Politik | Debattenkultur

Kann man sich Demokratie abgewöhnen?

Die Krise banalisiert die Debatte und infantilisiert die Gesellschaft. Es gilt die Demokratie wieder hochzufahren.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Konferenzsaal
Foto: Pixabay

Ich fürchte Ja. Ziemlich schnell sogar. Schauen wir uns die derzeitige Szene an. Wir sehen im Wesentlichen vier Männer, immer dieselben vier (Kompatscher, Widmann, Schuler, Achammer). Die Krawatte haben sie gegen ein Halstuch eingetauscht. Innerhalb weniger Wochen hat sich der politische Diskurs in ein Frage-und-Antwort-Spiel verwandelt. BürgerInnen sagen nicht mehr ihre Meinung, sie dürfen Fragen stellen. Der Herr Professor antwortet, Tag für Tag, auf die Fragen im Radio, der Herr Hausarzt antwortet in der Zeitung, der Landeshauptmann antwortet in der Pressekonferenz.

Das ist sogar nachvollziehbar. Menschen brauchen Information und klare Antworten in dieser Zeit. Und: Eine Krise muss in aller Schnelle bewältigt werden, Entscheidungen sind zu treffen, ohne die langwierigen parlamentarischen Prozeduren.

Aber: Die Modi schleifen sich sehr schnell ein. Das Wirtschafts-Maßnahmenpaket wird nun nicht mehr diskutiert, sondern nur mehr vorgestellt. Im Radio besprechen es nicht mehr der Landesrat und die politischen Vertretungen, sondern auch dazu gibt es jetzt Anrufsendungen, wo dem Landesrat Fragen gestellt werden dürfen.

In kürzester Zeit ist die politische Debatte verarmt. Die Perspektiven haben sich verengt. Der öffentliche Diskurs wird banalisiert. Dabei wird im Hintergrund, in den sozialen Medien, in den Telefongesprächen und Videomeetings massiv diskutiert, mehr als je zuvor. Maßnahmen werden besprochen, Menschen suchen nach Information und Austausch, die Satire blüht und zeigt auf, dass die kritischen Geister noch nicht ermattet sind, sondern wacher denn je. Die Sehnsucht nach Diskussion, nach Verständnis, nach Auseinandersetzung ist immens.

Eine große Kluft hat sich aufgetan zwischen dieser Ebene und der öffentlichen Szene. Letztere wird  von den eingangs genannten Herren bespielt und das Publikum darf wohldosiert interagieren.

Ich sehe darin eine große Langeweile, vor allem aber große Gefahren.

Eine ist die Infantilisierung der Gesellschaft. Indem der eigentlich vom Landtag gewählte Landeshauptmann zum allgegenwärtigen Landesvater wird, werden auch die BürgerInnen zu Kindern. Sie fragen um Antwort und zunehmend um Erlaubnis. Der LH hat seine Sprechart geändert. Er spricht heutzutage immer in der Ich-Form (Conte macht das übrigens auch. Es heißt, dass er zugleich an Sex-Appeal zugelegt hat. Auch das sollte zu denken geben). Auf die einzige kritische Bemerkung der Opposition in der gesamten Coronakrise (als die Frage aufgeworfen wurde, ob die berühmten Halstücher sinnvoll seien oder gar von Verwandten des Landesrates fabriziert worden waren), reagierte Kompatscher ungehalten und mit dem Ton einer Mama, die den Kindern sagt: „Da arbeite ich den ganzen Tag für euer Bestes und dann tut ihr auch noch kritisieren!“.

Die allseits verwendete Kriegsrhetorik verschärft die Meinungseinheit und die Botschaft des Gehorchens. Man denkt vielleicht, dass es nun Gehorsam braucht, um die Maßnahmen so flächendeckend als möglich durchzusetzen. Das ist eine Denkart. Eine andere geht davon aus, dass nicht gehorcht, sondern Regeln eingehalten werden müssen. Darin liegt ein kleiner, vielleicht winziger Unterschied. Denn während Gehorsam bedeutet, widerspruchslos Befehle anzunehmen, fußen Regeln auf einem gesellschaftlichen Konsens. Ganz ganz wichtig in dieser Zeit, wo wir so viele Menschen dazu bringen müssen, die Regeln des Zuhausebleibens und der Distanz einzuhalten.

Konsens aber entsteht aus Debatte. Wir konfrontieren in der Debatte unsere Haltungen, wir feilen daran, wir können Verständnis aufbauen und von vorgefertigten Urteilen abrücken. Genau das brauchen wir jetzt, noch mehr als sonst.

Daher mein inniges Plädoyer an alle, die Öffentlichkeit gestalten: Führen wir die Debatte wieder ein! Im Landtag, in den Medien, im wenn auch virtuellen Austausch zwischen den MeinungsträgerInnen.

Ich habe den Aufruf auch an den LH gerichtet. Ich weiß ihn da, zumindest theoretisch, auf meiner Seite. Er weiß um die Verführung der narzisstischen Omnipräsenz, aber auch um deren Einsamkeit. Er kennt die demokratischen Prozesse und nicht nur die Mühe, sondern auch die Stärke der Auseinandersetzung.

Es gilt die Demokratie wieder hochzufahren.

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Renate.Holzeisen Sa., 04.04.2020 - 13:12

Sehr guter Beitrag. Auf den Erhalt unserer Demokratie müssen wir wieder mehr denn je besonderes Augenmerk legen ... auch weil die enormen Folgewirkungen des in seiner Dauer nach wie vor leider nicht abschätzbaren Lockdown u.a. dazu führen werden, dass politische Entscheidungen noch mehr zu Intransparenz und vereinfachenden „Notlösungen“ tendieren werden. Wir sollten uns eine Reihe von schlechten Angewohnheiten abgewöhnen - gerade jetzt wo es uns leichter fällt - die Demokratie hingegen niemals!

