Gesellschaft | Alterheime

Fragen ohne Antworten

Der Landesverband der Sozialberufe über die Situation in Alterheimen, die mangelnde Kultur Fehler einzugestehen und die Versäumnisse und Verantwortlichkeiten.
Altersheim
Foto: suedtirolfoto.com
Die Zahl der Menschen welche in den Südtiroler Seniorenwohnheimen, an oder mit den Coronavirus verstorben sind, ist inzwischen bekannt und es werden noch mehr werden.
Trotz dieser Tatsachen und Situation waren einige Direktorinnen der Seniorenwohnheime bis vor kurzem bemüht, die Situation als stabil und unter Kontrolle darzustellen, und dass obwohl die Situation hinter den Mauern der Seniorenwohnheime schon dramatisch war und die Mitarbeiterinnen nur noch die Möglichkeit hatten, die Situation und die emotionale Belastung irgendwie zu meistern und zu überstehen. Es wurde viel über die Mitarbeiterinnen geredet und geschrieben, selber zu Wort gekommen sind sie kaum, obwohl sie die Hauptlast der Auswirkungen dieser Krise tragen müssen. Bleibt die Frage warum es so schwerfällt, realistisch über das Geschehene zu sprechen und zu berichten.
 

Besorgte Mitarbeiter

 
Bereits Anfang März haben wir als Landesverband der Sozialberufe, Anrufe und Emails von besorgten Mitarbeiterinnen aus einigen Seniorenwohnheimen erhalten. Aus diesen Anrufen und Emails war herauszulesen, dass die Vorgaben, was die Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen betraf, in den einzelnen Seniorenwohnheimen sehr unterschiedlich war und diese Tatsache die Mitarbeiterinnen sehr verunsicherte.
Es wurde viel über die Mitarbeiterinnen geredet und geschrieben, selber zu Wort gekommen sind sie kaum, obwohl sie die Hauptlast der Auswirkungen dieser Krise tragen müssen.
Daraufhin haben wir am 13.03.2020 den Verband der Seniorenwohnheime über Email ersucht, Sorge für eine einheitliche Vorgangsweise zu übernehmen, auf dieses Ersuchen haben wir nie eine Antwort erhalten.
Derzeit wird viel über die unterschiedlichen Verantwortungen diskutiert und geschrieben, was die Durchführung der Tests und die Schutzausrüstung betrifft.
Aber jetzt wieder zurück zu den Seniorenwohnheimen, auch dort wird es wohl so gewesen sein, wie der Virologe Dr. Bernd Gänsbacher in der Dolomiten vom 17.04.2020 schreibt „es wurde zulange zugeschaut“.
 
 
Am 05.03.2020 wurde im Sinne des Gesetzesdekretes empfohlen, in den Seniorenwohnheimen keine Besuche mehr von Verwandten, Bekannten und Freiwilligen zuzulassen. Diese Maßnahme wurde zur Sicherheit der Bewohnerinnen nach außen gesetzt.
Am 25.03.2020 wurde dann über die Errichtung eines Krisenstabes berichtet, welcher die Lage bzw. herausfordernde Situation koordinieren soll.
 

20 Tage Vakuum

 
Zwischen den beiden genannten Terminen, liegen 20 Tage und es tut sich die Frage auf, welche Maßnahmen wurden in diesen Tagen in den Seniorenwohnheimen nach innen gesetzt?
Es liegen uns Informationen vor, dass die Mitarbeiterinnen schon zu dieser Zeit ihre Sorge um die Situation zum Ausdruck gebracht haben, dabei aber nicht ernst genommen wurden. Es gab zu dieser Zeit noch Fotos auf Facebookseiten, wo Bewohnerinnen in Gruppen zusammen saßen, vom Abstand halten noch keine Rede.
Es liegen uns Informationen vor, dass die Mitarbeiterinnen schon zu dieser Zeit ihre Sorge um die Situation zum Ausdruck gebracht haben, dabei aber nicht ernst genommen wurden.
Es ist schwer nachzuvollziehen, dass die Bevölkerung zur äußersten Vorsicht aufgerufen wurde, weil das für die Senioren in den Heimen lebensrettend ist und dann innerhalb einiger Seniorenwohnheime diese Sicherheits- und Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden.
Eines ist die Verantwortung der Politik und des Sanitätsbetriebes und eines ist die direkte Verantwortung der Führungskräfte in den einzelnen Seniorenwohnheimen, wieso kommt es so schwer über die Lippen, dass in den Seniorenwohnheimen, wie auch in anderen Orten die Situation unterschätzt wurde.
 

