Chronik | Verwaltungsgericht

Chaotische Zustände

Rund um den Flughafen-Rekurs spielt sich ein peinlicher juristischer Eiertanz ab, der nachhaltige Folgen für Südtirols Verwaltungsgerichtsbarkeit haben könnte.
Verwaltungsgericht
Foto: Othmar Seehauser
Renate Holzeisen ist Wirtschaftsberaterin, Rechtsanwältin und politische Aktivistin für das Team Köllensperger. „Wir werden wenn nötig eine Strafanzeigen einreichen, denn diese Vorgänge am Bozner Verwaltungsgericht sind skandalös“, sagt die Anwältin zu salto.bz.
Es geht um einen Fall am Bozner Verwaltungsgericht: Den Rekurs von fast 500 Bürgerinnen und Bürgern gegen den Verkauf des Bozner Flughafens an die private Bietergemeinschaft  Gostner/Haselsteiner/Benko. 
Schaut man sich an, was in diesem Verfahren bisher passiert ist, so tut man sich – selbst als neutraler Beobachter – schwer, das harte Urteil von Holzeisen von der Hand zu weisen. Die Zustände am Bozner Verwaltungsgericht ähneln in diesem Fall eher an einen juristischen Eiertanz als an ein normales Gerichtsverfahren.
Vor allem aber zeichnet sich schon jetzt ein neuer Gerichtsstreit ab, der für die Südtiroler Verwaltungsgerichtsbarkeit nachhaltige Folgen haben könnte.
 

Die Befangenheit


Salto.bz hat die Vorgeschichte bereits ausführlich dargestellt. Die damalige Präsidentin des Verwaltungsgerichtes Edith Engl fühlt sich durch einen Schriftsatz von Renate Holzeisen verleumdet. In dem Schriftsatz hatten Holzeisen und ihre römische Kollegin Michela Reggio d’Aci auf zum Teil mutmaßliche, zum Teil vom Staatsrat bestätigte prozessrechtliche Fehler und Unterlassungen vonseiten des Richtersenates hingewiesen.
Im Urteil verfügte der Richtersenat im Frühjahr 2018 die Weiterleitung dieses Schriftsatzes an die Staatsanwaltschaft Bozen, mit der Aufforderung, gegen Holzeisen strafrechtlich wegen Verleumdung vorzugehen. Zudem machte Edith Engl eine Eingabe gegen Holzeisen bei der Rechtsanwaltskammer Bozen. Es ist eine Aktion, die man als bisher einmalig in der Südtiroler Justizgeschichte betrachten kann.
 
 
Nach Vorermittlungen forderte die Staatsanwaltschaft Bozen die Archivierung der Anzeige gegen Renate Holzeisen, „weil die Straftat nicht bestehe“. Dagegen legten im September 2018 die Richter Edith Engl, Terenzio Del Gaudio, Michele Menestrina und Lorenza Pantozzi Lerjefors Berufung ein. Am 5. Juni 2019 fand die Verhandlung vor Vorerhebungsrichter Walter Pelino statt. Das Urteil steht derzeit noch aus.
Weil mit Edith Engl und Michele Menestrina zwei dieser Richter jetzt auch im Senat sitzen, der den Flughafen-Rekurs verhandelt, reichten Renate Holzeisen und Michela Reggio d’Aci am vergangenen Freitag einen Antrag ein, diese beiden Richter wegen Befangenheit zu ersetzen.
 

„Augenscheinlich unbegründet“

 
In der Verwaltungsgerichtsbarkeit werden die Bestimmungen der Zivilprozessordnung angewandt. Dort gibt es eine ganze Reihe möglicher Gründe, einen Richter wegen Befangenheit abzulehnen.
Darunter zwei Punkte, die auf diesen Fall zuzutreffen scheinen:
 
  • wenn ein Verfahren zwischen einem Richter und einer Prozesspartei oder ihrem Anwalt anhängig ist;
  • wegen schwerwiegender Feindschaft ("inimicizia grave") zwischen einem Richter und einer Prozesspartei oder ihrem Anwalt;
 
Genau diese Punkte machen Holzeisen & Co in ihrem Antrag dann auch geltend.
Als man sich am Dienstag im Verhandlungssaal der Gerstburg zur Erstverhandlung im Flughafenrekurs trifft, entscheidet der vierköpfige Richtersenat zuerst über den Antrag auf Befangenheit. 
 
