Chronik | Dunkelziffer

Testen gegen das Virus

Führt Südtirol genügend Coronavirus-Tests durch? Paul Köllensperger meint, es müssen deutlich mehr werden. Das System aber arbeitet momentan an seinen Grenzen.
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Foto: Pixabay

Je länger der Corona-Shutdown andauert, desto dringender stellt sich die Frage nach einem Strategiewechsel. Könnten mehr Tests dazu beitragen, dass die strikten Verbote und Maßnahmen in absehbarer Zeit für den Großteil der Bevölkerung gelockert werden und damit das wirtschaftliche und soziale Leben wieder in Gang kommt?

Die SZ berichtet am Freitag über ein Strategiepapier aus dem deutschen Innenministerium, in dem Experten die Bundesregierung auffordern, schnell zu handeln, um Covid-19 unter Kontrolle zu bekommen. Die bei Weitem wichtigste Maßnahme gegen das Virus ist den Experten zufolge “das Testen und Isolieren der infizierten Personen”. Getestet werden sollten “sowohl Personen mit Eigenverdacht als auch der gesamte Kreis der Kontaktpersonen von positiv getesteten Personen”. Als Vorbild für diese Strategie im Umgang mit dem Coronavirus gilt Südkorea. Dort wurden von Beginn an Massentests durchgeführt und die Infizierten isoliert. Dadurch hat sich die Ausbreitung des Virus stark verlangsamt, ohne das öffentliche Leben zum Stillstand zu bringen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt den Regierungen weltweit, mehr zu testen. Das renommierte Robert Koch Institut in Deutschland hat seine Kriterien, nach denen Patienten auf eine Corona-Infektion getestet werden sollen, vor wenigen Tagen gelockert.

Im Veneto hat Präsident Luca Zaia die Tests bereits massiv ausgeweitet. 10.000 Personen pro Tag sollen dort getestet werden. Das Veneto zählt mit der Lombardei und der Emilia zu den am meisten vom Coronavirus betroffenen Regionen.

In Südtirol wurden bislang (Stand Freitag früh) 5.215 Personen auf Covid-19 getestet. Das sind knapp ein Hundertstel der Gesamtbevölkerung. Die Zahl der nachweislich Infizierten ist inzwischen auf 1.003 angestiegen. Darunter 118 Mitarbeiter des Sanitätsbetriebs und 12 Haus- und Kinderärzte. 60 Personen sind verstorben, 47 werden intensiv betreut. Zugleich ist die Zahl der vom Coronavirus Genesenen – um als geheilt zu gelten müssen zwei Abstriche innerhalb von 24 Stunden ein negatives Resultat liefern – auf 64 gestiegen.

 

 

Mehr Wissen für bessere Maßnahmen

 

Doch die täglich von offizieller Seite mitgeteilten Daten aber sind lückenhaft. “Weil wir nicht weitreichend testen und damit die Infektionen nicht nachverfolgen können, sind die offiziellen Zahlen nicht richtig – die Dunkelziffer der Infizierten ist um ein zig-faches höher”, zeigt Paul Köllensperger auf. Seine eigene Corona-Infektion hat sich der Team-K-Leader Anfang März von einem Osttiroler Labor bestätigen lassen. Nun fordert er: “Testen, testen testen!” Zusätzlich zu den Nasen-Rachen-Abstrichen, mit denen auf das Coronavirus getestet wird, brauche es auch Bluttests auf Antikörper, um herauszufinden, wer die Infektion, die häufig ohne Symptome verläuft, bereits überstanden hat.

Einer der führenden Virologen Deutschlands, Christian Drosten, in seinem täglichen Info-Podcast vor den Antikörper-Tests, die derzeit bereits als Schnelltests erhältlich sind. Auch der Südtiroler Sanitätsbetrieb weist darauf hin, dass diese Art von Tests “kein Ersatz für einen im Labor durchgeführten Molekulartest sind”. Dennoch überprüfe man, “ob diese Antikörper- und Antigene-Tests unterstützend und flankierend zu den Labortests eingesetzt werden können”. Der SPIEGEL berichtet am Freitag über eine große Antikörper-Studie, mit der in Deutschland festgestellt werden soll, wie viele Menschen schon an Covid-19 erkrankt waren und somit immun sind, wieder zur Arbeit gehen und ein normales Leben führen könnten.

