Gesellschaft | Stellungnahme

Schule im Ausnahmezustand

Die Initiatoren der Petition „Lehrerwunderland Südtirol“ Markus Klammer und Florian Leimgruber über den Zustand der Schule und das Schweigen der Landespolitik.
Schüler mit Maske
Foto: Pixabay
Ende Juni haben die Lehrpersonen Markus Klammer (Wirtschaftliche Fachoberschule „H. Kunter“, Bozen) und Florian Leimgruber (Mittelschule „Karl Meusburger“, Bruneck) gemeinsam mit weiteren Berufskollegen die Petition „Lehrerwunderland Südtirol?“ ins Leben gerufen. Jetzt, nach Ablauf der Unterschriftenfrist für die Petition, nehmen die beiden Lehrpersonen wie folgt Stellung:
 
Die „Petition Lehrerwunderland Südtirol“ ist die Reaktion der Lehrberufe auf den schon länger spürbaren Stillstand in der Bildungspolitik. Es ist eine Reaktion, welche aufrüttelt und klare Botschaften sendet: an die Adressaten und verantwortlichen Institutionen in Politik, in Schule und Bildung. Und es ist ein Aufschrei in einer Klarheit, den wir Initiatoren uns nicht erwartet hätten.
Es mag der ambivalente Titel sein, auf den 3015 Unterzeichnende reagiert haben. Seit Sonntag ist die Zeichnungsfrist abgelaufen, und die Unterzeichnenden, großteils sind es in Dienst stehende Lehrkräfte der Grund-, Mittel- und Oberschulen, erklären mit ihrer Unterschrift ihren Protest mit den Arbeitsbedingungen im Schulbetrieb. Aber die Forderung, endlich für die Lehrberufe einen gerechten und fairen Arbeitsvertrag mit angepassten Löhnen zu verhandeln, ist nur eines der Anliegen. Daneben geht es um den geringen Stellenwert der Bildung in einer Wohlstandsregion, die sich für den begehrtesten Lebensraum Europas hält.
3015 Lehrkräfte: das sind mehr als 60 Prozent der im Schuldienst Beschäftigten. Auffällig sind die zahlreichen Kommentare und Hinweise auf die persönliche Betroffenheit, auf Resignation und Verbitterung; 85 Prozent geben die Geringerbewertung der Bildungsarbeit als Grund für den Missstand an. Bemerkenswert ist der hohe Anteil von 40 Prozent, der mit „nicht öffentlich“, also ohne sichtbare Nennung des Namens, unterschreibt.
Die in Anspruch genommene schamhafte Anonymität deutet darauf hin, dass sich viele nicht als Akteure in einem Arbeitskampf betrachten, sondern als gering geschätzte Angehörige einer Berufsgruppe im Zentrum der Gesellschaft, deren Beitrag für die Kollektivität aber nicht angemessen anerkannt wird. Eine Sorgeleistung zudem, die sehr einseitig und ungleich auf die Geschlechter verteilt ist, nämlich zur übergroßen Mehrheit auf Frauen.
Die Kritiken richten sich nicht gegen die Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit, sondern gegen die aktuellen Auswirkungen der öffentlichen Sparmaßnahmen im Schul- und Bildungsbereich.
Diese Petition enthält das Material für eine Fallstudie über eine Gesellschaft im Wandel. Es sind die Verhältnisse der Ungleichheiten und Disparitäten unter dem Dach einer autonom verwalteten Region. Dem seit über zehn Jahren konstant steigenden Landeshaushalt in einer prosperierenden Wirtschaftsregion steht ein seit langem geradezu gleichbleibendes Budget für Bildung und Schule gegenüber. Das bedeutet Stagnation bei steigenden Anforderungen und Aufgaben, die der Schule übertragen werden.
 
