Gesellschaft | Werte

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Überlegungen
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Daniel

Ich bin in einer Demokratie aufgewachsen in der alle durcheinander schrei(b)en und oft der Lauteste oder jener mit der einfachsten Botschaft "recht" bekommt. Für diese Demokratie habe ich mich nie interessiert und mich, wie viele Altersgenossen eher einer Politikverdrossenheit übergeben. Ich erkenne in den letzten Jahren, und insbesondere in diesen Zeiten, dass die Demokratie, die mich interessiert und für die ich mich begeistern kann, jene ist, wovon ihr ursprünglicher Gedanke ausging: Eine mit Werten gefüllte Diskussionsarena. Nun fehlt es uns derzeit an Beidem: Wir haben die Werte vergessen oder vernachlässigt. Allen voran den Gemeinsinn. https://www.youtube.com/watch?v=aXPJNDVfBgU Und wir haben die Gewichtung der guten Diskussion verdreht: Reden (viel), Zuhören (wenig), Nachdenken (kaum).

Beides hilft uns nicht nur in Zeiten einer Epidemie.

 

Die Idee:

Uns allen den Mut und die Fähigkeit zuzusprechen, sich von seiner kindlichen Neugierde und Offenheit und nicht von seinen Ängsten und eingefahrenen Mustern leiten zu lassen.

Uns gegenseitig dazu aufzufordern Gemeinsinn und Verantwortung der Gesellschaft gegenüber zu verinnerlichen und (neu) zu erlernen. 

 

Der Versuch:

Was diesen zeitgeschichtlichen Moment so Besonders macht ist, dass er uns weltweit alle gleichermaßen betrifft. Das Virus kennt keine Rasse, Grenze oder politisches System. Wir haben unsere eigene Perspektive und unsere individuellen Sorgen, aber mehr denn je sollten wir versuchen, mit einer gewissen Ruhe die Realität in ihrer Tiefe zu begreifen und nicht voreilig nach gewohnten Denkmustern allein unsere eigenen Interessen zu vertreten. Zu groß ist die Gefahr, dass wir falsche oder voreilige Schlüsse ziehen, welche zeitversetzt unser eigenes wirtschaftliches und gesundheitliches Schicksal direkt oder indirekt berühren. Größer noch, wenn wir nicht zu Bedacht aufrufen sondern zu Aktionismus und Meinungsmache.

Ob es die Mutter oder der Partner mit einem Herzfehler ist, um die wir uns sorgen, ob der eigene Betrieb oder Arbeitsplatz - wenn wir ehrlich sind, wollen wir vermutlich alle das Selbe: Wirtschaft und Gesundheit retten. Die Tatsache, dass wir Kinder gegenüber dem Virus und seinen Parametern sind, hilft uns hierbei leider nicht. Wir lernen erst gerade. Es gibt Weniges, was klar ist. Und Vieles was wir besonders behutsam betrachten müssen. Erlauben wir uns also alle neugierig wie ein Kind zu sein und lassen wir uns nicht abschrecken von Dingen, von denen wir glauben sie wären zu komplex, um sie selbst zu verstehen oder gar blenden von unseren Ängsten. Bestenfalls schüren wir letztere nicht. Weder die Eigenen noch die unserer Mitmenschen.

Der beste Kapitän im Sturm? Jener der die Ruhe bewahrt.

 

a) Warum brauch(t)en wir einen Lockdown:
https://medium.com/@maxbalbach/coronavirus-warum-du-jetzt-handeln-musst-fb26b1ccb207

b) Was benötigen wir wissenschaftlich & medizinisch um einen Lockdown zurückzunehmen: https://medium.com/tomas-pueyo/coronavirus-der-hammer-und-der-tanz-abf9015cb2af

c) Was ist wirtschaftlich günstiger? Früher und harter, oder später und lockerer Lockdown: https://medium.com/tomas-pueyo/coronavirus-aus-vielen-entsteht-eine-einheit-4af0fc10df6d

 

Ein kleiner Abriss dessen, was ich bisher gelernt habe:

Unser großes Glück bei viralen Geschehnissen: Die wichtigsten Parameter für unser Volksverständnis im Zusammenhang mit dem Hintergrund von Maßnahmen, Dekreten, Lockerung und Alternativen, liegt weder in komplexen chemischen noch genetischen Sachverhalten, sondern schlicht in der Mathematik. Und somit einem der wenigen Felder mit dem wir alle bewandt sind. 

