Gesellschaft | Sozialarbeit

Abgang der Gründerin

Die Geschäftsführerin der EOS-Gruppe, Barbara Pizzinini, hat ihr Amt jetzt abgeben müssen. Der Grund: die finanzielle Schieflage der Sozialgenossenschaft.
Pizzinini Barbara
Foto: Stefanie Arend
Barbara Pizzinini ist kein Mensch, der lange um den heißen Brei herumredet. „Ich bin es einfach müde, 80 Prozent meiner Arbeit in die Verwaltung und in die Geldbeschaffung zu stecken“, sagt die Gründerin und langjährige Geschäftsführerin der EOS-Gruppe. 
Vergangene Woche hat der Vorstand der Sozialgenossenschaft beschlossen, Barbara Pizzinini als Geschäftsführerin abzuberufen. Es ist eine einvernehmliche Trennung. Der Grund: die finanzielle Schieflage der Sozialgenossenschaft. Barbara Pizzinini scheidet aus der Genossenschaft aus. Sie will in Zukunft als Freiberuflerin arbeiten. „Meine Berufung ist die Sozialarbeit, und das wird sie auch bleiben“, meint sie zu salto.bz.
Mehr will die 49-jährige Gadertaler Sozialpädagogin derzeit nicht sagen. Pizzinini verweist auf Heiner Nicolussi-Leck, den Präsidenten der Sozialgenossenschaft EOS. „Wir haben uns in aller Freundschaft getrennt“, sagt Nicolussi-Leck, „es ist Zeit für eine Veränderung“. Nicolussi geht davon aus, dass Barbara Pizzinini auch in Zukunft bei und in verschiedenen EOS-Projekten mitarbeiten wird.
Denn trotz des überraschenden Abgangs ist das Kapitel EOS eine Erfolgsgeschichte, die vor allem einen Namen trägt: Barbara Pizzinini.

Die EOS

 
Die Gadertaler Hoteliertochter Barbara Pizzinini studiert in Innsbruck Sozialpädagogik, später macht sie dann einen Master in Management im Gesundheits- und Sozialwesen an der Bocconi in Mailand.
2001 gründet sie in Bruneck die Sozialgenossenschaft EOS, die sich mit einen Thema beschäftigt, dem in der Öffentlichkeit damals wenig Beachtung geschenkt wird: die psychischen und psychiatrischen Probleme junger Menschen.
Pizzininis EOS eröffnet in Bruneck die „Villa Winter“, eine sozialtherapeutische Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche. Es ist eine Einrichtung, die nicht nur im Südtiroler Sozialgefüge fehlt, sondern die von Anfang an auch regen Zuspruch erfährt. Die Nachfrage und vor allem das Bedürfnis sind so groß, dass die EOS schon bald mit der „Villa Sommer“ in Leifers ein zweites Haus in der südlichen Landeshälfte eröffnet.
Es folgen Projekte im Begleiteten Wohnen (BeWo) in Bruneck und Bozen. Dazu übernimmt man mit der Ambulanten Sozialpädagogischen Familienarbeit (ASF) im Pustertal und Wipptal auch die sozialpädagogische Betreuung in Familien und unterstützt die Jugendlichen.
 
 
Die private Initiative ergänzt dabei das öffentliche Angebot. Und schon bald wird die EOS immer größer und Pizzinini engagiert sich in anderen Sozialbereichen.
Im Lauf der Jahre baut die Gründerin die EOS-Gruppe auf. Es ist ein genossenschaftlicher Konzern auf paritätischer Basis, unter dessen Dach mehrere Genossenschaften vereint sind.
Dazu gehören das Projekt JUBE (Jugendberufshilfe) und das Arbeitsintegrationsprojekt „Jugend Arbeit Integration – JAI“, das die Tagescafés Pinta Pichl und Support in Bruneck und das "Jai-Kafe" in Bozen führt und zudem eine Arbeitvermittlung für junge Menschen mit Problemen in den Bereichen Hausmeister, Gastronomie, Handel und Reinigungsdienst anbietet.
Heute hat die EOS-Gruppe über 100 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von rund 7 Millionen Euro.
 

Haus in Rentsch

 
2016 folgt dann der Qualitätssprung. Die Raiffeisenbank stellt der EOS Gruppe einen ehemaligen Sitz in Bozen Rentsch für Projekte im psychosozialen Bereich zur Verfügung. Zu diesem Zweck wird das Haus umgebaut und renoviert. Dort findet sich seit 2017 auch der Sitz EOS-Gruppe. Gleichzeitig weitet man das Angebot deutlich aus, indem man die Genossenschaft in verschiedene neue Sparten aufteilt.So betreibt die EOS Gesundheit in Rentsch ein multidisziplinäres Zentrum für Beratung, Diagnose und Therapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Die EOS Akademie umfasst die Tätigkeit der Entwicklung und Umsetzung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen.
Der EOS Service bietet Beratung und Dienstleistungen für im sozialen Bereich tätige Vereine an. Ebenso hat die Europäische Allianz gegen Depression (EAAD)  ihren Sitz im Haus.
 
