Kultur | Salto-Gespräch

„Ein Nebeneinander von Möglichkeiten"

Josef Oberhollenzer über seinen neuen Roman Zuber, über das Denken und Schaffen als Lehrer und Schriftsteller, sein nächstes Buch und einen lang gehegten Traum.
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Foto: Julian Mayr

Der Pusterer Schriftsteller Josef Oberhollenzer erzählt so, wie er schreibt. Verzweigt, verästelt, in Fußnoten[1], Nebengeschichten einwerfend, in diese vertiefend, nie aber blass und eintönig. Während er erzählt, schweift sein Blick auf den Apfelbaum[2] im Garten, bedeutsam kraft der damit verbundenen Erinnerungen an seine Kindheit, in St. Peter im Ahrntal, seiner zahllosen Stunden am Schreibtisch, mit Blick auf eben diesen Baum. Sein Erlebtes, das Erinnerte, spielt eine große Rolle, auch für sein literarisches Schaffen, nicht zuletzt spürbar in seinen jüngsten Romanen.

 

Salto.bz: Inwiefern spiegeln sich Leben, Erfahrungen und Erinnerungen des Josef Oberhollenzer in seinen literarischen Werken wider?

Josef Oberhollenzer: Es kann nur reinkommen, was der Schreiber erlebt habt. Ich kann also nicht irgendwas einbringen. Natürlich kann ich einbringen, was mir andere erzählen. Es finden sich autobiographische Bruchstücke, es finden sich Menschen, denen ich begegnet bin. In mancher Figur sehe ich jemanden, den ich kenne, aber auch nur bruchstückhaft. Immer wieder sind Versatzstücke von mir drinnen: konkrete, unverbogene, neue dazuerfundene, aufgebauschte. Aber es ist keine Figur, die ich bin. Ich kann aber nur über das schreiben, was ich erfahren habe, wo ich war. Ich kann nicht, wie manche, über afrikanische Flüchtlinge schreiben. In die kann ich mich nicht reinversetzen. Das ist mir nicht möglich. 

„Ein Schriftsteller ist jemand“, sagt Thomas Mann, „für den das Schreiben schwieriger ist als für andere Menschen.“ Wie verhält es sich bei Ihnen? 

Thomas Mann habe ich lange nicht gelesen, etwa in deinem Alter zuletzt. Jetzt gerade lese ich seinen Zauberberg. Ich unterrichte ja, dort gibt es auch Sachen zu schreiben und da heißt es dann, ich solle schreiben, weil ich ja der Schreiber sei. Für mich ist es aber schwieriger, ich bin langsamer als andere, denen die Wörter nicht so wichtig sind, die nicht auf jeden Satz, jedes Wort achten. Wenn ich Emails oder Nachrichten schreibe, kann ich nicht einfach so dahinschreiben. Hin und wieder wäre das fein. Es ist schwieriger für mich, weil es bewusster getan wird. Es ist ein reflektiertes Schreiben. Dauernd.

In Ihren Werken finden sich auch dialektale Einwürfe wie z.B. „juschtla“. Welche Rolle spielt die Mundart für Sie?

Es ist meine Muttersprache. Manche verlernen es, habe ich miterlebt. Ich habe es nicht verlernt. Meine Frau meint, so wie im Tal geredet wird, habe einen Einfluss auf mein Hochdeutschschreiben. Sie kann also nicht ohne Einfluss gewesen sein, die Sprache, in der man aufgewachsen ist. Und Hochdeutsch ist für uns eigentlich auch eine Fremdsprache, eine andere Sprache. Manche Sachen bringe ich ein, weil die Figuren, Vitus Sültzrather, die Kreszenz, die sind auch nicht hochdeutsch. Hin und wieder kommen eben solche Einsprengsel rein um sie zu verorten. 

Meine Frau meint, so wie im Tal geredet wird, habe einen Einfluss auf mein Hochdeutschschreiben. Sie kann also nicht ohne Einfluss gewesen sein, die Sprache, in der man aufgewachsen ist.