 
Der Einstieg:

Das Prinzip von Exponentialfunktionen selbst zu verstehen, ist der Schlüssel, um den Ausbreitungsverlauf und die Notwendigkeit des Lockdowns selbst nachvollziehen zu können. Anschaulich erklärt: https://youtu.be/Kas0tIxDvrg

 
Der Ausstieg:

Solange keine Herdenimmunität gegeben ist, gibt es in Absenz jeglicher Maßnahme als unweigerliche Konsequenz einen neuen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen. Um diesen zu vermeiden haben wir (unter der Bedingung, dass die realen Fallzahlen gering genug sind) zwei Möglichkeiten:

1) nur ein paar Maßnahmen und hier die Richtigen (welche je wie viel Effekt haben weiß die Wissenschaft bislang nicht) lockern, andere dafür sehr sehr lange behalten.

2) Alle Maßnahmen zurücknehmen (können) und auf etwas Anderes umsteigen.
https://youtu.be/gxAaO2rsdIs

 
Der Umstieg:

Der vielversprechendste und risikoärmste Weg, um wieder aus dem Lockdown zu kommen, ist eine effiziente Fallverfolgung. https://youtu.be/gxAaO2rsdIs

Eine Möglichkeit, sehr effizient und schnell zu sein, ist hierfür der Einsatz von Apps (auch auf freiwilliger Basis) kombiniert mit fokussiertem Testen. Es sei der Klarheit halber angemerkt, dass für die Funktion dieser Apps keine Standort-Daten nötig sind, da sie über Bluetooth feststellen, ob und wie nah sie einem anderen Gerät gekommen sind. https://www.ndr.de/nachrichten/info/27-Handy-Apps-koennen-eine-Perspektive-bieten,audio663034.html

Effiziente Fallverfolgung hat den Vorteil, dass man damit nicht nur zuverlässig, risikoarm und mit sehr geringem Kostenaufwand für die Gesellschaft die Epidemie in Schach hält, sondern diese sogar komplett stoppen könnte. Mit einer effizienten Fallverfolgung kann (!) das Leben zur kompletten Normalität ohne jegliche Einschränkungen zurückkehren. (Wenngleich begleitende Maßnahmen wie Beispielsweise Händewaschen vermutlich zusätzlich eingesetzt werden würden)

Sofern wir für eine effiziente Fallverfolgung weltweit, oder wenigstens in Europa die selbe Software (und gemeinsame Vorgehensregeln) benutzen, könnten wir sogar wieder ganz normal offene Grenzen zulassen. https://www.apple.com/newsroom/2020/04/apple-and-google-partner-on-covid-19-contact-tracing-technology/

Die Politik könnte für all jene (auf die Gesamtheit der Bevölkerung sehr wenigen) Menschen, welche infiziert sind und mittels Fallverfolgung als potentiell Infizierte gelten, auch direkte und klare Möglichkeiten zur Absicherung und Versorgung definieren. Man denke hier nicht nur an automatische Lohnfortzahlung oder Gewinnausfallsregelungen (welche allesamt unvergleichlich viel weniger kosten, als der derzeitige Stillstand im staatsweiten Lockdown), sondern auch an Ausfallregelungen, Entschädigungen oder Zwischenlösungen für die jeweiligen Arbeitgeber, welche für zwei Wochen auf einen Mitarbeiter verzichten müssen.

 
Fazit:

Wir brauchen vermutlich nur noch wenige Wochen Geduld, um aus dem Lockdown aussteigen zu können. Aber wir benötigen hierfür dann eine effiziente Fallverfolgung mit dazugehöriger Struktur. Dafür sollten wir uns alle stark machen und dann ebenso motiviert daran teilnehmen und unseren Gesellschaftsinn und Verantwortung füreinander leben, wie in den vergangenen Wochen.

Alles Liebe und vielen Dank fürs lesen,

Daniel

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Peter Gasser Do., 16.04.2020 - 01:00

Hervorragend.
Aber anstatt es richtig und nachhaltig zu machen, will man in Südtirol nur eines: die schutz-Maßnahmen beenden.
Bevor die Voraussetzungen, die es für das Beenden des lockdowns braucht, auch nur ansatzweise vorhanden sind.
Ein Spiel mit dem Feuer.