 
Seit der Wiedereröffnung vor drei Wochen melden sich zahlreiche Schulen mit Erfahrungsberichten zu Wort, und wir Initiatoren der Petition erhalten ernüchternde Rückmeldungen aus allen Teilen des Landes. Die Kritiken richten sich nicht gegen die Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit, sondern gegen die aktuellen Auswirkungen der öffentlichen Sparmaßnahmen im Schul- und Bildungsbereich.
Empörend sind der eingezogene Deckel bei den Ausgaben für Personal und die abgelehnte Rückerstattung der Ausgaben für digitale Medien an die Lehrkräfte. Seit dem Sommer ist im Bereich Digitalisierung der Schule kaum etwas geschehen. Viele Schulen sind nach den Spesen für COVID-Maßnahmen und den Stornogebühren für die außerschulischen Aktivitäten im Frühjahr pleite und erleben die Folgen aus dem Notprogramm der Schule im Ausnahmezustand. Nicht selten bringen Lehrer ihre privaten Laptops mit, damit die Videokonferenzen von der Schule aus funktionieren, oder sie halten sie gleich von ihrem Wohnzimmer aus.
Bei Landesrat Achammer ist der Spagat zwischen Wirtschaft und Bildung längst gerissen.
Sparbetrieb also, und dann ganz zu schweigen von den weitreichenden Einsparungen in allen Bereichen der schulischen Aktivitäten in den vergangenen Jahren.
Als ziemlich unbrauchbar sind die angekündigten Rezepte aus der Bildungspolitik und Bildungsdirektion in der Schulwelt aufgenommen worden. Während Landeshauptmann Kompatscher auf allgemeine Durchhalteparolen in der Corona-Krise setzt und den Griff von Gutverdienern in den Notfall-Hilfstopf bagatellisiert, ist bei Landesrat Achammer der Spagat zwischen Wirtschaft und Bildung längst gerissen.
Auch Notlügen wie jene der Schulamtsleiterin Sigrun Falkensteiner sind zurückzuweisen, weil sie die komplexe Realität verleugnen. Der höchste pädagogische Zielwert liegt für sie in der Frage: „Wie geht es den Kindern und Jugendlichen? Was könnten die jetzt brauchen?“, um dann zu erklären: „Die Reduktion auf das Wesentliche hat nicht geschadet.“
Das ist das „Lehrerwunderland Südtirol“, das die Lehrberufe einem vielfältigen Anpassungsdruck aussetzt. Einerseits erwartet man die Arbeit an der Umsetzung von Lernutopien wie Individualisierung und Chancengleichheit, anderseits ignoriert man, dass mit dem Schönreden Bildungsqualität eingespart wird. In diesem System bräuchte es schließlich couragierte Schulgewerkschaften, von denen sich die Lehrerschaft nicht verraten zu fühlen braucht.
Auch Notlügen wie jene der Schulamtsleiterin Sigrun Falkensteiner sind zurückzuweisen, weil sie die komplexe Realität verleugnen.
Am 20. September ist die Zeichnungsfrist der Petition abgelaufen. Seither warten 3015 Unterzeichnende zusammen mit den Initiatoren der Lehrerinitiative Südtirol auf ein erstes Signal der Südtiroler Landesregierung und ein Terminangebot. Geplant ist, dass eine Delegation die Ergebnisse und Dokumentation der Petition den Adressaten, dem Landeshauptmann Arno Kompatscher, den Landesräten für Schule und Kultur Philipp Achammer und Giuliano Vettorato und den drei Bildungsdirektionen überreichen darf.
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Elisabeth Garber Do., 24.09.2020 - 20:16

