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Wer nicht lesen will muss schweigen

Nicht allen gefällt die Auszeichnung Peter Handkes mit dem Literaturnobelpreis. Doch welches Recht hat der wütende Mob, eine Meinung zu verteten?
Peter Handke
Foto: APAweb /AFP/Jonathan Nackstrand

Dieser Beitrag ist von subjektiven Ansichten durchzogen und hält keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Zunächst möchte ich klarstellen, was dieser Text ist und nicht ist. Abgesehen, dass es ohnehin nur eine scheinbar wahllose Aneinanderreihung von Wörtern ist, soll der Beitrag nicht über die grundsätzliche Entscheidung des Nobelpreiskomitees urteilen. Warum nicht, wird im letzten Abschnitt erklärt. Dieser Text ist eine Reaktion auf die unglaubliche Resonanz, die nach der Bekanntgabe des Preisträgers hervorgerufen wurde. Aus allerlei verschiedenen Richtungen kam sie, aus der Presse, der Kritik, der Kunst, der Öffentlichkeit. Häufig im Netz ausgetragene Diskussionen verloren und verlieren sich in unendlichem, stumpfsinnigen Palaver. Die Vergabe des Preises an die strittige Person Handke offenbart aber auch einmal mehr die Gier nach dem nächsten Skandal, der nächsten Sache, an der man sich wie ein Notgeiler hochziehen kann, nur um etwas gesagt zu haben.

Worte sind eine schwierige Angelegenheit

Bei all den Protesten gegen Peter Handke, der sich mit seinen Äußerungen und Kommentaren zu Serbien, Milošević und den Jugoslawienkriegen, in mündlich wie schriftlicher Art, wahrlich keinen Gefallen getan hat, wird eines ach so schnell vergessen. Handke, der sich mehr oder weniger deutlich als Sympatisant der serbischen Nationalisten darstellt, erhält nicht zufällig den Nobelpreis für Literatur. Diese Tatsache mag einige Leser überfordern, deshalb noch einmal und mit Fokus auf das Wort selbst:

LITERATUR

Man konnte erst kürzlich einen interessanten Vergleich lesen. Hätte Greta Thunberg in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhalten, dann für ihr politisches Engagement, ihren Einsatz gegen den Klimawandel und ihre erfolgreiche Mobilisierung im Kampf gegen jenen. Sie hätte den Preis jedoch nicht für ihre ausgefeilten Reden von hoher literarischer Qualität erhalten. Was sagt uns das? Gleichermaßen wie Thunberg keinen Literaturnobelpreis verdient hätte, verwehrt sich das Verhalten Handkes jedem Friedenspreis. Da passt es doch gut, dass er eben den nicht erhält und die schwedische Akademie sich auf das konzentriert, was Handke seit Jahrzehnten tut und wofür er bekannt ist: Schreiben. Nun mögen wieder die Stimmen aus den Schatten treten und rufen: Man kann doch das Werk nicht vom Künstler trennen. Kann man nicht? Dann entrümpelt die Bibliotheken, dann nehmt Bilder von den Wänden, dann verbrennt Filmrollen und Tonbänder, säubert die Welt von jeglicher verwerflicher Moral. Das Gesamtwerk Handkes weißt doch kaum Spuren seiner Serbien-Geschichte auf. Aber natürlich ist es jener Punkt, der nun himmelschreiend entsetzt diskutiert wird. Doch von wem eigentlich? Wer sind die Leute, die sich darüber echauffieren?

Publikumsbeschimpfung

Da wären erstmal jene, die jedes Recht dazu haben, den Schrifsteller Peter Handke kritisch zu beurteilen. Die Presse, die Literaturkritik, bitte gern, dazu ist sie ja da. Wenngleich sich nur die wenigsten dazu entschieden, nur das künstlerische Schaffen in den Blick zu nehmen. Geschieht das, findet man beinahe ausschließlich Lob. Da fragt man sich: Braucht es die Realität, um dem Werk eines Autoren wie Handke einen Kratzer hinzuzufügen?

