Umwelt | Pestizidverbot

„Der Malser Weg“ führt weiter

War also alles umsonst? Haben wir uns zu früh gefreut? Nein. Denn unsere Demokratie braucht solche „Gesetzesbrecher“, wie die Malser es waren.
Mals
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
Welch ein Rückschlag! Europäischer Gerichtshof und Verwaltungsgericht Bozen erklären das Pestizidverbot der Gemeinde Mals für nichtig. Die Bozner Richter bescheiden, die Gemeinde sei für solches nicht zuständig. Europa belehrt, die Volksgesundheit sei nach der allgemein, also unabhängig vom Malser Pestizidverbot gültigen Rechtslage geschützt genug. Fazit: Mehrheiten, Referendum, Beschlüsse – war alles ein Scherz. 
Bürgermeister Ulli Veith war ein armer Hans Guck in die Luft, ein luftiger Gerne-Revolutionär, ein Don Quichote. Und die Bauernbündler, die dem tapferen Bürgermeisterlein den Krieg geführt haben, freuen sich. „Weil jetzt Rechtsicherheit herrscht“, sagt Landesrat Schuler, selbst auch Kriegsgewinnler, wenn auch um eine Spur höflicher als seine grobgenagelte Kundschaft.
Bürgermeister Ulli Veith war ein armer Hans Guck in die Luft, ein luftiger Gerne-Revolutionär, ein Don Quichote. Und die Bauernbündler, die dem tapferen Bürgermeisterlein den Krieg geführt haben, freuen sich
War also alles umsonst? Haben wir uns zu früh gefreut? Ich fühle mich mit Ulli Veith ein bisschen solidarisch verurteilt. Mehr gestehend als angebend verrate ich hier: Ich habe im Sommer 2014, als das Malser Referendum an Formfehlern zu scheitern drohte, über die Regierungskommissarin erreicht, dass es doch stattfinden konnte.
Es gab die beeindruckende Beteiligung von über 70 Prozent der Malser Bevölkerung und den überwältigenden Sieg von 75 Prozent für ein pestizidfreies Mals. Es war der Aufbruch des „Malser Weges“ durch ganz Europa und darüber hinaus. Mals ist seitdem eine Marke, eine Fahne der naturnahen Landwirtschaft, weltweit bestaunt, aber angefeindet von einer kleinen, mächtigen Clique daheim, die jetzt einen Etappensieg errungen hat.
 
 
Die Urteile kamen nicht unerwartet. Wären sie deshalb vermeidbar gewesen? Nein, niemals. Die Urteile sagen viel über die Lage des Rechts, wenig bis gar nichts über die Notwendigkeit der Tat, die der Bürgermeister, sein Rat und die Mehrheit der Malser gesetzt haben. Diese wollten  ihre Gesundheit besser geschützt haben. Sie taten es auf friedliche, demokratische Weise. Jede und jeder auf seinem Platz. Die Gerichte sagen jetzt, sie waren nicht zuständig dafür. Deswegen sei alles von Anfang an ungültig. Aber war es deswegen falsch?
Mehr gestehend als angebend verrate ich hier: Ich habe im Sommer 2014, als das Malser Referendum an Formfehlern zu scheitern drohte, über die Regierungskommissarin erreicht, dass es doch stattfinden konnte. 
Es war richtig. Es war notwendig. Und es wird hilfreich gewesen sein. Die Aktivisten vom „Malser Weg“ und Bürgermeister Ulli Veith voran sind keine Phantasten. Sie stehen fest auf rechtsstaatlichem Boden und wissen: Richterliche Urteile nimmt man zur Kenntnis. Wir alle Demokraten werden ihnen aber bescheinigen: Wenn auch gesetzlich nicht ganz sauber oder genau deswegen: Der „Malser Weg“ ist ein Exempel besten zivilen Ungehorsams. Und die Demokratie, jede Demokratie braucht zivilen Ungehorsam. 
 
