Politik | Wir und unsere Nachbarn

Alemagna Light

Die Alemagna ist tot. Es lebe die Alemagna. Oder so: Die Alemagna Autobahngesellschaft hat aufgegeben und trotzdem liegt die Alemagna in einer Lite Version wieder auf dem Tisch - in Form eines Tunnels zwischen Comelico Superiore und Kartitsch, geschätzte 4km vorbei an Südtirol.

Osttirol, das wissen wir, gehört schon rein geographisch zu den benachteiligten Gegenden, politisch eher noch mehr. Dem Comelico Superiore, das wissen wohl schon weniger hierzulande, geht auch nicht viel besser, ist es uns wohl höchstens wegen der Zukunftspläne des Sextner Skizirkus‘  bekannt. Dem aufmerksamen Leser dürfte es nicht entgangen sein, dass Osttirol und der Nordosten Bellunos zaghaft das gegenseitige Interesse zu entdecken beginnen, mit bescheidenstem Budget und fast niedlichen Mini-Projekten. Cadorische Ritterspiele in Leisach oder ein Schüleraustauschcampus zwischen Sappada/Plodn und Villgraten zeugen von gegenseitiger Neugierde und von Abwesenheit eines Fondo Odi.  

Auch wissen wir, wie Osttirol durch die zeitweilige Sperrung seiner nördlichen Lebensader, des Felbertauerntunnels, gelitten hatte. Kein Wunder, ist der Felbertauerntunnel doch nicht nur Verbindung zum nachbarlichen Pinzgau, sondern erschließt über Gerlos, Thurn und Zell auch Zillertal, Kitzbühel und Salzburg und somit den bairischen Wirtschaftsraum. Alternative Ausweichrouten sind unattraktiv. Wer will schon über den Großglockner oder durchs Pustertal nach München? So war es eine Frage des Anstands, dass Innsbruck Mittel für eine neue Straßenführung flott locker gemacht hat. 

Tolmezzo lässt sich von Lienz aus mit dem Auto in einer guten Stunde über den Plöckenpass erreichen -  unter sommerlichen Idealbedingungen versteht sich. In herbstlichen Nationalratsvorwahlzeiten denkt die ÖVP da auch über dessen Untertunnelung nach.  

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn das zaghafte Zusammenrücken der Menschen beidseitig der „Karnischen Dolomiten“ auch mit einem Tunnelbau ins Bellunesische gefördert und gekrönt würde. Tatsächlich, wie Forum Bruneck  berichtet, geht die Forderung nach der Untertunnelung der Großen Kinigat (2689m, auf der bellunesischen Seite als Monte Cavallino bekannt) durch die Presse – und zwar von der italienischen Seite. Da verliert sich der Charme vom träumerischen Wunschdenken zweier benachteiligter Regionen, die mit einem kleinen Mauttunnel das Comelico mit dem osttiroler Gailtal verbinden möchten. Vielmehr stehen plötzlich handfeste Wirtschaftsinteressen im Vordergrund und zwar die, des nach Bayern orientierten und nach Freiheit strebenden Wirtschaftszentrums um Venedig.  

Eine Mautstraßenlösung alà Felbertauern ist vielleicht ein vernünftiger Kompromiss zwischen Status Quo und durchgehender Autobahn A27, klingt es doch nach lokal-nachbarschaftlicher Verbindung denn nach internationalem Transit. Aber doch, hört man die ersten Stimmen, die sich darüber freuen, dass man von Venedig nach München in nur vier Stunden donnern können wird, erscheinen die Dinge in einem anderen Licht. Veneziens erster Grenzübergang ins direkte Ausland, ohne Umweg über Friaul oder Südtirol nehmen zu müssen. Immerhin kennen wir die Belluneser Autonomisten als treue Alemagnagegner, die moderate Erschließung der Täler Großprojekten vorziehen – und das Höhlensteintal eisenbahntechnisch erschließen wollen, also einen Zug zwischen Toblach und Cortina und weiter über Feltre ins Valsugana propagieren. 

Da wird es viel Gelegenheit geben für uns Südtiroler, überregionale Verantwortung zu übernehmen: Wollen wir den venezianischen Kulturfreunden den Traum einer eigenen Münchenstrecke verweigern? Wollen wir Osttirols verkehrstechnische Öffnung nach Süden fördern oder verhindern? Ist uns das Näherkommen unserer bellunesischen Nachbarn ein ökologisches Opfer im Höhlensteintal wert? Freuen wir uns über die uns geographisch nicht mehr berührende Transittangente zwischen unseren Nachbarn, oder wären wir doch lieber am Nabel des Geschehens und wollten die Osttiroler und Belluneser etwas mehr an uns binden?  

Das kann man vielfältig und kontrovers diskutieren. Nur fürchte ich, wir verhalten uns wie immer: Nachdem nun endlich eine Trassenführung gefunden wurde, die nicht durch südtiroler Hoheitsgebiet verläuft, kümmern wir uns einfach nicht darum und freuen uns insgeheim, dass die Brennerachse entlastet wird! Die Themen des Landtagswahlkampfs lassen es mich vermuten.