Wirtschaft | Gastbeitrag

Ein sozialer Zoll

Der Bozner Wirtschaftsanwalt Wolfgang Wielander über die Vision eines nachhaltigen Zollrechts, das als effizientes Instrument im globalen Umweltschutz dienen könnte
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Foto: upi
Es ist noch nicht lange her und ich saß gemütlich am Frühstückstisch, als meine Tochter plötzlich das Gespräch auf das Thema Umweltschutz brachte. Sie habe als Kind lange geglaubt, es gäbe auf unserer Welt so eine Art übergeordnete Weltordnung oder Regierung, die zum Wohle des Planeten eingreife und Probleme löse, die Einzelstaaten nicht in den Griff bekämen. Stattdessen müsse sie feststellen, die Umweltverschmutzung nehme ständig zu, die Meere seien zunehmend durch Plastik und Schweröl bedroht und viele Tiere und Pflanzen seien vom Aussterben bedroht oder bereits durch menschliche Einflüsse ausgestorben. Noch dazu gäbe es eine Reihe von Staaten, die dieses Problem negieren oder sogar aktiv die Umweltzerstörung fördern.
Was kann ich meiner Tochter antworten? Die berechtigte Frage ist: was kann die internationale Gemeinschaft unternehmen, um Menschen in bestimmten Regionen dieser Welt, Unternehmen oder Regierungen von Verhalten abzubringen, die eine Bedrohung für den Staat selbst, aber eben auch für andere Länder oder sogar für die ganze Welt darstellen.
Die Politikwissenschaftler Bruce Gilley und David Kinsella von der Portland State University dachten schon vor einigen Jahren darüber nach, was die Welt bei schweren Umweltvergehen einzelner Staaten unternehmen könnte und diskutierten über eine sogenannte „grüne Militarisierung“, also über die Anwendung notfalls auch militärischer Gewalt durch den UNO-Sicherheitsrat bei schweren Umweltvergehen.
 
 
Abgesehen davon, dass es im UN-Sicherheitsrat schwierig sein dürfte, einstimmig über den Einsatz militärischer Mittel bei Umweltvergehen zu entscheiden, wäre es sicherlich wichtig, über Möglichkeiten nachzudenken, auch auf der nichtmilitärischen Ebene Druckmittel aufzubauen, die es erlauben, Staaten zur Ordnung zu rufen, die sich gegen grundlegende Interessen der Weltgemeinschaft stellen.
Wir sollten also aus meiner Sicht über zwei Dinge nachdenken:
 
  1. Welches sind die grundlegenden Interessen der Weltgemeinschaft, auf die sich wenn nicht alle, so doch eine große Mehrheit der Menschen auf dieser Welt einigen könnten? Es bräuchte also einen Katalog von Grundwerten, eine Art Verfassung, die von einer internationalen Organisation wie z.B. der UNO ausgearbeitet werden sollte.
  2. Sind diese grundlegenden Interessen der Menschheit fixiert, bräuchte es als nächsten Schritt ein System der Kontrolle, bzw. ein System von Belohnung oder Bestrafung für diejenigen Staaten oder Unternehmen, die sich schon oder nicht an diesen Katalog der weltweiten Grundwerte halten.
Es wäre wichtig, über Möglichkeiten nachzudenken, auch auf der nichtmilitärischen Ebene Druckmittel aufzubauen, die es erlauben, Staaten zur Ordnung zu rufen, die sich gegen grundlegende Interessen der Weltgemeinschaft stellen.
Eine vielleicht auf den ersten Blick nicht gleich einleuchtende Vision böte möglicherweise das Zollrecht. Der Zoll ist ja als Begriff meist negativ besetzt. Nach Meinung vieler handelt es sich um eine zu vermeidende Abgabe, die bloß Handelsbeziehungen erschwert, sowie Bürokratie und Zeitverlust mit sich bringt. Nicht umsonst wird immer wieder seitens der Wirtschaft und Politik eine möglichst weitgehende Senkung der Zollsätze gefordert.
Eine solche Sichtweise verkennt, dass Zölle schon jetzt oftmals eingesetzt werden, um auf nicht erwünschte Verhaltensweisen von Staaten oder Unternehmen einzuwirken.
Man denke an Antidumpingzölle, die festgesetzt werden, falls der Export bestimmter Produkte gezielt gefördert wird und diese innerstaatliche Förderung dazu führt, dass der Preis nicht mehr marktgerecht ist. 
Der Vorwurf lautet dann, dass Konkurrenzunternehmen im Bestimmungsland durch einen verfälschten Preis nicht mehr wettbewerbsfähig sind und somit durch staatliche Beeinflussung der Preisbildung geschädigt werden. So ist z.B. in der EU die Europäische Kommission befugt, eine solche Verfälschung des Wettbewerbs zu überprüfen und vorläufige Antidumpingzölle festzulegen, die dann vom Europäischen Rat endgültig genehmigt werden müssen.
 