Nur durch eine großflächige Testung, die über die Risikogruppen hinaus gehe, “erhalten wir Einblick in die tatsächliche Häufigkeit des Virus in der Bevölkerung – und damit reale Daten, auch zur Durchseuchung der Gesellschaft mit der damit verbundenen Immunisierung”, meint Köllensperger. Er gibt zu bedenken: “Die Quarantäne darf nicht mehr allzu lange dauern. Wir halten das sicher nicht mehr lange durch. Wir müssen die Gesellschaft schrittweise, allerspätestens nach Ostern, mit den nötigen Schutzmaßnahmen wieder öffnen. Sich bewegen und arbeiten – zumindest auf freiwilliger Basis – muss wieder möglich sein. Je mehr wir Daten haben, desto besser können wir den unausweichlichen Wiederbeginn des sozialen und wirtschaftlichen Lebens regeln und strukturieren, und dabei die gesundheitlichen Risiken minimieren.”

 

 

Testen, was das Material hergibt

 

Doch warum testet Südtirol, anders als etwa das Veneto, nicht mehr? Zum einen würde man dadurch zuverlässigere Daten über die tatsächliche Infektions- und Sterberate erhalten. Was zum anderen wiederum erlauben würde, verhältnismäßige Maßnahmen zu setzen. “Wir versuchen die Tests kontinuierlich auszuweiten – so weit es möglich ist”, meinte Gesundheitslandesrat Thomas Widmann diese Woche. Er verweist darauf, dass man von anfänglich 30 bis 40 Tests am Tag inzwischen bei 6-800 täglichen Tests angelangt sei. Die bisher insgesamt 8.520 Abstriche der über 5.000 Getesteten wurden allesamt im Labor für Mikrobiologie des Sanitätsbetriebs in der Bozner Amba Alagi Straße untersucht. Dort arbeiten 18 Mitarbeiter unter der Leitung der Direktorin Elisabetta Pagani beinahe rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche. Denn die Untersuchung eines Tests dauert drei Stunden.

Unterstützung gibt es nun von EURAC, Laimburg, dem Institut für Tierseuchenbekämpfung und der Pathologischen Anatomie am Bozner Krankenhaus. Auch in den Labors des Sanitätsbetriebs in Meran, Brixen und Bruneck sollen künftig Testauswertungen möglich sein. Außerdem besteht eine Partnerschaft mit einem akkreditierten Labor in Padua, wohin die Abstriche zur Untersuchung hingeschickt werden, wie Elisabetta Pagani berichtet. Eine Zusammenarbeit mit dem Labor des Osttiroler Virologen Gernot Walder, der die Abstriche von Paul Köllensperger getestet hat, hat das Land hingegen ausgeschlagen. Das Institut habe einen “allzu hohen”, “nicht marktgerechten Preis” verlangt, begründet Landeshauptmann Arno Kompatscher die Entscheidung.

Außerdem reichten die bestehenden Laboratorien bzw. Partnerschaften aus, “um die Zahl der Tests noch einmal deutlich zu erhöhen”. Scheitern würde das derzeit nicht am Willen, sondern einzig daran, dass es an notwendigen Materialien – Abstriche und chemische Stoffe/Reagenzien – fehle. “Die Tests zu erweitern wird sehr schwierig”, räumte der stellvertretende medizinische Covid-19-Einsatzleiter Patrick Franzoni am Mittwoch ein. Doch der Landeshauptmann kündigte an, dass bis Ende der Woche neue Lieferungen eintreffen sollen. “Dann können wir die Anzahl der Tests pro Tag erhöhen”, so Kompatscher.

Wie gewohnt wird er auch am heutigen Freitag um 16.30 Uhr wieder über den neuesten Stand der Dinge in Sachen Coronavirus berichten. Heute ist der anerkannte Immunologe und emeritierte Universitätsprofessor der Technischen Universität München Bernd Gänsbacher per Videoschaltung zu Gast. Er wird über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Virus und die davon ausgelöste Krankheit Covid-19 berichten.