 
Nach kurzer Beratung wird der Antrag als nicht zulässig abgelehnt, weil er „augenscheinlich unbegründet“ (manifestamente infondata) sei. So steht es im offiziellen Verhandlungsprotokoll des Verwaltungsgerichts.  Die Nicht-Zulässigkeit wird mit der Verfügung 155/2019 des Bozner Verwaltungsgerichts begründet, mit der man bereits einen gleichlautenden Befangenheitsantrag im Juni 2019 zurückgewiesen hat. 

 

„Nicht feindselig“

 

 
Es geht dabei um ein völlig anderes Verfahren, in dem ein Beschluss der Landesregierung vor dem Verwaltungsgericht angefochten wurde. Auch in diesem Fall war Renate Holzeisen Anwältin der Kläger. Weil damals im Richtersenat gleich drei der vier Richter saßen, die vor dem Landesgericht die Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie verlangen, reichte Holzeisen Anträge auf Befangenheit ein.
Mit der Verfügung 155/2019 wurden diese Anträge mit einer sehr gewagten Begründung abgewiesen:
 
  • es gebe keinerlei Feindseligkeit gegenüber Holzeisen, sondern die Klage sei eine Amtspflicht, um das Ansehen des Verwaltungsgerichtes zu schützen.
  • Das Verfahren sei in einem Stadium, in dem es noch nicht – wie vom Gesetz beschrieben – eine „causa“ sei.
  • Vor allem aber hätten die vier Richter ihren Antrag gegen die Archivierung des Strafverfahrens nicht persönlich, sondern als Richterkollegium - also als Institution - gestellt. Das gehe aus einem Gutachten der Staatsadvokatur hervor. Sozusagen: Eine Amtshandlung, bei der eine Befangenheit nicht greife.
 
Salto.bz hat die Verfügung mehreren Verwaltungsrechtlern vorgelegt. Ihre Reaktion: Ein allgemeines Schmunzeln.
 
 
Denn selbst die Schriftsätze im Verfahren widerlegen diese Argumentation. So ist ausgerechnet in einem Schreiben der „Avvocatura Generale dello Stato“ von „den Richtern Edith Engl, Terenzio Del Gaudio, Lorenza Pantozzi Lerjefors und Michele Menesterina als geschädigte Personen im  Strafverfahren Nr 813/2018“ die Rede. Allein diese Satz sagt genau das Gegenteil der Verfügung.
Die Staatsadvokatur hat nur bestätigt, dass das Strafverfahren im Zusammenhang mit der öffentlichen Funktion der Richter steht und diese damit auf die Verteidigung des Staates zurückgreifen müssen. Der Vorteil: Die vier Richter brauchen für ihre Berufung am Landesgericht keinen Anwalt aus eigener Tasche zu bezahlen.
Renate Holzeisen hat diese Verfügung damals nicht angefochten. Weil die Landesregierung den beanstandeten Beschluss im Selbstschutzweg annullierte, ist der Grund des Rekurses erloschen. Damit war es auch nicht mehr sinnvoll, gegen die Verfügung zur Befangenheit vorzugehen.
Bis man sie jetzt wieder herausgezogen hat. „Diese Begründung ist rechtlich absolut unhaltbar“, ist Renate Holzeisen überzeugt.
 

Kalte Füße

 
So ganz sicher scheint man sich in der Gerstburg damit auch nicht mehr zu sein. Denn am Donnerstag passiert etwas, was Seltenheitswert hat.
Das Verwaltungsgericht korrigiert das eigene Urteil. Nachdem die Abweisung des Befangenheitsantrages bereits im Verhandlungsprotokoll steht, im Portal der Verwaltungsgerichtsbarkeit einsehbar ist und die Medien darüber berichtet haben, korrigiert Gerichtspräsidentin Alda Dellantonio am Donnerstag den eigenen Beschluss.
 

