Gesellschaft | Schulmodell

„Monolinguismus ist heilbar“

Schulleiterin Heidi Niederkofler über mehrsprachige Schulmodelle und das Wundermittel gegen Sprachbarrieren der Südtiroler Jugend.
Grundschule A. Langer
Foto: Heidi Niederkofler

Sprachliche Segregation, kulturelle Abgrenzung, Verschlossenheit gegenüber innovativen pädagogischen Modellen – all das sind für Heidi Niederkofler, Schulführungskraft am Schulsprengel des Viertels Bozen Europa, Hindernisse für eine progressive Schulbildung. Insbesondere in multikulturellen Stadtvierteln, wie etwa Bozen Europa, gehören Mehrsprachigkeit und Integration zur Realität. Auf ebenjene globale Realität sollte Schule die Generation von morgen vorbereiten, ihren Horizont erweitern, ihnen Menschen-Kultur- und Sprachkenntnis mitgeben, ist Frau Niederkofler überzeugt. Die Grundschule Johann Heinrich Pestalozzi, die Mittelschule Albert Schweizer und die Grundschule Alexander Langer unter Niederkoflers Leitung bieten daher verschiedene pädagogische Ansätze. Darunter Montessori-Klassen und Klassen mit Sprach- und Hermeneutik-Ausrichtung. In einigen Jahren soll ein neues Schulmodell das Stadtviertel bereichern, das eben jenes Konzept der Mehrsprachigkeit und Begegnung reflektiert. Die Schulleiterin spricht im Interview über die Erfolge dieser pädagogischen Experimente, Schulmodelle, die noch folgen werden, und ihren persönlichen Bezug zur Zweisprachigkeit.

 

Salto.bz: Frau Niederkofler, sehen Sie, dass die Zweisprachigkeit sich in den letzten Jahren in Südtirol unter jungen Leuten verbessert hat, oder herrschen noch weit verbreitete Sprachbarrieren zwischen den linguistischen Gruppen?

Heidi Niederkofler: Die Kompetenz der Zweisprachigkeit hat sich in den letzten Jahren in Südtirol zwar verbessert, hat aber noch nicht einen Status erreicht, von dem man sagen kann, dass in Südtirol eine natürliche, spontane Zweisprachigkeit unter der Bevölkerung herrscht.

Sie sagen: „Monolinguismus ist heilbar“. Was ist denn das Wundermittel?

„Monolinguismus ist heilbar" – damit meinte ich, dass es in einem Land wie unserem sehr viele Möglichkeiten gäbe, die  jeweils andere Landessprache wesentlich unkomplizierter zu erlernen. Zur Zeit gibt es aber noch all zu viele Beispiele, in denen italienischsprachige Menschen nicht genügend Deutsch sprechen und umgekehrt deutschsprachige Menschen nicht genügend italienisch. Erste Erfahrungen mit anderen Sprachen sind beim  Klein- Kind anzusetzen, sodass die Tendenz, sich hemmungslos und spontan in beiden Sprachen auszudrücken, zum Alltag wird. Das Wunderheilmittel ist demnach meiner Erfahrung nach im jungen Alter anzufangen und jene Kontexte und Anlässe zu nutzen, die mit lebenspraktischen Situationen und mit den Bedürfnissen der Menschen in Zusammenhang stehen.

Seit 2014 leiten Sie gemeinsam mit Bruno Iob die Grundschule Alexander Langer. Dieser Ansatz beruht auf Inklusion und Toleranz unterschiedlicher Kulturen, gegenseitigem Respekt, und Förderung der Mehrsprachigkeit. Inwiefern trägt dieses Modell zur Sprachbildung bei?

In der Langer Schule haben wir daher ein von der Kooperation mit der italienischen Schule stark geprägtes Modell entwickelt, welches ab der ersten Klasse  intensiv an  den drei Sprachen arbeitet. Im Konkreten heißt das, dass Englisch ab der ersten Klasse gelehrt und mit Musik und Kunst verbunden wird und Italienisch, um eine Stunde pro Klasse potenziert wird,  damit in den ersten beiden Jahren Sport und Bewegung und ab der dritten Naturwissenschaften auch in dieser Sprache unterrichtet werden. Die drei Sprachlehrer planen und unterrichten nicht unabhängig voneinander sondern ergänzen sich gegenseitig. Keine Sprache tritt anstelle der anderen, wenn es um Fächer geht, sondern die drei Sprachlehrer koordinieren Lernpläne, Inhalte und Arbeitsformen, die sie für die Kinder ausgesucht haben. In den ersten zwei Schuljahren wir das Lesen und Schreiben nach dem Prinzip der zweisprachigen Alphabetisierung, nach dem Grödner Modell, begleitet.

Die Schule möchte den Kindern und Jugendlichen das Rüstzeug mitgeben, damit sie in der heutigen Welt am besten auf die vor ihnen liegende Schul- und Arbeitskarriere vorbereiten

Seit sechs Jahren gibt es dieses „Schulexperiment“ nun schon. Wie ist Ihre Zwischenbilanz?

