Chronik | Schule

Die Technik des Hauptschulamtsleiters

Der höchste Schulbeamte Südtirols, Vincenzo Gullotta, hat in einer Sondersitzung die Noten seines Sohnes nach oben korrigieren lassen. Ein skandalöser Ausrutscher.
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Foto: upi
Es ist nicht Freitag, der 13., der für Vincenzo Gullotta zum Pechtag werden könnte, sondern Freitag, der 12. Juni. An diesem Tag trifft sich an der Bozner Mittelschule „Ugo Foscolo“ der Klassenrat einer zweiten Klasse, um eine Sondersitzung abzuhalten.  Genau 30 Minuten dauert die Sitzung. Von 15.20 bis 15.50 Uhr. Es sind jene 30 Minuten, die das Ende der Laufbahn des höchsten Schulbeamten Südtirols bedeuten könnten.
Vincenzo Gullotta ist seit Anfang 2019 Bildungsdirektor der italienischen Schulen in Südtirol. In Wirklichkeit aber ist er nicht nur der italienische Schulamtsleiter, sondern weit mehr. Auch wenn sich die SVP und die Landesregierung nicht gerne daran erinnern, was im Autonomiestatut steht.
Dort heißt es in Artikel 19, Absatz 4:
 
„Für die Verwaltung der Schulen mit italienischer Unterrichtssprache und für die Aufsicht über die Schulen mit deutscher Unterrichtssprache sowie über die im zweiten Absatz genannten Schulen der ladinischen Ortschaften ernennt das Ministerium für den öffentlichen Unterricht nach Einholen der Stellungnahme des Landesausschusses von Südtirol einen Hauptschulamtsleiter.“
 
Dieser Hauptschulamtsleiter (sovrintendente) heißt seit Anfang 2019 Vincenzo Gullotta. Rein formal und autonomierechtlich ist Gullotta damit höhergestellt als die Landeschuldirektorin Sigrun Falkensteiner. Theoretisch sind sowohl Falkensteiner wie auch die ladinische Schulamtsleiterin Edith Ploner der Aufsicht Gullottas unterstellt. In der Praxis tut man seit Jahrzehnten aber so, als würde dieser Passus des Autonomiestatutes nicht mehr gelten.
 

Die Enthüllung

 
Vor diesem Hintergrund ist die Affäre um Vincenzo Gullotta noch einmal brisanter. Der „Corriere dell’Alto Adige“ enthüllt am Dienstag exklusiv eine Geschichte, die nur schwer glaubhaft scheint. Redakteurin Chiara Currò Dossi schreibt, dass der Hauptschulamtsleiter, nachdem sein Sohn das Abschlusszeugnis erhalten hat, beim Direktor der Schule vorstellig wurde, um sich über zwei Noten zu beschweren. Daraufhin wurde am selben Nachmittag eine außerordentliche Notenkonferenz einberufen, um das Zeugnis zu „korrigieren“. Die beanstandeten Noten wurden dabei kurzerhand angehoben.
 
 
Der Corriere hat beim Direktor der Schule Franco Lever nachfragt. „Ich bestreite einen solchen Anruf“, wird Lever im Corriere zitiert. Nach Erscheinen des Artikels gibt auch Vincenzo Gullotta eine kurze schriftliche Erklärung gegenüber Salto.bz ab. Darin heißt es wörtlich: „Dass der Artikel völlig haltlos ist, nicht der Wahrheit entspricht und auf Fakten beruht, die es nie geben hat“. Vincenzo Gullotta kündigt gleichzeitig an, dass er auch rechtliche Schritte prüfe, um seine Reputation und jene seiner Familie zu schützen.
 

Das Protokoll

 
Das Problem des Hauptschulamtsleiters bei dieser Sicht der Dinge dürfte aber die Schulbürokratie sein. Denn Salto.bz liegt das offizielle Protokoll der Klassenratssitzung vom vergangenen Freitag vor.
In diesem Protokoll wird in allen Einzelheiten die Darstellung, die der Corriere gegeben hat, bestätigt.
 
