Politik | Beteiligung

Eine Wahl wie immer?

Wovon hängt es ab, wie fleißig am 20. und 21. September gewählt wird? Wird wenig Auswahl in wenig Lust niederschlagen? Die Einschätzungen des Politologen Hermann Atz.
Herbst
Foto: Pixabay

Sie ist bei vielen Wahlen die große Unbekannte. Umso mehr bei einem Wahlgang, der aufgrund der Corona-Krise unter völlig veränderten Voraussetzungen stattfindet: die Wahlbeteiligung. 392.784 Wähler sind am 20. und 21. September landesweit aufgerufen, ihre Stimme beim Verfassungsreferendum abzugeben. In 113 der 116 Gemeinden finden zeitgleich Gemeinderatswahlen statt.

 

Zwischen Wertewandel und Corona

 

Wie viele Wahlberechtigte am Ende von ihrem Recht Gebrauch machen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Heuer kommt das Coronavirus als Element dazu, das die Wahlbeteiligung negativ beeinflusst. Allein aufgrund der Tatsache, dass etwa Quarantäne-Wähler, aber auch bettlägerige Altenheimbewohner von der Wahl ausgeschlossen sind. Doch auch in anderer Hinsicht kann Corona einen Einfluss haben, sagt der Politologe Hermann Atz: “Bestimmte Personengruppen haben einfach Angst, sich in ein Wahllokal zu begeben – hier hätte die Möglichkeit der Briefwahl Abhilfe schaffen können. Zum anderen kann der Intensivwahlkampf im öffentlichen Raum, der für politisch wenig Interessierte eine Motivationsfunktion hat, nur eingeschränkt stattfinden.” Umgekehrt könnte sich hingegen “das insgesamt gestiegene Vertrauen in die Regierenden” positiv auswirken, meint Atz.

Von Corona abgesehen, sei bereits “seit Jahrzehnten ein Trend zu sinkender Teilnahme bei Wahlgängen auf allen Ebenen” zu beobachten, so der Politologe. Zu erklären sei dieser Trend als “Wertewandel weg vom reinen Pflichtbewusstsein hin zu persönlichen Nutzenabwägungen und spontanen Entscheidungen”. Allerdings gibt es auch öfters Ausreißer nach oben, wo die Wahlbeteiligung wieder deutlich ansteigt. Dazu Atz: “In der Regel ist das dann der Fall, wenn die Entscheidung als ‘Richtungswahl’ eingestuft wird, etwa bei der letzten Bundespräsidentenwahl in Österreich.” Und in Südtirol? “Für Südtirol haben wir nachweisen können, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, dass also bei mehreren Listen und bei mehreren Anwärtern auf das Bürgermeisteramt die Leute auch lieber wählen gehen. Der Effekt ist aber nicht allzu groß.”

 

Wenig Auswahl, wenig Lust?

 

Keine rosigen Aussichten, insbesondere für die 40 Gemeinden, in denen es heuer nur einen Bürgermeister-Kandidaten gibt und jene 28 Kommunen, in denen nur eine einzige Liste antritt (bis auf Wengen überall eine SVP-Liste). Dabei ist in diesen Gemeinden die Wahlbeteiligung sogar ausschlaggebend für die Gültigkeit der gesamten Wahl. Wo nur eine Liste antritt, müssen laut regionalem Gemeindewahlgesetz mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl teilnehmen und dabei mindestens 50 Prozent der Stimmen gültig sein. Andernfalls ist die Wahl ungültig und die Gemeinde wird bis zu Neuwahlen unter kommissarische Verwaltung gestellt. So geschehen in St. Ulrich im Mai 2015.

 

“Dass es in kleineren Gemeinden nur eine Liste und/oder nur einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin für das Bürgermeisteramt gibt, war auch schon bei früheren Wahlen der Fall”, betont Hermann Atz. Das Risiko, dass deshalb weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, hält der Politologe dennoch für gering. “St. Ulrich im Mai 2015 war eine Sondersituation, da haben die Wählerinnen und Wähler nicht goutiert, dass es keine Alternative zur SVP gab, während bei früheren Wahlen immer etliche Listen zur Auswahl gestanden sind; die nicht zur Wahl stehende Opposition hat ausdrücklich zum Boykott aufgerufen”, erinnert er. Ähnliches passiert derzeit in Barbian. Dort stellt sich der amtierende Bürgermeister Erich Mur der Wiederwahl – als alleiniger Kandidat der konkurrenzlosen SVP. Seit einigen Tagen zirkulieren anonyme Flyer mit dem Aufruf an die Barbianer, nicht zur Wahl zu gehen.

