Politische Zensur

Alessandro Urzì will „südtirol heute“ die öffentlichen Beiträge kürzen, weil die ORF-Nachrichtensendung Giorgia Meloni und seine Partei als „postfaschistisch“ bezeichnet.
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Foto: Facebook/Alessandro Urzì
Siegfried Giuliani ist zu lange im Geschäft, als dass er sich durch solche Aktionen einschüchtern lässt.
Es ist bedenklich, wenn ein Politiker – zumal selbst früher Journalist – den Journalisten die Texte diktieren will“, sagt der Chefredakteur von „südtirol heute“. Und weiter: „Noch bedenklicher ist es, wenn ein Politiker aufgrund einer Formulierung, die in der gesamten europäischen Medienlandschaft verwendet wird, die Drohung ausspricht, die Finanzierung in Frage stellen zu wollen.
Verständlich werden diese Aussagen wenn man den Anlass kennt.
Der Landtagsabgeordnete Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) hat einen Angriff auf das ORF-Nachrichtenmagazin gestartet, der weit mehr als nur eine Posse im aktuellen Gemeinderatswahlkampf ist.
Es ist eine Aktion, die notgedrungen an das Vorgehen gegen die Pressefreiheit in Erdogans Türkei oder Putins Russland erinnert.
 

Der Beitrag

 
Am 1. September gastiert Giorgia Melonis Wahlkampftour in Bozen. Die Frontfrau der „Fratelli d’Italia“ tritt im Bozner Bahnhofspark auf. ORF-Moderator und Reporter Patrick Rina nimmt den Meloni-Besuch zum Anlass um einen längeren Bericht über den Bozner Gemeinderatswahlkampf zu machen. Im Nachrichtenbeitrag kommen neben Meloni, auch der amtierende Bürgermeister Renzo Caramaschi. SVP-Vizebürgermeister Luis Walcher, sowie der Team K-Spitzenkandidat Thomas Brancaglion zu Wort.
Wie es für einen guten Journalisten gehört, gibt Patrick Rina in seinem Beitrag nicht nur die politischen Belangsendungen der einzelnen Parteien wieder, sondern er erlaubt sich auch eine kritische Analyse. So beschriebt Rina etwa die Wankelmütigkeit der Bozner SVP sich zwischen Renzo Caramaschi und Roberto Zanin zu entscheiden.
Doch der Stein des Anstoßes ist jener Teil des Fernsehbeitrages über Giorgia Meloni.
Patrick Rina zeigt Bilder von Giorgio Meloni im Bozner Bahnhofspark. Dazu kommentiert der ORF-Journalist:
 
„Giorgia Meloni beherrscht die Szene. Die Frontfrau der italienischen Postfaschisten eröffnet den Bozner Wahlkampf. Der Bahnhofspark dient Meloni als Sinnbild krimineller Umtriebe. Gemeinsam mit dem Mitte-Rechts-Bürgermeisterkanididaten Roberto Zanin wolle sie Bozen vor dem Verfall bewahren.“
 
 
Es folgt ein Interviewausschnitt mit Giorgia Meloni. Die Chefin der Fratelli d’Italia meint dabei:
 
„Dieser Ort hier ist dramatisch vom Verfall gekennzeichnet. Und das in einer Stadt, die weltweit als eine Stadt der Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung bekannt war. Das ist das Ergebnis der linken Politik in Bozen, genauso wie in ganz Italien.“
 
Dann sieht man den amtierenden Bürgermeister Renzo Caramaschi. Dazu der Kommentartext: „Bozen müsse nicht vor dem Verfall, sondern von den Neofaschisten bewahrt werden, kontert der amtierende Bürgermeister.“ Renzo Caramaschi redet dann offen über die Unmöglichkeit mit den Neofaschisten und der extremen Rechten zusammenzuarbeiten, weil diese immer gegen die Autonomie waren und immer noch sind.
 

„Das ist Müllfernsehen“

 
Alessandro Urzì, selbst im Brotberuf Journalist, hat diesen Fernsehbeitrag überhaupt nicht goutiert. Zwei Tage später echauffiert sich der Fratelli-d’Italia-Politiker auf seiner offiziellen Facebook-Seite über die „La TV spazzatura (pagata con i soldi nostri)“.
Doch dem nicht genug.
Am 4. September reicht der Abgeordnete jener Partei, die Alto Adige im Herzen trägt, im Landtag eine Anfrage ein.
Darin heißt es:
 