In Ihrem 2018 erschienenen Buch Sültzrather macht der gleichnamige Protagonist und Schriftsteller Vitus Sültzrather in seinen letzten Jahren seine geschriebenen Zeilen mithilfe eines Messers unkenntlich, radiert sie förmlich aus. „Was mein ist, werde nichts“, sind seine letzten dokumentierten Worte. Dennoch wollte Sültzrather nicht in Vergessenheit geraten. Sie erweisen ihm mit Ihren Werken also einen Dienst?

Ich nehme an schon. Ich bin sein Wiedererwecker, bringe in wieder in die Welt, sodass er nicht vergessen wird - vielleicht - nachdem er ja vergessen war. Er ist eine erfundene Figur. Und er beginnt zu leben mit jedem Satz der über ihn geschrieben wird. Oder durch die Erzählungen der anderen, die sich an ihn erinnern, beginnt er wieder zu leben und beginnt vielleicht anders zu werden, wie er damals von 1931 bis 2001 war. Vielleicht bleibt er so in Erinnerung.

Ihr kürzlich erschienenes Werk Zuber: Oder was wir uns zu erzählen haben ist gewissermaßen die Weiterführung des 2018 erschienen Werks Sültzrather. Gleichzeitig knüpft es aber nicht unbedingt an dessen Handlungen an, sondern bietet einen Blick in die Jahre vor der Geburt des Protagonisten.

Ja, es ist der zweite Teil sozusagen, es soll eine Trilogie werden. Am dritten Teil arbeite ich gerade.

 

Abermals geht es aber um Erinnerungen, Erinnerungen, die nur sehr träge zum Vorschein kommen und in Schweigen gehüllt sind. Warum fällt das Erzählen schwer?

Der alte Kalber, Vitus Sültzrathers Vater, hat nie etwas erzählt. Bei ihm ist es bedingt durch seinen Aufenthalt im Brixner Kerker, wo mit ihm auf bestimmte Weise umgegangen sein muss, so wird vermutet im Text. Dem Vitus hat auch erst seine Mutter, nach seinem Sturz, im Krankenhaus erzählt, und deren war Erzählen ein Stocken, ein Stottern. Und der Vater, mit dem er so gerne geredet hätte, den er so gerne geliebt hätte, hat nichts gesagt. Dabei hätte er ihn annehmen können als verwundete Person. So aber war sein Vater, der im Schweigen neben ihm her gelebt hat und nicht sein Vater war. Im dritten Teil wird gezeigt, wie er vorher war, zu Vitus Sültzrathers ältester Schwester. Der Vater war einmal ein anderer, der durch den Kerker zu einem gebrochenen Menschen wurde.

Und der berühmte Dichter aus Aibeln, Vitus Sültzrather?

Der hat wahrscheinlich in seinem Werk erzählt. Und seinem Freund, dem Max Vergeiner hat er dann ebenso erzählt, nach langem Schweigen. Aber dieses Schweigen können, nebeneinander Schweigen können, das ist aus meinem Leben. Ich hatte einen Freund, der zu mir gekommen ist, um zu schweigen. Er war sehr redselig, aber er hat immer reden müssen und im Mittelpunkt sein. Zu mir kam er eben, um einmal nichts sagen zu dürfen. So eine ähnliche Beziehung ist dann auch zwischen Max Vergeiner und dem Protagonisten Sültzrather entstanden.

Vitus Sültzrather habe ursprünglich Lehrer werden wollen. Sie unterrichten an der Mittelschule Welsberg, sind dort stellvertretender Direktor. Wie haben Sie die Zeit daheim als Lehrperson erlebt?  