Doch das ist eine eher ungewöhnliche Methode, seinem Unmut über die fehlende Wahlmöglichkeit auszuüben, meint Atz: “Generell reagieren die Wahlberechtigten in Südtirol eher durch Abgabe weißer oder ungültiger Stimmen: im Mittel ein Drittel, in Extremfällen sogar die Hälfte.”

 

Prognose schwierig

 

Was erwartet sich der Politologe angesichts von Corona, lauem Wahlkampf und vielerorts mangelnder Auswahl bei den anstehenden Wahlgängen am Sonntag, 20. und Montag, 21. September?

“An den Gemeindewahlen 2015 haben sich ziemlich genau zwei Drittel der Wahlberechtigten beteiligt – das war ein starker Einbruch gegenüber den vorhergehenden Wahlen 2010. Prognosen zur Wahlbeteiligung sind technisch besonders schwierig, ich kenne im konkreten Fall auch keine. Aber angesichts der Tatsache, dass diesmal an zwei Tagen gewählt wird und zudem ein gesamtstaatliches Referendum stattfindet, rechne ich mit einem eher mäßigen Rückgang. In Bozen und Meran könnte auch der spannende Kampf um das Bürgermeisteramt zu einer gewissen Mobilisierung beitragen. Deshalb lehne ich mich hoffentlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich eine Beteiligung zwischen 60 und 65 Prozent erwarte.”

Auf die Frage, ob die Wahlbeteiligung beim Referendum und den Gemeinderatswahlen unterschiedlich ausfallen wird, meint Atz: “Wer überhaupt zur Wahl geht, wird sich vermutlich sowohl an der Gemeindewahl als auch am Referendum beteiligen, auch wenn letzteres relativ Wenige wirklich interessieren dürfte.”

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Alessandro Stenico Fr., 18.09.2020 - 08:07

„Heuer kommt das Coronavirus als Element dazu, das die Wahlbeteiligung negativ beeinflusst. Allein aufgrund der Tatsache, dass etwa Quarantäne-Wähler, aber auch bettlägerige Altenheimbewohner von der Wahl ausgeschlossen sind.“

Was mir bekannt ist, können die bettlägerigen Altersheimbewohner so wie immer durch den fliegenden oder Sondersitz wählen. Was die Quarantäne-Wähler betrifft, nur wenige haben angesucht (vermute dem Großteil die z. B. in Gossensass nicht italienische Staatsbürger sind ?) oder das Interesse für das Verfassungsreferendum nicht so groß ist, aber auch in den größeren Gemeinden wo die Wahl des Gemeinderats für Quarantäne-Wähler möglich wehre, war das Interesse sehr gering.

Doch auch in anderer Hinsicht kann Corona einen Einfluss haben, sagt der Politologe Hermann Atz: “Bestimmte Personengruppen haben einfach Angst, sich in ein Wahllokal zu begeben.
BIN DER GLEICHEN MEINUNG !

Zu der Anzahl der Wähler/Wählerinnen:
Das Verfassungsreferendum zur Kürzung der Anzahl der Parlamentarier wird in allen 116 Südtiroler Gemeinden durchgeführt. Wahlberechtigt in Südtirol sind 392.784 Personen (193.409 Wähler und 199.375 Wählerinnen).

Wahlberechtigt für die Gemeindewahlen sind 413.679 Südtirolerinnen und Südtiroler (203.779 Männer und 209.910 Frauen).

https://www.suedtirolnews.it/politik/am-sonntag-und-montag-gemeinderats…

Fr., 18.09.2020 - 08:07 Permalink
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rotaderga Fr., 18.09.2020 - 10:04

Ich habe Bauchschmerzen, Parteien und Personen zu wählen, welchen die Person hinter der Meinung wichtiger ist als die Meinung selbst.
Ein Hassschreiber- und was machen diese Intelligenzbestien: sie möchten die namenlose Meinung unterbinden.
Hauen wir in den Häufen oder zahlen Prämien- Steuergeld, es wird schon auch den Richtigen treffen.
Ihr Politiker seid nicht wirklich Demokraten wenn es um eure Eigeninteressen geht!

Fr., 18.09.2020 - 10:04 Permalink
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Andrea Pichler Fr., 18.09.2020 - 10:46

Ich denke, Gemeinderatswahlen, die parteiunabhängig sind (z.B. mit einer Wahlliste, die alle Kandidaten enthält), wären sinnvoll. So können einerseits Personen ohne Parteizugehörigkeit kandidieren, Personen aus verschiedenen Parteien gewählen werden und andererseits fällt der enorme Einfluss der Landesparteien auf die Gemeinderatswahlen weg

Fr., 18.09.2020 - 10:46 Permalink