„Nei giorni scorsi, in concomitanza con la visita a Bolzano dell’on. Giorgia Meloni, la medesima testata in un proprio servizio di particolare delicatezza (01.09.20 ore 18.30), riguardando la campagna elettorale in corso, ha definito ripetutamente, con un linguaggio da anni Settanta, “postfascista” la forza politica di cui la stessa è presidente arrivando a sostenere che “La città si deve difendere più che dalla sua rovina (che Fratelli d’Italia denunciava con forza, prendendo a titolo d’esempio piazza Stazione, ndr) da quella dei neofascisti”, riferendosi ai cittadini intervenuti alla manifestazione politica. E ciò prima di dare la parola al sindaco Caramaschi che galvanizzato da tanta premessa si è sentito in diritto di rincarare la dose sostenendo (riferendosi sempre a Fratelli d’Italia, così nella esplicita consecutio temporum del servizio di Suedtirol Heute) che “sono nostalgici del fascismo, sempre contro l’autonomia della nostra terra”.
 
 
Alessandro Urzì will dann von der Landesregierung wissen, wie viel an öffentlichen Beiträgen „südtirol heute“ vom Land bekomme, ob ein Medium nicht allen Parteien denselben Respekt zollen müsse und ob man es für angemessen hält, ein „solches Vokabular aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts“ zu benutzen. Zudem verweist der Rechtspolitiker in der Anfrage auf die parlamentarische Aufsichtskommission der RAI.
Urzì fragt dann:
 
„Come si giudichi l’utilizzo in piena campagna elettorale durante una trasmissione di informazione televisiva di un linguaggio per la parte redazionale così evocativo e violento nei riguardi di una forza politica rappresentata nelle istituzioni repubblicane e si ospitino interviste (senza diritto di replica) offensive verso i cittadini intervenuti ad una manifestazione politica.“
 
Allein diese Frage macht deutlich, dass nicht nur die politischen Ansichten von Alessandro Urzì und seiner Partei einer Epoche angehören in der Pressezensur zum System gehörte.
Südtirol heute-Chefredakteur Siegfried Giuliani nimmt den Angriff sportlich: „Da braucht es Nachhilfeunterricht zum Begriff Pressefreiheit“.
Ob das was nützt?
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Hannes Obermair Mo., 07.09.2020 - 16:39

Meine absolute Solidarität dem ORF-Team. Der Angriff der italienischen Rechten auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist unerträglich und verrät neben Nervosität auch mangelnde demokratische Kultur. Giorgia Meloni und ihre Adepten als Postfaschisten zu bezeichnen, ist politikwissenschaftlicher common sense und gedeckt durch die eindeutige Genealogie der Partei der "Brüder Italiens" (wieso eigentlich keine "Brüder und Schwestern..."?), die im Parteisymbol die "fiamma tricolore" des alten MSI, also der neofaschistischen Stammpartei, führt! Alles an der Bewegung, ihre homophoben und xenophoben, außerdem souveränistischen Positionen, liegt auf dieser Traditionslinie. Meloni war übrigens jugendliches Mitglied des neofaschistischen "Fronte della Gioventà" gewesen und hat 2014 die postfaschistische "Gioventù Nazionale" mit einem eindeutig rechtsextremen Einschlag (und entsprechendem Symbol) begründet. Alessandro Urzì sollte einfach mal auf Wikipedia gucken, statt den Landtag zu belästigen bzw. für Geschichtsklitterung zu funktionalisieren.
Hier noch ein Lektüretipp, wenn er es akademischer liebt:
Barbie Latza Nadeau, Femme Fascista: How Giorgia Meloni became the star of Italy's far right. In: World Policy Jornal, Duke University Press, Vol. 25, No. 2, Summer 2018, pp. 14-21.
Die Bozener Zanin-WählerInnen werden also ein Bündnis wählen, das eindeutig postfaschistische Anteile aufweist. Aber sie können einen von Papen auch immer noch verhindern.

Mo., 07.09.2020 - 16:39 Permalink
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Manfred Klotz Di., 08.09.2020 - 13:08

Antwort auf von Hannes Obermair

Stimmt Hannes, aber es ist eben typisch für Faschisten, dass sie ihre Abstammung leugnen, besonders wenn sie nicht gerade an der Macht sind. So gesehen ist der unsägliche Vorstoß Urzis, der im Vorhaben ganz klar der faschistischen Gedankenwelt entspringt, also nur ein weiteres Indiz.

Di., 08.09.2020 - 13:08 Permalink
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Katja Renzler Di., 08.09.2020 - 14:46

Wo er recht hat, hat er recht, der Urzì- halt nicht so, wie er es meint.

In ihrer Rückwärtsgewandtheit könnte man diese Postfaschisten durchaus als Faschisten bezeichnen.

Di., 08.09.2020 - 14:46 Permalink