Wirtschaft | Verbraucherschutz

Europa als Schild

Sammelklagen gegen große Unternehmen werden EU-weit möglich und einfacher. Verbraucher erhalten “neue Rechte im Alltag”, Firmen mehr Schutz vor unbegründeten Klagen.
Justitia
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“Europa muss ein Schild werden, das die Menschen schützt.” Mit dieser Metapher kommentiert Geoffroy Didier das Ergebnis, das Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Mitgliedsstaaten am späten Montag Abend erzielt haben. Der französische Konservative Didier war als Verhandlungsführer des Parlaments bei den Gesprächen dabei, an deren Ende man sich auf die Einführung eines einheitlichen Modells für Sammelklagen in der EU geeinigt hat.

Damit soll Verbrauchern erleichtert werden, ihre Rechte gegenüber großen Unternehmen durchzusetzen – und zwar EU-weit –, zugleich aber auch Firmen vor ungerechtfertigten Klagen schützen. Didier spricht von einem “Ausgleich zwischen gerechtfertigter Verteidigung der Verbraucherrechte und dem Bedarf der Unternehmen nach Rechtssicherheit”. Die Einführung von Kollektivklagen war von der EU-Kommission 2018 im Zuge des Abgasskandals um manipulierte Abschalteinrichtungen bei VW-Dieselfahrzeugen vorgeschlagen worden.

Italien ist eines von 19 EU-Ländern, in denen es bereits Möglichkeiten für eine Sammelklage gibt. Seit 19. April 2019 ist das neue Gesetz zur Sammelklage (“Class Action”) in Kraft. Der Einzelne ist nicht mehr auf den (vollständigen) Nachweis einer Verletzung in eigenen subjektiven Rechten angewiesen, sondern muss nur nachweisen, dass er zur betroffenen Gruppe (“class”) gehört. In Deutschland gibt es die Musterfeststellungsklage, über die im Gegensatz zu Italien auch Verstöße eingeklagt werden können, die vor Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes stattgefunden haben.

 

EU-weite Sammelklagen möglich

 

Was soll nun auf EU-Ebene kommen? Konkret sollen laut der am Montag erzielten Vereinbarung “neue Rechte im Alltag” geschaffen werden. Pro Land soll es mindestens eine qualifizierte Stelle geben – Organisationen wie Verbraucherschutzverbände oder öffentliche Institutionen –, die auch finanziert werden sollen, um über gebündelte Klagen vonseiten Geschädigter Schadenersatz oder Unterlassung durchzusetzen. “Dabei wird zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Fällen unterschieden: Für grenzüberschreitende Fälle werden EU-weit harmonisierte Kriterien gelten, bei nationalen Fällen können die Staaten eigene Regeln festlegen oder auch die grenzüberschreitenden anwenden”, erklärt die Verbraucherschutzzentrale Südtirol (VZS) in einer Aussendung.

Die Sammelklagen können folgende Bereiche betreffen: Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reisen und Tourismus, Energie, Telekommunikation, Umwelt und Gesundheit, Flug- und Zug-Passagierrechte, das allgemeine Verbraucherrecht.

Verankert werden soll zudem das Prinzip “Der Verlierer zahlt”, wonach die unterliegende Partei für die Verfahrenskosten aufzukommen hat. Des weiteren soll die Europäische Kommission abwägen, ob ein Europäischer Ombudsmann als eine Art gemeinsame Instanz eingeführt werden soll. Unbegründete Klagen sollen dabei frühest möglich fallen gelassen werden.

Das EU-Parlament und der EU-Rat müssen nun das politische Abkommen ratifizieren. Die “Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher” wird 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten, und dann innerhalb von 24 Monaten von den Nationalstaaten umgewandelt werden müssen – mit einer zusätzlichen Frist von sechs Monaten für die Anwendung. Bei der VZS zeigt man sich über die Einigung und die Aussicht auf ein neues Modell für Sammelklagen erfreut: “Die EU will Verbraucherrechte stärken.”