Anscheinend hat man zu spät bemerkt, was selbst einem juristischen Laien auffallen müsste. Es geht natürlich nicht an, dass ein Richter über einen Befangenheitsantrag, der ihn betrifft, selbst entscheidet. Doch genau das ist am Dienstag passiert. Edith Engl und Michele Menesterina haben mit entschieden, dass der Befangenheitsantrag gegen sie „augenscheinlich unbegründet“ und damit unzulässig sei. Einen deutlicheren Verfahrensfehler kann man wohl kaum begehen.
Denn laut Prozessordnung muss die Gerichtspräsidentin dafür einen eigenen Senat einberufen, dem die beanstandeten Richter nicht angehören dürfen. Das holte Alda Dellantino jetzt nach.
Mit dem Dekret 151/2019 korrigiert und annulliert die Präsidentin des Verwaltungsgerichts die zwei Tage zuvor erklärte Unzulässigkeit der Befangenheitsanträge. Gleichzeitig wird ein vierköpfiger Richtersenat (Alda Dellantonio, Sarre Pirrone, Margit Falk Ebner und Stefan Beikircher) eingesetzt, der über den Befangenheitsantrag entscheidet. Die Verhandlung ist für den 8. Oktober angesetzt.
An diesem Tag feiert der bereits augenscheinlich unbegründete und unzulässige Befangenheitsantrag dann seine Wiederauferstehung. Das Team Köllensperger spricht schon jetzt in einer Aussendung von „einem unglaublichen prozeduralen Chaos am Bozner Verwaltungsgericht“.
Spätestens jetzt schwebt ein Damoklesschwert über der Entscheidung zum Flughafenverkauf. 
Wird im Nachhinein klar, dass die Richter befangen waren, sind auch die Urteile hinfällig.
 

UPDATE (am 30.09.2019)

 
Im letzten Teil des Artikels wird der Sachverhalt nicht richtig wiedergegeben. In der Verwaltungsprozessordnung heißt es:
 
4. Proposta la ricusazione, il collegio investito della controversia può disporre la prosecuzione del giudizio, se ad un sommario esame ritiene l'istanza inammissibile o manifestamente infondata.
5. In ogni caso la decisione definitiva sull'istanza è adottata, entro trenta giorni dalla sua proposizione, dal collegio previa sostituzione del magistrato ricusato, che deve essere sentito.“
 
Demnach war die Entscheidung den Rekurs als nicht zulässig und augenscheinlich unbegründet zu erklären, formal zulässig. Ebenso kann man nicht von einer Korrektur des Urteils sprechen.
Christoph Franceschini
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Felix von Wohlgemuth Do., 26.09.2019 - 20:04

Bedauerlich, dass die dringend erwartete Entscheidung über die so schon komplexe Flughafenthematik nun auch noch durch den persönlichen Konflikt zwischen Anwältinnen und RichterInnen am Verwaltungsgericht verkompliziert und verzögert wird.
Der Ernennungsmodus der Verwaltungsrichter in Bozen ist höchst problematisch, wurde aber von den Vätern und Müttern der Autonomie bewusst gewählt, da ansonsten der Staat über die Verwaltungsgerichtsbarkeit direkt und unter Umgehung des Autonomiestatutes in die Verwaltung der Provinz Bozen hätte eingreifen können. Damals wurde nicht erkannt (und wohl auch nicht für möglich gehalten), dass auch die Bevölkerung gegenüber der eigenen Verwaltung geschützt werden muss.
Eine Reform ist bitter nötig, dass Ei des Kolumbus aber leider noch nicht gefunden und ob man dieses wirklich jetzt im Zuge des Flughafenrekurses suchen sollte..naja, wir werden sehen.
Möglicherweise führt das ganze dazu, dass das Verfahren am Ende vor einem provinzfremden Verwaltungsgericht abgewickelt werden muss; wann und vor allem ob dann eine Entscheidung in der Sache selbst noch zeitgerecht erfolgen kann?

Do., 26.09.2019 - 20:04 Permalink
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V M Do., 26.09.2019 - 21:53

I criteri di nomina del TAR di Bolzano sono chiaramente anticostituzionali, si tratta di un organo giurisdizionale con nomine espressamente politiche. Non so se si tratta di una garanzia per l'autonomia o di un ulteriore strumento di potere arbitrario del partito...

Do., 26.09.2019 - 21:53 Permalink