Chronik | Fall Kuhn

„Ich bin kein fester Umarmer“

Die Gleichbehandlungskommission hat jetzt die sexuellen Übergriffe durch Gustav Kuhn vollinhaltlich bestätigt. Ein Entlastungsversuch aus Südtirol ging dabei ins Leere.
kuhn_gustav.jpg
Foto: Haydn Orchester
Manchmal wäre es besser, wenn Politiker und Politikerinnen nachdenken würden, bevor sie etwas sagen. 
Beate Palfrader hatte vergangenen Freitag so einen Tag. „Entschuldigen muss sich der, der es getan hat“, meinte die Tiroler ÖVP-Politikerin, Tiroler Landesrätin für Kultur und Mitglied des Stiftungsvorstandes der Tiroler Festspiele Erl gegenüber der APA.
Der Satz ist ein Schlag ins Gesicht von fünf Frauen, die seit rund eineinhalb Jahren einen beruflichen und privaten Spießrutenlauf erleben müssen. Mona Somm, Manuela Dumfart, Bettine Kampp, Ninela Lamaj und Julia Oesch hatten im Juli 2018 öffentlich und mit Namen und Gesicht von sexuellen Übergriffen, Belästigungen und Schikanen durch den Maestro und langjährigen Leiter der Tiroler Festspiele Erl berichtet. Wochen zuvor hatte der Tiroler Blogger Markus Wilhelm den Fall ins Rollen gebracht.
Neben Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck wurde auf Antrag der Stiftung Tiroler Festspiele Erl die Gleichbehandlungskommission des österreichischen Bundeskanzleramtes mit den schwerwiegenden Vorwürfen gegen Gustav Kuhn befasst. Jetzt wurde das Ergebnis dieser Untersuchungen bekannt. Demnach hat die unabhängige Kommission in allen fünf von ihr untersuchten und geprüften Fällen in fünf separaten Gutachten zweifelsfrei „sexuelle Belästigungen“ durch den Gründer und langjährigen Leiter Gustav Kuhn festgestellt.
 
 
Am vergangenen Freitag schrieben die fünf Künstlerinnen deshalb einen offenen Brief an den Stiftungsrat von Erl, den Festspielpräsidenten Hanspeter Haselsteiner und Kulturlandesrätin Palfrader.
Darin heißt es:
 
Daher erwarten wir uns von Ihrer Seite, von Seiten der Tiroler Festspiele Erl Privatstiftung sowie von der Tiroler Festspiele Erl Betriebsges.m.b.H als deren operativen Organ, für den in Ihrem Unternehmen stattgefundenen und von Ihnen über Jahre geduldeten Machtmissbrauch Ihres Intendanten eine öffentliche Entschuldigung in jener Form, in der unsere Reputation als Künstlerinnen wiederhergestellt und unsere Würde als Frauen respektiert wird.“
 
Beate Palfrader bedauerte gegenüber der APA die Vorfälle zwar, eine öffentliche Entschuldigung lässt sich die Kulturlandesrätin aber nicht abringen.
Es ist eine Armutszeugnis, wenn man sich anschaut, was im Prüfbericht der Gleichbehandlungskommission zum Vorschein kommt.
 

Die Schilderungen

 
Die Gleichstellungskommission untersuchte den Fall über ein Jahr lang. Dabei wurden alle Beteiligten oder Beschuldigten vom Senat angehört und ihnen wurde breiter Raum gegeben ihre Version der Fakten darzulegen.
Die Künstlerinnen schilderten – wie bereits vor Gericht – detailliert die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen, die sie von und mit Gustav Kuhn erleiden müssten.
So heißt es in einem der fünf Gutachten:
 
„Es sei vorerst ein gewöhnlicher Abstand zwischen ihnen auf dem Sofa gewesen und ihre Körper haben sich nicht berührt. Herr Prof. Dr. Kuhn habe dann auf einmal gesagt: „Wir sitzen ja da wie Brüderchen und Schwesterchen“, woraufhin ihr die Situation sehr unangenehm geworden sei. ...(...)...Plötzlich und ohne jede Vorwarnung habe ihr Herr Prof. Dr. Kuhn sehr fest mit seiner Hand zwischen die Beine auf den Intimbereich gegriffen, und zwar wirklich auf die Scham. Alles sei wahnsinnig schnell gegangen und sie sei sofort aufgestanden. Daraufhin sei er ihr nachgegangen, habe sie umarmt und ihr mit einer Hand unter den Pullover auf ihren BH/die Brust gegriffen. Im selben Moment habe er versucht sie zu küssen, seine Lippen berührten eine Sekunde lang ihre Lippen.“
 
 
Die Künstlerin schildert weiters, dass Gustav Kuhn sie ab diesem Tag bei den Proben schikaniert habe. Plötzlich sei ihr Gesang schlecht und die gesamte Stimmung völlig verändert gewesen. Am Abend nach dem Essen hätte Gustav Kuhn ihr dann erklärt, dass die Welt eben aus Nehmen und Geben bestehen würde. 
Eine der Künstlerinnen beschreibt Kuhns Reaktion auf ihren Widerstand gegen seine Avancen: „Herr Prof. Dr. Kuhn habe sie daraufhin ungläubig angeschaut und gemeint, wie sie sich das denn vorstellen würde, als Künstler müsse man generell sehr offen sein, auch körperlich.“
 

Kuhns Verteidigung

 
Gustav Kuhn und sein Anwalt, der ehemalige FPÖ-Kurzzeit-Justizminister Michael Krüger hinterlegten im Laufe der Prüfung bei der Gleichbehandlungskommission mehrere schriftliche Stellungnahmen. Zudem befragte der Senat am 2. April 2019 Gustav Kuhn persönlich.
In einem der Schlussberichte heißt es dazu:
 