Während des Fernunterrichts habe ich eigentlich nicht mehr geschrieben, weil ich von morgens bis abends mit den Schülern zu tun hatte. Weil immer gesagt wird, der Sozialbezug fehle: das stimmt. Man kann nicht so scherzen wie in der Schule. Andererseits habe ich viel gechattet und Mails ausgetauscht. Zu mehreren Schülern ist ein viel engerer Kontakt entstanden, als er sonst entstanden wäre. Wichtig ist natürlich, dass man als Lehrender in der Klasse ist, wo man reden kann, wo man hinschauen kann. Der Lehrer sollte dort sein. Aber es ist nicht so schlimm, oder, wie manche sagen, es sei eine Katastrophe und die Jugend zahle völlig drauf. Da hätte es in der Menschheitsgeschichte schon viele Generationen gegeben, die überhaupt nichts mehr lernen hätten können. Es ist nicht so, dass so etwas die Menschen völlig zu Nicht-Menschen, zu Verlorenen macht.

Man kommt schreibend auf Dinge, die man vorher nicht weiß.

Von Vitus Sültzrather heißt es, wäre er Lehrer geworden, wie Sie, dann hätte er nicht in Pension gehen wollen. Wie ist das bei Ihnen?

Ich werde heuer 65 . Ich wollte nie in Pension gehen, habe nie daran gedacht. Bis letzten Mittwoch, als ich plötzlich empfand, eigentlich nur noch schreiben zu wollen. Davor hätte ich immer wenigstens Teilzeit unterrichten wollen, weil ich gern unterrichte; du lernst jedes Jahr neue Schüler kennen und neue Menschen. Offensichtlich hat dieser Lockdown aber dazu geführt, dass ich mich nicht darauf freue, im Herbst in die Schule zu kommen. Dabei hat es mich immer gefreut, ich wollte nie in Pension gehen. Lehrer werden wollte ich aber auch nicht. Denn wie wir mit Lehrern umgegangen sind damals. Furchtbar. Entsetzlich. Deswegen wollte ich nie Lehrer werden.[3]

Sie meinten, während Ihrer Zeit daheim hätten Sie nicht geschrieben. Hat Sie diese Zeit aus der Sicht des Schriftstellers J. Oberhollenzer also nicht unbedingt bereichert?

Das kann man jetzt auch nicht sagen. Neben dem Unterrichten, dem Dasitzen, habe ich viele Texte gesucht und gelesen, Texte, die ich sonst nicht gelesen hätte. Es war schon eine Erfahrung, die den Schriftsteller bereichert hat, weil der Schriftsteller ja reich wird durch das, was er erlebt. Es war eine sehr spannende Zeit, nicht in allem fruchtbar, aber trotzdem spannend.

 

Sie waren Gründungsmitglied der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV), die heuer ihr 40 Jahr-Jubiläum feiert. In einem Manifest der Anfangszeit heißt es: "es ist ein elend mit der Literatur in Südtirol, ein elend ist es, für wahr." Wie hat sich der Literaturbetrieb in Südtirol seither verändert?

Sehr. Man hat begonnen, anders zu schreiben und es hat andere Schreiber gegeben. Es gab nie eine Zeit, wo mehr veröffentlicht worden ist. Wenn man jetzt Namen aufzählt, von Anita Pichler über die Sabine Gruber, Sepp Mall, Kurt Lanthaler bis Oswald Egger und Joseph Zoderer. Es gibt ganz viele inzwischen, die nicht nur bei Athesia veröffentlichen, oder wie der Kaser einmal beim Suhrkamp.[4] Es hat sich sehr viel getan. Es sind sehr viele Schreiber geworden, gewachsen, auch durch das Zusammensein, das Miteinander, das Treffen, Austauschen, Befreundetsein. Es ist einfach irgendwas entstanden, das vorher nicht war.  

Die SAAV hatte großen Anteil daran?  

Die SAAV, nehme ich an, hat da einen Beitrag geleistet. Es gab Sitzungen, man hat sich getroffen, und verschiedene Dinge organisiert, wie z.B. eine Plakataktion[5] oder den Espresso Mortale, einen Fortsetzungskrimi.[6]

Es wird immer von der Kultur, der großen Kultur geredet. Südtirol sei so ein Kulturland, mit den Schützen, dem Volkstanz. Das ist alles wunderbar. Aber das andere gibt es eben auch.