Sa., 04.04.2020 - 13:12 Permalink
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Thomas B. Sa., 04.04.2020 - 14:16

Interessanter und mutiger Beitrag. Sie haben das Wesentliche, die Dauer-Präsentation von vollendeten Tatsachen aber nur aus der politischen Sichtweise traktiert. Denn: Mit den Finger auf "die anderen" zu zeigen, um von eigenen Problemen abzulenken, ist nur ein alter politischer Trick; der neue, nur die zu überzeugen zu müssen, die es für eine Entscheidung braucht, war gängige Praxis schon vor dem Eingesperrt-Sein. Der Rest, den man nicht überzeugen muss, wird im Moment behandelt wie Sie richtig dargelegt haben; wenn Förster und Soldaten (böse gesagt) den Plebs als Folge der Bestimmungen kontrollieren und nachhaltig einschüchtern geht... Der alte Trick erfüllt. (Kleiner Einschub: Warum werden diese Staatsbediensteten, meinetwegen bei vollem Gehalt, nicht für den Dienst dorthin abgestellt, wo Not am Mann und der Frau wäre?) Was den neuen Trick angeht, wird auf breiter Ebene diskutiert, meist abseits staatlicher Medien, meist auf ideeller und damit realitätsferner Ebene, denn die akuten Probleme sind einfach zu groß. Ein Regieren auf Angstbasis kann kein Dauerzustand sein, denn das nutzt sich ab. Ich vermute, dass im Verborgenen, hinter den Kulissen, zwischen den "Entscheidern" um das Fortbestehen nach dieser Zeit längst Kämpfe gefochten werden. Deshalb halte ihren Aufruf, "mehr Demokratie" zu "wagen", an die falsche Seite gerichtet, oder ist es gar eine Warnung?

Sa., 04.04.2020 - 14:16 Permalink
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Schorsch Peter Do., 09.04.2020 - 09:50

Danke, Frau Foppa!

Seit dieser Woche mache auch ich mir ernsthaft Gedanken um die Demokratie und um den Rechtsstaat hier in Südtirol.

Auf einem deutschsprachigen Online-Portal sehe ich zu den Themen Maskenzwang und 200m-Grenze in Bozen viele banale, polemische Posts,
viele Kommentare, aus denen man rauslesen kann, dass sich die Schreiber nicht in unterschiedlichen Quellen informiert haben, und selbst nachdenken, und somit auch nichts in Frage stellen, sondern einfach nur folgen, und nur sehr wenige von Menschen, die mitdenken, und Dinge in Frage stellen.
Die Informationen auf den bekannten deutschsprachigen Online-Portalen (ich rede nicht von Salto, Salto nehme ich hier aus) sind eher gering, es wird von den Journalisten nur das berichtet, was auch offiziell gesagt wird, mehr gibt es zumindest online nicht, die Journalisten schweigen, von Medien als vierter Gewalt im Staat ist hier nicht zu sehen.

Auf der Seite von unserem Landeshauptmann sehe ich unter der Bekanntmachung des Maskenzwangs einige Polemik, einige aus meiner Sicht sehr legitime Meinungen, aber auch echte Fragen zur Verordnung. Aber auf diese wird nicht eingegangen, niemand antwortet darauf (https://www.facebook.com/arnokompatscher.bz, 7. April)

Ein Dialog mit den Bürgern scheint also nicht gewünscht, zumindest über diesem Kanal werden keine Fragen beantwortet - dann könnte man die Kommentarfunktion eigentlich auch gleich abschalten, das wäre ehrlicher.

In einem Kommentar steht der Hinweis darauf, dass der Landeshauptmann von Kontakt zwischen Menschen spricht, in der Verordnung aber die "Möglichkeit von Kontakten" geschrieben steht, dass also die Verordnung deutlich weitergeht als das in der Pressekonferenz Erklärte.
Diese Tatsache wird aber nirgends thematisiert. Darf das in einem Rechtsstaat so sein?
Bei Verkündung des Maskenzwangs wurde in der Pressekonferenz auf Österreich verwiesen, es wurde aber dabei nicht erwähnt, dass der Maskenzwang in Österreich nur in bestimmten Situationen gilt, diese Information wird weggelassen.

In der derzeitigen Situation müssen bestimmte Freiheitsrechte eingeschränkt werden, ja, aber nur in dem Rahmen, in dem sie die Gesundheit der Bürger schützen.
Undifferenzierter Maskenzwang (d.h. nicht nur dort, wo es sinnvoll sein kann), und auch die Einführung der 200m-Grenze in Bozen sind aus meiner Sicht nicht mit dem gesundheitlichen Notstand rechtfertigbar. Warum wird es dann gemacht? Und eben auch nicht diskutiert?
Alles was gemacht wird, ist mit hohen Strafen zu drohen und die Leute einzuschüchtern. Ist das eines demokratischen Rechtstaats würdig?

Vieles was derzeit passiert, ist aus meiner Sicht sehr gefährlich für eine Demokratie, und lässt mich eher an andere Staatsformen denken.
Und mindestens genauso gefährlich ist, dass sich fast niemand daran stört, es niemand in Frage stellt, dass fast alle schweigen.

Do., 09.04.2020 - 09:50 Permalink