„Herr Prof. Dr. Kuhn war während der Befragung teilweise emotional und aufgebracht, was dem Senat in einigen Punkten auch nachvollziehbar erschien. In der Schilderung der Auswirkungen der durch den offenen Brief publik gewordenen Vorwürfe mehrerer Künstlerinnen auf seine berufliche Karriere, war Herr Prof. Dr. Kuhn glaubwürdig und authentisch. Demgegenüber hielt der Senat ihn für unglaubwürdig, was seine Stellungnahmen und Argumente hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Belästigungen betrifft.“
 
 
 
Dieses klare Urteil dürfte am Auftritt und den Aussagen liegen, die Gustav Kuhn vor dem Gremium des Bundeskanzleramtes getätigt hat.
So erklärte der Maestro zu den Vorwürfen wörtlich:
 
„Wir haben gelacht über diesen Unsinn. Es ist ja ein kompletter Unsinn. Ob Sie es glauben oder nicht, Erl war das Paradies, weil es ja nur eine einzige Herzlichkeit ist. […]
Wir haben alle gelacht darüber. Kein Mensch hat das ernst genommen. Ich möchte noch einmal sagen, nie im Leben würde ich – also, ich bin ein Umarmer, aber kein fester Umarmer. Tut mir total leid, wenn man das missversteht.“
 
Oder weiter:
 
„Nein, das kann ich überhaupt nicht einordnen. Noch einmal, ich bin ein Mann der, glaube ich, sehr zart mit Frauen umgeht. Wenn ich eine Frau küssen will und sie dreht das Gesicht weg, dann küsse ich sie nicht. Was soll ich sie versuchen zu küssen? Ich kann mich ganz ehrlich gesagt nicht einmal erinnern. Noch einmal, ich kann mich nicht einmal erinnern, dass ich eine Sekunde mit ihr alleine war. Warum soll ich sie am Gang küssen? Tut mir leid.“
 

Denunzierung der Künstlerinnen

 
Zudem versuchte Gustav Kuhn selbst während der Untersuchung bewusst seine Anklägerinnen zu diffamieren. So schreibt der Dirigent in einer schriftlichen Stellungnahme an die Gleichbehandlungskommission über die fünf Künstlerinnen, die ihn beschuldigen.
 
  • „Sängerinnen, die nicht mehr die erforderliche Qualität auf die Bühne bringen konnten, und in der Frustration des ‚Nicht mehr engagiert werdens‘ (nach zehn oder über zehn Jahren!) Dinge behaupten, die so nicht stimmen und ja auch offensichtlich nicht stimmen können“
  • „(Sie) haben sich abseits ihres mehr als nur bescheidenen Bekanntheitsgrades als Opernsängerinnen mit konkreten Vorwürfen ins grelle Licht der Medienöffentlichkeit gestellt
  • „… dass die Stimme für eine reine Opernkarriere nicht ausreichend ist. (…) Ihre Umdeutung in eine ‚Medien-Karriere‘ ist umso besser gelungen. Mit ihrem Singen hätte sie in keiner Weise diese Aufmerksamkeit erzielen können.“
Es ist der klare und durchsichtige Versuch die Täter- und Opferrolle kurzerhand auf den Kopf zu stellen.
 

Reinwaschung aus Bozen

 
Gustav Kuhn und sein Anwalt legten der Gleichbehandlungskommission aber auch eine ganze Reihe von schriftlichen Stellungnahmen vor, die für den beschuldigten Maestro sprechen und ihn von den Vorwürfen entlasten sollten.
Darunter eine Stellungnahme des namhaften italienischen Musikkritikers Francesco Canessa oder eine Stellungnahme der künstlerischen Belegschaft des Teatro di San Carlo in Neapel.
Kuhns Verteidiger legte der Kommission aber auch ein Schreiben von Valeria Told vor, der Direktorin der Stiftung Haydn von Bozen und Trient.  
Told schreibt in einer Mail am 30. Oktober 2018, damals war der Skandal um Gustav Kuhn längst explodiert und alle Vorwürfen gegen den langjährigen Dirigenten des Haydn-Orchesters öffentlich bekannt, an den damaligen österreichischen Kulturminister Gernot Blümel, den Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter, dem Stiftungsrat von Erl und die in Erl eingesetzte Ombudsfrau Christine Baur.
 
 
Es dürfte klar sein, dass es sich hier um bestelltes Entlastungsschreiben handelt.
Dennoch liegt in diesem Schreiben auch heute noch einige, politische Brisanz.
Denn im Prüfbericht der Wiener Gleichbehandlungskommission wird eindeutig festgestellt, dass Gustav Kuhn in Erl und in Lucca einige seine Mitarbeiterinnen systematisch sexuell belästigt hat.
Genau dazwischen liegt Bozen.
Demnach müsste es im Atlas der Übergriffe im Kuhn Universum eine heile Welt geben die Südtirol heißt.
Oder ist es nur so, dass es hier ganz einfach keine Sängerinnen gab?
Bild
Profil für Benutzer Stereo Typ
Stereo Typ Mi., 20.11.2019 - 18:30

„Wir haben gelacht über diesen Unsinn. Es ist ja ein kompletter Unsinn." - Tja, mal vom hohen Ross runter. Wir sind im Jahr 2019. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, sollte er das Gönnerhafte, über alles Erhabene unterlassen.

Mi., 20.11.2019 - 18:30 Permalink