Bei Erprobungen muss man die Geduld haben, dass Erfolge erst im Laufe der Jahre ersichtlich sind und dass weder die ersten Jahre noch das einzelne Jahr zu bewerten sind. Ich erwähne hier beispielsweise die standardisierten Kompetenztets, die in den unteren Klassen noch bescheiden ausfallen während sie dann nach dieser didaktischen und pädagogischen Erfahrung in Richtung Mittelschule A Schweitzer statistisch nachgewiesen, auffallend gut werden. Ein weiteres wichtiges Ziel und darin sind wir ebenfalls erfolgreich,  ist die Inklusion und die kulturelle Offenheit im Umgang mit unterschiedlichen Herkünften. Es besteht ein natürliches und vorurteilsloses Zurückgreifen auf die eine oder andere Landessprache und auf das Englische.

 

Welches Feedback geben die Eltern, welches die Lehrer? 

Die Eltern wählen dieses Modell zunehmend für ihre Kinder aus und aus diesem Grund konnten wir weitere Klassen mit dieser  Ausrichtung nämlich -Sprachen und Hermeneutik- auch an der Grundschule Pestalozzi ansiedeln. Es gibt zunehmend Familien, welche in diesem Schulmodell eine große Chance sehen, ihre Kinder als künftig zweisprachige und dreisprachige Bürger heranwachsen zu sehen. Die Erhebungen unter den Eltern bezüglich Zufriedenheit für dieses Modell fielen  bis jetzt immer mehr als positiv aus. 

Für die Lehrer ist es eine komplexe Geschichte und  äußerst interessante Herausforderung. Es ist für mich als Schulführungskraft nicht immer einfach, Lehrpersonen für dieses Modell zu gewinnenen. Um so mehr ist die Arbeit der Pioniere, das heißt der Lehrpersonen, welche sich dieser Herausforderung stellten, hochzuschätzen. Sie haben eine interessante und hochwertige Schulentwicklung ermöglicht und werden in Zukunft wegweisend für Modelle von Schulen in einem mehrsprachigen Land wie Südtirol sein, sobald noch konkreter danach gefragt wird.

Glauben Sie, diese Modelle sind ein relevanter Schritt hin zu einem Systemwandel? Oder sind wir noch weit davon entfernt, Zweisprachige Schulen nicht mehr als Experimente, sondern Alltag zu bezeichnen?

Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern müssen zunehmend sensibilisiert werden bezüglich der Wichtigkeit des Erlrnens der Sprachen und der Muttersprache. Vernetzen ist demnach eine wichtige Aufgabe und die Schule möchte den Kindern und Jugendlichen das Rüstzeug mitgeben ,damit sie in der heutigen Welt am besten auf die vor ihnen liegende Schul- und Arbeitskarriere vorbereiten. Das Gegenstück dazu ist, die Sprachen separat und mit viel Mühe zu erlernen und das Ergebnis ist nicht unbedingt das bessere, das zeigen uns die vielen Fälle, wo Maturaabsolventen bei den Sprachprüfungen Italienisch oder Deutsch versagen oder die Hürde der Aufnahme in die dreisprachige Universität im Lande nicht überwinden. Dieses Phänomen allein reicht schon um klar und deutlich zu sagen, dass die Schulen zur Erlangung optimaler Kompetenzen im Bereich der Mehrsprachigkeit andere, neue  und machbare Wege gehen müssen und können.

Ohne Mühe und Pauken sich angemessen und angstfrei beider Landessprachen bedienen zu können, sehe ich als eine große Chance und wünschte mir, dass dies künftig vielen Menschen in unserem Land leichter fallen möge

Ein weiteres Schul-Experiment soll nun in Bozen folgen. Können Sie mir mehr darüber erzählen?

Ich bin vor einigen Jahren als Schulführungskraft des Schulsprengels Bozen Europa, an dem die  Erfahrung im Bereich der Mehrsprachigkeit tägliches Brot darstellt, aufgefordert worden ein pädagogisches Konzept zu schreiben, welches im Einklang mit architektonischen Aspekten, Umfeld und Natur steht. Daher bin ich von der Idee ausgegangen in diesem Stadtviertel eine Schule mit einer Pädagogik der drei Begegnungen zu schaffen. Eine Chance sowohl für das Stadtviertel als auch für die Mehrsprachigkeit. Demnach  soll ein Schulhaus gebaut werden, welches Klassen beherbergt von der ersten Grundschule bis zur dritten Mittelschule für die deutschsprachige und für die italienischsprachige Bevölkerung: Die erste Begegnung ist dabei jene der Generationen: Kinder und Jugendliche, die zweite Begegnung ist jene der Sprachen und Kulturen und die dritte Begegnung betrifft den Einklang zwischen Natur und Mensch. Die Innenarchitektur mit offenen Lernplätzen, die Außengestaltung und die grünen Fassaden spielen  hier eine große Rolle, gleichfalls das Umfeld dessen Kultur und soziolinguistische -  Prägung. Erst in einigen Jahren, ca. 2026, öffnet diese Schule ihre Tore. Eine Arbeitsgruppe von Lehrpersonen aus der Grundschule Johann Heinrich Pestalozzi Schule und aus der Scuola elementare M. L. King sowie wir zwei Schulführungskräfte arbeiten schon seit einigen Jahren an dem Konzept. An erweitere Wettbewerbsklassen zwischen den Bildungsdirektionen wäre zu denken, damit die zwei Züge gemeinsam arbeiten und ihre anvertrauen Schüler*innen auch in einem Tandem-System begleiten können.

