Umwelt | Pestizide

„Mir hat man Prügel versprochen“

Christoph Gatscher lebt mit seiner Familie seit Jahrzehnten unterhalb Schloss Sigmundskron. Seine Erzählung macht deutlich welche Macht die Giftlobby in diesem Land hat.
Spritzen
Foto: Tirolischtoll
Ich lebe mit meiner Familie seit Generationen mitten in den Obstwiesen bei Bozen. Alljährlich werden wir mit dem massiven Einsatz von Pestiziden konfrontiert. „Pflanzenschutzmittel“ werden sie genannt; in meinen Augen sind es Gifte. Jedes Frühjahr, und das seit vielen Jahren, merke ich, welche gesundheitlichen Schäden meine Familie durch die Giftchemie erleidet. Es leiden nämlich nicht nur Insekten, sondern auch der menschliche Körper unter den Auswirkungen von Pestiziden. Darüber spricht aber kaum jemand. Chlorpirifos (Reldan) z.B. ein Nervengift, das 2020 in der ganzen EU verboten worden ist. Es wurde eine Aufbrauchzeit bis zum 16. April 2020 genehmigt.
Die Landwirte in der Obstwirtschaft wurden noch dazu motiviert, so viel wie möglich davon noch zu kaufen und zu verwenden anstatt vorzeitig darauf zu verzichten. Diese Aktion hat vielen Insekten, Verzeihung „Schädlingen“, das Leben gekostet und das Immunsystem vieler Menschen zu Corona-Viren-Zeiten geschwächt. Man kann in unzähligen Studien nachlesen, was Chlorpirifos im menschlichen Körper und Geist alles verursacht. Und das ist nur eines von hunderten gefährlichen Pestiziden.
Voriges Jahr führte meine Mutter Statistik: in 28 Tagen im März 2019 ist um unser Haus 44 Mal ein Sprühgerät im Einsatz gewesen, mit Giftwolken oft weit über die Baumspitzen hinaus.
In jahrelanger Selbstbeobachtung habe ich die Zusammenhänge zwischen Pestiziden und meinen körperlichen und geistigen Beschwerden verstanden. Auch jene meiner Familienmitglieder. Sehr lange dachten wir, es handle sich bei unseren Symptomen um Allergien. Aber dem ist nicht so:
  • Albträume nachts jedes Jahr pünktlich mit Reldan oder in anderen Jahren mit verwandten Mitteln. Kann nichts mit einer Allergie zu tun haben;
  • Atembeschwerden, ähnlich wie bei Asthma;
  • Verwaschene Sprache (Wörter im Satz vertauschen) verbunden mit Konzentrationsschwierigkeiten beim Sprechen und Tun - jedes Jahr pünktlich mit den Sprühgeraten;
  • Häufiges Wasserlassen und erhöhte Speichelbildung;
  • Orientierungsprobleme und Vergesslichkeit;
Damit nenne ich nur die evidentesten Auswirkungen. Diese Symptome verursacht ein Mittel, dessen Wirkstoff im Nervengas steckt.
 
