Kultur | Siegesdenkmal

“Nicht mehr nachvollziehbare Schließung”

15 Historikerinnen und Historiker appellieren eindringlich an die Stadt Bozen: “Öffnet die Ausstellung im Siegesdenkmal endlich wieder!”
Ausstellung Siegesdenkmal
Foto: siegesdenkmal.com

Das Schreiben trägt über ein Dutzen Unterschriften. Nicht irgendwelche, sondern die von 15 Historikerinnen und Historikern, die sich fragen: “Warum ist die Dauerausstellung BZ ’18–’45: ein Denkmal, eine Stadt, zwei Diktaturen seit einem halben Jahr verschlossen?”

Zugleich mit der Frage, weshalb die Ausstellung unter dem Siegesdenkmal in Bozen unzugänglich ist, schicken die Historiker – namentlich Andrea Bonoldi, Siglinde Clementi, Maurizio Ferrandi, Joachim Gatterer, Georg Grote, Hans Heiss, Walter Landi, Stefan Lechner, Giorgio Mezzalira, Hannes Obermair, Günther Pallaver, Jeffrey Schnapp, Oswald Überegger, Martha Verdorfer, Alessandra Zendron – einen Appell an die neue (noch zu formierende) Bozner Stadtregierung mit.

 

Das Schreiben im Wortlaut:

 

Nach dem Ende der Kommunalwahlen 2020 wenden wir uns als Historiker und Historikerinnen mit  einem dringlichen Appell an die zu bildende neue Stadtregierung Bozens. Wir ersuchen in aller Eindringlichkeit: „Öffnet die seit Monaten nicht mehr zugängliche Dauerausstellung im Bozner Siegesdenkmal endlich wieder und haucht diesem europäischen Geschichts- und Lernort wieder neues Leben ein!“ 

Wir erinnern an die Vorgeschichte: Im Sommer 2014 wurde in Zusammenarbeit der Südtiroler Landesregierung, des Italienischen Kulturministeriums und der Stadtgemeinde Bozen und vor allem dank der professionellen historischen Aufarbeitung durch eine Expertengruppe die Dauerausstellung BZ ’18–’45: ein Denkmal, eine Stadt, zwei Diktaturen im Sockelbereich des Monuments eingerichtet. Nach der Eröffnung gingen die organisatorische Gebarung und administrative Verwaltung des Ausstellungsortes an die Stadt Bozen und ihre Kulturabteilung über. Der Ausstellungsparcours hat bisher Zehntausenden von Besuchern und Besucherinnen aus nah und fern die Möglichkeit geboten, sich an einem besonders belasteten Ort auf die vielfältigen Dimensionen der Bozener und Südtiroler Zeitgeschichte einzulassen. Das vom faschistischen Regime errichtete Monument wurde zu einem Ort umgestaltet, an dem die doppelte Diktaturerfahrung der Region und ihrer Menschen auf eindrückliche Weise erfahrbar und zugleich in überregionale und transnationale Dimensionen eingeordnet wird. Besonders Schülern und Schülerinnen bot der bis zu seiner Schließung im Covid-Lockdown kostenfrei zugängliche Ausstellungsparcours die große Chance, sich kritisch mit Faschismus und Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und Grundbegriffe gesellschaftlicher und politischer Bildung  einzuüben.

Wir appellieren, diesem Missstand raschestens abzuhelfen und die Zentralität dieses kritischen Erinnerungsortes wiederherzustellen

Der Initiative wurde 2016 im Rahmen des European Museum of the Year Award ein Anerkennungspreis (special commendation) mit der Begründung zuerkannt, man habe in Bozen «ein kontroverses Denkmal, das über lange Zeit für politischen, kulturellen und identitären Streit gesorgt hat, wieder zugänglich  gemacht und damit auf sehr mutige und professionelle Weise die Werte von Humanismus, Toleranz und Demokratie gefördert». In der internationalen Presse sind zahlreiche belobigende Artikel erschienen, die die – für Italien einzigartige, aber an europäische Beispiele anschließende – Transformation einer nationalistisch-chauvinistischen Architektur zu einem Gegen-Denkmal hervorgehoben haben. Jüngstes Beispiel der äußerst positiven Rezeption von BZ ’18–’45 ist das renommierte Routledge-Handbuch zur Faschistischen Architekturgeschichte Italiens (2020), dessen Umschlag ein Foto aus dem ironischerweise verschlossenen Ausstellungsbereich ziert.