 
Die Malser haben auf ihrem so und so schon glorreichen „Weg“ womöglich einige Fehler gemacht. Laut Gerichtsurteil haben sie das. Aber sie haben durch ihr mutiges Vorpreschen aufgezeigt, wie erbärmlich eingeschränkt die Möglichkeit einer Gemeinde zur Selbsthilfe ist (Selbst-Hilfe, wohlgemerkt, nicht Selbstjustiz!). Ihre Bereitschaft, eine Niederlage hinzunehmen, wird die demokratische Öffentlichkeit (hoffentlich) aufrütteln. Wenn auch noch nicht juridisch, moralisch begründet ist der Alleingang der Malser auf jeden Fall.
Der „Malser Weg“ ist ein Exempel besten zivilen Ungehorsams. Und die Demokratie, jede Demokratie braucht zivilen Ungehorsam.
Es wird sich noch zeigen, sie haben mit ihrer Aktion nicht die Demokratie und nicht den Rechtsstaat unterwandert. Sie werden beides bestärkt haben. Sie haben sich um nichts anderes als um ihre Gesundheit gewehrt.
Unsere Demokratie braucht solche „Gesetzesbrecher“, wie die Malser es waren. Ohne deren Courage – für die sie vielleicht zahlen (hoffen wir, nicht!) – kommt nie Bewegung in die Gesetzeslage. Man braucht nicht Pestizidverweigerer sein, man muss nur Demokrat sein, und man kann nicht anders, als den Malsern zu gratulieren, zu danken und zu wünschen: macht weiter!

 

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Karl Trojer Fr., 11.10.2019 - 11:50

Mein Dank jenen, die den Mut aufbringen, im Rahmen demokratischer Freiheit, Gewohnheiten in Frage zu stellen, um nachhaltigere, d.h. zukunftsfähigere Wege (wie z.B. Mals) zu gehen. Sobald die südtiroler Landwirtschaft sich dafür entschieden haben wird, großräumig auf Giftstoffe zu verzichten, wird sie auch ökonomisch dazugewinnen.

Fr., 11.10.2019 - 11:50 Permalink
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Klaus Griesser Mo., 14.10.2019 - 22:06

Der Kampf der Malser geht weit über die Pestizide hinaus. Der Landesrat will es partout nicht verstehen: der Malser Weg ist ein Kampf ums Gemeinwohl, um die Gesundheit der Menschen , um die Verteidigung einer harmonischen Natur und die Herstellung einer ausgeglichenen Ökologie. Welcher Richter kann das abstreiten?

Mo., 14.10.2019 - 22:06 Permalink
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Peter Gasser Mi., 16.10.2019 - 22:48

Antwort auf von Klaus Griesser

... aber doch vor allem, solange es die Bauern in der Nachbarschaft betrifft. Oder gibt es in Mals keinen Tabak, keinen Tee, keine Baumwolle, Bananen Avocados, wird auf Lithium und Kobalt verzichtet, auf französischen Atomstrom oder Strom aus Kolumbianischer Kohle? Gibt es dort keine Waren aus China, von schwerölbetriebenen Schiffen herangekarrt, keine SUV und all das andere? ... was ist in Mals anders als überall sonst in Dörfern und Tälern?

Mi., 16.10.2019 - 22:48 Permalink
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Herta Abram Do., 17.10.2019 - 09:24

Antwort auf von Peter Gasser

P.Gasser
Sie meinen wir alle müssen Privilegien abgeben? Da stimme ich Ihnen zu.

Diese widersprüchliche Gegenwart ( - welche das kleine Mals so gut sichtbar zu machen scheint), was wird sie für die Menschen von morgen bedeuten?
Eins sollte uns allen klar sein: Ein weiters Jahrzehnt des Nichtstuns wäre eines zu viel.

Do., 17.10.2019 - 09:24 Permalink
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Sebastian Felderer Do., 17.10.2019 - 05:24

Antwort auf von Klaus Griesser

Klaus Griesser, genau um eine harmonische Natur ginge es mir in der Bioregion Obervinschgau. Das würde für die Malser Heide aber bedeuten, weg von den Beton- und Holzstangen inmitten des Gründlandes, Da macht der Bioanbau zum integrierten Anbau nämlich keinen Unterschied. Und wenn es schon Äpfel sein müssen, dann könnte es höchstens Streuobst sein. Das wäre harmonisch mit der Landschaft. Warum ist dieser Vorschlag noch nie gekommen?

Do., 17.10.2019 - 05:24 Permalink
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Klaus Griesser Do., 17.10.2019 - 15:34

Antwort auf von Sebastian Felderer

Die Bioregion Obervinschgau ist ein politisches Täuschungsmanöver. Der Malser Weg soll keineswegs auf Ausdehnung von Bio-Monokulturen abzielen sondern auf kleinteilige vielfältige Landwirtschaft, einschließlich Streuobst. Das war von Anfang an klar - Siehe Weltagrabericht!- und wurde damals auch von Hans R. Herren offen gesagt.

