Wirtschaft | Maskenaffäre

Archiviertes Protokoll?

Generaldirektor Florian Zerzer behauptet, es habe die zweite 25-Millionen-Bestellung bei Oberalp nie gegeben. Die Dokumente sagen aber etwas anderes.
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Foto: ORF/Südtirol heute
Heiner Oberrauch hat den Glauben an die Redlichkeit noch nicht verloren.
Ich bin zuversichtlich. In Südtirol gilt noch das Wort, und ich glaube, wir werden die Ware auch bezahlt bekommen“, sagt der Südtiroler Unternehmer und Besitzer der Oberalp Group in einem Interview mit „Südtirol heute“.
Am Freitag hatte Salto.bz im Südtiroler Maskenkrimi eine Nachricht aufgedeckt, die bisher vom Sanitätsbetrieb verschwiegen wurde. Neben der umstrittenen 9,3 Millionen-Lieferung von Schutzbehelfen aus China gibt es seit Ende März 2020 eine zweite, weit größere Bestellung des Sanitätsbetriebes beim Südtiroler Sportartikelhersteller im Wert von 25 Millionen Euro.
Der ORF-Südtirol hat am Freitag die Salto-bz-Meldung aufgegriffen. Heiner Oberrauch bestätigte dabei im Fernsehinterview diese Darstellung. „Nachdem wir mit der ersten Lieferung über die österreichische Luftbrücke innerhalb einer Woche die Güter organisieren konnten und das Material von der Sanität gesehen und ausprobiert worden ist, wurde eine zweite Bestellung ausgelöst“, sagt Oberrauch.
ORF-Reporterin Sigrid Silgoner interviewt dazu auch Florian Zerzer. Der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes sagt das genaue Gegenteil. Zerzer: „Wir haben Erhebungen gemacht, welche Mengen wir brauchen. Und wir haben uns mit diesen Erhebungen auch an Oberalp gewandt. Eine Bestellung in dieser Form ist nicht mehr ergangen, weil wir ja nicht eine zertifizierte Ware da hatten, was heißt, so das können wir bestellen.
 
 
Gegenüber der Tageszeitung Dolomiten wiederholt Florian Zerzer am Samstag diese Darstellung. In Kurzform: Es sei weder etwas bestellt noch bezahlt worden. Zudem reichert der Sabes-Generaldirektor die Geschichte mit einem weiteren Detail an. Die von Salto.bz beschriebene Bestellungsliste sei Anfang April an den Landeszivilschutz geschickt worden.
Florian Zerzer wörtlich im ORF-Interview: „Ich weiß nicht, was die Oberalp jetzt definitiv vorgestreckt oder bezahlt hat.
 

Das Schreiben

 
Nach Informationen von Salto.bz haben die Beamten der Carabinierisondereinheit NAS vor zwei Wochen sowohl in der Bozner Sanitätsdirektion wie auch in den für den Ankauf zuständigen Ämtern ein offizielles Dokument beschlagnahmt.
Es handelt sich um eine PEC-Mail des Finanzchefs der Oberalp AG Manuel Stecher an den Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer vom 30. April 2020. Im Schreiben mit dem Betreff: „Folgebestellung – 2. Auftrag – Aufforderung zur Vertragserfüllung“ wird der Sanitätsbetrieb ersucht, innerhalb 8 Tagen die vereinbarte Zahlung von 25.085.000 Euro an das Unternehmen Oberalp zu leisten. Es ist das Geld, das das Privatunternehmen für den Sanitätsbetrieb vor über eineinhalb Monaten für die zweite Lieferung von Schutzmasken und Schutzanzügen vorgestreckt hat.
In diesem Schreiben ist detailliert das aufgelistet, von dem Florian Zerzer heute - zwei Wochen später - angeblich nichts mehr wissen will.
 

Die zweite Bestellung

 
Am 17. März 2020 schließt der Sanitätsbetrieb den Vertrag für die erste Lieferung von Schutzausrüstung aus China. Kostenpunkt: 9,3 Millionen Euro.
Am 24. März trifft diese Lieferung über Wien in Bozen ein. Weil man unter Druck steht, muss in diesen Tagen alles schnell gehen. Der Markt an Schutzausrüstung wird leer gekauft. Die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes geht zudem davon aus, dass man weit mehr an Schutzausrüstung braucht, als man bei Oberalp bereits gekauft hat.
 
 
Während die erste Ladung sozusagen in der Luft ist, macht der Sportartikelhersteller deshalb ein Angebot für weitere Lieferungen. Am 23. März 2020 gibt der verantwortliche Leiter der Taskforce per Mail einen schriftlich Auftrag für 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch. Der Gesamtpreis: 28.490.000 Euro.
Drei Tage später überweist die Oberalp AG 29,6 Millionen US-Dollar für diese Bestellung an ihren chinesischen Partner „Tutwo“. Damit beginnt in China die Produktion dieser Ware.
 