 

Die wegweisenden Aufarbeitungsbemühungen im öffentlichen Stadtraum Bozens wurden 2015 mit der Verlegung von Stolpersteinen, zur Erinnerung an Bozens jüdische Opfer des Holocausts, 2017 mit der Umgestaltung des faschistischen Monumentalreliefs am Gerichtsplatz und 2019 mit einer Lichtinstallation am ehemaligen NS-Konzentrationslager Bozen ergänzt und produktiv weitergeführt. All diesen Initiativen dient die Dauerausstellung BZ ’18–’45: ein Denkmal, eine Stadt, zwei Diktaturen als Ausgangspunkt und erkenntnisleitender Kern. Diese Funktion ist durch die während des Covid-Lockdowns berechtigte, nunmehr aber nicht mehr nachvollziehbare Schließung abhanden gekommen, was zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Erinnerungsarbeit vor Ort geführt hat. Andere Museen und kulturelle Einrichtungen haben längst wieder geöffnet, ohne dabei die sanitären Erfordernisse zu vernachlässigen.

Das vom faschistischen Regime errichtete Monument wurde zu einem Ort umgestaltet, an dem die doppelte Diktaturerfahrung der Region und ihrer Menschen auf eindrückliche Weise erfahrbar und zugleich in überregionale und transnationale Dimensionen eingeordnet wird

Wir appellieren darum an die neue Stadtregierung und ihre Kulturabteilung, diesem Missstand raschestens abzuhelfen und die Zentralität dieses kritischen Erinnerungsortes wiederherzustellen, selbstredend unter Beachtung geltender Covidbestimmungen und mit numerischer Beschränkung der  BesucherInnen. Es genügt freilich nicht, die dringende Wiedereröffnung vorzunehmen. Auch eine der Relevanz der Initiative angemessene verbesserte Betreuung ist dringend nötig, um die Inhalte der  Ausstellung mithilfe von thematischen Veranstaltungen weiter zu befördern. BZ ’18–’45 sollte nicht das Schicksal des Stadtmuseums teilen, dessen seit Jahren andauerndes Schattendasein so betrüblich wie unverständlich ist. Auch das Schulmuseum Bozen und das Semirurali-Museum sind nicht erst seit ihrer Totalschließung den meisten Bozener Bürgern und BürgerInnen gar kein Begriff mehr. 

Die künftige Stadtregierung könnte kulturpolitische Weitsicht beweisen, indem sie mit neuer Kraft diesen kulturellen Stillstand überwindet und mit der aktiven Inbetriebnahme von BZ ’18–’45 ein Zeichen setzt, das längst überfällig ist und für ganz Südtirol und darüber hinaus von Bedeutung ist.

Bozen, im Oktober 2020 

Andrea Bonoldi, Siglinde Clementi, Maurizio Ferrandi, Joachim Gatterer, Georg Grote, Hans Heiss, Walter  Landi, Stefan Lechner, Giorgio Mezzalira, Hannes Obermair, Günther Pallaver, Jeffrey Schnapp, Oswald  Überegger, Martha Verdorfer, Alessandra Zendron 

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Profil für Benutzer Schorsch Peter
Schorsch Peter Fr., 09.10.2020 - 13:42

Dem stimme ich voll und ganz zu!
Ich fand die Einrichtung der Ausstellung unter dem Siegesboden eine sehr gute Sache, ebenso den Inhalt der Ausstellung - eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, und verstehe absolut nicht, wieso man sie nicht wieder eröffnet - ein ziemliches Armutszeugnis für Bozen!

Man kann sicher geteilter Meinung über das Siegesdenkmal sein, aber das heißt nicht, dass man sich mit der Geschichte nicht auseinandersetzen sollte!

Fr., 09.10.2020 - 13:42 Permalink
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rotaderga Fr., 09.10.2020 - 21:09

Kann mich noch erinnern, wie bewaffnete Alpinis dieses Siegesdenkmal bewachten, wie viele hunderte Mio. Lire für Instandhaltung und Sanierung immer wieder bereit gestellt wurden. Haben die Italiener kein Interesse mehr am Erhalt, hat sich ihre Grundeinstellung total geändert?
Niemand hat das Recht die eigene Geschichte zu vernachlässigen, oder?

Fr., 09.10.2020 - 21:09 Permalink
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Hartmuth Staffler Fr., 09.10.2020 - 21:55

Die Schließung des Dokumentationszentrum im Keller des Siegesdenkmales ist wohl darauf zurückzuführen, dass der faschistische Protzbau baufällig ist. Historiker verstehen zwar etwas von Statistik, aber nichts von Statik.

Fr., 09.10.2020 - 21:55 Permalink
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Walter Kircher Sa., 10.10.2020 - 09:06

... wie erklären die geschätzten Unterzeichneten die Tatsache, daß unser Land zwei offizielle Namen/Bezeichnungen hat?
SÜDTIROL "darf" es ja heißen, - ALTOADIGE muß es wohl weiterhin heißen!
Geschichte bewusst zu machen ist das Eine, - einen guten Geschichtsverlauf (mit) zu gestalten ist wohl Wunschdenken ...

Sa., 10.10.2020 - 09:06 Permalink