Do., 17.10.2019 - 15:34 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 17.10.2019 - 11:11

Gesellschaftliche Veränderungen sind immer Prozesse, die sich oft auch hinziehen.
Wenn in der Schweiz ein Volksbegehren abgelehnt wird, dann nimmt man das hin - und arbeitet weiter. Beim nächsten mal klappt es meistens.
Die Malser haben etwas ausprobiert und haben sich dabei von einer Juristen-Gruppe beraten lassen. Sie waren also nicht fahrlässig. Falls Schuler seine Ankündigung war macht, geht der Prozess auch im offiziellen Weg weiter - und das ist schon ein großer erster Erfolg!

Do., 17.10.2019 - 11:11 Permalink
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Frei Erfunden Do., 17.10.2019 - 14:19

Hoffentlich lassen sich die Malser nicht entmutigen und hoffentlich lassen sich auch andere kleinere Gemeinden auf ähnliche Projekte ein (wo bleiben die Puschtra Partnergemeinden?).
Lokal und bio (soweit möglich), diese Chance sollte Südtirol für sich nützen;
ich hoffe auch auf den Mut der Nachwuchsbauern/Innen, alternative Wege zur Monokultur und zum Bienenschlachten zu suchen.

Do., 17.10.2019 - 14:19 Permalink
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Klaus Griesser Fr., 18.10.2019 - 11:56

LR Schuler beruft sich mit seinem Kompromissvorschlag auch auf des EuGH- Urteil, scheint aber dieses nicht genau gelesen zu haben. Ich zitiere https://www.keine-gentechnik.de/nachricht/33815/ : Laut EuGH erfordert das Vorsorgeprinzip, die möglicherweise negativen Auswirkungen der einzelnen Wirkstoffe und des gesamten Pflanzenschutzmittels auf die Gesundheit zuerst zu bestimmen und dann umfassend zu bewerten „auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung“. Bei der Zulassung sei „die Berücksichtigung der Kumulations- und Synergieeffekte der Bestandteile dieses Mittels ebenfalls verpflichtend“, schreiben die Richter unter Verweis auf die entsprechenden Passagen der Verordnung. Deshalb hätten die Mitgliedstaaten „bei einer solchen Bewertung die Wechselwirkungen zwischen den Wirkstoffen, den Safenern, den Synergisten und den Beistoffen zu berücksichtigen“.
Bisher sieht die Zulassungspraxis in der EU so aus, dass auf EU-Ebene die einzelnen Wirkstoffe zugelassen werden, während die Mitgliedsstaaten für die Zulassung der damit hergestellten fertigen Pestizide zuständig sind. Damit die Mitgliedsstaaten bei einem fertigen Pestizid die Gesundheitsrisiken bewerten können, müssen auch für das fertige Produkt entsprechende Studien zur Karzinogenität und Toxizität vorliegen, schreiben die Richter – auch wenn dies in der Verordnung nicht explizit vorgeschrieben sei. Denn das fertige Mittel dürfe nur zugelassen werden, „wenn nachgewiesen ist, dass es keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat“.

Bisher seien entsprechende Studien nicht vorgelegt worden, erklärt Rechtsanwalt Guillaume Tumerelle: „Die Zulassungen für das Inverkehrbringen werden ohne langfristige Toxizitäts- und Karzinogenitätsanalyse der in Verkehr gebrachten Fertigprodukte erteilt.“ Für ihn folgt daraus, dass viele Zulassungen für Pestizide unverzüglich entzogen werden müssten. Denn die Behörden der Mitgliedsstaaten sind an die Auslegung des obersten europäischen Gerichts gebunden und müssen die Verordnung entsprechend umsetzen. Ende des Zitats.

Ich höre hinter dem EuGH-Urteil das ausstehende Gewitter zwischen der mächtigen Monsanto-"Wissenschaft"einerseits, unter deren Schutzschild auch unsere Landwirtschaftsmacher wirken, und andererseits der unabhängigen Wissenschaft, die schon seit langem immer wieder und offensichtlich immer kräftiger den chemischen Pflanzenschutz als Sackgasse für die gesamte Landwirtschaft und als Gefährdung der Gesundheit der Menschen anprangert.

Fr., 18.10.2019 - 11:56 Permalink