Erfährt die Kultur beziehungsweise das Künstler- und Schriftstellertum heute aber die Wertschätzung, die sie/es verdient?

Von der Politik nicht. Wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, bis Markus Vallazza den Waltherpreis bekommen hat. Lange hat man mit Bruno Hosp[7] gekämpft, der hat das ganze Kulturelle aber mehr geschätzt, als neuere, modernere Politiker, achammersche oder kaslattersche Typen, wo man viel mehr kämpfen hat müssen. Ich möchte jetzt nicht klagen, es ist eben so. Angesichts der Beträge, die Firmen kriegen, ist es bedenklich, wieviel dann zum Beispiel Musiker bekommen haben, die fast am Verhungern sind.[8] Es wird immer von der Kultur, der großen Kultur geredet. Südtirol sei so ein Kulturland, mit den Schützen, dem Volkstanz. Das ist alles wunderbar. Aber das andere gibt es eben auch.

Des heißt, aber nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich fehlt die Anerkennung für das Kulturelle?

Von den bestimmten Leuten schon. Ich habe Anerkennung genug. Die Rockbands bekommen eben die Anerkennung derer, die sie hören. Von der politischen Landschaft kann man sich aber wenig erhoffen.

In Sültzrather heißt es, der Protagonist Vitus Sültzrather habe „von einem Europa geträumt, wie es wahrlich zu einem paradiese auf erden geworden sei, zu einem vieler völker staat“, der Text ist Ihrer Großmutter gewidmet. Hegen auch Sie diesen Traum?

Ich habe mir das seit Kindestagen an gewünscht. Und auch mein Sohn, der ist jetzt 23 - wir haben erst kürzlich wieder darüber geredet - der wünscht sich das auch: ein Europa ohne Grenzen, zwar mit den verschiedenen Kulturen, aber ohne diesen Hass aufeinander, der ja inzwischen wieder sehr stark im Wachsen ist. Das wäre schön gewesen. Das hat man ja als Kind schon gedacht.[9] Auch aufgrund der Kriegserzählungen vom Vater ist diese Idee eines Europas herangewachsen, wo eben kein Krieg mehr herrscht und jeder sein darf, wie er möchte, niemand mehr flüchten muss, so wie ein Georg Büchner oder ein Thomas Mann. Wäre fein, wenn es so ein Europa gäbe. Ein weniger bürokratisches, ein in Vielfalt gewachsenes und wachsendes, mit vielen Sprachen. Es hat diesen Traum gegeben, er scheint aber im Schwinden begriffen zu sein in den letzten zehn oder 20 Jahren. Seit dieser Populismus wieder groß geworden ist, seit Orbán und Salvini, Le Pen, Kurz, vorher Berlusconi und wie sie alle heißen.

Sind Sie selbst sehr politisch?

Ich war nie ein Mich-wählen-lassender-Mensch, aber immer ein sehr politisch denkender, habe beispielsweise Reden gehalten bei der Südtiroler Hochschülerschaft. Ich war sogar mal Haus- und Hofschreiber der Jungsozialisten in Innsbruck damals, beim Roten Dachl, wie deren Zeitschrift hieß. Dort habe ich richtig politische Texte geschrieben, die natürlich alle schlecht wurden. Sowas kann nur schlecht werden.

Wäre fein, wenn es so ein Europa gäbe. Ein weniger bürokratisches, ein in Vielfalt gewachsenes und wachsendes, mit vielen Sprachen. 

Und Ihre literarischen Werke?

Das offen Politische, wie die Texte Erich Frieds, oder Kurt Tucholskys, die lassen keinen Freiraum für den Leser. Da schreibst du ein Manifest, aber keinen literarischen Text. Politisch sind aber alle Texte. Das heißt, das ist politisch (zeigt auf sein neuestes Werk Zuber) und da sind politische Texte drinnen (zeigt auf Sültzrather), nicht unbedingt partei-politisch, aber politisch.  

 

Schriftsteller wie Peter Handke wurden heftig für ihre politische Positionierung kritisiert. Soll und kann das rein literarische Schaffen eines Schriftstellers abgesondert von seinem alltäglichen gesellschaftlichen Handeln betrachtet und bewertet werden?

