Politik | Interview

“Die Situation ist völlig anders”

Der Grauner Bürgermeister Heinrich Noggler erklärt, warum er heute gegen die Skischaukel Langtaufers-Kaunertal ist. Indes häufen sich die gewichtigen kritischen Stimmen.
Heinrich Noggler
Foto: vinschgerwind

Fast ein Monat ist vergangen seit Gegner und Kritiker des geplanten skitechnischen Zusammenschlusses von Langtaufers und dem Nordttiroler Skigebiet Kaunertaler Gletscher in Bozen aufmarschiert sind. Am Ende blieb man mit einer Frage zurück: Was passiert jetzt?

Die Einbringerin des Projekts, die Oberländer Gletscherbahn AG, hat im Laufe des Verwaltungsverfahrens eine Änderung an der Machbarkeitsstudie eingereicht – beim Land, und nicht bei der Gemeinde Graun, deren Gemeinderat 2016 die ursprüngliche Machbarkeitsstudie abgesegnet und damit ein klares Ja zur Skiverbindung nach Bozen signalisiert hatte. Entscheiden muss die Landesregierung. Es liegen eine Handvoll negativer Gutachten vor. Das aktuelle soziokönomisches Gutachten spricht sich weder dafür noch dagegen aus. Nun hat die Landesregierung ein drittes, vertieftes wirtschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben.

Inzwischen herrscht auch in Graun Verwirrung. Die Stimmung hat sich dreieinhalb Jahre nach dem ersten Gemeinderatsbeschluss gedreht. Inzwischen ist die Fusion der Skigebiete Haider Alm-Schöneben über die Bühne gegangen. Ein weiteres, neues Skigebiet, wie es jenes Langtaufers-Kaunertal wäre, wird als Konkurrenz und nicht mehr als Bereicherung erachtet. Außerdem wurde in der abgeänderten Machbarkeitsstudie, von der die Gemeinde Graun erst Ende 2019 erfahren hat, die zentrale Abfahrtspiste gestrichen. Dadurch würde die Liftanlage auf der Langtauferer Seite einzig zu einer Zubringerbahn für das Nordtiroler Skigebiet werden.

Hinzu kommt, dass in Zeiten von politischen Nachhaltigkeits-, Klima- und Umweltschutzslogans, ein großer Eingriff, wie in Langtaufers nötig wäre, kaum vertretbar wären. Auch der Grauner Bürgermeister Heinrich Noggler sagt heute, dass das Projekt in der Gemeinde keine Mehrheit mehr habe. Der Druck auf die Landesregierung wächst also.

Das jüngste Signal aus dem Obervinschgau kam vor wenigen Tagen: Anfang der Woche hat der Vorstand des Tourismusvereins Ferienregion Reschensee einen Beschluss gefasst, in dem festgehalten wird, dass die Region die Skiverbindung ins Kaunertal nicht brauche und andere (touristische) Visionen für Langtaufers entwickelt werden sollen. Der Beschluss wurde der Landesregierung und zur Kenntnis am Mittwoch auch sämtlichen Mitgliedsbetrieben des Tourismusvereins zugestellt. “Bei solchen Projekten stehen sich üblicherweise Umweltschützer in der einen und die Wirtschaft in der anderen Ecke gegenüber. Insofern hat der Vorstand Courage gezeigt”, sagt Gerald Burger. Der Geschäftsführer der Ferienregion Reschenpass war selbst vor Weihnachten in Bozen gewesen und hatte klar gegen die Skischaukel Position bezogen.

Tourismuslandesrat Arnold Schuler meinte damals, es reiche, dass der Grauner Gemeinderat nochmal abstimmt. Sollte der zweite Beschluss entsprechend negativ ausfallen, sei auch für die Landesregierung klar, dass das Vorhaben vom Tisch sei. Doch so einfach ist für Bürgermeister Noggler die Angelegenheit nicht, wie er im Interview mit salto.bz erklärt.

salto.bz: Herr Noggler, wie ist der Stand der Dinge?

Heinrich Noggler: Die Situation ist seit Dezember unverändert. Sobald wir gehört haben, dass die Machbarkeitsstudie abgeändert worden sei, habe ich noch einmal alle Unterlagen angefordert, die aktuell bei der Landesregierung bzw. beim Amt für Landschaftsschutz aufliegen. Wir haben uns die Änderungen angeschaut und in der Sitzung vom 23. Dezember habe ich dem Gemeinderat darüber berichtet. Entscheiden muss am Ende die Landesregierung. So steht es im Gesetz.