Do., 16.04.2020 - 01:00 Permalink
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Profil für Benutzer Daniel Defranceschi
Daniel Defranceschi Do., 16.04.2020 - 13:10

"Eine einzelne Fallverfolgung ist nur dann möglich, wenn die Fälle bekannt sind"
Das ist zwar richtig aber etwas missverständlich. Weniger missverständlich ist wie Sie weiter unten in Ihrem Kommentar zitieren: "Mathematisch lässt sich zeigen, dass bereits im Bereich von etwa 200 Fällen die Epidemie nicht mehr durch Nachverfolgung und Unterbrechung einzelner Infektionsketten gestoppt werden kann"

Letzteres ist genau jene Bedingung auf welche ich hinweise: Wir müssen mit unsern strengen (oder auch leicht verringerten) Maßnahmen jetzt noch ein wenig Geduld haben bis die realen (also die festgestellten + die nicht festgestellten) Infektionen unter diesen 200 liegen.

[Ich kann als nicht kompetenter Bürger nicht festhalten ob diese Zahl korrekt, zu tief, oder zu hoch ist. Dass es aber eine "Linie" irgendwo gibt ist zweifelsohne klar.]

Auch wird die Wissenschaft (im Moment) nicht mit Sicherheit sagen können, welche Dunkelziffer wir zu den getesteten Infizierten addieren müssen. Aber wie Sie ebenfalls Zerzer zitieren... Man kann es Schätzen.

Als Konsequenz: auch wenn der Wissenschaft exakte Daten noch fehlen, so können wir mit eine Näherung und etwas "Sicherheitsabstand" unterhalb der Annahmen oder derzeitigen Ergebnisse ab einer Zahl X (der Neupositiv getesteten) sehr wohl mit der Fallverfolgung beginnen.

Oder salopp gesagt: Wenn wir jetzt Maßnahmen gegen die Vermehrung der Wölfe zurücknehmen, werden sie sich (wieder) exponentiell vermehren und zum Problem für die Berglandschaft. Wenn wir aber noch ein klein wenig durchhalten mit der Vermehrungsbremse dann kommen wir in einen Bereich wo wir mit der Fallverfolgung effizient! und anhaltend die Vermehrung bremsen können.

NB: wie ich in Punkt 1) im Artikel schreibe: natürlich können wir auch mit angezogener Handbremse auf die Durchseuchung hinarbeiten. Das bedeutet aber kalkulatorisch, dass wir die Maßnahmen welche bleiben müssen (um genügend zu bremsen und das Gesundheitssystem NICHT zu überlasten) Jahrelang aufrecht erhalten müssen..

Beispiel Österreich: Eine Annahme ohne Impfstoff: 4-6 Jahre
https://www.heute.at/s/corona-osterreich-gerry-foitik-kontrollierte-dur…

Falls ein Impstoff vorher kommt... sagen wir in einem Jahr, und dieser Flächendeckend angewandt werden kann (Vorhanden + Infrastruktur die GESAMTE (Welt)bevölkerung zu impfen) evtl. natürlich dann entsprechend früher.

Do., 16.04.2020 - 13:10 Permalink
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Franz Seiler Sa., 18.04.2020 - 12:59

Zwei durchaus sehr spannende Links Herr Lechner!

Ein Gedanke dazu: Beim betrachten der Altersverteilung musste ich an die demografische Verteilung der Bevölkerung denken -> Je älter die Altersgruppe, desto weniger Menschen bleiben übrig, welche es in diese Gruppe schaffen. Bei den Jungen hingegen: Ob sich Junge weniger infizieren, oder schlichtweg fast nur leichte- oder Verläufe ohne Symptome entwickeln, ist noch nicht ganz klar soweit ich weiss. Aber kaum einer ohne Symptome wird getestet.

Man könnte sich die dargestellte Verteilung der als infiziert getesteten (!) hier also vielleicht auch anders erklären als mit der "arbeitenden Altersgruppe".

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Dass an einem Ort, (wie an einem Arbeitsplatz), wo sich mehrere Menschen längere Zeit miteinander aufhalten, und dabei auch jeden Tag neu in der selben Konstellation (=Kollegen), erhöhtes Risiko besteht, leuchtet mir aber dennoch absolut ein!

Sa., 18.04.2020 - 12:59 Permalink