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Spielball Schule?

An Grund- und Mittelschulen soll es im Herbst Nachmittagsangebote geben. Weil diese aber auf die Wahlfächer beschränkt sind, sind nicht alle davon begeistert.
Philipp Achammer
Foto: LPA/Fabio Brucculeri

Ist der Nachmittagsunterricht gerettet? So könnte es scheinen, wenn man die Nachricht vernimmt, die Philipp Achammer am Mittwoch Vormittag kundtut. “Nachmittagsangebote garantiert”, teilt der Bildungslandesrat mit. Schülerinnen und Schüler der Grund- und Mittelschulen sollen im kommenden Schuljahr nun doch auch nachmittags in die Schule gehen. Allerdings nicht zum Unterricht bzw. zum verpflichtenden Unterricht. Das lässt Kritik laut werden. Worauf wiederum mit Unverständnis reagiert wird.

 

Grünes Licht für Wahlfächer und Mensa

 

8,25 Millionen Euro. So viel stellt die Landesregierung zur Verfügung, um die “Nachmittagsangebote”, von denen Achammer spricht, bereitzustellen. Dank der Geldsumme sollen jedoch keine zusätzlichen Lehrpersonen eingestellt, sondern dem bestehenden Personal Überstunden bzw. die Aufstockung von Teilzeitstunden bezahlt werden. Diese werden notwendig sein, weil aktuell mit dem Szenario “Gelb” gerechnet wird und daher zusätzliche Klassen gebildet werden sollen, um den Mindestabstand zwischen den Schülern zu gewährleisten: 231 Klassen mehr in den Grund- und 193 in den Mittelschulen, so die aktuelle Berechnung. Der Mehrbedarf soll mit dem bestehenden Personal abgedeckt werden.

Von zahlreichen Seiten – Lehrern, Schulführungskräften, Eltern, Wirtschaft, Gleichstellungsrätin und Beirat für Chancengleichheit – waren in den vergangenen Wochen massiv die Forderung vorgebracht worden, Normalbetrieb in den Schulen zu gewährleisten und den Nachmittagsunterricht nicht zu streichen. Nun soll also die Schule tatsächlich auch am Nachmittag geöffnet sein. An den betreffenden Tagen wird auch für den Mensadienst gesorgt sein, sichert Landesrat Achammer zu. Doch Unterricht im eigentlichen Sinn wird es an diesen Nachmittagen nicht geben. Sondern nur das Angebot der Wahlfächer in gewohntem Ausmaß. Die zu besuchen ist nicht verpflichtend, sondern Eltern müssen ihre Kinder dazu anmelden.

 

Freiwillig reicht nicht?

 

Doch neben den Wahlfächern werden an Grund- und Mittelschulen nachmittags üblicherweise auch Regelunterricht bzw. Wahlpflichtfächer abgehalten.

Bei Team K sieht man durch das freiwillige Angebot der Wahlfächer allein das Recht auf Bildung nicht garantiert. Zumal auch die Unterrichtszeit am Vormittag reduziert werden soll. “Lernen nur am Vormittag ist nicht ausreichend – und was passiert mit Ganztagsklassen?” , fragt man sich bei Team K – und plädiert mit Nachdruck auf “ein umfangreiches Bildungsangebot für alle im Herbst”. Die Schule sei eine Bildungsinstitution und nicht für die Betreuung zuständig, heißt es von der größten Oppositionspartei im Landtag. “Die Arbeitszeit des Lehrpersonals soll für den Unterricht eingesetzt werden”, meinen Maria Elisabeth Rieder und Alex Ploner.

Dafür ernten sie von der SVP Unverständnis und Kritik. “Fest steht, dass unsere Kinder und Jugendlichen ab Herbst unbedingt wieder Präsenzunterricht benötigen. Jetzt Bildung und Betreuung gegeneinander auszuspielen, dient nicht der Sache”, kontert Magdalena Amhof. Das Wahlfach sei nichts Neues, sondern laut geltender gesetzlicher Regelung ein Bildungsangebot – und Familien bräuchten Planungssicherheit. Diese dürfe “nicht zum politischen Spielball gemacht” werden, so Amhof.