Von welchen Änderungen sprechen wir hier?

Die Karlesjochpiste wurde vom Antragsteller, der Oberländer Gletscherbahn AG, schon im Dezember 2016 zurückgezogen. Eigenmächtig, also ohne der Gemeinde Bescheid zu geben, die im Mai 2016 die Machbarkeitsstudie mit der Piste genehmigt hatte. In der neuen Machbarkeit ist nur noch eine Piste drin, die Weißseejochpiste. Die aber ist heute nicht realisierbar, weil dafür überhaupt erst einmal ein Lift gebaut werden müsste.

Wenn der Gemeinderat heute noch einmal entscheiden müsste, wäre ein Ja eher unwahrscheinlich.

Das heißt, in Langtaufers würde zunächst allein eine Zubringerbahn für das Nordtiroler Skigebiet entstehen?

Für uns ist das sehr wohl eine wesentliche Änderung im Vergleich zur Machbarkeit, der wir 2016 zugestimmt haben. Das habe ich im Gemeinderat auch gesagt.

Wird dieser sich noch einmal mit Langtaufers-Kaunertal bzw. der neuen Machbarkeitsstudie befassen?

Ursprünglich wollten wir den Beschluss vom Mai 2016 revidieren.

Warum?

Wenn der Gemeinderat heute noch einmal entscheiden müsste, wäre es eher unwahrscheinlich, dass noch einmal eine Genehmigung zustande käme. Ich nehme zumindest an, dass es schwierig wäre. Das ganze Verfahren hat jetzt einfach auch lange gedauert und die Voraussetzungen in unserer Gemeinde haben sich in den letzten dreieinhalb Jahren völlig geändert. Zum Positiven geändert, das muss man sagen.

Inwiefern?

Die geglückte Fusion der beiden Skigebiete Haider Alm und Schöneben 2017 ist eine sehr positive Entwicklung. Vor diesem Gesichtspunkt und aufgrund der geänderten Machbarkeitsstudie, die nicht mehr so ist, wie wir sie ursprünglich genehmigt haben, wäre es, so glaube ich, sicher sehr, sehr schwierig, dass das Projekt noch einmal so genehmigt würde.

Ich finde die Vision vom sanften Tourismus für Langtaufers positiv.

Sie werden also noch einmal abstimmen lassen?

Das Ganze im Gemeinderat noch einmal angehen wäre der einfachste Weg und die Gemeinde könnte das. Aber auf Anraten von Rechtsexperten haben wir davon abgesehen.

Warum?

Es besteht scheinbar die Möglichkeit, dass dadurch eine Haftungsklage samt Schadenersatzforderungen gegen die Gemeinde vorgebracht werden könnten.

Die Gemeinde Graun wird gar nichts tun?

Der Gemeinderat hat mich beauftragt, in einem Schreiben an die Landesregierung mitzuteilen, dass wir von einer erneuten Beschlussfassung Abstand nehmen und die Landesregierung aufzufordern, so schnell wie möglich zu entscheiden. Das wäre jetzt auch wichtig.
Es soll nicht so ausschauen als ob wir nicht wüssten, was wir wollen – die Gemeinde kann das Projekt jederzeit zurückweisen. Für uns sind einfach die rechtlichen Unsicherheiten ausschlaggebend, es geht einzig um rechtliche Konsequenzen, die wir nicht in Kauf nehmen wollen. Sollte uns allerdings die Landesregierung schriftlich auffordern, dass wir entscheiden sollen, dann werden wir das auch tun. Das ist klar. Dazu müssen wir aber eine schriftliche Aufforderung kriegen.

Haben Sie bereits Signale aus Bozen bekommen, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist?

Nein, da weiß ich selbst nicht viel. Ich weiß nur, dass ein erweitertes sozioökonomisches Gutachten eingeholt werden sollte. Sobald dieses da ist, wird die Landesregierung entscheiden müssen.

Sie haben beobachtet, dass sich der Wind in Ihrer Gemeinde gedreht hat. Die anfängliche Zustimmung ist zunehmender Skepsis gewichen. Auch im Gemeindeausschuss?