Welche möglichen Bedenken könnten Eltern gegen diese zweisprachigen Schulmodelle haben und wie antworten Sie darauf? 

Das Schulmodell sollte anfänglich auf Freiwilligkeit der Eltern beruhen dürfen, sich auf ein neu orientiertes Sprachen- Modell für das eigene Kind einzulassen oder nicht. Solche Eltern müssten demnach die Mehrsprachigkeit ihrer Kinder schon vor Schuleinstieg vorantreiben. Bildungsdialoge für interessierte Eltern im Beisein von Vertretern aus der Gemeinde, der Bildungsdirektionen, Landesräte und der Schulführungskräfte könnten den Auftakt geben und motivierte Familien verstehend  und mit Partecipazione einführen. Eine wissenschaftliche Begleitung auf pädagogisch universitärer Ebene wäre dabei eine große Hilfe. 

Ein Schulhaus soll gebaut werden, für die deutschsprachige und italienischsprachige Bevölkerung, von der Grund-bis zur Mittelschule

Wie kommt es, dass Sie sich in Ihrem Beruf als Schuldirektorin so stark für die Themen Zweisprachigkeit und Integration einsetzen? Liegt es Ihnen besonders am Herzen?

Das Interesse für die Themen der Mehrsprachigkeit war schon als Junglehrerin bei mir wach. Soziolinguistische Thesen und Machbarkeitsthesen haben mich als Person, welche selbst zweisprachig aufgewachsen ist, schon als Oberschülerin fasziniert. Ohne Mühe und Pauken sich angemessen und angstfrei beider Landessprachen bedienen zu können sehe ich als eine große Chance und wünschte mir, dass dies künftig vielen Menschen in unserem Land leichter fallen möge. Wer mehrere Sprachen spricht, hat einen breiten Horizont, viele Zugänge und ein mögliches erhöhtes Ausmaß an Menschenverständnis. Man öffnet sich auch anderen Kulturen, trägt zum friedlichen Zusammenleben bei und hat größere Arbeitschancen.

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Karl Maier Di., 31.03.2020 - 10:07

Besonders bliebt scheint auch das Blenden mit akademischen Titeln. Im text wurde von der Autorin aus dem "dottore" einfach ein "Dr. Niederkofler" gemacht. Dies entspricht nicht der Nutzung akademischer Titel im deutschen Sprachraum und ist daher grundsätzlich abzulehnen. Aber sicherlich kann man im Sinne der Mehrsprachigkeit nicht auf den korrekten Sprachgebrauch setzten.
Die korrekten Abkürzung für Direktorin währe Dir. .

Di., 31.03.2020 - 10:07 Permalink
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Julia Tappeiner Di., 31.03.2020 - 11:43

Antwort auf von Karl Maier

Die unterschiedlichen Begriffe für Studientitel in den beiden Sprachen führen sicherlich öfters zu Missverständnissen, da gebe ich Ihnen Recht. In diesem Fall bedanke ich mich für den Hinweis, und werde es im Text ausbessern. Im Sinne der Lernfähigkeit, freue ich mich über jeden Fehler, aus dem ich lernen kann und setze weiterhin auf zweisprachige Kommunikation ohne Vorwurf und ohne nach Perfektion zu streben. MFG

Di., 31.03.2020 - 11:43 Permalink
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Burgi Burger Di., 31.03.2020 - 22:59

Ein schönes und inhaltvolles Interview, bravo Julia. Zum Schulsprengel Gries gehörend, haben wir damals beschlossen, unsere beiden zweisprachigen Kinder in die Pestalozzi-Grundschule und dann in die Mittelschule A. Schweizer einzuschreiben. Erstmals wurden die beiden Schulen von Frau Dir. Niederkofler Heidi geführt. Wir waren und sind überzeugt, daß Kinder in einem mehrsprachigen Kontext gefordert und gefördert werden. Heute sind beide perfekt 3sprachig und in Italien sowie im deutschsprachigen Raum daheim mit vielfältigen Berufsmöglichkeiten. Engagierte und offene Schulführungskräfte sind ausschlaggebend um Mehrsprachigkeit als Erfolgsfaktor im Leben zu ermöglichen. Unsere Familie und viele andere die wir kennen gelernt haben, sind Frau Dir. Heidi Niederkofler für immer dankbar.
Notburga Burger und Eddi Treccani

Di., 31.03.2020 - 22:59 Permalink