 
Ein anderes Beispiel ist das sog. „Generalised Scheme of Preferences“ (GSP), bzw. APS („Allgemeines Präferenzsystem für Entwicklungsländer“). Mit diesem System bewertet die EU bestimmte Entwicklungsländer aufgrund verschiedener Indikatoren (nachhaltige Entwicklung, verantwortungsvolle Staatsführung, u.s.w.). Aufgrund dieser Bewertung erhalten dann die Staaten begünstigte Zollsätze für Waren, die sie in die EU einführen wollen.
Wir stellen also fest, dass es schon jetzt Fälle gibt, bei denen Staaten bewertet werden und diese Bewertung dann Auswirkung auf die Höhe der Zölle des betreffenden Staates hat.
Wie wäre es darüber nachzudenken, dieses System der Bewertungen auszuweiten und global einzusetzen. Zollsätze würden dann nicht mehr für alle Staaten in gleicher Höhe festgesetzt, sondern unterschiedlich je nach Bewertung, die der betreffende Staat erhält.
Wir müssten dabei das sog. Meistbegünstigungsprinzip, eines der Grundlagen des derzeitigen internationalen Zollrechts, überdenken.  Laut diesem Prinzip müsste ein Mitglied der WTO bestimmte Zollvorteile, die es einem anderen WTO-Mitgliedstaat einräumt, zwingend auch allen anderen Vertragspartnern der WTO einräumen.  
 
 
Das Völkerrecht sieht die Möglichkeit vor, internationale Vereinbarungen zu ändern, falls Umstände vorliegen, die dies zwingend notwendig machen und eine Fortführung der Vereinbarung unzumutbar wäre (sog. „rebus sic stantibus“-Grundsatz). Dieses Prinzip anzuwenden, ist zwar laut Völkerrecht nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen erlaubt, aber es gibt durchaus Argumente um zu begründen, dass solch eine Notsituation tatsächlich vorliegt, die es uns somit erlaubt, internationale Vereinbarungen zu ändern.
Die zurzeit weltweit erhobenen Zölle gründen ja nicht auf eine tiefergehende Logik, sondern werden zurzeit recht willkürlich von den einzelnen Staaten festgesetzt.
 
Die  weltweit erhobenen Zölle gründen ja nicht auf eine tiefergehende Logik, sondern werden zurzeit recht willkürlich von den einzelnen Staaten festgesetzt.
 
Die zurzeit weltweit erhobenen Zölle gründen ja nicht auf eine tiefergehende Logik, sondern werden zurzeit recht willkürlich von den einzelnen Staaten festgesetzt.
Die Welthandelsorganisation WTO gibt zwar Höchstzollsätze vor, die von den WTO-Mitgliedstaaten nicht überschritten werden dürfen. Die einzelnen Staaten können dann aber die Zollsätze innerhalb dieser Limits autonom festsetzen, ohne diese Entscheidungen begründen zu müssen.
So beträgt zum Beispiel aktuell der von WTO weltweit festgelegte Höchstzollsatz bei der Einfuhr von Personenwagen 10%. Dieser Höchstzollsatz wurde willkürlich festgesetzt und könnte somit theoretisch auch auf 5% gesenkt oder auf 20% erhöht werden.
Was die Mitgliedstaaten der EU betrifft, so haben diese keine eigene Zuständigkeit, Zollsätze festzulegen, sondern es ist die EU selbst, die für ihre Mitglieder die gemeinsam anzuwendenden Zollsätze im Rahmen der WTO-Zollsatzlimits verbindlich festlegt.
So beträgt z.B. der EU-Zollsatz bei der Einfuhr von Personenwagen derzeit 10%. Die EU hat sich also bei unserem Beispiel am obersten WTO-Limit orientiert.
Wichtig ist jedenfalls festzustellen, dass es schwerfällt, die Höhe der derzeit geltenden Zollsätze auf klare Grundsätze der Volkswirtschaftslehre zurückzuführen.
Es wäre daher durchaus denkbar, Zollsätze auch anders festzulegen bzw. flexibel zu gestalten.  Wie wäre es daher, die Höhe der Zollsätze an eine jährliche Bewertung des jeweiligen Exportstaates zu koppeln.
 
 
Einer der Vorteile eines solchen Gedankenexperiments wäre, dass Zollbehörden schon jetzt den internationalen Handel flächendeckend überwachen und abwickeln. Es wäre somit kaum ein Problem für eine Zollbehörde, neue Inputs, was die Höhe der Zölle betrifft, bei der Zollabfertigung sofort anzuwenden. Die Mittel zur Überwachung eines so festgelegten „sozialen Zollsatzes“ wären somit bereits in den weitaus meisten Ländern weltweit vorhanden und müssten nicht erst neu aufgebaut werden.
Unter Umständen könnte das derzeitige System des Zollrechts auch zur Gänze beibehalten werden und der soziale Zolltarif würde einfach nur als Korrektiv über das bisherige System gestülpt.
Bei unserem Beispiel des anzuwendenden Zollsatzes bei der Einfuhr von Personenwagen könnte man also überlegen, den derzeit bestehenden Zoll in Höhe von 10% weiterhin gelten zu lassen, dann aber über das Korrektiv des „sozialen Zolls“ je nach Bewertung des Exportlandes diesen Zoll bei der Einfuhr des PKWs bei guter Bewertung auf z.B. 7% sinken und bei schlechter Bewertung auf z.B. 13% steigen zu lassen.
 
 
Man könnte einwenden, dass dieses Gedankenexperiment daran scheitern wird, dass die größten wirtschaftlichen Akteure wie die USA oder die Volksrepublik China wohl niemals bereit wären, sich einem solchen Bewertungssystem zu unterwerfen.
Dies mag stimmen, man kann aber auch argumentieren, dass China gerade selbst dabei ist, für das Verhalten der eigenen Bevölkerung und Unternehmen ein unglaubliches Kontroll- und Benotungssystem auszuarbeiten und es zum Teil auch bereits einsetzt.
Der Unterschied zu unserem Gedankenexperiment ist aber groß: China setzt ein Bewertungssystem ein, ohne der Bevölkerung mitzuteilen, wie die Kriterien für die Bewertung festgelegt wurden und verfolgt offensichtlich damit auch den Zweck, Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren und regimekritisches Verhalten zu bestrafen.
 
 
In unserem Gedankenexperiment sollten die Kriterien für die Bewertung nachvollziehbar, öffentlich, in festgelegten Zeitabständen und von einer möglichst neutralen Stelle mit einer möglichst ausführlichen Begründung abgegeben werden. 
Was die EU betrifft, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sie sich einem solchen Gedankenexperiment aufgeschlossen zeigt und das nicht nur aus Umweltschutzüberlegungen.
Man diskutiert bereits seit längerem über neue Einnahmequellen für den EU-Haushalt, wie z.B. über eine CO2-Abgabe, oder eine Digitalsteuer, also eine Besteuerung des Handels im Internet. Man darf nicht vergessen, dass die Zollabgaben bereits jetzt für den Haushalt der EU eine wesentliche Rolle spielen und ca. 15% zu den Gesamteinnahmen beitragen.
Da eine solche Bewertung der Staaten sicherlich starker Kritik ausgesetzt würde, wäre es umso wichtiger, dass diese durch eine möglichst unabhängige internationale Institution erfolgt.
Was die EU betrifft, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sie sich einem solchen Gedankenexperiment aufgeschlossen zeigt und das nicht nur aus Umweltschutzüberlegungen
Man könnte z.B. an ein zu schaffendes Gremium im Rahmen des UN-Generalsekretariats denken, oder daran, die derzeitige Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) zu einer „World Social Trade Organization“ (WSTO) umzugestalten.
Eine andere Möglichkeit wäre es, ein solches Gremium im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu bilden. Die OECD sah zwar ihren Zweck ursprünglich im wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach dem 2. Weltkrieg, ist aber seit längerem bereits in anderen Bereichen über Europa hinaus aktiv, wie z.B. in der Bildungs- und Sozialpolitik. Bekannt sind z.B. die PISA-Studien, mit denen die Leistungen der Schüler in den verschiedenen Staaten verglichen werden. Die OECD gibt bereits Leitsätze für multinationale Unternehmen heraus, um verantwortliches Unternehmerverhalten zu fördern und dies unter anderem in den Bereichen nachhaltige Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz.
 
 
Gäbe es dieses Instrument, hätte ich bei der nächsten Diskussion mit meiner Tochter die Möglichkeit ihr zu antworten.
Ein anderer Einwand gegen dieses Gedankenexperiment könnte sein, dass damit der internationale Handel durch noch mehr Regelungen und Abgaben gestört würde.
Dazu ist zu sagen, dass es möglicherweise ausreichen würde, nur minimale Zollstrafen bzw. Zollvergünstigungen durch diese Bewertungen einzuführen, also z.B. den sozialen Zoll unter einem Prozent anzusetzen. Man hätte aus meiner Sicht trotzdem ein Instrument geschaffen, das der internationalen Gemeinschaft die Möglichkeit gäbe, Staaten falls notwendig mit sanftem Druck zur Ordnung zu rufen.
Gäbe es dieses Instrument, hätte ich bei der nächsten Diskussion mit meiner Tochter die Möglichkeit ihr zu antworten, dass die internationale Gemeinschaft durchaus die Möglichkeit hat, Druck auf Staaten auszuüben, ihre Umweltsünden zu verringern und die Menschheit in der Lage ist, Maßnahmen zu setzen um die Schönheit dieses einzigartigen Planeten auch für zukünftige Generationen zu bewahren.
 
 
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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Mi., 05.08.2020 - 06:07

Eine interessante story.
Aber wohl eher für Erwachsene - oder?
Warum gestaltest du sie nicht kindgerecht (z.B. auch als Bildgeschichte ...) für deine Tochter um?
Das würde sicher auch sehr viele andere Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Eltern und Großeltern freuen und gerne lesen.

Mi., 05.08.2020 - 06:07 Permalink
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Herta Abram Mi., 05.08.2020 - 08:14

Interessante Gedankenspiele! Und informative Details! - Regen an, zum Diskutieren, Weiterdenken und ins gemeinsame (Jung und Alt) Handeln kommen!

Mi., 05.08.2020 - 08:14 Permalink
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Profil für Benutzer Andergassen Thomas
Andergassen Thomas Mi., 05.08.2020 - 22:25

Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben zu glauben internationale Institutionen handeln im Interesse aller Menschen auf diesem Planeten. Sie handeln nur im Interesse von einem Prozent der Menschen. Und dieser eine Prozent sagt allen anderen wo es langgeht.

Mi., 05.08.2020 - 22:25 Permalink