Das Treffen

 
War diese Bestellung also ein Versehen? Oder ein missverständlich formuliertes E-Mail? Hat hier die Firma Oberalp mehr hineininterpretiert, als der Sanitätsbetrieb wollte?
Nur eines stimmt an der Darstellung von Florian Zerzer. Es gibt bis heute weder einen formellen Beschluss des Sanitätsbetriebes noch einen unterschriebenen Vertrag für diese zweite Bestellung.
Dass das Unternehmen Oberalp aber sehr wohl auf eine rechtsgültige Beauftragung pochen kann und mit großer Wahrscheinlichkeit in einem möglichen Streit vor Gericht durchaus Recht bekommen dürfte, liegt an der Folgeentwicklung.
Denn am 31. März 2020 kommt es zu einem Treffen der Spitzen des Sanitätsbetriebes mit den Vertretern der Unternehmens Oberalp. Beim Treffen wird die zweite Lieferung noch einmal detailliert schriftlich präsentiert. Der Sanitätsbetrieb fordert in dieser Aussprache auch eine Änderung der Bestellung. Dabei wird die Anzahlt der Schutzmasken deutlich ausgestockt (obwohl zwei Tage zuvor der Spitze des Sanitätsbetriebes ein Gutachten vorgelegt wurde, aus dem hervorgeht, dass die KN95-Masken fehlerhaft sind), während die Bestellung des teuersten Produktes - der aseptischen Schutzanzüge - von 400.000 auf 100.000 Stück reduziert wird.
Damit verringert sich der Gesamtpreis auf 25.085.000 Euro.
 
 
Von diesem Treffen gibt es auch ein schriftliches Protokoll, das nach Informationen von Salto.bz ebenso in den Akten der Ermittler liegt.
Zudem bestätigt der Beamte, der für den Einkauf verantwortlich ist,  in einem Schreiben an Oberalp am 2. April 2020 noch einmal die Bestellung durch den Südtiroler Sanitätsbetrieb.
Zu diesem Zeitpunkt waren außerhalb des Sanitätsbetriebs weder die negativen Gutachten des Wiener Amtes für Rüstung und Wehrtechnik und des deutschen Prüfinstitutes Dekra  zum Fitting der KN95-Schutzmasken öffentlich bekannt noch die fehlende Zertifizierung der Schutzanzüge.
Deshalb wurde die Folgebestellung auch gemacht.
Im Protokoll vom 31. März wird auch festgehalten, dass sich der Sanitätsbetrieb verpflichtet, die Ware bis Mitte Mai abzunehmen.
An all das will sich Florian Zerzer jetzt aber anscheinend nicht mehr erinnern.
 
 
 
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Andreas gugger Sa., 16.05.2020 - 14:25

Unerklärlich scheint die Annahme dass das alles Zerzer wissen und entscheiden muss. Einen Auftrag über 25 M Euro. Heutzutage muss man Aufträge ausschreiben bei denen es um 100 euro geht. Weiters ist man es auch nicht gewohnt absolut nichts vom Superlandesrat Widmann zu hören. Lasst der seinen Spitzenbeamten fallen, opfert er ihn? ja was denn nun.

Sa., 16.05.2020 - 14:25 Permalink
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Johann Georg B… So., 17.05.2020 - 09:07

Einer lügt,wer ist der Schuldige??
Ich bin ein normaler Bürger,ich habe den Überblick verloren, verfolge die Berichte täglich, bin gespant auf den Abschlussbericht vom Untersuchungsausschuss. Zerzer alleine ist sicher nicht der Schuldige.
Wer soll das Bezahlen,wer hat soviel Geld,der Widmann wirts schon richten.

So., 17.05.2020 - 09:07 Permalink
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Elisabeth Garber Mo., 18.05.2020 - 19:04

Antwort auf von Karl Gudauner

In jener Zeit - China hatte Tür und Tor geschlossen in Bezug auf Schutzmaterialien-Export, und zwar seit 23 Jänner für fast 2 Monate - musste 'man' nehmen, was und wie man es kriegen konnte. Wie's der Teufel haben will, ist ausgerechnet Wuhan der Hauptproduzent von sanitären Artikeln. Am schlimmsten sollen die Amerikaner gewesen sein, was das 'abluchsen' von Aufträgen betrifft - sie standen mit Geldkoffern bereit, um die Chinesen erfolgreich zu bestechen: Erpressung, astrale Preise und nicht EU-zertifizierte Ware waren an der Tagesordnung. Solange, bis China, nach Eindämmung der Seuche, sich auf seinen Ruf besinnte und konsequente Zollkontrollen durchführte.
Wie schon andernorts bemerkt, der Artikel "Ungeschützt" in der Spiegel-Ausgabe Nr. 20 ist sehr aufschlussreich, sowohl in Bezug auf Beschaffungskriminalität als auch in Bezug auf Zertifizierungen und Mangelware.

Mo., 18.05.2020 - 19:04 Permalink
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Michael Kerschbaumer Mo., 18.05.2020 - 18:37

Laut Widmann gibt es eine weltweite Knappheit an Masken und Schutzanzügen. Der Preis sei ja ein guter. Wieso verkauft das Land diese Ware nicht einfach gewinnbringend weiter? Oder wird das Inail nach xmaliger Kontrolle die Lieferung wie nach einem Wunder freigeben? in anderen Ländern, weiters Widmann, wäre man ja froh über diese Ware. So viel Arbeit und dann die Solidaritätsunternehmen Südtirols blossstellen ist eine bodenlose Frechheit!!!!

Mo., 18.05.2020 - 18:37 Permalink
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Gianni Bodini Di., 19.05.2020 - 16:42

Ich sehe es positiv.. Ich schlage vor, jene die diese Groteske aufführen, haben einen Preis verdient. Durch den Ankauf und die Lagerung von Millionen von nicht besonders guten Schutzmasken, haben sie verhindert, dass dieses Material ins Meer gelangt. Damit ist ein unglaublicher Beitrag für die Erhaltung des Planeten geleistet worden.

Di., 19.05.2020 - 16:42 Permalink