Der viel größere Wirbel, und gleichzeitig Auslöser für diesen Beitrag ist die Reaktion der gemeinen Öffentlichkeit. Was wurde wieder in die Tasten gehauen, was wurde wieder hinausgebrüllt in die Welt. Dabei vorherrschend war vor allem die Inhaltsleere. In sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook regt man sich allerorts über den verkommenen Menschen Handke auf. Von der Literatur ist dort keine Rede. Spricht man die schärfsten Kritiker und in ihrer eigenen Wahrnehmung besten Menschen darauf an, erhält man oft die selbe Antwort. Man habe nichts von diesem Mann gelesen, hat es auch nicht vor, nicht nach all dem, was man über ihn gehört hat. Das ist zwar legitim, doch dann verurteile ich solche Menschen für die öffentliche, publikumswirksame Äußerung ihrer Meinung. Wer Handkes Literatur nicht kennt, hat schlicht und einfach nicht das Recht, sich über die Entscheidung des Nobelpreiskomitees auszulassen. Doch man empört sich gern, vor allem jene, deren Online-Gefolgschaft in einem Rahmen ist, der das Gehört-werden zulässt. Was man dort von sich gibt, ist keine Meinung, sondern Hetze, Stumpfsinn und Dummheit, die nicht bemerkt, wie sehr sie sich selbst lächerlich macht. Handke ist ein Angeklagter vor dem Tribunal der wissentlich Unwissenden.

Es ist nicht schlimm oder verwerflich, einen bestimmten Autoren nicht gelesen zu haben. Ich selbst habe lange überlegt, ob ich etwas zu Handke sagen soll, denn mir steht es genauso wenig zu, den Nobelpreis gut oder schlecht zu finden. Ich habe nur ein einziges Werk Peter Handkes gelesen und maße mir deshalb nicht an, über sein gesamtes Schaffen zu urteilen. Ich kann die Entscheidung aus Schweden nickend akzeptieren und neugierig sein, weitere Werk von Handke zu entdecken. Was ein wünschenswerter Effekt für alle Beteiligten wäre. Es wird nicht passieren. Denn wie wir alle wissen, wird sich lieber aufgeregt und sensationsgeil der einfache Skandal gesucht. Handke selbst sagte am Freitag in Schweden, er mag keine Meinungen und schreibe auch nicht mit ihnen. Er mag Literatur, sagte er. Armer Peter. Das Publikum hat doch keine Ahnung, was das Wort überhaupt bedeutet.

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Heinrich Zanon So., 08.12.2019 - 07:56

Handkes Werke seiner frühen Schreibzeit kenne ich seit damals und habe ich mit viel Interesse verfolgt. Späteren Arbeiten konnte ich nicht mehr so viel abgewinnen, bis ich mir dann die Lektüre seines "Das Jahr in der Niemandsbucht" antat: es ist dies ein autiobiographischer stiller, grandioser Bericht über eine besondere Lebensführung, viele hundert Seiten lang, aber keinen Augenblick langweilig.
Die Ansichten und Einschätzungen Handkes zu den Ereignissen und Katastrophen der jüngeren Zeit im zerfallen(d)en Jugoslawien teile ich nicht und muss man auch nicht teilen. Der Balkan scheint eine Weltgegend zu sein, in der sich Grausamkeit und Ungeheurlichkeiten (vor denen ja die Geschichte herauf kaum irgendwelche Völkerschaften gefeit waren) noch besonders hartnäckig bis in unsere Tage herein gehalten haben. Es waren dort allerdings sicherlich nicht nur die Serben, die sich dabei ausgiebig ausgezeichnet haben.
Zurück zu Handke: er ist eindeutig ein ganz Großer, der möglicherweise mehr als verschiedene Preisträger der jüngeren Vergangenheit die Ehrung verdient hat und dessen Werke das Renommee des Nobelpreises unterstreichen und heben können sollten.

So., 08.12.2019 - 07:56 Permalink
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Sepp.Bacher So., 08.12.2019 - 09:40

Ich kann dem Autor Christoph Waldboth voll zustimmen in seiner Grundhaltung. Ich habe nichts von Handke gelesen, weil ich kaum Bücher lese. Ich erinnere mich aber, das Peter Handke vor Jahrzehnten bei den alternativen politisierten jungen Menschen ziemlich in war.
Bezüglich Unterstützung von Serbien: diesbezüglich kann ich Heinz Zanon zustimmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn die gesamte westliche Welt gegen Serbien und Milošević war, ein den Westen kritisierender Intellektueller eben die Serben und dessen Führer unterstütz hat. Wahrscheinlich hatte er auch einen freundschaftlichen Kontakt zu den Serben, die damals vielleicht das zerbrechende Jugoslawien retten wollten; oder wie auch immer.
Analog laufen wir alle Gefahr nach Jahren verurteilt zu werden, wenn wir sagen, Putin braucht es, es braucht ein Gegengewicht zur Weltmacht USA. Dabei heißt es nicht, dass wir einverstanden sind mit dem Krieg in Ost-Ukraine, die illegale Aneignung der Krim, von Abchasien und Südossetien, Regionen von Georgien. Ebenso heißt es nicht, dass wir sein Regime unterstützen. Aber in einigen Jahren werden die Kritiker sich nur an ersteres erinnern!

So., 08.12.2019 - 09:40 Permalink