 
Laut Protokoll habe es einen Anruf der „Familie Gullotta“ beim Direktor gegeben. Daraufhin habe einer der Professoren, dessen Note beanstandet wurde, eine schriftliche Stellungnahme bei Direktor Franco Lever abgeliefert.
Es handelt sich um den Architekten und Technikprofessor Francesco Migliaccio. Der Professor scheint über Nacht zu einem anderen Ergebnis gekommen zu sein und ersucht auf dieser Sitzung die Techniknote des Gullotta Sohnes von 6 auf 8 anzuheben. Was der Klassenrat dann auch prompt tut.
Doch das war anscheinend nicht der einzige Fehler. Denn es wird an diesem Nachmittag noch eine zweite Note des Sohnes des italienischen Hauptschulamtsleiters angehoben. Auch in Musik bekommt der Gullotta-Sohn eine 8 am grünen Tisch. Der Musikprofessor Michele Di Mauro erklärt auf der Sitzung, dass der Notendurchschnitt des Schülers bei 7 sei und er an dieser Bewertung festhalte. Doch die Mehrheit im Klassenrat stimmt auch hier für die Note 8.
Offizieller Grund für die Aktion sind formale Fehler. Genau hier wird es interessant. Denn in den italienischen Mittelschulen gibt es das digitale Klassenregister. Damit aber ist es nicht der Professor, der am Ende den Notendurchschnitt errechnet, sondern der Computer. Und dieser macht keine Fehler. Im Fall des Gullotta Sohnes war der Notdurchschnitt in Technik auf 6,17 und in Musik auf 7.
Deshalb kann es nur einen anderen formalen Fehler gegeben haben.  Wie im Protokoll angeführt, geht es um die Einschätzung, ob gewisse Noten im Fernunterricht in der Corona-Zeit zählen oder nicht.
Damit aber wird die Sache noch absurder. Denn stimmen sie bei Gullottas Sohn nicht, können sie auch bei den anderen Schülern und Schülerinnen nicht richtig sein.
 

Unverzeihliche Intervention

 
Dabei ist es in der Bewertung dieser Affäre völlig unerheblich, ob ein formaler Fehler vorliegt oder nicht. Auch ob Vincenzo Gullotta Recht hat oder nicht.
 
 
Es gibt Hunderte Eltern, die mit der Benotung ihrer Schützlinge zu Recht oder zu Unrecht nicht zufrieden sind. Keiner von ihnen kann aber deshalb beim Direktor oder beim zuständigen Professor anrufen und eine Korrektur oder eine außerordentliche Notenkonferenz beantragen. Das ist weder vom Gesetz vorgesehen noch möglich. Kein Direktor und keine Direktorin würden sich darauf einlassen.
Wenn eine Sechs in Technik schon zu einer solchen Aktion führt, was passiert dann aber mit jenem Lehrer, der den Kindern seines höchsten Vorgesetzen eine 4 gibt?
Sehr wohl aber hat jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht beim Bozner Verwaltungsgericht einen Rekurs zu hinterlegen. Es gibt jährlich gut eine Handvoll solcher Rekurse, die zum Großteil auch angenommen werden.
Genau das ist der Weg, den auch Vincenzo Gullotta und seine Familie bestreiten hätten müssen. Dass der höchste Schulbeamte des Landes hier kurzerhand eine Abkürzung einschlägt und auch kraft seines Amtes anscheinend eine Sonderbehandlung einfordert und auch erhält, ist ein Skandal.
Vor allem aber: Wenn eine Sechs in Technik schon zu einer solchen Aktion führt, was passiert dann mit jenem Lehrer und jener Lehrerin, die den Kindern ihres höchsten Vorgesetzen eine 4 geben?
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Salto User
Manfred Gasser Mi., 17.06.2020 - 07:07

Na dann liebe Eltern, auf zu den Direktoren, auf dieses procedere hinweisen, und keine Note unter acht akzeptieren.
Und bitte hier melden, sollten ihre berechtigten, oder nicht, Einwände nicht berücksichtigt werden. Was dieser sovrintendente kann, können Sie doch auch, oder?
Ich freu mich schon, wir werden bald das bestbenotetste Schulsystem der Welt haben.