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paul koellensperger Fr., 27.03.2020 - 16:51

Der LH Kompatscher sagt: Eine Zusammenarbeit mit dem Labor des Osttiroler Virologen Gernot Walder, der die Abstriche von Paul Köllensperger getestet hat, hat das Land hingegen ausgeschlagen. Das Institut habe einen “allzu hohen”, “nicht marktgerechten Preis” verlangt, begründet Landeshauptmann Arno Kompatscher die Entscheidung.
Diese Aussage verblüfft mich. Also bis heute früh hatte den Gernot Walder, der bis zu 1.000 Tests am Tag für Südtirol machen könnte, niemand kontaktiert, auch nicht um über den Preis zu reden. Zu Teuer? Lass ich nicht gelten, wenn man x hunderttausend Euro für Halstücher ausgibt.
Ich wette dass es aber nicht mehr lange dauern wird, bis sie dieses Labor und andere, im In- und Ausland, auf den Knien betteln werden, weil wir in Südtirol kaum noch Kapazitäten haben. Die Frage ist, warum bei uns die Reagenzien ausgehen, wo wir seit mindestens 3 Wochen wissen, dass es knapp wird. Alle unsere Nachbarn fahren mit den Kapazitäten für Tests dramatisch nach oben, Deutschland macht auf Anraten des Robert Koch Institutes mittlerweile 500.000 pro Woche. Wir verstecken uns hinter der Ausrede, dass das nicht nötig sei, aber haben es in Wirklichkeit wohl versäumt unsere Kapazitäten rechtzeitig hochzufahren und gegebenenfalls externe dazuzukaufen. Eines ist aber zu sagen: wir schaffen es nicht, was anderes ist zu sagen: wir brauchen das nicht. Wir brauchen in Wahrheit dringend sierologische Tests (Antikörper im Blut) als auch PCR Test (positiv auf Virus), sonst wissen wir nicht wieviele Positive und wieviele Immune wir haben, und deshalb auch nicht wie und wann die Quarantäne zurückgefahren werden kann. Paul Köllensperger

Fr., 27.03.2020 - 16:51 Permalink
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Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Fr., 27.03.2020 - 19:15

Lieber Paul ... ich wollte grad so richtig loslegen, aber nach deinem Update (LR Widmann) ist mein Puls wieder normal.
Ich wollte schreiben ... ICH als Bürger dürfte donnern und wettern, aber als Landtagsabgeordneter jetzt über WEN? herfallen finde ich nicht richtig. Ich habe vor drei Wochen nirgends einen entsprechenden Vorschlag (Testen, testen, testen) vom Team K gelesen. Natürlich sind wir jetzt alle gscheider und werden es auch übermorgen sein. Fakt ist dass in zwei Wochen irgend jemand vorwurfsvoll fragen wird, warum man nicht vorher dieses oder jenes Bestandteil von Irgendwas in entsprechender Menge angekauft hätte. Wie macht man es richtig? Wurde dann zu viel angekauft wird man hören "Verschwendung". Diesbezüglich habe ich es einfach satt !!!
Ich denke unsere Task Force macht im Prinzip einen guten, äußerst anstrengenden und anspruchsvollen Job. Und zum Glück haben wir ja auch noch einen Prof. Gänsbacher, der so genial, sachlich und volksnah fast täglich auf Rai-Südtirol (nicht nur) informiert.
Übrigens, natürlich testen ALLE aus heutiger Sicht zu wenig. Aber wir testen gewiss nicht weniger als andere (verhältnismäßig zur Bevölkerungsanzahl). ALLE haben aber inzwischen verstanden, dass getestet werden muss was das Zeug hält und irgendwie möglich ist ... und das tun ALLE.
p.s. Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich Anfang März in der Dolomiten einen Leserbrief mit "Testen - Testen - Testen ... oder so ähnlich" veröffentlicht. Ich rege mich jetzt aber nicht auf.
Ich hoffe du bist über den Corona-Berg !!! damit wir wieder den Kölle sehen wie wir ihn wollen.

Fr., 27.03.2020 - 19:15 Permalink