Gesellschaft | 75 jahre danach

Die Leugner des Schreckens

Immer mehr Italiener leugnen den Holocaust. Auch antisemitische Vorurteile grassieren. “Antisemitismus und Rassismus hat es immer gegeben”, mahnt Liliana Segre.
Stolpersteine
Foto: Kadir Celep/Unsplash

“Ihre einzige Schuld bestand darin, auf die Welt gekommen zu sein.” Liliana Segre spricht von den Juden. 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau ist die Holocaust-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit im Senat in Rom nach Brüssel gekommen, um im Europäischen Parlament zu sprechen. Sie selbst hat Auschwitz überlebt. Ihr Vater nicht. Die auf ihrem Unterarm eintätowierte Häftlingsnummer – 75190 – braucht Segre nicht, um sich an die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu erinnern. Doch viele andere wissen wenig, zu wenig über das, was damals geschah.

“Ich wünschte, ich könnte heute mit Überzeugung sagen: Wir Deutsche haben verstanden. Doch wie kann ich das sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten, wenn das Gift des Nationalismus wieder in Debatten einsickert – auch bei uns.” Mit diesen Worten mahnt der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkfeier im deutschen Bundestag vor dem “alten Ungeist in der neuen Zeit”, gegen den es sich zu erheben gelte: “Kämpfen wir gegen Antisemitismus, gegen Rassenhass und nationale Eiferei! Erliegen wir nicht der Verführung des Autoritären! Streiten wir mit Argumenten, nicht mit Hass!”

 

Wie notwendig diese Mahnung 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und dem Anfang vom Ende des Nazi-Regimes ist, zeigt eine aktuelle Studie. Zwischen Dezember 2019 und Jänner 2020 hat das private Forschungsinstitut Eurispes 1.120 Italienerinnen und Italiener zu verschiedenen – sozialen, politischen, wirtschaftlichen – Themenbereichen und persönlichen Überzeugungen befragt. Darunter auch zum Holocaust.

 

Holocaust-Leugner und antisemitische Vorurteile

 

15,6% der Befragten leugnen den Holocaust, die Shoah. Ein Italiener von sieben gibt also an, nicht zu glauben, dass es den Völkermord an den europäischen Juden mit bis zu 6,3 Millionen Opfern in der Nazizeit gegeben hat. Besorgniserregend ist, dass dieser Prozentsatz 2004 noch bei 2,7% lag – er ist in 15 Jahren also um fast 13 Prozentpunkte gestiegen.

Eurispes hat auch erhoben, in welchem politischen Lager der Anteil der Holocaust-Leugner am größten ist. “Der Glaube, dass die Shoah nie stattgefunden hat, findet bei 8,2% jener, die sich politisch mit der 5 Sterne Bewegung identifizieren, große Zustimmung”, heißt es in dem Bericht, der am Donnerstag in Rom präsentiert wurde. Insgesamt stimmen 18,2% der 5-Sterne-Sympathisanten der Aussage, dass es die Shoah nie gegeben hat “sehr” oder “eher” zu. Den größten Anteil an Personen, die dem “sehr” oder “eher” zustimmen, findet sich unter den Mitte-Links-Wählern (23,5%). In diesem Lager ist auch der Anteil der Personen am höchsten (23,3%), die sagen, der Holocaust hat stattgefunden, aber weniger Opfer gefordert als üblicherweise behauptet werde. Unter den Zentrumswählern liegt dieser Anteil bei 23%, im Rechtslager bei 8,8%.

Insgesamt meinen 16,1% der Befragten, dass der Holocaust real war, aber nicht jene Opferzahlen gefordert habe.

Umgekehrt ist unter den Rechts-Wählern die Ansicht weiter verbreitet, dass die Juden die Kontrolle über die Wirtschafts- und Finanzwelt ausüben, mit 33,3% deutlich höher als unter den Links-Wählern mit 17,2%. Insgesamt stimmen 76% der Befragten dieser Aussage nicht zu.

Im 5-Sterne-Lager sind indes die meisten zu finden, die sagen, dass die Juden eine entscheidenden Einfluss auf die US-amerikanische Politik haben: 33,5%. Diese Annahme findet die insgesamt höchste Zustimmung in der Befragung: 26,4% meinen, dass Juden die US-Politik maßgeblich bestimmen.

“Zwar die Minderheit, aber dennoch ein beträchtlicher Anteil der Italiener hegt auch heute antisemitische Vorurteile, wenn nicht sogar eklatantes Geschichtsvergessen, so die Zusammenfassung von Eurispes.

 

Den Boden entziehen

 

“Anche oggi qualcuno non vuole guardare e anche adesso qualcuno dice che non è vero”, meint Liliana Segre im EU-Parlament. “E la gente mi domanda perché c’è ancora l’antisemitismo e il razzismo. Io rispondo che c’è sempre stato. Non c’era il momento politico per poter tirar fuori l’antisemitismo e il razzismo che sono insiti nell’animo dei poveri di spirito. Ma poi arrivano i momenti, i corsi e i ricorsi storici. Arrivano i momenti in cui ci si volta dall’altra parte, in cui è più facile far finta di niente.”

Es sind ganz ähnliche Worte, wie sie Frank-Walter Steinmeier und viele andere gewählt haben, die insbesondere in dieser Woche daran erinnern, nicht zu vergessen, wachsam zu bleiben, zu erzählen – damit der “alte Ungeist in der neuen Zeit” keinen Boden findet.

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Elisabeth Garber Sa., 01.02.2020 - 15:46

Antwort auf von Manfred Klotz

@Manfred Klotz Wundert mich nicht, habe kürzlich mit großem Interesse das Büchlein (mit unterschiedlichen Auf- und Ansätzen sowie einer Satire) mit dem Titel "Was Juden zur AfD treibt" gelesen. Im Vorfeld hatte ich auf YouTube eine längere Diskussion mit zwei jüdischen AfD-Vertretern im Zuge der Frankfurter Buchmesse gesehen. Auf Die Linke sind Juden in der AfD gar nicht gut zu sprechen.
Kann die Lektüre nur weiterempfehlen - es wird einem einmal mehr klar, wie schmal der Horizont durch die Mainstreampresse wird.

Sa., 01.02.2020 - 15:46 Permalink
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Fidi Ellmenreich Sa., 01.02.2020 - 22:07

Sorry, aber ist das jetzt so eine Geschichte wie mit dem Eisen im Spinat? Was nicht wahr ist, dass da viel Eisen dring ist, im Spinat! Ich kann das nicht glauben, dass diese Umfrage der Wahrheit entspricht.

Sa., 01.02.2020 - 22:07 Permalink