Mi., 17.06.2020 - 07:07 Permalink
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Katja Renzler Mi., 17.06.2020 - 08:42

In mittlerweile fast 20 Jahren Unterrichtstätigkeit (Mittel- und Oberschule) habe ich solche Einmischungsversuche der Eltern immer wieder erlebt. Meistens geschieht dies kurz vor den Notenkonferenzen, wenn Feuer am sprichwörtlichen Dach ist, und (Überraschung!) meistens sind es Eltern aus recht privilegierten Kreisen, welche die Türklinke zu den Büros der Direktor*innen putzen gehen. In der Notenkonferenz selbst wird man als Lehrperson von oben (also von Seiten der Schulführungskraft) in solchen Fällen dann schon mehr oder weniger unverblümt in eine gewisse Richtung gelenkt (Drohung: Rekurs; teilweise Vorbringen von abstrusen und nicht belegten Gründen). Natürlich spielt es eine Rolle, ob man als Lehrperson die Bewertung auch gut nachvollziehbar (d.h. klar begründet) und möglichst objektiv im Sinne der Berufsethik gestaltet- und wie in jedem Beruf gibt es leider auch in der Schulbranche "problematische" Fälle von Voreingenommenheit, egal, auf welcher Ebene des Organigramms.
Auch, wenn man als Lehrperson in der abschließenden Notenkonferenz eigentlich nicht einzuknicken bräuchte, haben speziell junge und nur befristet angestellte Lehrpersonen (z.B. in Direktbeauftragung) in solchen delikaten Fällen oft keine andere Wahl, als dem Druck nachzugeben. Ich rate daher dazu, sich erstens mit Kolleg*innen im Vorfeld der Konferenz sachlich über die Problematik auszutauschen und zweitens, in solchen Fällen rechtzeitig beim Schulamt anzurufen und diesem die Sachlage objektiv zu schildern. Das Schulamt weiß um solche Fälle und ihm ist jedenfalls an Korrektheit gelegen (ich kann mich an einen Fall erinnern, wo die Schulführungskraft kurz nach einem solchen Hinweis ans Schulamt unerwartet sachlich bzw. unparteiisch wurde). Auch, wenn Papier gewissermaßen geduldig ist, gilt das verfassungsrechtlich abgesicherte Recht auf Gleichbehandlung! Auch für diejenigen, die nicht Klinke(n) putzen gehen können oder wollen.

Mi., 17.06.2020 - 08:42 Permalink
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David Gebhardi Mi., 17.06.2020 - 09:15

Hier zeigt es sich wieder, das Noten oder Beurteilungssysteme den Lernstand eines Studenten nur unzureichend wiedergeben. Stattdessen sollten Lehrbeauftragte die Leistungen der Studenten anhand von Gesprächen und schriftlichen Berichten erarbeiten.
Das heutige Beurteilungssystem, welches als Ursprung das Notensystem der fleißigen Jesuiten in sich trägt, führt nur zu Neid und Hader und gibt niemals den wirklichen Stand eines Studenten wieder. Es wäre an der Zeit, allg. darauf zu verzichten …

Mi., 17.06.2020 - 09:15 Permalink
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Katja Renzler Mi., 17.06.2020 - 09:34

Antwort auf von David Gebhardi

Dem möchte ich vollinhaltlich zustimmen. Leider wird die Metrifizierung des Lebens (also seine Vermessbarkeit) in der neoliberalen Effizienzdenke immer weiter fortschreiten.
Ich kenne viele Lehrpersonen, die das arbiträre Notensystem lieber heute als morgen abschaffen wollen würden- aus Gründen der Motivation der Schüler*innen und auch deshalb, weil eine Note letztendlich nie objektiv gelingen kann.
Nicht zuletzt sind es aber leider und ausgerechnet oft Universitäten und nicht zuletzt potenzielle Arbeitgeber*innen, die nach einem quantifizierbaren Leistungsniveau und also nach einer Abschlussnote fragen.

Mi., 17.06.2020 - 09:34 Permalink
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G. P. Mi., 17.06.2020 - 09:48

Noten werden überbewertet. Im späteren Leben des Schülers ist es vollkommen irrelevant, ob er nun in diesem oder jenen Fach eine 6, eine 7, oder eine 8 erhalten hat. Vor allem mit diesem Hintergrund kann ich die Vorgehensweise des Herrn nicht verstehen.

Mi., 17.06.2020 - 09:48 Permalink