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Grubenhund Der Mi., 15.07.2020 - 20:37

REDEN WIR RUHIG DARÜBER

Hingerotzt

Es gibt kein Wort der deutschen Sprache, das den Stil besser träfe, in dem die vorläufigen Beschlüsse zur Schule im Herbst abgefasst sind und in einer Power Point vorgestellt wurden. Es ist eine Zumutung, sich mit einem solchen Machwerk auseinandersetzen zu müssen und es ist eine Katastrophe, dass das wichtigste Problem – das Schicksal der Kinder und der Jugendlichen – so inkompetenten Mitarbeitern der Institutionen in die Hände gefallen ist. Nicht einmal Deutsch können sie! Vom Schulaustritt schreiben sie da und meinen die Gleitzeit am Ende der letzten Schulstunde.
Vielleicht sollte da jemand mit gutem Beispiel vorangehen und die Gunst der Stunde mit Tele-Unterricht und selbstverantwortetem Lernen nutzen und das abgebrochene Studium abschließen. Leut‘ln, lernt‘s was Gscheit‘s und dann schreibt‘s.

Halbherzig

Nach diesem desaströsen Beginn geht es nun halbherzig weiter. Aber das ist nur die Oberfläche. Inkompetenz? Nein, hidden agenda. Das ist Englisch für „unredlich“: Wenn einer seine Absichten verschweigt und etwas anderes sagt, um seine versteckten Ziele zu erreichen. Das geschieht zur Zeit hinter den Mauern des Bildungsressorts der deutschen Schule und des Landesamts für Deutsche Schule und Kultur. Das Mittel dazu sind Aussagen wie die unscheinbarsten aller Punkte der berühmt-berüchtigten Power-Point-Präsentation zum „Ampelsystem“ für den Herbst: „Unterricht in Präsenz möglich, aber nicht in vollem Ausmaß“. Und für die Unterstufe: „Garantie für ein stabiles, vergleichbares Bildungsangebot“. Was damit ausgesagt, verschwiegen und als hiddden agenda mitausgesagt wird, lässt sich erkennen, wenn man die nichts verschweigende Varianten an die Stelle der Zitate setzt.
Aus „Unterricht in Präsenz möglich, aber nicht in vollem Ausmaß“ wird so die Aussage: Es gibt in Südtirol Grundschulen, die von den räumlichen Voraussetzungen, von der Zahl der Schüler und der Disponibilität der Lehrkräfte im September 2020 den ganz normalen Unterricht ohne jede Einschränkung aufnehmen können. Was soll nun mit dem amtlichen Vorschlag als hidden agenda vermittelt werden? Es gilt zu verhindern, dass in der Bewältigung der Krise die Autorität der autonomen Schule und ihrer Schulführungskräfte erweitert oder konsolidiert wird. Was zur Folge hätte, dass die zentralen Stellen an Einfluss verlieren.
Das „vergleichbare, stabile Bildungsangebot“ wird als Minimum definiert und nicht als vorrangiges Ziel. Dort, wo das Ziel in der Krise nicht erreichbar scheint, wären wohl besondere Anstrengungen angebracht. Diese Erkenntnis würde auch verlangen, nachzuforschen, ob diese heute nicht zu erreichenden Ziele vielleicht auf Defiziten beruhen, die bereits in der Vor-Pandemie-Zeit bestanden haben. So die Schulen mit Klassen ohne eigenes Klassenzimmer, die sich jeden Tag erneut im Rotationssystem auf die Suche nach einem Klassenzimmer machen müssen. Ja, das gibt es in unserem Land. In unserem reichen Land. Eine solche kritische Bestandaufnahme muss wohl unter allen Umständen vermieden und der Wunsch nach einer Bestandsaufnahme im Keim erstickt werden.
Die Kürzung des Lehrangebots ohne zwingende Gründe ist ein Verbrechen an der Jugend und eine grobe Verletzung des gesetzlichen Auftrages: „Die Schulen setzen […] die allgemeinen und spezifischen Ziele in Lernwege um, die das Recht aller Schüler und Schülerinnen auf Bildung und Erziehung gewährleisten.“ (legge 12/2000 della Provincia Autonoma di Bolzano).