 
Oder Captan, das ja „nur“ ein Fungizid ist: auf der Haut brennt es nach kurzer Zeit, als hätte man einen Sonnenbrand. Fungizide wie Captan werden gerne bagatellisiert, da es sich ja „nur“ um ein pilzbekämpfendes Mittel handelt. Doch schon zu meiner Schulzeit wurde gelehrt, dass Pilze widerstandsfähiger als Menschen sind. Wenn Fungizide für die Bekämpfung von Pilzkrankheiten im Obstbau angewendet werden, kann man daraus schließen, dass Fungizide für den Menschen sehr wohl gefährlich/bedenklich sind.
Meine Familie und ich leben mitten im Feld, was zur Folge hat, dass wir Pestizidausstößen monatelang fast pausenlos ausgesetzt sind.
Voriges Jahr führte meine Mutter Statistik: in 28 Tagen im März 2019 ist um unser Haus 44 Mal ein Sprühgerät im Einsatz gewesen, mit Giftwolken oft weit über die Baumspitzen hinaus. Leider grenzen vier verschiedene Grundbesitzer/Landwirte an mein Heim. Hiermit erklärt sich die Intensität.
Je nach „Pflanzenschutzmittel“ (Gift) gibt es vom Beratungsring eine vorgeschriebene Wiedereintrittszeit, bis dessen Ablauf die Obstanlage nicht betreten werden sollte. Die Dauer der Wiedereintrittszeit dauert wirkstoffabhängig (Giftigkeit) bis zu mehreren Tagen.
Meine Familie und ich leben mitten im Feld, was zur Folge hat, dass wir Pestizidausstößen monatelang fast pausenlos ausgesetzt sind.
Wann darf ich dann bitte vor mein Haus, oder meine Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule? Es wird uns weder wann noch was gespritzt wird, mitgeteilt, geschweige denn, wann die Abwartezeit vorbei ist. Wenn wir die vorgeschriebene Abwartezeit einhalten würden um unsere Gesundheit nicht zu gefährden, könnten wir tagelang unser Haus nicht verlassen, was in keiner Weise einer demokratischen und rechtlichen Gesinnung entspricht.
Ich möchte betonen, dass es auch konventionelle Obstbauern gibt, die sehr wohl darauf achten, nur in den dringendsten Fällen Pestizide einzusetzen
In Südtirol gibt es mittlerweile sehr viele Biobauern, die ausgezeichnete, gutschmeckende Äpfel produzieren. Auch sie spritzen, vielleicht auch mehr, aber deren Mittel schaden meiner Gesundheit nicht. Und ich möchte betonen, dass es auch konventionelle Obstbauern gibt, die sehr wohl darauf achten, nur in den dringendsten Fällen Pestizide einzusetzen. Ein neuer Nachbar von mir achtet beispielsweise sehr darauf, zum Glück. Darum sind wir sehr dankbar.
 
 
Die vor kurzem stattgefundene Polemik um verendete Bienen im Etschtal, und die unverzügliche Zurechtweisung des Betroffenen aufgrund seiner Aussagen zum Sterben der Insekten durch Pestizide, ist erschütternd. Mir liegt viel daran, dass uns in Südtirol und auf dem ganzen Planeten eine große, intakte Artenvielfalt erhalten bleibt. Leider ist sie jetzt schon stark geschrumpft.
Worin liegt der Sinn, chemisch synthetische Mittel in solchen Mengen anzuwenden und dadurch die Artenvielfalt, sowie die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel zu setzen? Ist es reine Profitgier oder einfach nur Unwissenheit gepaart mit Gleichgültigkeit?
Von der Giftmittellobby wird die Ursache für gesundheitliche Probleme meist den Allergien des Leidtragenden zugeschrieben. Oft sind es aber Vergiftungen. Wenn es sich dann aber doch um Allergien handelt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese von einem geschwächten Immunsystem stammen; ein durch Gifte geschwächtes Immunsystem.
Auch der insgesamt wohl tonnenschwere Staub der getrockneten Pestizidrückstände auf den Blättern der Obstbäume wird durch den täglichen Südwind, die Ora, das ganze Etschtal heraufgeblasen. Ein ganz besonderes Cocktail, das eingeatmet sehr gut an unseren Bronchien haftet. Man findet die Pestizidrückstände sogar in Bergseen in großer Höhe.
Kinder springen auf einem großen Trampolin, und in 2,50 Meter Entfernung fährt ein Sprühgerät vorbei, mit einem Gift das erbgutschädigend ist und alle anderen oben angeführten Auswirkungen herbeiführt
Lieber Leser, stellen Sie sich unsere Situation bildlich vor: Kinder springen auf einem großen Trampolin, und in 2,50 Meter Entfernung fährt ein Sprühgerät vorbei, mit einem Gift das erbgutschädigend ist und alle anderen oben angeführten Auswirkungen herbeiführt. Sekunden später sind alle Kinder platschnass vom Gift. Fantastisch.
Stellen Sie sich vor, Sie grillen an einem Sonntag (!) mit Freunden in ihrem Garten. Kurz bevor die Kotletten und das Gemüse gebraten sind, kommt ein Bauer vorbei und garniert Ihnen aus zirka drei Meter Entfernung das Gegrillte – garniert mit gesprühtem Gift, und das sogar sonntags. So ein rücksichtloses und respektloses Verhalten im Umgang mit Pestizidausbringung haben wir und andere Anrainer schon oft selbst miterlebt.
An dem ganzen stört mich nicht der Gestank, nicht das Sprühen, nicht der Lärm, sondern das Gift. Und es ist Gift. Chemisch synthetische Insektizide, Fungizide, Herbizide.
Eine meiner Töchter ist eine starke Nachwuchsfahrerin im Radsport. Bei einem Interview im Jahr 2019 stellte sie neutral ihre gesundheitlichen Atembeschwerden in Bezug auf Pestizide oder Allergien in Frage. Am Tag darauf war die Hölle los, Bauernkrieg.
Ich habe eine sehr sportliche Familie. Eine meiner Töchter ist eine starke Nachwuchsfahrerin im Radsport. Auch sie hat regelmäßig Probleme je nach Pestizid. Bei einem Interview im Jahr 2019 stellte sie neutral ihre gesundheitlichen Atembeschwerden in Bezug auf Pestizide oder Allergien in Frage. Am Tag darauf war die Hölle los, Bauernkrieg.
Die gesamte Apfellobby stand Kopf. Dabei hatte sie das Wort Pestizide in keiner Weise mit Äpfeln in Verbindung gebracht; sie erwähnte lediglich das Wort Pestizide. In den Wochen darauf wurde meine Tochter mehrmals bedroht und beschimpft. Mir hat man Prügel versprochen.
Das Schlimme daran war, dass sogar von der Sportlerszene scharfe Kritik zu ihrer Aussage kam, da die Vereine Angst vor Verlust von Sponsorengeld hatten. Eine gesunde Lunge ist die Garantie für jede sportliche Leistung. Die chronische Verschleimung, die „Schädlingsbekämpfungsmittel“ hervorrufen, ist für einen Leistungssportler fatal. Und es dauert Monate, bis sie ausgeheilt ist.
 
