02.08.2019 - 17:36 Permalink
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Elisabeth Garber Sa., 03.08.2019 - 10:08

Schöne Aussichten (klingt leider sehr schlüssig) - die 2 reichsten Länder bzw. deren Lobby-Verbände diktieren eine ganze Staatengemeinschaft in den Ruin?!

Sa., 03.08.2019 - 10:08 Permalink