Gesellschaft | Kindergarten wie KZ?

“Impfen macht frei”

Die Seite “Südtirolaktuell” verbreitet eine Zeichnung, die die Impfpflicht mit dem Nazi-Regime gleichsetzt. Die Macher der Seite verharmlosen und verdrehen.
Impfen macht frei
Foto: Facebook/Südtirolaktuell

Update

Am späten Montag (31. August) Abend wird die Zeichnung von der Facebookseite von “Südtirolaktuell” entfernt und eine neue Version veröffentlicht, auf der die Inschrift “Impfen macht frei” nicht mehr vorhanden ist. Dazu wird folgendes Statement gepostet: Unsere Karikatur zuvor scheint für ein großes Aufregen gesorgt zu haben. Wir stehen zu unserer Meinung das Kinder nicht ausgegrenzt werden dürfen, egal welche Hautfarbe, Kultur und auch wenn sie nicht geimpft sind! Jedoch sehen wir ein das sich die jüdische Kultusgemeinde in Meran + überall verletzt gefühlt hat. Es war nicht unsere Absicht, in Juden vergessene Traumata wieder aufzuwecken. Für die Opfer des Nationalsozialismus müssen wir uns entschuldigen! Es war nicht unser Ziel Menschen zu verletzen, sondern eine überspitzte Darstellung zu nutzen, um besorgten Müttern, Aufmerksamkeit zu verschaffen. Jedoch für all die Politiker, die mitverantwortlich sind, wenn Kinder ausgegrenzt werden, können wir nur Verachtung finden!

 

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“Die Schonfrist ist vorbei: Kinder, die Pflichtimpfungen nicht erhalten haben, dürfen nicht in den Kindergarten.” Diese Meldung machte vergangene Woche in diversen Südtiroler Medien die Runde. Familien, die der staatlich vorgeschriebenen Impfpflicht für das eigene Kind nicht nachgekommen sind, haben bereits ein Schreiben der betroffenen Kindergartendirektion erhalten, mit dem sie über den Ausschluss informiert wurden.

Aufgegriffen hat die Nachricht auch die Macher eines Mediums, das aus rechtlicher Sicht keines ist (es ist weder bei Gericht noch im Register der Kommunikationsanbieter – “registro ROC” eingetragen), sich aber als solches präsentiert. “Südtirolaktuell – der Bürgerblog” nennt sich die Internetseite, die sich auch als “die etwas andere Community” versteht und seit Beginn der Corona-Pandemie besonders aktiv ist. Als Herausgeber und Eigentümer scheint der Meraner Christian Lerchenberger auf. “Südtirolaktuell” erhebt den Anspruch, “faktisch, satirisch, kritisch, alternativ, investigativ” zu sein. Neben der Webseite werden die Inhalte – darunter auch Interviews mit Politikern wie zuletzt dem Meraner SVP-Bürgermeisterkandidaten Richard Stampfl oder der Grünen Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa und hohen Landesbeamten wie dem deutschen Bildungsdirektor Gustav Tschenett – unter anderem über Youtube, Telegram und Facebook verbreitet.

Ebendort, auf Facebook, greift “Südtirolaktuell” die Nachricht vom Ausschluss für nicht geimpfte Kindergartenkinder auf. Und greift dabei in die unterste Schublade.

 

Kindergarten wie KZ

 

Am frühen Sonntag (30. August) Abend erscheint eine Zeichnung mit dem Titel “Kindergartenstart 2020”. Darauf zu sehen: Der Eingang zu einem Kindergarten, vor dem ein Arzt steht, der die davor wartenden Kinder augenscheinlich impft. Über dem Eingangstor prangt die Schrift “Impfen macht frei” – der KZ-Aufschrift “Arbeit macht frei” nachempfunden. Zur Zeichnung schreiben die (bis auf Christian Lerchenberger nicht näher bekannten) Macher von “Südtirolaktuell”: “Kindergartenstart in Südtirol. Impfen macht frei? Ja macht frei, die Wahlfreiheit zu haben, ob man Kindergarten geht oder nicht! Wer sich noch nicht geimpft hat, kann dann vor dem Eingang dies nachholen! Um es deutlicher zu sagen... Impfen macht freien Zutritt zum Kindergarten!”

 

Die makabre Zeichnung, die jeden Rahmen von “faktischer, satirischer, kritischer, alternativer, investigativer” Information sprengt, bleibt nicht unkommentiert. Einige Facebook-User empören sich über den völlig deplatzierte Vergleich. “Unfassbar… jetzt wird die Impfpflicht schon mit dem Holocaust verglichen. Wir reden hier von der systematischen Ermordung von über 6 Millionen unschuldigen Menschen!!! Geschmackloser geht es bald wirklich nicht mehr”, schreibt eine Userin. Ein anderer User meint: “Continuo a trovare la vignetta di pessimo gusto. Poi ognuno è libero di fare come meglio crede.”

