Gesellschaft | Sanität

"Die Schuld auf uns geschoben"

Die Replik eines Südtiroler Hausarztes auf die Stellungnahme des Sanitätsbetriebes zum "Schnelltest-Skandal". Es brauche eine personelle Änderung an der Spitze.
Arzt
Foto: Pixabay
Nach der Stellungnahme des Sanitätsbetriebs zu den 1.261 positiven Corona-Schnelltests, die Hausärzte an die Sanitätseinheiten meldeten, ohne dass darauf der vorgesehene PCR-Test folgte, hat sich ein Hausarzt* gemeldet, der die Version der Sabes-Verantwortlichen nicht so stehen lassen will.

 

Die Replik

 
Die Antwort des Sanitätsbetriebes auf den Skandal um die nicht verarbeiteten Schnelltest-Meldungen war ebenso vorhersehbar wie enttäuschend.
Anstatt sich bei der Bevölkerung für diese unglaubliche und absolut vermeidbare Panne zu entschuldigen, volle Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen zu ziehen, wird relativiert (es sei "zu keinem Datenverlust gekommen") und die Schuld auf andere geschoben ("dieser Meldefluss [...] ersetzt aber nicht den Anfrageprozess für die PCR-Tests") - wir Ärzte hätten es also besser wissen müssen.
Dass die von uns so zahlreich gemeldeten Infizierten vom IT-System nicht mit der notwendigen Dringlichkeit an den Hygienedienst weitergeleitet worden sind, entspricht de facto einem Datenverlust!
Ziel der aktuell so zahlreich durchgeführten Schnelltests ist nämlich nichts anderes, als die rasche Identifizierung von Erkrankten und anschließende Isolierung der betroffenen Haushalte und engen Kontakte! Dadurch lassen sich Infektionsketten effektiv unterbrechen, was das Infektionsgeschehen insgesamt verlangsamen und in letzter Konsequenz einen teilweisen oder sogar vollständigen Lockdown verhindern kann.
Dass die von uns so zahlreich gemeldeten Infizierten vom IT-System nicht mit der notwendigen Dringlichkeit an den Hygienedienst weitergeleitet worden sind, entspricht de facto einem Datenverlust
Deswegen ist dieses Versagen aus epidemiologischer – aber auch wirtschaftlicher – Sicht so schwerwiegend und weitreichend. Die Hausärzte haben im Glauben, einen bedeutenden Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten und unter Einsatz der eigenen Gesundheit eine Vielzahl von symptomatischen Patienten getestet. Viele Bürger wissen nicht, dass im Frühjahr 2020, in nur knapp 9 Wochen, über 170 Ärzte italienweit an COVID-19 verstorben sind, etwa ein Drittel dieser Kollegen waren Hausärzte. Auch in Südtirol gehören viele Hausärzte allein aufgrund ihres Alters zur Risikopopulation, was sie aber nicht davon abgehalten hat, an der Schnelltest-Initiative teilzunehmen.
 
 
Der andere, subtil versteckte Vorwurf, dass wir Hausärzte wissen hätten können, dass die positive Schnelltest-Meldung eine PCR-Anfrage nicht ersetzt, entbehrt jeder Logik. Es war und ist für uns völlig unsinnig, davon auszugehen, dass die Meldung eines positiven Schnelltests über eine eigens (!) dafür geschaffene Funktion im Meldeportal nicht prioritär weitergereicht wird.
Im Übrigen stimmt es nicht, dass "eine Reihe von Informationen automatisch eingelesen" werden. Gerade einmal die in der Schnelltest-Maske eingegebene Telefonnummer wird einmalig (!) übernommen, die Wohnadresse und sogar der Privacy-Konsens müssen jedes Mal aufs Neue eingefügt bzw. angeklickt werden – selbst wenn für den Patienten schon einmal eine Meldung gemacht worden ist.
Es war und ist für uns völlig unsinnig, davon auszugehen, dass die Meldung eines positiven Schnelltests über eine eigens dafür geschaffene Funktion im Meldeportal nicht prioritär weitergereicht wird
Dass diese peinliche Panne überhaupt passieren konnte, lässt sich letztlich nur dadurch erklären, dass das Schnelltest-Meldesystem trotz seiner epidemiologischen Bedeutung im Vorfeld nicht richtig getestet worden ist – zumindest nicht von uns Hausärzten. Und dass es beinahe zwei ganze Wochen (!) gedauert hat, den Fehler überhaupt zu bemerken und uns zu kommunizieren, widerlegt ebenfalls die Behauptung, dass es eine "intensive Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin" gäbe.
 
