Umwelt | Europas Heuchelei

Wir, die besten Naturschützer

Immer wieder entfacht in der Südtiroler Bevölkerung eine heftige Diskussion pro und contra die Eingliederung von Raubtieren wie dem Bären, dem Wolf und dem Wildschwein.
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Braunbär
Foto: Pixabay

Dies ist angesichts der Thematik nicht verwunderlich, betrifft sie nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern berührt die ureigensten Ängste und Gefühle vieler Menschen. Verständlich also, dass die Gegner einer Ansiedelung von Wildtieren immer wieder auf die Gefährdung wirtschaftlicher Interessen und der Gefährdung der Unversehrtheit des Menschen verweisen. Deren Hauptargument gegen die Eingliederung: In unserer kultivierten Naturlandschaft sei kein Platz mehr für Bären, Wölfe und Wildschweine. Trotzdem wird man bald eine Lösung finden müssen. Dies geht aber nur, wenn alle Beteiligten – Befürworter und Gegner einer Ansiedelung – sich sachlich und redlich in die Debatte einbringen. Dabei gilt es z.B. darauf zu verzichten, all jene, die für den Schutz der Bären und anderer Wildtiere sind, als realitätsfremde Spinner abzutun oder sich selbst in die Opferrolle zu werfen. Ebenso sollte darauf verzichtet werden, jede anderslautende Meinung als ideologisch motiviert hinzustellen.

Diese Kontroverse um die Ansiedelung wilder Tiere in unseren Wäldern und Bergen hat aber auch geoffenbart, wie heuchlerisch und verlogen die Europäer, einschließlich der Südtiroler, sind im Umgang mit den Völkern in anderen Teilen der Erde. Diesen Völkern werden von den Europäern gerne Forderungen über die Gestaltung des Arten-, Natur- und Klimaschutzes gestellt. Verhaftet in einem kolonialistischen Denken meinen auch heute noch viele Europäer, überhebliche Ratschläge erteilen zu können: Ratschläge, die allzu oft nur vermeintlich "besserwissend" sind, da sie nur den Gesichtspunkt des Ratsschlaggebers (dem Europäer) beinhalten und die realen Bedürfnisse dieser Völker kaum berücksichtigen. Diese Forderungen kommen häufig von wirtschaftlichen, politischen und diversen anderen gesellschaftlichen Interessensgruppen, sowie von vielen Bürger und Bürgerinnen. Ebenso proklamieren sich gerne auch einige selbsternannte Öko-Gruppierungen zu Bewahrern der Natur und Artenvielfalt und zu Behütern der Umwelt: Deren Motto: Natur- und Umweltschutz ja, aber fern von der eigenen Interessensphäre! Meist verweisen all diese Gruppierungen darauf, dass "in unseren kultivierten Naturlandschaften kein Platz mehr für Bären, Wölfe oder Wildschweine" sei. Ganze Horrorszenarien werden hierzu dargestellt, wie z.B. in der Dolomiten-Sonderbeilage Der Wolf vom Juli vorigen Jahres.

Gleichzeitig spielen wir Europäer uns zu den besten Naturschützern auf und fordern von den Völkern anderer Kontinente, die Vielfalt der Arten zu schützen. So verlangen wir Europäer von den Indern, die Tiger und Elefanten in der freien Wildbahn zu schützen, denn, so die Argumentation, dort gäbe es genügend Platz: Dabei dürfte aber den meisten Europäern bekannt sein, dass Elefanten auf ihren Wanderungen ganze Felder und Äcker vernichten und dadurch die Bauern in den totalen Ruin stürzen können. Die selbe Forderung wird auch immer wieder an die Bauern in Afrika gestellt: Auch sie sollen vermehrt die Wildtiere der Savanne schützen, obwohl auch sie dadurch häufig Schaden erleiden. Dabei gilt es zu bedenken, dass es sich hierbei um einige hunderttausende Wildtiere (Löwen, Elefanten, usw.) handelt, während es sich in ganz Europa gerade mal um ein paar hundert Tiere handeln würde. Und wehe, die Grönländer jagen Robben! Ganz Deutschland ist entrüstet! Doch wenn EIN Bär die bayrische Landesgrenze überschreitet, bricht hysterische Panik aus und der Bär wird so gleich erschossen. Oft gewinnt man den Eindruck, dass sich gerade der Artenschutz zur Beruhigung des eigenen Gewissens bestens eignet: Durch das Erteilen von (fordernden) Ratschlägen an die Länder in anderen Kontinente wird ja ein Akt des Artenschutzes getan! Neben dem Erhalt der Artenvielfalt ist der Schutz der natürlichen Lebensräume (Urwälder, Gebirge, Feuchtgebiete, Meere, usw.) eine weitere Forderung der reichen Europäer an die armen Länder. So darf z. B. nach dem Willen der Europäer in den Urwäldern Asiens, Afrikas oder Südamerikas kein Baum gefällt werden – während sich hier zu Lande landwirtschaftliche Flächen mit erschreckender Geschwindigkeit immer mehr ausweiten und zu einem großen, oftmals schleichendem Verlust von wildem, natürlichem Lebensraum führen. Dies gilt auch für viele Südtiroler Gemeinden, in denen wertvoller natürlicher Lebensraum verloren geht wie z.B. die Eichenwälder im Tal und Mittelgebirge oder die vielen Biotope. Zu ihrem Leidwesen sind Biotope und andere wilde Naturflächen wirtschaftlich kaum interessant und es lässt sich mit ihnen verhältnismäßig wenig Geld verdienen.