Unbequeme Fragen

 
Folgende Fragen brauchen jetzt eine Antwort:
 
Gab es einheitliche Vorgaben zur Bewältigung der Situation?
Gab es ein einheitliches Krisenmanagement?
Gab es in den einzelnen Seniorenwohnheimen unabhängig von den eingerichteten Krisenstab, ein kleines Krisenteam vor Ort?
Wurden von Beginn an alle Gruppenaktivitäten vermieden bzw. eingeschränkt?
Ab wann wurden Zimmer für Bewohnerinnen, die Symptome aufwiesen, zur Verfügung gestellt?
Ab wann wurde ein Pflege- und Betreuungsteam eingerichtet welches ausschließlich für diese Bewohnerinnen zuständig war/ist, um so intern die Infektionskette zu unterbrechen?
Wurden unabhängig von den Schutzausrüstungen und Mundmasken zu Beginn ausreichend Mundschlaufen zur Verfügung gestellt?
Sieht das Zertifikat, mit welchen die Seniorenwohnheime zertifiziert sind, den Umgang mit Risikosituationen vor?
 

Mangelnde Fehlerkultur

 
Hier wird eine mangelnde Fehlerkultur offensichtlich, wie man mit Fehler-Risiken und Fehler-Folgen umgehen kann und muss.
Aber eine Krise ist immer auch eine Chance, laut Erikson kann eine Entwicklung – Weiterentwicklung dann stattfinden, wenn die Krise überwunden wurde, was die Voraussetzung für das Bestehen weiterer Krisen ist. Dann gibt uns diese Krise die Chance, Fehler-Folgen aufzuarbeiten, Entwicklungen nachzuholen, welche bis jetzt aufgeschoben wurden.
Jetzt braucht es das Gespräch und die Zusammenarbeit aller, um die Arbeitsbedingungen der Sozialberufe nachhaltig zu verbessern, denn auf die vielen „Danke“ und den Applaus müssen jetzt Taten folgen, so fordert es auch die Gleichstellungsrätin Frau Dr.in Michela Morandini.
Zudem müssen Maßnahmen wie Bonuszahlungen, Lohngerechtigkeit und das Landesgesetz für die Sozialberufe umgesetzt werden
Abschließend ist es unser Wunsch die Wichtigkeit zu äußern, gemeinsam mit den politischen Verantwortlichen und allen Akteuren, die Geschehnisse aufzuarbeiten um wichtige Erkenntnisse abzuleiten, daraus zu lernen, damit sich solche Situationen in Zukunft nicht wiederholen.
 
Im Namen des Landesverbandes der Sozialberufe die Geschäftsführung Marta von Wohlgemuth
 
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Max Benedikter Mo., 20.04.2020 - 17:25

Danke für diesen nüchternen und wertvollen Beitrag. Die Sozialberufe sollten jetzt klar Gehaltforderungen stellen. Gleiches gilt für das Gesundheitswesen. Es sollte aber nicht ausschließen von den Gewerkschaften kommen, sondern auch und besonders von den Managern und der Politik.

Mo., 20.04.2020 - 17:25 Permalink
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Klaus Hartmann Mo., 20.04.2020 - 19:05

Wieso kommt es den Verantwortlichen so schwer über die Lippen zuzugeben dass Fehler gemacht wurden? Aus Angst? Angst zur Verantwortung gezogen zu werden? Angst die Schuld auf sich zu nehmen? Angst vor Anklage?
Dabei wäre die Wahrheit die einzige Möglichkeit den Mitarbeitern, den Toten und den Angehörigen den nötigen Respekt zu erweisen. Ausflüchte, Rechtfertigungen und Beschwichtigungen tragen sicherlich nicht zu einer Entlastung der Situation bei und werden von den Betroffenen als zusätzliche Beleidigung empfunden.

Mo., 20.04.2020 - 19:05 Permalink
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Christoph Thaler Mo., 20.04.2020 - 22:49

Ich lese diesen Artikel mehrfach mittlerweile durch. Und frage mich, warum gerade so massiv unsere Seniorenwohnheime angegriffen werden. In einer Situation, wo wir vorallem zusammen halten sollten und alles daran setzen sollten, die wahrlich in zahlreichen Häusern sehr schwierige Situation zu meistern.
Es wird nur gefragt, was alles nicht gemacht wurde. Und nicht gezeigt, was alles geleistet wird aktuell. Sei es von Seiten der Pflegedienstleitungen, DirektorInnen und Präsidenten. Sei es von den Mitarbeitern in den verschiedenen Bereichen.
Es werden Vorwürfe gemacht, ohne zu hinterfragen, was in die Verantwortung und Handlungskompetenz der Seniorenwohnheime fällt. Und was in andere Verantwortungsbereiche. Siehe zum Beispiel Ankauf und Verteilung von Schutzmasken oder die Durchführung von Tests.
Wie sollten zum Beispiel Isolierstationen geschaffen werden, bevor keine Tests durchgeführt wurden.
Wie sollen Pflegeteams aufgeteilt werden in kleinen Strukturen. Dazu gibt es nicht genügend personelle Ressourcen. Noch dazu, weil ja gerade in vielen Altersheimen Personal ebenfalls erkrankt ist.
Arbeiten wir zusammen und meistern so die Krise.
Diese Angriffe führen meiner Meinung nur dazu, dass die ohnehin schon schwierige Situation noch herausfordernd wird und Angehörige und Mitarbeiter verunsichert. Und dass die geleistete Arbeit diskreditiert wird.