Fleddern

Fleddern ist in der Gaunersprache das Plündern von Leichen oder von schwer verletzten, wehrlosen Menschen. Sitzen Fledderer etwa auch in den Büros des Deutschen Bildungsressorts und des Landesrats für Bildung und Kultur?
Nutzen sie etwa die Krise der Südtiroler Schule im Post-Covid-19-Szenarium? Nutzen sie vielleicht die Verwirrung, die Verunsicherung, die Ängste der Mütter und Väter, um ein ihrem Streben nach Macht und Einfluss genehmes Projekt von Schule zu zementieren, indem sie jeden Beschluss, jeden Vorschlag als notwendige aus der Situation folgende Entscheidung ausweisen? Manipulieren sie die Gutgläubigen und Verunsicherten, die es, aus Angst das Falsche zu tun, nicht schaffen, zu einer eigenen Meinung zu kommen?

Zukunft

Die Schule ist zum Ort erkoren worden, wo der Kampf um die Zukunft ausgetragen wird. Um die Zukunft der Machtbefugnisse der Bürokratie und der Politik, wohlgemerkt, nicht um die Zukunft der Bildungschancen der jungen Menschen in unserem Land.

Mi., 15.07.2020 - 20:37 Permalink
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Florian Hinteregger Do., 16.07.2020 - 10:51

Leider hat der zuständige Landesrat außer hohle Reden bildungspolitisch nichts zu bieten. Seit der Corona-Krise hat er öfters für Verwunderung gesorgt. Mit seinen Aussagen hat er den Ruf der Lehrpersonen und noch mehr den der Kindergärtnerinnen zunehmend geschädigt. Durch seine Forderungen bezüglich der Arbeitszeiten des Personals hat er sich mit den Gewerkschaften angelegt und musste sofort wieder zurückrudern. Auch parteiintern macht der LR keine gute Figur, indem er die Sommerbetreuung bei den Schulen besser angesiedelt sieht und zugleich von der zuständigen Landesrätin eine Watschn kassiert. Irgendwie hat er den Unterschied zwischen Bildung und Betreuung nicht voll erkannt. Politische Weitsicht und Führungskompetenz sieht für mich anders aus! Unsere Kinder und Jugendlichen sowie alle im Bildungssektor tätigen Menschen hätten sich wohl besseres verdient.

Do., 16.07.2020 - 10:51 Permalink
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Herta Abram Do., 16.07.2020 - 14:20

Die Nöte der Eltern, die zunehmend schwierigere Rolle der Lehrer*innen, scheint die Bildungspolitik - in unsicheren Corona-Zeiten - nicht in ausreichendem Maße, zu deren Zufriedenheit lösen zu können….
Eine außergewöhnliche Situation. Die uns allen die Gelegenheit böte, die Schule vom Kind her zu denken!
Und sich die Zentralfrage stellen: „Was für eine Schule brauchen unsere Kinder?“
„All diese Themen wurden in den letzten Jahren von Eltern, Lehrer*innen sowie Vertretern der Politik und Wirtschaft in die Diskussion eingebracht. Das Kind wurde geradezu eingekesselt von Erwachsenen und Institutionen, die nur sein Bestes wollen und sich seinem Wohl verpflichtet fühlen. Dennoch kommen die Anliegen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen notorisch zu kurz, weil im Schulalltag ihre Bedürfnisse oft genug in Konkurrenz zu den Interessen der Erwachsenen stehen.“ (angelehnt an Remo Largo „Schülerjahre“)
- Ansatzpunkt zu einer solche Bildungsdebatte ist, von den Bedürfnissen der Kinder und den Gesetzmäßigkeiten ihrer Entwicklung auszugehen.

Do., 16.07.2020 - 14:20 Permalink