Nein, es hat immer mit dem Leben und dem Denken der Person zu tun, es ist ja nichts anderes. Auch Handkes Texte, von manchen als Wald- und Wiesentexte bezeichnet, diese friedfertigen, sind politisch. Politisch in einem anderen Sinn, jetzt nicht aufrührerisch, oder auf andere Weise aufrührerisch. Aber Handke ist ein hochpolitischer Mensch, nicht nur dort, wo er jetzt Stellung bezieht. Auch die Texte von Thomas Bernhard, oder Franz Innerhofer, nur um die Autoren zu nennen, die in meiner Dissertation eine Rolle spielen. Alles, jedes Gedicht, hat mit dem zu tun, was man ist und was man denkt.

Um noch einmal zurückzukommen zum aktuellen Werk Zuber. Es geht prinzipiell um den totgeborenen Bruder des Vitus Sültzrather, von ihm Zuber getauft: „ ‚wie mir mein bruder in die welt gekommen ist, jahrzehntelang ungesagt‘ und wie er aus der Welt verschwunden sei von allem anfang an, wie ihm sein bruder nie zum bruder geworden sei und doch allgegenwärtig sei wie kein gott, wie er in seinem kopf wohne, ‚immerdar‘ […]“ Dem Vitus Sültzrather ist Zuber schlussendlich also doch als Bruder geboren?

Da hat er seinen Bruder bekommen, und ist mehr Bruder gewesen, als ein Bruder sonst sein kann. Andere Brüder können sich auseinander oder gegeneinander leben. Der Zuber war ein Bruder, den es nie gegeben hat, und den es auch dadurch, weil es ihn nie gegeben hat, immer gibt. Weil ich da Gott geschrieben habe. Gott hat es ja auch nie gegeben, er wurde nie gesehen, und doch gibt es in bei einer Masse von Menschen immer, obwohl er nie da war. Zuber ist zwar eingegraben worden, sprich das bisschen Fleisch und Knochen, das es von ihm gegeben hat. Aber er war nie da, und ist umso mehr da. Meine Großmutter, war immer schon da und war äußerst wichtig, aber nachdem sie tot war, seitdem ist sie auf ganz andere Weise immer noch da. Der Zuber wurde zur wichtigsten Person für Sültzrather. 

 Meine Großmutter, war immer schon da und war äußerst wichtig, aber nachdem sie tot war, seitdem ist sie auf ganz andere Weise immer noch da. 

Sie haben schon angedeutet, dass Vitus Sültzrather auch in Zukunft weiter literarisch zum Leben erweckt wird. Was weiß man da bereits?

Der Knecht, der den totgeborenen Zuber eingräbt, der wird zur Hauptperson im dritten Teil. Dieser Prantner[10] wird zu einem ganz wichtigen Menschen im Leben des Vitus Sültzrather. Eine Kellnerin beim Oberwirt in Feldthurns erzählt von ihm. Und indem man vom Prantner erzählt, erzählt man gleichzeitig auch wieder vom Sültzrather, von der Beziehung zwischen Sültzrather und Knecht, die eine größere gewesen ist, als zwischen Vater und Sohn. Der Knecht wird folglich zur Hauptfigur.

Aber der Kalber Vitus, Südtirols großer, fast vergessener Schriftsteller, bleibt zentral?

Ja. Aber da kann ich jetzt wieder vieles erfinden. Die einen erzählen so, andere erzählen etwas anderes. Oft ganz widersprüchlich. Wie immer beim Erinnern, das sich ja verändert mit der Zeit. Es redet immer jemand dazwischen, deswegen sind die Texte dann so gebrochen und untereinander, wie bei jedem Reden eigentlich. Das Leben ist ja auch so ein Nebeneinander von Möglichkeiten, während man redet, denkt man schon wieder an etwas anderes.