Mo., 20.04.2020 - 22:49 Permalink
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Profil für Benutzer Erna Marsoner
Erna Marsoner Di., 21.04.2020 - 14:07

Im obigen Bericht wird vom 05. und 25. März 2020 gesprochen, und welche Maßnahmen in diesen Tagen gesetzt wurden.
Ich stelle mir konkret die Frage, was ist in der Zeit davor passiert?
Im Internet scheint ein Schreiben des Gesundheitsministeriums mit Datum vom 03. Februar 2020 auf, gerichtet unter anderem an:
Assessorati alla sanità Province Autonome Trento e Bolzano loro sedi.
OGGETTO: Indicazioni per gli operatori dei servizi/esercizi a contatto con il pubblico.
Hygienemaßnahmen, Oberflächenreinigung, Abstand halten, Kontakte zu Erkrankten meiden, Tragen einer chirurgischen Maske, usw.
Die Verantwortung zum Schutz vor biologischen Risiken, liegt beim Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arzt.
Im Schreiben werden die Arbeitgeber aufgerufen, diese Informationen mit allen Mitarbeitern zu teilen.
Zur Frage ob es ein einheitliches Krisenmanagement gab, so steht dazu ebenfalls eine Info in diesem Schreiben:
„Presso il Ministero della salute è attivo un tavolo permanente con le Regioni per il monitoraggio continuo della situazione; sono in atto tutte le procedure per l’identificazione tempestiva e la gestione appropriata di casi sospetti, con procedure omogenee su tutto il territorio nazionale.
Ulteriori informazioni operative possono essere ottenute attraverso le autorità Sanitarie Regionali o il numero verde del Ministero della salute, 1500.”
Es gibt eindeutig Klärungsbedarf.
Link dazu: http://www.trovanorme.salute.gov.it/norme/renderNormsanPdf?anno=2020&co…

Di., 21.04.2020 - 14:07 Permalink
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Wally Schuler Di., 21.04.2020 - 14:13

Frau Wohlgemuth, ich kann Ihnen da nur zustimmen. Ich habe es in meiner nächsten Umgebung nun auch hautnah miterlebt, wie die Mitarbeiter der Pflegeheime mundtot gemacht werden. Z. B. Eine dieser Mitarbeiterinnen hat gestern einen Mahnbrief des Direktors erhalten, weil sie auf Facebook einen Kommentar an den Landeshauptmann geschrieben hat, wo sie die Tatenlosigkeit in Bezug auf die fehlerhafte China-Schutzausrüstung und die Unterbezahlung in dem Beruf anprangert. (Die Gewerkschaften kämpfen schon monatelang um bessere Löhne für diese Berufe.) Es sei eine Verleumdung seines Pflegeheims meinte der Herr Direktor und sie solle eine stellungnehmende Entschuldigung vorbringen (Frist im Brief angegeben) sonst? Ja, so weit ist es: mundtote Mitarbeiter, sonst droht ihnen der Verlust ihrer Arbeit? Außerdem, die Kommunikation war nicht an ihn gerichtet sondern den Landeshauptmann (Regierung). Wieso fühlt er sich so angesprochen? Dass er sogar eingreifen muss?

Di., 21.04.2020 - 14:13 Permalink
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Markus Lobis Do., 23.04.2020 - 06:21

Vielen Dank für diesen mutigen Beitrag! Wenn wir eine Lektion aus dieser Krise ziehen können, dann ist es aus meiner Sicht der Umstand, dass wir gesellschaftlich nicht auf große Herausforderungen vorbereitet sind und dass wir endlich diesen leidigen und machohaften Paternalismus hinter uns lassen müssen, der so viele wichtige und wertvolle Kräfte in unserer Gesellschaft hemmt. Wann lernen wir, dass wir die Beiträge aller brauchen, dass es eine Fehlerkultur geben kann und muss und dass man nicht mehr die Intelligenz der Menschen mit einem dramatischen Appell zum Zusammenhalten zurückdrängen und beleidigen darf.

Do., 23.04.2020 - 06:21 Permalink