Dass es zwei ganze Wochen gedauert hat, den Fehler überhaupt zu bemerken und uns zu kommunizieren widerlegt die Behauptung, dass es eine "intensive Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin" gäbe
Das Gegenteil ist der Fall: Seit vielen Wochen und trotz wiederholter Nachfragen haben wir Hausärzte bis heute vom Sanitätsbetrieb keinen wirklichen Leitfaden zum Umgang mit dieser Pandemie erhalten, es gibt zahlreiche offene Fragen und viel Verwirrung zum Umgang mit asymptomatischen Kontakten, zur Dauer und Beendigung von Quarantänen, und zu Kompetenzen und Zuständigkeiten. Zu oft können wir unseren Patienten keine verbindliche Auskunft geben.
Vieles erfahren wir aus der Zeitung, einiges über Ärzte-Chats, manches von den Gewerkschaften und der Ärztekammer, aber kaum etwas über die offiziellen Kanäle des Sanitätsbetriebes. Weil klare Vorgaben fehlen, fehlt auch ein einheitliches Vorgehen, was uns bei der Eindämmung der Pandemie behindert.
Das wohl schärfste Schwert im Kampf gegen COVID-19 ist neben dem verantwortungsvollen Verhalten des Einzelnen der effiziente Einsatz moderner Informationstechnologien. Vernetzung und Automatisierung könnten selbst größte Datenmengen in kurzer Zeit verarbeiten und damit Arbeitsprozesse enorm beschleunigen. Aber weder das von den Hausärzten verwendete Webportal noch die IT-Lösung des Hygienedienstes ermöglichen eine dieser Pandemie angemessene, rasche und effiziente Arbeitsweise. Dass die Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb dieses bekannte Problem nicht schon lange mit der notwendigen Entschlossenheit angegangen sind, ist nicht nur unbegreiflich, sondern geradezu unverzeihlich, da an der Spitze des Sanitätsbetriebes ein diplomierter Informatiker steht.
Deshalb hoffe ich inständig auf eine personelle Änderung an der Spitze des Sanitätsbetriebes, damit sich so ein Fehler niemals wiederholt und die Südtiroler endlich ein zeitgemäßes Gesundheitssystem erhalten, das sie seit mindestens 15 Jahren verdienen.
 
Ein Hausarzt*
 
 
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evelin tschenett Mi., 04.11.2020 - 18:20

"Ein Hausarzt" ... Sind wir wirklich so weit gekommen mit unserer Demokratie, dass sich ein Hausarzt nicht getraut seinen Namen kundzutun? Das ist weitaus beschämender als die ganze Geschichte an sich.

Mi., 04.11.2020 - 18:20 Permalink
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Christoph Wallnöfer Mi., 04.11.2020 - 20:03

Es wäre sinnvoll, wenn sich unsere Hausärzte* wieder mehr auf ihre eigene Erfahrung und Expertise verlassen würden anstatt z. B. auf PCR-Tests, welche nicht einmal für diagnostische Zwecke gedacht sind.
So steht z. B. im Beipackzettel des PCR Testkists von der Firma Creative Diagnostics, ganz prominent in der zweiten Zeile damit es ja niemand übersehen kann:

"This product is for research use only and is not intended for diagnostic use."

Anders ausgedrückt: Gesunde Menschen, die sich mittels Nasenstocher-PCR-Test auf Corona prüfen lassen, nehmen zwar an einem groß angelegten Forschungsprojekt teil, die Ergebnisse - ob negativ, zweifelhaft oder positiv - sind ansonsten aber wertlos (außer für jene welche damit Geld verdienen - beim Verkaufen und beim Testen).