 

Verdrehung und Verharmlosung

 

Doch die Macher von “Südtirolaktuell” denken gar nicht daran, die Zeichnung zu entfernen. Im Gegenteil, man verteidigt sich mit irreführenden Argumenten – “Wo geht es denn bitte um den Holocaust in diesem Bild? Es geht um den Schriftzug und um sonst gar nichts! Der Holocaust hat selbst mit der Inschrift auch direkt mal gar nichts zu tun! Bitte nicht immer so verkürzt denken und dann beschuldigen!” – und sieht sich als Mahner vor einem totalitären System: “(...) Wir sehen es ja schon an der Maske und an den Coronatests und man sollte früh genug warnen, wenn totalitäre Systeme entstehen welche andere Menschen ausgrenzen wollen!!!!!!! Wir können leider die Gegenargumente nicht verstehen was hier nicht OK sein soll an der Grafik!”

 

Dass längst nicht alle ein Problem mit der Zeichnung bzw. der Andeutung dahinter – wer seine Kinder impfen lässt, liefert sie damit einem System ähnlich jenem der Nationalsozialisten aus – zeigt die Tatsache, dass der Facebook-Post bislang 17 Mal geteilt und von über 60 Personen mit einer Reaktion gewürdigt wurde. Auch im Kommentarbereich finden sich zustimmende Worte.

Es ist nicht lange her, dass sich die Betreiber der KZ-Gedenkstätte von Auschwitz, wo die Aufschrift “Arbeit macht frei” angebracht war, gezwungen sahen, zu Wort zu melden. Als ein toskanischer Lega-Gemeinderat Anfang Juni auf Facebook eine Grafik mit der Aufschrift “Schule macht Frei” postete, fand in Polen man deutliche Worte: “Schändlich. Es ist schmerzhaft für die Erinnerung an Auschwitz und seine Opfer, dieses Symbol instrumentalisiert und missbraucht zu sehen. ‘Arbeit macht frei’ war eine zynische Illusion, die die SS den Gefangenen des Lagers Auschwitz gab. Diese Worte wurden zu einer der Ikonen des menschlichen Hasses.”

“Die etwas andere Community” in Südtirol sieht das offensichtlich: etwas anders.

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Peter Gasser Mo., 31.08.2020 - 15:53

“Wo geht es denn bitte um den Holocaust in diesem Bild? Es geht um den Schriftzug und um sonst gar nichts! Der Holocaust hat selbst mit der Inschrift auch direkt mal gar nichts zu tun! Bitte nicht immer so verkürzt denken und dann beschuldigen!” – und sieht sich als Mahner vor einem totalitären System: “(...) Wir sehen es ja schon an der Maske und an den Coronatests und man sollte früh genug warnen, wenn totalitäre Systeme entstehen welche andere Menschen ausgrenzen wollen!!!!!!! Wir können leider die Gegenargumente nicht verstehen was hier nicht OK sein soll an der Grafik!”:
Wer das schreibt, hält den Bürger wohl für besonders blöd.
Wer nicht erkennt, was “daran” nicht OK ist, der zeigt, wessen (radikalen und unmoralischen) Geistes Kind er ist.
Samt erhobenem Zeigefinger (7 Rufezeichen... bedeutet lautes Schreien).

Mo., 31.08.2020 - 15:53 Permalink
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Ingrid Kapeller Mo., 31.08.2020 - 16:11

Antwort auf von Peter Gasser

Sehe ich genauso! Habe mir den Beitrag auf Facebook angeschaut und bin schockiert über diese enorme Respektlosigkeit (gegenüber allen Opfern von Auschwitz und deren Freunde und Familie) und über diese unsagbare Ignoranz... Ich hoffe doch sehr, dass dieser Beitrag von Südtirol aktuell so nicht stehen bleiben wird und darf.

Mo., 31.08.2020 - 16:11 Permalink
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gorgias Mo., 31.08.2020 - 17:46

>“Die etwas andere Community” in Südtirol sieht das offensichtlich: etwas anders.<

Ist salto ein Spartenmedium? Warum versucht man nicht mit jemandem der auf dieser Seite Südtirol Aktuell ein Interview gegeben hat auch eines zu machen, aber nicht so zustimmend sondern kritisch und auch hinterfragend wie jemand zu so einer fundamentalen Einstellung gegen das Impfen kommt.

Man kann sich z.B. so ein Interview ansehen und sich darauf vorbereiten. Und etwas dann entgegnen zu den Halbwahrheit und Unsinnigkeiten die verbreitet werden.

Mo., 31.08.2020 - 17:46 Permalink
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gorgias Mo., 31.08.2020 - 18:47

Antwort auf von ceteris paribus

Es führt aber zu nichts, wenn man diese Personen ignoriert und glaubt, dass das weg gehen wird. Es ist notwendig diesen Personen auch mal etwas entgegen zu bringen, so dass diese und jene die sie "followern" auch mal Gegenargumente hören.

Wird einen Beführworter interviewt hören auch diese Personen hin und sind nicht immer in der Blase.

Mo., 31.08.2020 - 18:47 Permalink