 

 

 

[1] Die Fußnoten sind entstanden, weil ich sonst nicht wusste, wie ich alles hätte unterbringen sollen. Nachdem im Haupttext alles schon so kompliziert ist, die ganzen Nebenerzählungen, Zitate und so fort. Alles noch hineinzubekommen, das wäre komplett unlesbar geworden.

[2] Dieser Apfelbaum spielt immer wieder in den Texten eine Rolle. Wenn ein Apfelbaum vorkommt, dann ist es der da oder jene Bäume im Garten in St. Peter. Dieser Baum hat immer ganz viele Äpfel, die klaubt niemand, die sind dann irgendwann richtig rot, knallrot. Und irgendwann im Dezember, im Jänner, kommen die Vögel und fressen davon, fressen sie innerhalb einiger Nächte völlig auf. Beim Kalberbauern gibt es auch einen Apfelbaumgarten. Die Goldparmäne spielt dann beim Prantner eine Rolle, im dritten Teil kommt man drauf, was die für eine Bedeutung hat. Um es vorweg zu nehmen: der alte Kalber hat für jedes Kind einen Apfelbaum gesetzt, und die Goldparmäne hat er eben für den Vitus gesetzt.

[3] Wir haben die Tür zum Klassenraum ausgehängt, worauf er mit der Tür in die Klasse fiel, wir haben ihm Nägel auf den Stuhl gelegt, haben ihm gedroht, aus dem Fenster zu springen, falls er uns keine 6 oder 7 geben würde, haben Feuer gelegt in der Klasse. Furchtbar. Das Schöne war: wir haben eine Hochzeitsannonce aufgegeben und auf diese Weise konnte er dann seine Frau kennenlernen, mit der er zwei Kinder hatte. Der Besagte war der einzige, der zu jedem Maturatreffen gekommen ist. Anfangs kam er mit einem hellblauen Rollkragenpullover und nach zwei Wochen wusste man: der ist ein Opfer. Ich wollte nicht, dass mir dasselbe passiert. Es war entsetzlich. 

[4] Mit 22 wollte ich dort auch veröffentlichen, beim Suhrkamp. Gott sei Dank nicht. Als Junger ist man größenwahnsinnig und meint, weiß Gott wer zu sein.

[5] Von Georg Engl, der leider längst schon verstorben ist. Es waren große Plakate wo einzelne Texte draufstanden, Anfang der 90er war das.

[6] Kurt Lanthaler, Anita Pichler, Sepp Mall, ich und die Sabine Gruber haben einen Krimi geschrieben, haben uns die Teile zugeschickt, damals noch via Fax. Der eine hat dann weitergeschrieben und hat versucht, den anderen auf eine Spur zu bringen. Das ist dann als Buch herausgekommen und war ein Novum, nicht nur Südtirol, auch sonst. 

[7] Der Hosp, der Schützenmensch, hat eine Frau, die kulturell sehr fein ist, vielleicht hat ihn das beeinflusst.

[8] Ich bin da ohnehin auf der Linie von Thomas Bernhard, der Förderungen immer abgelehnt hat. Denn wenn du dich fördern lässt, bist du auch verpflichtet irgendwas zu fabrizieren. Aber nicht jeder kann sich das leisten, ich kann unterrichten, kann also tun was ich will. Wenn jemand von der Musik lebt, was soll der da tun.

[9] Da hat es immer geheißen, die Russen kämen jetzt, kann ich mich erinnern 1968, da war ich 13 Jahre, hatte keine Ahnung von der Welt und nur der Vater hat immer Radio gehorcht. Im selben Jahr war der Einmarsch in Prag, ich war mit einem Freund unterwegs und hatte stets Angst, die Russen würden kommen. 

[10] Der Prantner ist jemand, der skurrile Sachen erfindet, wie den Blitzableiter für Menschen, für Bergsteiger. Um nicht in den Krieg zu müssen, hat er sich kurzerhand seine Knöchel zertrümmert, wurde zum Krüppel und musste folglich auch nicht mehr in den Krieg. Ich bin auch ein Erfinder, erfinde aber wiederum andere Sachen.