Ich habe beim Sanitätsbetrieb bereits mehrmals um Informationen über die in Südtirol verwendeten PCR-Testkits angefragt. Bisher erfolglos. Kann mir da vielleicht jemand weiterhelfen? Ich würde mir die Beipackzettel gerne mal ansehen, vielleicht sind welche darunter die für diagnostische Zwecke zugelassen sind ...

Mi., 04.11.2020 - 20:03 Permalink
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Markus Kröss Mi., 04.11.2020 - 20:04

Kann es sein, dass diese „Panne“ sogar eine der maßgeblichen Ursachen für die letzthin explodierenden Infektionszahlen in der Provinz Bozen ist?

Mi., 04.11.2020 - 20:04 Permalink
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Evelyn Tarasconi Do., 05.11.2020 - 07:11

Ich fand die Mitteilung des Sanitätsbetriebes widersprüchlich:
"Die Informationen dieses Antigen-Meldeflusses wurden aber von Seiten der Covid-19-Überwachungseinheit naturgemäß mit geringerer Priorität bearbeitet, ......... Anfragen von Seiten der Allgemeinmediziner für PCR-Test, die über den gängigen Meldefluss „hereinkamen“, wurden mit hoher Dringlichkeit bedient." Im Prinzip, wenn ich das als Laie richtig verstanden haben, handelt es sich um dieselben Anfragen: Antigen-Ergebnismeldung= Anfrage um PCR-Test. Außerdem stellt sich mir als Laie auch die Frage, warum die Familienangehörigen nachweislich positiv Getesteter nicht getestet werden, wenn sie keine gravierenden Symptome haben? So verteilt sich das Virus munter weiter, Kinder gehen ohne Mundschutz weiter in die Schule, und Eltern können ohne Krankschreibung ohnehin nicht ewig daheimbleiben. Sinnvoll wäre hier doch bei einem hochinfektiösen Virus 1) Mundschutzpflicht an den Schulen, wie in D seit September (laut RKI-Empfehlung ab Inzidenz von 35) 2) Testen der Familienangehörigen. Aber vielleicht seh ich das ja falsch...

Do., 05.11.2020 - 07:11 Permalink
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Karl Trojer Do., 05.11.2020 - 10:11

Die allermeisten Ärzte und das gesamte Pflegepersonal leisten in diesen chaotischen Zeiten des covid19 ihr Möglichstes; ihnen Schuld zuzuschieben ist sehr unfair und arrogant. Das Gesundheitssystem ist thematisch und organisatorisch sehr komplex und bedarf hervorragender Kommunikations-u.Management-Qualitäten, und diese sind rar....

Do., 05.11.2020 - 10:11 Permalink
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Georg Holzer Do., 05.11.2020 - 10:31

Die Schuld auf ein Computerprogramm abzuschieben ist zu wenig.... wurde nicht ein Computerprogramm für Südtirol sehr teuer angekauft, wo es ein kostenloses gut funktionierendes gegeben hätte (meinen Kenntnissen zufolge wird das in Trient verwendet und funktioniert)? Dann funktioniert wohl das Computerprogramm nicht und nicht die, die es angekauft haben? Die Verantwortlichen in der Sanität und Politik haben seit dem Frühjahr Zeit gehabt sich auf die jetztige Situation vorzubereiten und Apotheken, Hausärzte, Sprengel usw. miteinzubeziehen und vorab es auszuprobieren?

Do., 05.11.2020 - 10:31 Permalink
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Max Benedikter Do., 05.11.2020 - 11:19

Ich bewundere den Mut und den Zivilcourage des Kollegen. Denn in Südtirol, wird dieser Kollege keine Karriere mehr machen. Und das weiss auch er. Deshalb Hut ab!
Und übrigens, die Verantwortlichen der Sanität wissen ganz genau, wer der/die Ärztin ist, aber ich nehme an, dass sich der/die Kollegin nicht weiter exponierten will und deshalb das Thema nicht auf eine persönliche Ebene bringen will. Denn die Herren des Sanitätsbetrieb könnten auch an seinem Ruf kratzen...

Do., 05.11.2020 - 11:19 Permalink