 
Barbara Pizzinini gelingt es, für diese Projekte mit Ulrich Seitz einen Spitzenbeamten aus dem Gesundheitsassessorat abzuwerben und bei der EOS anzustellen.
Seit 2014 ist die EOS zudem Eigentümerin des Burgerhofes in Prags. Der Bergbauernhof mit 9 ha Wiesen und 37 ha Wald wird in Kooperation mit dem Schulverbund Pustertal in einen besonderern Lebens- und Lernort für Kinder und Jugendliche, für Familien und für Erwachsene umgebaut. Im Herbst 2018 starten dort vielfältige Projekte.
Das Gesicht und der Kopf der EOS ist und bleibt dabei Barbara Pizzinini. 2017 wird sie von der Tageszeitung Dolomiten deshalb auch zur „Managerin des Jahres“ gewählt.
 

Die Flüchtlingshilfe

 
2017 steigt die EOS aber auch in die Flüchtlingshilfe ein. Man gründet das Sozialunternehmen SPES, das die Führung der Flüchtlingshäuser in der Schenoni-Kaserne in Brixen und im ehemaligen "Hotel Panorama" in Welschnofen SPES übernimmt.
Doch nach eineinhalb Jahren ist hier Schluss. Mit 1. November 2018 legt die SPES die Führung nieder und übergibt die beiden Häuser dem italienischen Roten Kreuz. Der Grund: EOS versuchte, in den Flüchtlingsheimen echte Integrationsarbeit zu leisten. Doch die daraus entstandenen Kosten waren nicht mehr tragbar. Nachdem ein finanzielles Loch von rund 150.000 Euro entstanden war, musste Barbara Pizzinini die Reißleine ziehen. 
Es ist das erste öffentliche Anzeichen dafür, dass die Sozialgenossenschaft finanzielle Probleme hat. Diese Schwierigkeiten sind es dann auch, die jetzt letztlich zum Abgang der Gründerin geführt haben.
 

Die Trennung

 
Barbara Pizzinini ist – wie sie selbst sagt – eine leidenschaftliche Sozialarbeiterin. Sie hat es geschafft, über die Jahre hinweg vor allem durch private Förderer für ihre Arbeit Geldmittel zu beschaffen.  Je größer die EOS-Gruppe aber wurde, desto abhängiger wurde die Genossenschaft von der öffentlichen Hand. Gerade hier aber gab es ernsthafte Probleme.
So etwa hat das Land in der Flüchtlingshilfe finanzielle Zusagen am Ende nicht eingehalten. Vor allem aber gab es mit dem Sanitätsbetrieb Südtirol seit Jahren einen Konflikt. Der Grund: Ein Großteil der Führungsriege sah und sieht das private Engagement der EOS im psychiatrischen Bereich äußerst kritisch. Mehrmals hat der Sanitätsbetrieb der Genossenschaft ernsthafte Probleme bereitet. Etwa als die EOS ehemalige Mitarbeiter übernehmen wollte.
Der Sanitätsbetrieb hat Barbara in den vergangenen Jahren im wahrsten Sinne des Worte gegängelt und zudem finanziell an der kurzen Leine gehalten“, sagt ein Mitglied des EOS-Vorstandes zur Entlastung der Geschäftsführerin.
Der Verwaltungsrat der Genossenschaft hat Barbara Pizzinini mehrmals gedrängt, einen lückenlosen finanziellen Überblick über alle EOS-Genossenschaften und Projekte zu geben. Doch dazu ist es lange nicht gekommen. Als man endlich den finanziellen Überblick hatte, wurde klar, dass gewisse Projekte nicht mehr finanzierbar sind.
 
 
So etwa trennte man sich im Frühjahr auch von Ulrich Seitz. "Ich habe im Frühjahr 2019 ein spannendes berufliches Angebot erhalten und aus diesem Grund die EOS gebeten, meinen Anstellungsvertrag unter Einhaltung der regulären Kündigungsfrist zu beenden", sagt  Ulrich Seitz zu salto.bz.  Er widerspricht damit energisch der Lesart, dass sein Abgang mit dem finanziellen Engpass in der EOS zu tun habe. Seitz: "Es gab und gibt keinerlei weitere Gründe für meinen beruflichen Wechsel." Ulrich Seitz leitet seit Mai 2019 das neue Dienstleistungszentrums für das Ehrenamt, das vom Land als Plattform von allen Südtiroler Verbänden und Vereinen geschaffen wurde.
Die einvernehmliche Trennung von Barbara Pizzinini ist jetzt der nächste Schritt in Richtung Konsolidierung. „Die finanzielle Lage ist nicht bedrohlich“, sagt ein Mitglied des EOS-Verwaltungsrates, „aber wir mussten etwas tun“.  
Nach 16 Jahren geht damit die Ära Pizzinini in der EOS zu Ende. Für die Gadertaler Sozialpädagogin ist es trotzdem eine Erfolgsgeschichte. Denn sie und ihre Mitstreiter haben aus dem Nichts über ein Dutzend Strukturen in Südtirol aufgebaut, die heute kaum mehr wegzudenken sind.
Ich habe noch Kraft und Ideen für neue Sachen“, sagt Pizzinini jetzt beim Abschied von ihrem Kind EOS. Sie sagt es mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
 

Update

 
Kurz nach Erscheinen des Artikel ging in der Redaktion untenstehende Pressemitteilung ein: