Politik | China

Die Ambitionen des Reiches der Mitte

Warum man die Situation in Hong Kong ernst nehmen sollte und warum die VR China so handelt wie sie handelt und was sie damit anstrebt.
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Seit Juni 2020 gilt in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Hong Kong eine neues Sicherheitsgesetz der Volksrepublik China. Es soll dann auch Teil der Verfassung der ehemaligen britischen Kronkolonie werden. Offiziell dient dieses Gesetz  "dem Schutz der nationalen Sicherheit, der verfassungmässigen Ordnung und der Herrschaft des Rechts."

Aber was bedeutet es wirklich und was bewegt Chna im Allgemeinen, so zu handeln, wie es spätestens seit den 1970er Jahren handelt? Dazu muss man etwas in die Geschichte zurückblicken, vor allem in die der letzten 160 Jahre. Denn das erklärt vieles zu seinem Verhältnis und seine Politik gegenüber Europa und den USA.

China kann auf eine Geschichte von Jahrtausenden zurückblicken. In dieser Zeit entwickelte sich eine Zivilisation, die der von Europa oft um Jahrhunderte vorraus und auch überlegen war. Ebenso entstand in den fast 3000 Jahren eine Lebensweise und Gesellschaftsordnung, die bis heute im Grossen und Ganzen so gelebt wird. Das muss man berücksichtigen, damit man versteht, warum das Reich der Mitte die Ratschläge und das oft oberlehrerhafte Verhalten westlicher Politiker nur mit einem müde Lächeln beantwortet, bevor es an ernsthafte Kosequenzen denkt. Hierzu möchte ich eine Annekdote anführen, die sich beim Besuch des ehemaligen U.S. Präsidenten Nixon 1972 in China ereignet hat. Nixon fragte Mao (sinngemäss), was die Chinesen über die Auswirkungen der französischen Revolution von 1789 dachten und welche Schlüsse sie darus zögen. Mao antwortete (sinngemäss), es sei noch viel zu früh darüber nachzudenken. China denkt nicht in so kurzen Zeitabschnitten.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass die VR China schon viel weiter denkt, da es sich auf eben diese fast 3000 jährige Geschichte berufen kann. In Europa kamen und gingen in dieser Zeit die Imperien, die USA betraten erst in den 1770er Jahren die Weltbühne als Nation und erst 1918 als Weltmacht. Russland entstand im späten Mittelalter, da gab es China schon 2000 Jahre. Nun werde ich hier aber nicht die ganze Geschichte dieses Reiches wiedergeben, sondern nur erläutern, was mit China seit Mitte des 19. Jhts. passierte und was für Auswirkungen das bis heute hat.

Spätestens seit Anfang des 19. Jhts. schottete sich das kaiserliche China weitgehend vom Rest der Welt ab. Es erlaubte den damligen Mächten Grossbritanien und später den USA nur über einen einzigen Hafen mit dem restlichen China Handel zu treiben. Und selbst in dem Hafen mussten die "Ausländer" in einem gesonderten Viertel leben, ohne Kontakt zur chinesischen Bevölkerung. Ins Landesinnere durften sie so gut wie gar nicht einreisen. Ein britischer Unterhändler schaffte es über Umwege dennoch zum kaiserlichen Hof in Peking zu gelangen, scheiterte jedoch kläglich mit seiner Mission. Die britsiche Regierung in London konnte diesen "Affront" als damalige Weltmacht nicht hinnehmen. Sie griff daher zu einem perfiden Mittel, um sich dafür zu rächen. Sie förderte über die britischen Kaufleute vor Ort den Opiumhandel. Die Briten wusten nur zu gut, dass viele Chinesen diese Droge in sog. Opiumhöhlen konsumierten und abhängig waren. Der chinesische Kaiser erkannte diese Gefahr des Opiumkonsums und verbot den Handel unter strengen Strafen in seinem Reich. Das nutzten jetzt die Briten, und verkauften Opium, welches sie in ihren Kolonien in Indien produzierten, an die Chinesen weiter. Immer mehr Chinesen wurden abhängig und schwächten somit das Reich der Mitte. Als nun kaiserliche Beamte die Drogenvorräte der Briten im Hafen vernichteten, kam es zu Krieg. Die Chinesen wollten aber auch mit diesem Krieg die Europäer aus dem Land jagen. Grossbritanien besass damals die überlegenen Waffen, die mächtigste Marine der Welt und seine Soldaten waren weitaus besser ausgebildet. So geriet der sog. Opiumkrieg für China zum Desaster. Als Preis für die NIederlage zahlte dieses Imperium ausser mit dem Recht, dass ausländische Mächte jetzt uneingeschrängten Zugang zum Rest von China bekamen, noch mit der Abgabe einer Felseninsel namens Hong Kong als Brückenkopf und Hafen für das British Empire. Die Unabhängigkeit Chinas endete somit nach Jahrtausenden.

Denn das Reich der Mitte konnte nunmehr keine politische Entscheidung mehr ohne die Briten und später ohne andere europäische Mächte mehr treffen. Ende des 19. Jhts. kamen dann auch noch die USA hinzu. Das hochzivilisierte Reich wurde politisch international bedeutungslos. Es musste zunehmend Gebiete abtreten, u.a. an das Deutsche Reich und Japan. Bezeichnend und auch nachwirkend bis heute ist das, was 1900 beim sog. Boxeraufstand geschah. Chinesische Aufrührer, sie sog. "Boxer", (benannt nach ihrer Kampfsportart) traten Unruhen in Peking los und ermordeten sogar einige Ausländer, die sich in China niedergelassen hatten. Die Regierung in Peking, der letzte Kaiser war damals noch ein Kind, konnte oder wollte diesen Aufstand nicht unterdrücken. So schickten die Europäer, allen voran Grossbritanien und das deutsche Kaiserreich, Truppen nach Fernost. Staaten, die in Europa völlig verschiedenen Bündnissen angehörten, kämpften hier Seite an Seite in China. Am Ende des Aufstandes zerstörten britische Soldaten auf allerhöchsten Befehl den uralten Kaiserpalast von Peking. Das war der entgültige Niedergang des alten China.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges besetzte Japan grosse Teile seines alten Rivalen, vor allem die Mandschurei und errichtete über mehr als zwanzig Jahre ein brutales Kolonialregime. Im restlichen China entbrannte ein Bürgerkrieg, der bis 1948 anhalten sollte und Millionen Tote forderte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges mussten die Japaner geschlagen abziehen und der Bürgerkrieg ging in seine entscheidende Phase, was am Ende den Sieg der Kommunisten unter Mao brachte. Die "Nationalchinesen" flohen auf die Insel Formosa, die wir heute unter dem Namen Taiwan kennen und gründeten ihren eigenen Staat.

Die Herrschaft Maos, den grossen Sprung nach vorn und die dazugehörige Hungersnot mit millionen von Opfern, die Kulturrrevolution in den 1960er Jahren, möchte ich hier nur kurz aufzählen. Es würde zu komplex. Nur eins kann man sagen. Die neuen chinesischen Machthaber schworen sich damals, China wieder zu alter Grösse zu bringen und sich nie wieder von ausserhalb so demütigen zu lassen. Das ging natürlich nicht in wenigen Jahren oder Jahrzehnten. Aber das interessierte niemanden in Peking.

Nach dem Tode Maos im Jahr 1976 (Mao hat im Übrigen mehr Menschen auf dem Gewissen, als Hitler und Stalin zusammen), trat ein neuer Machthaber an seine Stelle. Deng Ciao Ping. Dieser verfolgte eine völlig neue Ausrichtung der chinesischen Politik. Er öffnete sein Reich wieder dem Westen und liess eingeschrängt Kapitalismus zu. Allerdings staatlich gelenkten Kapitalismus. Viele im Westen verstanden das schon als leichte Demokratisierung, was sich aber mit der Niederschlagung des Aufstandes auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989 als blutige Illusion entpuppte.

Seit den 1990er Jahren dreht China jetzt den Spiess um und macht sich die westliche Welt "abhängig". Nichts läuft mehr in der globalisierten Welt ohne China. Es ist der grösste Gläubiger der USA. Sollte Peking nur einen Teil des Geldes zurückfordern, was es in den Vereinigten Staaten angelegt hat, bräche die Supermacht zusammen. Und das wissen sie auch im Weissen Haus in Washington. Weshalb sie dort auch nur verbal und über Zollandrohungen mit dem Säbelr asseln können. China hat sich aber vor allem Europa zum wirtschaftlichen "Untertan" gemacht. allen voran Deutschland, dass ohne die Exporte nach und die Zulieferungen aus China, seine wirtschaftliche Position aufgeben müsste. Auch den Bau einer neuen Seidenstrasse mit Ziel Duisburg in Deutschland, den erwerb ganzer Häfen in Griechenland, zeigt die neue Macht des kommunistischen Riesen. Schon längst ist China zum neuen "Grossgrundbesitzer" in Afrika geworden und sichert sich so die wichtigsten Rohstoffe des schwarzen Kontinents mit weitreichenden Folgen für die restliche Welt. Drastisch sieht man Chinas Macht in Zeiten wie diesen aber auch in der Medikamentenproduktion. Eine Wissentschaftlerin merkte Anfang 2020 zynisch an: Dieser Staat braucht keine Atombombe. Er muss einfach die Lieferung von Antibiotika nach Europa einstellen. Das dauere zwar länger, sei aber nicht weniger effektiv.

Auf Grund dieser Situation sollten sich westliche Politikergut  überlegen, was es bringt, bei Staatsbesuchen in Peking auf die Situation der Menschenrechte hinzuweisen oder gar mehr Demokratie zu fordern. China sitzt mitlerweile am längeren Hebel. Und das wissen wir alle. Das Riesenreich mit über einer Milliarde Einwohnern kann müde lächeln., wenn Angela Merkel mahnend den Finger hebt, damit die Stimmen im eigenen Land abgestellt werden. Den Chinesen vom Westen eine neue Regierungsform, geschweige eine neue Gesellschaft zu bringen, ist mehr als einmal gescheitert. Die Chinesen, ebenso wie die Russen und die Araber wollen zum Grossteil gar nicht anders leben. Aus ihrer Historie schon gar nicht. Einige vielleicht, aber die meisten nicht.

Was bedeutet das jetzt aussenpolitisch?

China hat sich mit der Rückgabe Hong Kongs 1997 von Grossbritanien und Macaos von Portugal, vertraglich verpflichtet, die politischen Systeme dieser Orte beizubehalten. Schon damals kamen berechtigte Zweifel auf, die sich, zwar nicht unmittelbar, aber dennoch bewahrheiten sollten. Peking zog die Schrauben ab einem gewissen Zeitpunkt der trügerischen Ruhe immer enger an. Meist versteckt und so für viele Aussenstehende nicht bemerkbar. Erst als die sog. Regenschirmbewegung aufkam und auf die immer grösser werdende Einflussnahme Pekings aufmerksam machte, wurde der Westen etwas hellhörig. Aber die kommunistische Regierung ging immer nur soweit wie sie konnte. Ohne grosses politisches Risiko. Offiziell wollte man ein zweites 1989 vermeiden. Aber wenn es sein musste, hätte China diesen weg wieder gewählt, denn die Truppen standen schon an den Satdtgrenzen von Hong Kong. Genau beobachtet man alles in Peking, registriert, was mit Russland nach der Annektion der Krim passierte. Nichts, ausser wirtschaftlichen Sanktionen, die dem Westen mehr schaden als Russland. Und Sanktionen kann sich der Westen gegen China ohenehin nicht leisten.

Nun unterdrückt man Hong Kong von Peking aus massiv mit dem neuen Gesetz. Schaltet die politische Elite aus. So wird das System ein Land, zwei Systeme ad absurdum geführt. Auch die massive Unterdrückung der Uiguren, eines muslimischen Turkvolkes im Westen Chinas, die schleichende Auslöschung dert tibetanischen Kultur, bringt allerhöchstens verbale Proteste des Westens hervor. Und er Handelskrieg zwischen China und den USA wird ja nicht deshalb von den USA angeheizt, sondern nur, weil Amerika durch die Billigproduktion und den wachsenden technischen Fortschritt der Asiaten immer mehr in Rückstand gerät.

Aber was macht China als nächstes? Schon seit Jahrzenten hat das Reich der Mitte sein Auge auf Taiwan geworfen. China sieht Taiwan nicht als eigenständigen Staat sondenr als abtrünnige Provinz. Sprachen die früheren Machthaber Pekings noch von einer friedlichen Wiedervereinigung, lässte der jetzige starke Mann das Wort friedlich mitlerweile bewusst weg. Es häufen sich die Militärmannöver im südchinesischen Meer, die Drohungen und Verletzungen der Hoheitsgebiete Taiwans. Schon lange liegen die Pläne in den Schubladen, wo eine Invasion der Insel am günstigsten ist und wie viel Militär man benötigt. Noch verlässt sich Taiwan auf die schützenden Hände Washingtons. Und ab und zu tauchen auch U.S. Fluzeugträger auf. Aber mehr als Alibi Abschreckung ist das nicht. Würden die USA einen militärischen Konflikt wegen Taiwan wirklich riskieren? Gerade jetzt, wo Trump immer wieder betont, sein Land aus allen militärischen Konflikten rauszuhalten oder zurüchzuziehen? Und nach den ganzen Debakeln im Irak und in Afghanistan, früher noch in Vietnam, kann man der U.S. Bevölkerung wohl nur schwer eklären, warum ihre Boys für eine Insel im Pazifik sterben müssen, wo eh schon Chinesen leben. Europa spielt in diesem "Great Game" ohnehin keine Rolle mehr. Und genau dass weiss Peking nur zu gut. Es wird in naher Zukunft wohl keinen bewafneten Konflikt bezüglich Taiwan geben. Aber wie schon gesagt. China denkt zeitlich in ganz anderen Dimensionen.

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Carsten Schauerte Mi., 12.08.2020 - 17:25

Das sehe ich genauso. Solange in Deutschland die Krankenkassen vertraglich gezwungen werden, das jeweils billigere Medikament zu bezahlen, werden wir immer mehr in die Arme Chinas getrieben. Und das nutzt Peking voll aus.

Mi., 12.08.2020 - 17:25 Permalink