Antwort auf von Albert Baekeland

Sehr passend @ F.F. RUNGE! Mein Verdacht ist seit Jahren jener, dass die Politik das zunehmende Analpabetentum gerne billigt, befinden sich doch auch im eigenen Sektor zunehmend Minister, die ausser Redekunst keine andere beherrschen. Es kann der herrschenden Klasse nur recht sein, wenn die Wählerschaft größere Zusammenhänge, Umwälzungen, Folgen u. Gefahren weder sieht noch versteht.
Auch Stress verhindert klare Gedankengänge und ein entsprechendes Tun.
Lehrpersonen, Schulführungskräfte, kurz, das gesamte pädagogische Personal an Schulen aller Stufen arbeitet unter stetig steigendem Stress und stetig kleineren Ressourcen, seit Jahren. Die Covid-Rahmenbedingungen haben das ganze Dilemma - den Ausnahmezustand (neben Migration/Integration/Inklusion etc. etc.) noch gesteigert. Der Spar-Bumerang, der auf die Ära Kasslatter-Mur zurückgeht, kommt längst im Zeitlupentempo zurück.
Das wird irgendwann sehr teuer werden - ganz im Sinne der Ergänzung von F.F. Runge.

Do., 24.09.2020 - 20:16 Permalink
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Martin Volgger Do., 24.09.2020 - 17:36

Das Gehalt von LehrerInnen ist nicht nur nicht gerecht, es ist peinlich. In unserem reichen Land ist für vieles Geld da, für Bildung und LehrerInnen nicht.
Die Rechnung kommt aber in jedem Fall.

Do., 24.09.2020 - 17:36 Permalink
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Martin Volgger Do., 24.09.2020 - 19:41

Der Umfang und Rahmen des Lehrauftrages wurde und wird immer noch von der Politik festgelegt. Und ja, wie immer, wenn es um LehrerInnen geht, spielen Unterstellungen und Fehlinformationen wie "sie haben es bevorzugt, der Entwicklung der eigenen Familiensituation mehr Aufmerksamkeit zu schenken als ihrem Beruf. Moralisch bewundernswert, ökonomisch schlecht gedacht, ..." oder " hätten die Lehrer ihren Job als absolute Vollprofis aufgefasst" eine ungute Rolle. Wenn immer wieder über Menschen mit Fehlinformationen und Unterstellungen hergezogen wird, denen man die Zukunft von Morgen anvertraut, dann macht das die Arbeit in der Schule nicht leichter. Kein Wunder, wenn dann die Politik, aber auch Kinder zu wenig Respekt vor der Einrichtung Schule haben.

Do., 24.09.2020 - 19:41 Permalink
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Martin Volgger Fr., 25.09.2020 - 17:06

Gute Frau, ihre sog. "Fakten" sind ihre Erfahrungen und daraus machen sie Verallgemeinerungen, den Unterschied kann man in der Schule lernen. Und ja, viele Lehrer haben auch Nebentätigkeiten, wie viele andere auch, die auf Unis oder in der Erwachsenenbildung tätig sind. Und das ist auch gut so, denn der Praxisbezug würde mit der Zeit gänzlich verloren gehen und der Unterricht wäre dann zu theoretisch. Und was den Volksmund betrifft, liebe Frau Elsa, der sagt oft mehr über das Volk aus.

Fr., 25.09.2020 - 17:06 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 25.09.2020 - 18:51

"Liefern Sie Fakten, welche meine Behauptungen widerlegen"
Das würde ich aber mal umdrehen, erstmal sollten Sie Ihre Behauptungen belegen, ansonsten gibt es nicht zu widerlegen. Denn Ihre "Behauptungen" würde ich eher Vorurteile nennen, oder ist es eher Neid? Denn ich schätze, Sie haben weder vormittags Recht, noch nachmittags frei.

Fr., 25.09.2020 - 18:51 Permalink
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Klemens Riegler So., 27.09.2020 - 14:37

Mir fehlt in diesem Beitrag der Redaktion einiges ... vieles. bzw. kann ich nicht glauben, dass die Initiatoren wegen einiger Laptops und der anscheinend nicht genügenden Wertschätzung einen derartigen Aufwand (Petition) betreiben. Als Kommentar wäre es zu lang geworden ... darum habe ich meinen Senf auf einer eigenen Seite platziert: https://www.salto.bz/de/article/27092020/lehrerwunderland

So., 27.09.2020 - 14:37 Permalink