Aber wir Europäer, einschließlich wir Südtiroler, lieben halt das Geld, ja wir brauchen immer mehr davon und darauf verzichten können wir schon gar nicht; verzichten sollen doch die Menschen in anderen Teilen der Welt. Die selbe Scheinheiligkeit wird beim Klimaschutz an den Tag gelegt. So hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor etlichen Jahren sich zur Retterin der Erde auserkoren und sich mit dieser Ansage an die vorderste Front unter den EU-Politikern gestellte. Die Realität sieht aber ganz anders aus: Heute gehört Deutschland (auch Dank des Abgas-Skandals der deutschen Autohersteller mit "wohlwollender" Unterstützung durch die Politik) zu jenen Ländern, in denen weltweit der CO2-Ausstoß pro Kopf am höchsten ist, und somit von den Klimazielen am weitesten entfernt sind. Jedoch ist man jederzeit zu einem Fingerzeig bereit auf die Luftverschmutzung in den Schwellenländern; und dabei selbst ein Sonderverschmutzungsrecht reklamierend, das zehnmal höher ist als global zuträglich - wahrlich ein kolonial-feudaler Akt.

Aber auch in Südtirol ist Klimaschutz ein häufig benutztes Schlagwort, das zu Werbezwecke für Tourismus u.a. missbraucht wird. Fast schon verhöhnender Spott das Schild "Klimaschutz, wir machen mit", das an Ortseinfahrten vieler Südtiroler Gemeinden steht. Überdimensionale Bauten wie weitläufige Luxusvillen, Hotels, Vergnügungsparks, usw. die große natürliche Flächen verschlingen, tragen sicherlich nicht zum Klimaschutz und der Artenvielfalt bei, sind aber für reiche Länder wie Südtirol, unverzichtbar. Man muss ja seinen Reichtum zur Schau stellen – notfalls mit der Begründung von künstlerisch-architektonischer Gestaltung. Jedenfalls wollen wir Europäer uns in unseren persönlichen Freiheiten nicht einschränken lassen; und Mitverantwortung für das eigene Tun zum Erhalt des Lebens und für die Besserung in allen Teilen der Welt wollen wir erst gar nicht hören. Das Autofahren als Beispiel: Auch wir Südtiroler fahren mit viel zu großen Autos sehr gerne viel zu oft und viel zu schnell, und verbrauchen dabei Unmengen von Kraftstoffe. Doch wir halten unser Gewissen rein mit heuchlerischen Ausreden wie Zeitknappheit und Wirtschaftlichkeit - die wahren Motive wollen wir erst gar nicht wahrhaben, sondern verdrängen sie.

Unter diesen Voraussetzungen wird Artenschutz, Naturschutz und Klimaschutz in Europa nur langsam vorankommen; eher werden die Konflikte mit den anderen Ländern sich verhärten. Dabei stünden gerade die Europäer in der Verantwortung nach vielen Jahrhunderten der unkontrollierten Ausbeutung der Natur in ihren Länder. Und sollten denen gegenüber eine Vorbildfunktion ausüben, denn wir (West-)Europäer haben genügend Resourcen (bes. auch wirtschaftlicher Art, an denen es in den anderen Ländern häufig mangelt)) diese Vorbildfunktion auch mit bestem Wissen und Gewissen übernehmen zu können. Aber solange dies nicht geschieht, sprechen mittlerweile viele Politiker und Menschen in den Schwellenländern und den armen Ländern nicht umsonst von einer neuen Art des (Öko-)Imperialismus und (Öko-)Kolonialismus.

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Sepp.Bacher Sa., 18.07.2020 - 16:57

Europas Heuchelei: wer ist Europa? Wie groß ist der Prozentsatz derer, die für den Artenschutz kämpfen (ernannte, wie Sie (von wem?) und selbsternannte Artenschützer? Und wie viele kümmert es, wenn z. B. Elefanten den dortigen Bauern Schäden anrichten? Sie verallgemeinern zu sehr!
Artenschutz heißt für mich, alles erhalten was es noch gibt, und nicht Wiederansiedlung von Großraubtieren, die zu Konflikten führen. Ängste kann man mal nicht wegdiskutieren. Sie müssen die Betroffenen ernst nehmen und unterstützen. Alles andere ist Anmaßung. Wie kommt ein idealisierter Stadtmensch dazu, die betroffenen Bauern und die verängstigte Landbevölkerung zu kritisieren. Möchten Sie Wolf oder Bär in den Stadtparks haben oder Schwarzwild in Ihren Gemüsegarten?

Sa., 18.07.2020 - 16:57 Permalink