 
Uns wurde von der Obstlobby nahegelegt, wir sollten doch die Gegend verlassen, worüber wir eine Zeit lang ernsthaft nachgedacht haben. Doch unser Haus steht in dieser Gegend länger als jeder unserer Nachbarn seinen Grund besitzt. Ich bleibe und kämpfe, denn hier ist meine Heimat. Wie ein weiser Vinschger sagt: „Lei net lugg lossn“.
Die meisten meiner Kritiker spüren von unseren Problemen nichts. Vermutlich haben sie mehr Abstand zu den Obstanlagen, vermutlich sind sie auch weniger sportlich.
Uns wurde von der Obstlobby nahegelegt, wir sollten doch die Gegend verlassen, worüber wir eine Zeit lang ernsthaft nachgedacht haben. Doch unser Haus steht in dieser Gegend länger als jeder unserer Nachbarn seinen Grund besitzt.
Mit dem 16ten April möchte man meinen, dass unser Problem gelöst ist. Jedoch stehen den Landwirten Hunderte von anderen Mitteln mit ähnlichen Wirkstoffen zur Verfügung, wo es noch lange dauern wird, bis es auch für solche Einschränkungen geben wird. Es besteht außerdem noch die Gefahr der schwarzen Schafe, welche sich nicht an Regelungen und Vorgaben halten und längst verbotene Mittel spritzen. Schon öfters konnte ich an verschiedenen Theken in der Umgebung mithören, was hinter den Kulissen noch gespritzt wird, und dann wird damit geprahlt, dass sogar Vögel tot am Boden in den Apfelplantagen liegen.
Ich liebe Honig, und hoffentlich bekommen wir noch lange einen echten. Und ich liebe es beim Atmen viel Sauerstoff in meinen Blutkreislauf zu bekommen. Aber durch das Giftspritzen der Bauern ist mir und meinen Kindern oft wie Honig im Kopf. Das müsste nicht sein. Das darf nicht sein. Warum will der Obstbau in Südtirol nicht mit der Zeit gehen, oder sogar einen Schritt voraus sein und eine nachhaltigere, gesündere und zukunftsweisende Landwirtschaft betreiben. Warum?
 
 
 
Update am Samstag, den 2. Mai um 18.20 Uhr.

In den Kommentaren ist immer wieder von Bauernbashing durch Salto.bz die Rede und wie "übertrieben" dieser Artikel doch sei.
Gerade in den Reaktionen auf diesen Artikel kommt allerdings zum Ausdruck, wie authentisch Christoph Gatschers Schilderung in Wirklichkeit ist.
So schreibt etwa Mathias Lobis, SVP-Gemeinderat und Bauer aus Kaltern auf seiner öffentlichen Facebook-Seite in Anspielung auf den Titel völlig unverblümt:
 
"und prügel verdeansch dor a für so an scheiss!!!
ich lebe auch in mitten von obst und weinbau, was hiwr beschrieben wird ist pure hetze und gewaltig übertrieben!"