Ja. Ich war ursprünglich auch dafür. Aber da war die Situation eine völlig andere und auch die Voraussetzungen. Wir hatten mit der Haider Alm ein Skigebiet, wo wir nicht wussten, wie es weitergeht. Heute sehe ich das Projekt persönlich skeptisch und wäre nicht mehr dafür, wenn ich noch einmal abstimmen müsste.

Es wäre wichtig, dass die Landesregierung so schnell wie möglich entscheidet.

Im Mai 2019 haben Sie Ihren Gemeindereferenten Josef Thöni – zugleich Mitbegründer und Aktionär der Oberländer Gletscherbahn AG – wegen der Skischaukel zum Rücktritt aufgefordert. Dazu ist es nicht gekommen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Thöni heute?

Ich habe ihn zum Rücktritt aufgefordert, weil er eigentlich nur dieses Projekt verfolgt. Andere Dinge, für die er zum Beispiel als Wirtschaftsreferent zuständig ist, sind einfach liegen geblieben. Gewisse Agenden wurden nicht in Angriff genommen, es wurde sich nicht darum gekümmert. Ich habe ihm damals den Rücktritt nahegelegt, er ist nicht zurückgetreten, aber ich werde ihn sicher nicht hinausschmeißen. Das bringt nichts, sondern vielleicht noch mehr Unmut. Am Ende müssen die Wählerinnen und Wähler bei den Gemeinderatswahlen am 3. Mai entscheiden.

Inzwischen schauen sehr viele im Land nach Langtaufers bzw. auf die Entwicklungen dort. Selbst der Tourismusverein Ferienregion Reschensee spricht sich nun klar für einen sanften Tourismus dort aus und dafür, das Tal so naturbelassen wie möglich zu erhalten. Welche ist Ihre Vision für das Langtauferer Tal?

Ich finde die Vision vom sanften Tourismus für Langtaufers positiv. Es gibt einen Beschluss vom Tourismusverein in diese Richtung, der erst dieser Tage nach Bozen geschickt wurde. Skitechnisch sind wir mit Schöneben-Haider Alm super aufgestellt. Der Zusammenschluss hat dazu beigetragen, dass die großen Streitereien zwischen Reschen und St. Valentin auf der Haide beigelegt wurden. Die Kirchtürme haben zu einem großen Kirchturm zusammengefunden. Das ist auch wichtig.
In Schöneben-Haider Alm gibt es noch Möglichkeiten des Ausbaus, es gibt Gespräche für eine eventuelle grenzüberschreitende Verbindung mit Nauders. Die wäre sicher sehr, sehr sinnvoll. Als weiteres Steckenpferd in Langtaufers auf den sanften Tourismus – mit Langlaufen und Schneeschuhwandern im Winter – zu setzen, wäre eine idelae Ergänzung. Ganz sicher.

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Karl Trojer Sa., 11.01.2020 - 17:59

In den Siebzigerjahren hatte ich vom damaligen Landesrat Pasuqli den Auftrag erhalten, eine Entwicklungsstudie für die Skigebiete des oberen Vischgaus zu erarbeiten. Es ging um den Zusammenschluss zur Gründung der Schöneben AG, um die Zusammenarbeit mit der Haider-Alm GmbH, um Langtaufers und um Watles. Die Gründung der Schöneben AG ist gelungen, für die Verbindung der Haider Lifte mit Schöneben hatte ich ab der obersten Liftstation einen kurzen Durchstich zur Südflanke der Bergkette mit Verbindung über Rojen nach Schöneben vorgeschlagen, dabei wäre eine vorsichtige Planung gegen Lawinengefahr notwendig gewesen. Watles hätte ich mit einer Bahnschaukel mit der Haider Alm verbunden. Für Langtaufers hätte ich einen Gletscher-Zugang südöstlich der Weißseespitze mit Abfahrtspiste nach Kappl und eventueller Anschlussverbindung ins Kaunertal vorgeschlagen. Heute würde ich vorschlagen, Langtaufers dem sanften Tourismus zu erhalten, Loipen und Bergsteige gut zu erschließen und von einem Zusammenschluß mit dem Kaunertal abzusehen. [email protected]

Sa., 11.01.2020 - 17:59 Permalink