Aber wahrscheinlich gehört diese Art der Diskussionsführung auch zum integrierten Obstanbau.
 
Christoph Franceschini
 
 
 
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W. Holzer Mo., 04.05.2020 - 18:40

Diese Spritzmittel sind ungesund und in der Folge können die damit behandelten Lebensmittel auch nicht gesund sein, auch weil in der konventionellen Landwirtschaft nicht oder zu wenig oder am falschen Ort kontrolliert wird. Es wird Masse hergestellt, die sich nicht abhebt und demzufolge dem knallharten Wettbewerb nicht nur der Handelsketten ausgesetzt ist. Man muss die Bilder verstecken, die zeigen wie diese Lebensmittel hergestellt werden, denn sonst würde sie niemand mehr kaufen, zumindest nicht um diesen Preis. Unsere 3 faltige landw. Monokultur - Milch, Wein und Apfel in konventioneller Anbauweise birgt enorme Risiken und mit Make up wie Heumilch od integrierter Anbau werden die Lebensmittel auch nicht gesünder. Die momentane Zeit würde die Gelegenheit bieten gesündere Lm herzustellen, sie regional zu vermarkten und in viel größerer Diversität. So weitermachen wäre nicht intelligent. Nur von Angebot und Nachfrage aus geht es langsam, vor allem im Bereich der öffentlichen Förderungen wäre viel Potenzial zum "Anschupfen". Südtirol ist prädestiniert für biologisch Anbau, schon nur wegen der Kleinstrukturiertheit seiner Betriebe und ein hoher biologisch - gesunder Anteil rückt Südtirol in ein gutes Licht. Das tut dem Tourismus (Nachfrageseite) gut, der Industrie...eigentlich allen. Wir können nicht auf Dauer eine heile Welt vorspielen, und im gleichen Atemzug uns die Wahrheit schön reden. Der Mensch will gesündere Lm, logisch er muss sie auch bezahlen, aber gerade jetzt sind viele Diskussionen über Wertigkeit im Gange, dazu zählt auch was ich esse, denn ungesunde Lm fördern nicht die Gesunheit. Veränderungen erfolgen leichter, wenn mann sie will, nicht wenn man solange wartet, bis sie der Markt aufdrückt.

Mo., 04.05.2020 - 18:40 Permalink
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Stereo Typ Mo., 04.05.2020 - 22:29

salto sollte sich etwas überlegen. Es kann nicht sein, dass im Kommentarbereich eine Person auf nahezu alle Einträge antwortet und sich als Interessenvertreter einer bestimmten Gruppe geriert. Das führt doch alles ad absurdum. Dann erübrigt sich doch in Zukunft jeder kritische Artikel - und Kommentar.

Mo., 04.05.2020 - 22:29 Permalink
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m s Mo., 04.05.2020 - 23:12

Mein Mitgefühl gilt der Fam. Gatscher. Ich kann mir gut vorstellen wie ungut das ist wenn man von allen Seiten "eingenebelt" wird. Wahrlich eine Schande. Was mich am Bauernbund bzw. von Bauernseite generell oft stört, ist dass man alle Schuld auf den Konsumenten schiebt. Einerseits ist da sicher was dran, andererseits aber wird durch regelrechte Marketingkampagnen geradezu der perfekte und makellose Apfel, zumeist in schöner Landschaft ohne Monokultur propagiert. Wie wäre es wenn der Bauernbund anfangen würde Marketingkampagnen zu inizieren, welche den Konsumenten informieren, dass unter normalen Umständen produzierte Äpfel nicht perfekt sein können, diese aber trotzdem gesund und für die Umwelt nachhaltiger sind? Im Übrigen auch ein Versuch der Lebensmittelverschwendung generell in der Lebensmittelindustrie entgegenzuwirken, wo einige zweistellige Prozentzahlen an Lebensmittel direkt im Feld/Acker verbleiben, da nicht markttauglich. Die Aufklärung der Kunden darüber, dass landwirtschaftliche Produkte von Natur aus unterschiedlich sind, wäre aus meiner Sicht eine (sinnvolle) Aufgabe des Bauernbundes und generell des Bauernstandes. Also weg von industrieller Normung und wieder hin zu alter bäuerlichen Tradition..

Mo., 04.05.2020 - 23:12 Permalink